Predigt     Johannes 10/11-16,27-30    Miserikordias Domini     19.04.2015

"Was die Kirche ist"
(von Pfarrer Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

der Theologe Karl Barth predigte am 18.04.1934 über unseren Predigttext: „Ob wir Kirche sind, darüber haben wir nicht selber zu entscheiden. Das können wir weder einfach voraussetzen, noch durch irgendwelche Anstrengungen herbeiführen. Denken wir in dieser Stunde sehr ernsthaft an die beiden Gestalten des Unheils, das immer drohend vor der Tür steht, wo Kirchenmänner beieinander sind: entweder es wird da geredet in jener entsetzlichen kirchlichen Sicherheit, die so tut, als ob sie die Schrift und das Bekenntnis und den Heiligen Geist dazu in der Tasche und nun bloß noch ihre praktische Anwendung zu diskutieren hätte.

Oder es wird da geredet in jener zappelnden Aufregung, die den lieben Gott mit allerhand Zurüstungen und Vorbereitungen sozusagen beschwörend meint interessieren zu sollen und zu können für das, was man eben im Schilde führt. Sind wir ein Konvent von solchen Sicheren oder ein Konvent von solchen Aufgeregten, dann sind wir sicher nicht Kirche. Diesem doppelten Unheil steht in ernster Klarheit gegenüber als die einzige Möglichkeit gerade eines kirchlichen Konventes das, was wir hier den guten Hirten sagen hören: Ich erkenne die Meinen und bin bekannt den Meinen, wie mich der Vater kennt und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. Das ist die Antwort auf die Frage, ob wir hier Kirche sind.“ (Karl Barth, Predigt am 18.4.1934 in Osnabrück, TEH 10,17 f.)

Die Antwort auf die Frage, ob wir hier Kirche sind, ist Jesus Christus selbst. Er ist der gute Hirte. Er und sonst keiner. Evangelische Kirche braucht deshalb keine Leithammel, ob sie sich nun Papst, Bischof, Regionalbischof, Dekan oder Pfarrer nennen. Wer sich in solchen Ämtern zwischen den guten Hirten und die Gemeinde stellt, und diese damit in den eigenen Schatten stellt, sorgt dafür, dass die Gemeinde aufhört, Gemeinde des einzigen guten Hirten zu sein.

Dann ist geschafft, was der Großinquisitor in Dostojewskis „Die Brüder Karamasow zu Christus sagt: „... so hatten auch wir das Recht, ein Geheimnis zu predigen und die Menschen zu lehren, wichtig sei nicht der freie Entschluss ihres Herzens und nicht die Liebe, sondern das Geheimnis, dem sie blind gehorchen müssten, selbst gegen ihr Gewissen. Das haben wir getan. Wir haben deine Tat verbessert und sie auf das Wunder, das Geheimnis und die Autorität gegründet. Und die Menschen freuten sich, dass sie wieder geführt wurden wie eine Herde und dass ihnen die furchtbare Gabe, die ihnen soviel Qual gebracht hatte, endlich vom Herzen genommen war.“ (zitiert nach Rainer Oechslen, GPM, 1/1991, Heft 2, S. 211)

Mietlinge nennt Jesus diejenigen, die mit denen, die eigentlich zum guten Hirten gehören sollen, ihre eigene Schäferei aufmachen und Hüter und Herr in eigener Sache sein wollen. Die mit der Gemeinde des guten Hirten ihr eigenes Ding drehen wollen und auf und davon sind, wenn es nicht klappt. Wer sich auf die verlässt, ist verlassen. Ach, wir Menschen können nicht einmal unseres „Bruders Hüter“ (1. Mose 4,9) sein, ja, nicht mal unser eigener. Schlag nach bei Robert Gernhardt: „Ich über mich: … Ich sprach nachts: Es werde Licht! Aber heller wurd’ es nicht. / Ich sprach: Wasser werde Wein! Doch das Wasser ließ dies sein. / Ich sprach: Lahmer, du kannst gehn! Doch er blieb auf Krücken stehn. / Da ward auch dem Dümmsten klar, / dass ich nicht der Heiland war.“ (R. Gernhard, Gedichte 1954–1997, Zürich 1999, 52f.)

Das kirchliche Amt, ob es nun Papst, Bischof, Regionalbischof, Dekan oder Pfarrer heißt, hat deshalb nur eine Berechtigung und Aufgabe: Auf den guten Hirten Jesus Christus hinzuweisen und jeden einzelnen in der Gemeinde dort hinzuführen und darauf zu verweisen, was der Heidelberger Katechismus formuliert: „Dass ich mit Leib und Seele, im Leben und im Sterben, nicht mein, sondern meines getreuen Heilandes Jesu Christi eigen bin, der mich … erlöst hat und also bewahrt, dass ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Kopf fallen kann, ja mir auch alles zu meiner Seligkeit dienen muss.“ (Oechslen a.a.O.)

