Predigt Johannes 9/1-7 8. Sonntag nach Trinitatis 05.08.01
"Hauptsache
gesund!?"
(von Pfarrer Johannes
Taig, Hospitalkirche Hof)
Liebe Leser, Hauptsache gesund! So könnte das Motto lauten, das wir auf den ersten Blick für unseren Predigttext finden könnten. Und wer von uns wollte etwas gegen dieses Motto haben? Es ist in unserer Gesellschaft ja inzwischen "Kult", wie die Jungen sagen. Früher war man in der Krankenkasse, heute ist man in der Gesundheitskasse. Früher – vor nur zwei-, dreihundert Jahren – lag die Lebenserwartung so um die 30 Jahre. Heute ist es fast schon Pflicht mit 70 noch wie mit 50 auszusehen. Freuen wir uns nicht zu früh, dass die Inquisition in Glaubensfragen eine Erscheinung des finsteren Mittelalters war. Vielleicht steht uns bald die Inquisition in Gesundheitsfragen bevor. Und vor uns steht dann keine Robe, sondern ein Arztkittel und fragt: Na, haben wir wieder heimlich auf dem Klo geraucht? Gesundheit ist Pflicht. Und vielleicht gilt dies in Zukunft auch schon vor der Geburt. Ein Blindgeborener? Das muss doch nicht sein. PID heißt das Verfahren, bei dem ein Embryo schon vor seiner Einnistung im Mutterleib auf eventuelle Missbildungen untersucht werden kann. Wie viel Leid könnte da erspart bleiben, seufzen die Befürworter dieser Methode. Und man muss schon genau hinhören, ob da nicht Geld gemeint ist. Auch so macht der Satz ja leider Sinn. Sünde heißt in der Gesundheitskasse alles, was unnötig Geld kostet. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie unsere Geschichte vom Blindgeborenen in Zukunft vielleicht wieder traurigen Sinn macht. Da haben wohl doch seine Eltern gesündigt, die ein solches Kind so fahrlässig gezeugt und ausgetragen haben – zu Lasten der Allgemeinheit. Wir alle merken, wie schnell wir mit diesem Bericht vom Blindgeborenen im Unmenschlichen landen. Ja vielleicht heute wieder besonders in der Gefahr stehen, einer Logik zu verfallen, die Jesus entschieden ablehnt. Jesus lässt sich in der Frage nach dem Leid auf keine Kasuistik ein und auf keine Frage nach der Sünde und Schuld. Und gründlich missversteht eine Auslegungstradition das Geschehen, die meint, der Mensch am Straßenrand sei blindgeboren, damit die Werke Gottes an ihm offenbar würden. Jesus, der Gott in Sandalen, der Supermediziner, der Meister aller Halbgötter in Weiß, braucht schließlich jemanden, den er gesund machen kann. Was für ein Gott, der das Leiden schafft, um es dann im Einzelfall wieder abzuschaffen. Das wäre in der Tat der blanke Zynismus. Wer Ohren hat zu hören, der höre, dass Jesus seinen Jüngern entschieden und ohne jede Ausnahme klarmacht, dass es für ihn überhaupt keine Rechnung mit dem Leid gibt. Diese Welt ist für den Christus durch keine philosophische und durch keine theologische Erklärung mehr zu retten. Der Christus ist nicht gekommen, diese Welt zu reparieren, sondern neu zu machen. Im Staub der Straße mantscht hier kein esoterisch angehauchter Homöopath, sondern der Schöpfer von Himmel und Erde, der den Menschen aus Erde machte, wie der 2. Schöpfungsbericht weiß (1.Mose 2). Hier wirkt der, der sprach: Es werde Licht und es wurde Licht (1. Mose 1). Hier geht es nicht um die prozentuale Verminderung der Unvollkommenheit dieser Welt, nicht um die Entlastung der Gesundheitskasse. Hier handelt der, der am Ende der Bibel sagt: Siehe, ich mache alles neu! (Offenbarung 21/5) Wir werden deshalb mit den Jüngern Zeugen einer Neuschöpfung. Hier handelt der Christus in der Einheit mit seinem himmlischen Vater. Hier tut Gott, was nur er kann: An die Stelle der alten Welt, setzt er seine neue. Die Werke der Finsternis, wie der Evangelist Johannes zu sagen pflegt, müssen vergehen. Der Christus beantwortet die Frage nach ihrem Warum, indem er sie abschafft und seine Werke an ihre Stelle treten lässt. Das Leiden des Blindgeborenen hat schon kein eigenes Gewicht mehr. Es darf schon