Liebe Jubelkonfirmandinnen, Jubelkonfirmanden, liebe Festgemeinde,
diese verständlichen und einfachen, fast möchte man sagen
einfältigen Worte aus dem Johannesevangelium liest und predigt man
gerne zur Taufe. Mit der Taufe kommt ein neues Schäfchen zur Herde
des guten Hirten. Sehr bildhaft kann man das schon kleinen Kindern
erklären. Und so eignet sich dieser Text auch für eine Taufe im
Kindergottesdienst.
Aber heute haben wir alles andere als einen Kindergottesdienst.
Schon unsere grünen Konfirmanden würden sich ärgern, wenn man sie
jetzt nach ihrer Konfirmation als Kinder ansprechen würde. Und Ihr,
liebe Jubelkonfirmanden erst recht! Denn Ihr habt jahrzehntelange
Lebenserfahrung gesammelt und seid nun wirklich keine Schäfchen
mehr!
Und auch wer kein Schäfchen mehr ist, möchte als Mensch noch viel
weniger mit einem ausgewachsenen Schaf verglichen werden. So
bezeichnet man einen Menschen, der sich nicht durchsetzen kann und
alles mit sich machen lässt. So jemand wollen wir auf keinen Fall
sein.
Auch wenn dieses Schäfchenimage Kirchgängern, praktizierenden
Christen, wie man heute sagt, nachschleicht. Vielleicht auch ein
Grund, den eigenen Kirchgang übers Jahr oder über die Jahre maßvoll
zu verteilen. Denn ein evangelischer Christ möchte gern angesehen
werden als ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan, wie
es Martin Luther einmal formuliert hat.
Der Kirchengeschichtler Adolf Harnack dazu: „Wir deutschen
Lutheraner sind eine Kirche, in welcher die Mitglieder alle Aktionen
kirchlicher Art schließlich doch nur von den Pfarrern erwarten und
ihre kirchliche, evangelische Freiheit eben darin erkennen, dass sie
mit der Kirche nichts zu tun haben brauchen.“ Diese Zitat stammt aus
dem Jahre 1907!
Das Bild vom Hirten und der Schafherde ist also nicht erst seit
gestern ein Bild, mit dem wir gar nicht so viel anfangen können oder
wollen. Schaf und Herde sind für den evangelischen Christen wenig
schmackhafte Vergleiche.
Und doch, liebe Jubelkonfirmanden, ist dieser Tag so etwas wie ein
still vorgetragenes Gegenargument. Ein Gegenargument gegen das
Gefühl der Selbstsicherheit und Selbständigkeit in Glaubens- und
Lebensdingen, das vielleicht aufkommt, wenn man auf all das
zurückschaut, was man in all den Jahren geschafft und aufgebaut hat:
Mein Haus, mein Auto, mein Bankkonto! Ein Gegenargument, für das man
schon einen solchen Erinnerungstag braucht, um es wieder einmal aus
aller Erinnerung klarer und fester zu fassen.
Deshalb erinnert Euch: Gesichter werden auftauchen. Die Pfarrer, die
Euch damals konfirmiert haben; Eure Jungen- und Mädchengesichter;
eine Herde von Kindern, die keine mehr sein wollten oder schon keine
mehr sein durften, weil sie schon arbeiten und mithelfen mussten.
Die noch jungen Gesichter Eurer Eltern und Geschwister werden
auftauchen, Oma und Opa. Das Elternhaus und die Stadt, grau, wie sie
damals war nach dem Krieg. Was habt Ihr in diesen Jahren miteinander
Schönes und Schweres erlebt! Weißt Du noch? Erinnerst Du Dich? So
wird wohl heute noch einige Male gefragt werden.
Und Ihr werdet Euch gerne erinnern, an das Gute und an das Schwere.
Denn beides ist Eure Geschichte. Das seid Ihr! Und mit diesen
Erinnerungen wird das kommen, was die Erinnerung an diese
Konfirmanden- und Kinderzeit so wertvoll macht: Die Besinnung auf
Eure ureigensten Wurzeln. Dort stamme ich her, dorthin habe ich
gehört, da waren die Menschen, denen ich Vertrauen, Liebe und
Zuneigung entgegengebraucht und von denen ich solches empfangen
habe. Da war ich Zuhause!
Zuhause: Besonders in der Erinnerung ist das schon fast ein
Zauberwort. Ein Wohlklang, der Macht hat, so manchen Misston in der
Erinnerung einfach zu übertönen. Zuhause ist ein hartnäckig gutes
Wort. Auch der selbstsicherste und selbstbewussteste Mensch kommt
aus einem Zuhause – und ist sein Leben lang dorthin unterwegs. Und
auch die unter Euch, die hundert Tausende Kilometer zurückgelegt
haben, waren doch die meiste Zeit auf dem Heimweg, dorthin
unterwegs, wo man Verständnis, Geborgenheit und Vertrauen findet.
