Liebe Leser,
nach Gottes heiligem Willen wurde für uns alle viel zu früh unser
lieber herzensguter Bruder Lazarus zum ewigen Frieden heimgerufen.
Rechts oben ein kleiner Vers:
Du warst im Leben so bescheiden/ nur Pflicht und Arbeit kanntest du/
mit allem warst du stets zufrieden/ nun schlafe sanft in stiller
Ruh. Und drunter: Gott sprach das große Amen. Für alle Anteilnahme
herzlichen Dank!
So könnte ein kleines Potpourri aus den Traueranzeigen der letzten
Wochen lauten. Man hält es kaum aus! Was für ein Menschen- und
Gottesbild! Immer bescheiden, nur Pflicht und Arbeit, stets
zufrieden, nach Gottes heiligem Willen!
Kurt Marti in einem Gedicht: dem Herrn unserem Gott hat es ganz und
gar nicht gefallen, dass gustav e. lips durch einen Verkehrsunfall
starb/ erstens war er zu jung, zweitens seiner Frau ein zärtlicher
Mann, drittens zwei Kindern ein lustiger Vater, viertens den
Freunden ein guter Freund, fünftens erfüllt von vielen Ideen/ dem
Herrn unserem Gott hat es ganz und gar nicht gefallen, dass einige
von euch dachten, es habe ihm solches gefallen. (Kurt Marti,
Leichenreden, Luchterhand, 1984, S.23) Nein, liebe Gemeinde, Jesus
gefällt das auch nicht. Ihm, der Tote erweckte und von den Toten
auferstand, gefällt das auch nicht.
Deshalb tun wir mit der Geschichte des Lazarus einen Blick in das
Herz Gottes. Jesus aber hatte Martha lieb und ihre Schwester und
Lazarus. Da sandten die Schwestern zu Jesus und ließen ihm sagen:
Herr, siehe, der, den du lieb hast, liegt krank. Offensichtlich ist
das eine Liebesgeschichte, auch wenn Jesus 4 Tage zu spät zur
Beerdigung kommt.
Da ist schon alles gelaufen. Man hat sich versammelt, um zu trauern
und zu trösten. Viele waren gekommen. Für alle Anteilnahme
herzlichen Dank. Wir werden ihm stets ein ehrendes Gedenken
bewahren. Als Marta hört, dass Jesus kommt, läuft sie ihm entgegen
und der ganzen Trauergesellschaft davon. Das ist ja oft eine
Versammlung von Tröstern, die nicht trösten können. Die vielmehr
selbst Trost und Hilfe brauchen, besonders wenn sie dann vortreten,
um einen Kranz niederzulegen und etwas zu sagen, wo es eigentlich
gar nichts mehr zu sagen gibt. Lieber Fritz, sagte da zum Abschied
am Grab mal einer, wir wünschen dir alles Gute auf deinem weiteren
Lebensweg. Oft wird man vor Schmerz ganz blöd und dumm.
Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben. So
spricht Marta zu Jesus. Was wäre gewesen, wenn .... Nicht Wut und
Verzweiflung schwingt in diesen Worten, sondern Hoffnungslosigkeit
und Traurigkeit über einen geliebten Menschen und eine verlorene und
untergegangene Welt. Trauer meint beides: einen verlorenen Menschen
und eine verlorene Welt.
In seinem Roman „Schlafes Bruder“ beschreibt Robert Schneider die
tragische Geschichte des genialen Musikers Johannes Elias Alder, der
22jährig sein Leben zu Tode brachte, nachdem er beschlossen hatte
nicht mehr zu schlafen.
Am Ende heißt es: „Um die Zeit des vormittäglichen Angelusläutens am
9. September des Jahres 1825 verschied Johannes Elias Alder. (...)
Wir heben die Augen von diesen Papieren und blicken aus unserer
niedrigen Schreibstatt - klein wie ein Puppenhaus - hinab auf die
jetzt fahlgrau verschneiten Hänge. Fröhliches Kindergeschrei und das
helle Jauchzen einer jungen Mutter hören wir. Und wir sehen die
lebendigen Knäuel mit ihren Schlitten heraufkommen, spüren die
Freude dieser Kinder, wie sie mühelos durch den Neuschnee zu waten
vermögen. Dann kehren wir an unseren Tisch zurück, wo es noch von
der Schwüle des Spätsommers duftet.