keiner Erklärung mehr wert sein. Gerade ist es noch da, gleich wird es nicht mehr zur Welt gehören, zu keiner Welt, die Gott will. Und auch zu keinem Werk von Menschen, zu keiner Sünde und Schuld als Wirkung und Ursache. Es vergeht und macht Gottes Werk Platz. Der Tag der Neuschöpfung ist angebrochen für den Blindgeborenen, dem der Christus begegnet. Es ist daher nicht verwunderlich, dass diese Heilungsgeschichte, die am Anfang des 9. Kapitels im Johannesevangelium steht, noch lange nicht zu Ende ist, sondern ungeahnte Wirkung entfaltet. Ihr Happyend macht nicht alle Happy. Nicht einmal den Blindgeborenen. Als er vom Teich Siloah zurückkehrt, kennen ihn seine eigenen Nachbarn nicht wieder. Als sie sich bei den Pharisäern geistlichen Rat holen, wird ihnen der Beweis geführt, dass es sich auf keinen Fall um ein göttliches Wunder handeln könne, denn schließlich sei heute Sabbat, und was Jesus veranstaltet habe, verstoße gegen das 3. Gebot. Wenigstens die Eltern erkennen ihren Sprössling zweifelsfrei wieder und merken bald, dass sie jede Erklärung für das wiedergewonnene Augenlicht in große Schwierigkeiten bringt. Der Sohn bleibt nämlich bei seinen Angaben und fliegt aus der Synagoge, in der gilt, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Auch die Kirche hat die Tendenz sich lieber in dieser Welt und in ihrer Theologie einzurichten, als sich mit ihrem Herrn auf hohe See zu begeben. Sie macht beide Augen zu und legt den Fall zu den Akten. Und so gipfelt die Geschichte in der Einsicht, dass nach der Begegnung mit dem Christus, Blindheit und Sehfähigkeit genau umgekehrt verteilt sind, als am Anfang (Johannes 9/39). Der Blindgeborene erkennt in Jesus den Christus und sinkt vor ihm auf die Knie und die Frommen knallen ihm die Kirchentür vor der Nase zu. Das Licht der Welt hat auch in seiner eigenen Kirche schlechte Karten. Nicht alles, was auch heute zu ihrem Erhalt unternommen wird, dient der Verkündigung des Evangeliums. Die Krise, die das Kommen des Christus für die alte und vergehende Welt bringt, ist auch immer die Krise der Kirche. Sie ist es immer dann, wenn der Kirche der eigene Selbsterhaltungstrieb die Augen verschließt vor der Frage, die sie immer und vor allem in dieser Welt zu stellen und durch ihr Bekenntnis zu beantworten hat: Wem sollen wir glauben? Wem sollen wir uns anvertrauen mit unserem Leben, seinen Freuden und natürlich auch seinem Leiden? Niemand als Christus allein, lautet die Antwort der christlichen Gemeinde! Und diese Antwort soll laut werden in der Welt. In einer Welt, in der viele mit ihren Heilsversprechen genau diese Antwort bestreiten und ihrerseits um unser Vertrauen werben. In welche Zwänge wir dabei geraten können, haben wir schon am Anfang bedacht. Ach, in einem sind sich all diese Wunderversprecher und all diese versprochenen Wunder doch gleich: Wenn sie nichts taugen, sind wir selber schuld. Und deshalb soll unser Blick am Schluss noch einmal an den Anfang der Geschichte vom Blindgeborenen zurückgehen, wo es heißt: Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. Jesus ging vorüber und sah .... Das ist so unspektakulär und leise. Ganz anders, als all die Vertreter einer schöneren und besseren Welt, die uns mit ihrem Dauerklingeln und ihrem Marktgeschrei was verkaufen wollen. Ganz anders auch als die frommen Appelle zur umfassenden Sinnsuche und zur Entscheidung für den Glauben. Wer blind ist kann nicht suchen. Er ist darauf angewiesen, dass er gefunden wird! Und Jesus ging vorüber und sah. Das ist ein wahrhaft hoffnungsvoller Satz für uns und die ganze Welt. Kein Mensch, der vom Christus nicht gefunden würde; kein Leid, das nicht vor seine Augen käme. Das ist die Hauptsache! Wer wollte und könnte da die Hoffnung aufgeben? Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof) |
Text:
(1)Und Jesus ging vorüber und
sah einen Menschen, der blind geboren war. |