Selbst Viecher, habe ich mir erzählen lassen, haben davon eine
Ahnung. Eine Kuh, die eine Zeitlang auf dem Hof ist, kennt den Weg
zu ihrem Stall auswendig, selbst den Platz im Stall weiß sie genau.
Schafe kennen ihren Hirten, zu dem sie gehören. Allein gelassen
werden sie suchen, finden oder elend zugrunde gehen. Womit wir
wieder bei unserem Predigttext wären.
Bestimmt hat Jesus bei seinem Vergleich daran gedacht: Menschen
brauchen ein Zuhause. Auch der erwachsene, der gestandene,
selbstständige und selbstbewusste evangelische Christ kann darauf
nicht verzichten. Er braucht ein Zuhause, wo er herkommt und ein
Zuhause, wo er hingeht. Wer das erste nicht richtig hatte, tut sich
schwer im Leben. Wer aber das zweite nicht findet und nicht mehr
dorthin unterwegs ist, führt ein trostloses und hoffnungsloses
Leben. Auf ein Zuhause sind wir ein Leben lang angewiesen.
Vielleicht ist deshalb ein solcher Jubiläumstag eine Chance, mitten
im alltäglichen Leben eine solche Weisheit aus all den Erinnerungen
wieder herauszuschälen. So wie man das Wichtige vom Unwichtigen
trennt. Vielleicht ist dieser Tag die Chance, einmal aus fröhlichem
Anlass freiwillig das zu tun, was mancher dann in der Not einer
Krankheit oder unter der Wucht eines Schicksalsschlages leisten
muss: Antwort geben auf die Frage, was ist wirklich wichtig, was
zählt in meinem Leben?
Ein Zuhause gehabt haben und ein Zuhause haben, das zählt! Sich
selbst und anderen ein Zuhause suchen und schaffen, das zählt!
Liebe, Vertrauen und Geborgenheit nehmen und geben, das zählt! Das
zählt mehr als mein Haus, mein Auto und mein Bankkonto.
Und wenn Ihr, liebe Jubelkonfirmanden, Euch heute daran erinnert,
dann seid Ihr unserem Herrn Jesus Christus sehr nahe gekommen. Denn
auch er ist der Meinung, dass eben das zählt: Ein Zuhause haben, wie
die Schafe einen Hirten haben. Und auch Gott im Himmel ist dieser
Meinung. Deshalb lässt er sich nicht nur mit "allmächtiger Gott" anreden. Am
liebsten lässt er sich mit „Vater unser“ anreden und bringt damit zu
Ausdruck, dass wir bei ihm, dem Schöpfer des unvorstellbar großen
Kosmos, zuhause sein dürfen.
Damals bei Eurer Konfirmation habt Ihr ihm ein Versprechen gegeben.
Das Versprechen bei ihm zu bleiben und bei seiner Gemeinde und
Kirche, in die Ihr als Säuglinge von Euern Eltern zum ersten Mal
hineingetragen worden seid. Diese Taufe habt Ihr Euch nicht
aussuchen können, wie Ihr Euch Eure Eltern nicht aussuchen, aber auch
nicht verdienen konntet. Euer erstes Zuhause war geschenkt. Ein
Geschenk, dass Ihr später nur ablehnen oder annehmen konntet. Und so
war es auch mit Eurer Taufe.
Die besten Dinge im Leben sind umsonst! Dazu gehört auch das
Zuhause, das Gott uns anbietet von unserer Taufe an. Es ist ein
Zuhause, für das der gute Hirte sein Leben eingesetzt hat, damit wir
Gottes Kinder sein und bei ihm zuhause sein dürfen im Leben und im
Tod. Das ist ein Zuhause in dem alles irdische Zuhause daheim sein
darf. Der Glaube an den guten Hirten ist deshalb nicht der letzten
Notnagel, sondern er ist die tiefste Wahrheit aller Suche nach einem
Zuhause. Gott ist Zuhause!
Und deshalb wünsche ich Euch, liebe Jubelkonfirmanden, dass Euch der
Glaube an den guten Hirten und das Euch das Wort Gott
selbstverständlich wird und bleibt. So gut und selbstverständlich wie das Wort
Zuhause. Ein hartnäckig gutes Wort hatten wir gesagt. Ich bin der
gute Hirte, sagt Jesus, und niemand wird Euch aus meiner Hand
reißen. Da komme ich her und dorthin bin ich unterwegs: Geboren
werden und sterben, lachen und weinen, daheim sein und unterwegs
sein: Ich bin der gute Hirte, sagt Jesus. Mit ihm beginnen und enden
alle Wege – zuhause.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
Christus spricht:
11 Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die
Schafe.
27 Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie
folgen mir;
28 und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr
umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.
29 Mein Vater, der mir sie gegeben hat, ist größer als alles, und
niemand kann sie aus des Vaters Hand reißen.
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