Deshalb ist das Predigtamt das höchste Amt in der Kirche. Es gewinnt und hat Autorität nicht aus sich selbst, sondern indem es Anteil hat am königlichen Wortamt Jesu Christi. Es bittet an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott (2. Kor. 5,20). Es kann daher niemals autoritär sein. Denn die Autoritätsform des Evangeliums ist die Bitte. Und neben dieser Autorität darf es in einer evangelischen Kirche keine anderen Autoritäten geben. Hat die evangelische Kirche das vergessen?

Hat sie es vielleicht auch deshalb vergessen, weil die Gemeinde ihrem Hirten Jesus Christus nicht mehr zuhören will? Oder ist sie bequem, ängstlich und feige geworden? Gerade dann wird sie anfällig für Führungsansprüche der falschen Leute. Für den guten Hirten besteht nämlich kein Zweifel, dass seine Herde, dass seine Gemeinde aus keineswegs dummen und führungsbedürftigen Mitgliedern bestehen soll und besteht. Denn sie kennen ihn und hören seine Stimme. Sie merken genau, ob der, der ihnen predigt, ihnen den guten Hirten predigt, oder das, was er selbst im Schilde führt. Sie merken genau, ob der, der ihnen predigt, mit der Stimme des guten Hirten redet, oder seine eigene Politik betreibt.

Martin Luther hat deshalb immer wieder betont, „dass eine christliche Versammlung und Gemeinde Recht und Macht habe, alle Lehre zu beurteilen und Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen“ (WA 11, 408–415) und hat sich genau auf diese Stelle bezogen. Gerade an dieser Stelle wird aber auch deutlich, dass dieses Recht und diese Macht einer Gemeinde nicht zukommt aus demokratischen Gründen. Es wird ja heute für ein Menschenrecht gehalten, sich überall einzumischen und mitzubestimmen und seine Bedürfnisse anzumelden und wehe, wenn nicht flott reagiert wird. Und eine kopflose Kirchenleitung scheint atemlos hinter allem her zu hecheln, was auf den Marktplätzen von ihr gefordert wird.

Recht und Macht alle Lehre zu beurteilen und Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen, kommt nur der Gemeinde zu, von der Jesus sagt: Die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt und ich kenne den Vater. Es ist also eine Gemeinde gemeint, die selbst auf die Stimme des guten Hirten hört und eine innige Beziehung zu ihm hat - aus freiem Entschluss ihrer Herzen und aus Liebe. Es ist eine Gemeinde gemeint, die ihr Gewissen am guten Hirten geschult hat.

Deshalb findet Jesus es tragisch, wenn eine solche Gemeinde die Freiheit einer solchen Beziehung zu ihm, dem guten Hirten, aufgibt für den blinden Gehorsam gegenüber den Großinquisitoren und für die Bequemlichkeit von diesen am Nasenring durchs Leben geführt zu werden. Es ist tragisch, wenn eine solche Gemeinde lieber schweigt und wegschaut und ihrem Gewissen den Mund verbietet; und statt auf die Wahrheit und den guten Hirten zu schauen, lieber auf die Insignien weltlicher und kirchlicher Macht schaut und denkt: Die werdens schon wissen; die werdens schon richten. So passen die Großinquisitoren und eine Kirche, die die Stimme des guten Hirten nicht mehr hört, zusammen.

Die Antwort auf die Frage, ob wir Kirche sind, ist Jesus Christus selbst. Wer ein Amt hat, hat den guten Hirten zu verkünden. Wer unter der Kanzel sitzt, hört auf seine Stimme in Wort und Sakrament. „Denn es weiß gottlob ein Kind von sieben Jahren, was die Kirche sei, nämlich die heiligen Gläubigen und die Schäflein, die ihres Hirten Stimme hören. Denn so beten die Kinder: Ich glaube eine heilige christliche Kirche.“ (Martin Luther) Das muss genügen. Wer mehr Kirche will, bekommt weniger.

Mag sein, dass eine solche Kirche, und die in ihr sind, einmal stark und einmal schwach sind. Sie folgen auch darin ihrem Herrn Jesus Christus, dessen Weg über das Kreuz auf Golgatha führt. Mag es Zeiten geben, in denen die Predigt auf taube Ohren stößt. Die Kirche hat keine andere Autorität als die Autorität des bittenden Christus.

Man sagt: Ein Volk hat meistens die Herren, die es verdient. Die Kirche hat einen Herrn, den sie nicht verdient. Der bittet um Gefolgschaft unter Einsatz seines Lebens. Mit weniger sollten wir uns nicht zufrieden geben.

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text:

Christus spricht:

11 Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.
12 Der Mietling aber, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht – und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie –,
13 denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe.
14 Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich,
15 wie mich mein Vater kennt und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe.
16 Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden.
27 Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir;
28 und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.
29 Mein Vater, der mir sie gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus des Vaters Hand reißen.
30 Ich und der Vater sind eins.


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