Nein, wir trauern nicht um diesen Menschen. Wir trauern um sein
Genie und um die Unmöglichkeit seines Liebens. Welch prachtvolle
Menschen - kommt uns der Gedanke wieder - muss die Welt verloren
haben, nur weil es ihnen nicht gegönnt war, ihr Leben im Gleichmaß
von Glück und Unglück zu leben. Wir schließen die Blätter unseres
Büchleins über Johannes Elias Alder. Was kommt ist von
Unerheblichkeit. Es ist das Zu-Ende-Erzählen einer nunmehr
unbedeutenden Welt.“(Robert Schneider „Schlafes Bruder“, Reclam,
1992, S.196 f.)
Das ist nicht die Sprache der Überheblichkeit, sondern der Liebe.
Nein, Gott gefällt es nicht, dass gustav e. lips, Johannes Alder,
Lazarus, du und ich im Nichts verschwinden und ihre Welt verloren
geht. Drum geht der Christus uns nach bis in den Tod, um uns dort
herauszurufen.
Dein Bruder wird auferstehen.
Klar, sagt Martha, am St. Nimmerleinstag, so haben wir es gelernt
und tausendmal gehört. Aber was hilft mir das jetzt? Manchmal werden
Bibelsprüche an Krankenbetten geradezu erbarmungslos hergesagt. Und
was zur fröhlichen Reinkarnation auch unter uns für wahr gehalten
wird, ist auch nicht gerade tröstlich. Auf Wiedersehen in Kalkutta!
Ich bin die Auferstehung und das Leben, sagt Jesus zu Marta. Und da
kann ja kein Mensch anders, als Jesus anzuschauen. Und Marta schaut
ihn an, erkennt das Antlitz des Freundes als das Antlitz des
Christus. In einer Sekunde, daran gibt es keinen Zweifel und darüber
gibt es keine Diskussion. Du bist der Christus, sagt sie Auge in
Auge mit ihm. Du bist der, der uns, unser Leben und unsere Welt nach
Hause bringt, auch durchs Leiden und Sterben. Nichts wird
bedeutungslos. Alles zählt!
Die weiteren Ereignisse fügen dieser Erkenntnis nichts Wesentliches
hinzu.
Das Antlitz des Christus ist nachweislich nicht das auf dem Turiner
Grabtuch, aber es kann für jeden von uns im Evangelium erkennbar
werden. Rosanow schreibt: „Das abendländische Christentum (...) ging
an dem, was an Christus die Hauptsache ist, völlig vorüber. Es
akzeptierte seine Worte, bemerkte aber sein Antlitz nicht. Nur dem
Osten war es gegeben, das Antlitz Christi aufzunehmen. Und der Osten
sah, dass es von unendlicher Schönheit und Traurigkeit war.“ (Rosanow,
Das dunkle Antlitz, zitiert bei Botho Strauß, Die Fehler des
Kopisten, Hanser, 1997, S.181)
Vielleicht haben Sie auch eine Ikone zu Hause. Für orthodoxe
Christen sind sie Fenster zu Gott und Fenster, durch die Gott auf
uns schaut. Ach, könnte unsere Verkündigung, unser Reden und Tun
mehr malen und darstellen vom Antlitz des Christus, statt von der
Armseligkeit unseres Denkens und unserer Theologie. Glauben ist
Vertrauen, das sieht. Du bist der Christus, der in die Welt gekommen
ist.
Die weiteren Ereignisse fügen dieser Erkenntnis nichts Wesentliches
hinzu. Der aus dem Grab ausgewickelte Lazarus bleibt eine
zweifelhafte Gestalt. Viele glaubten, nicht alle. Bischof von Zypern
soll der Reinkarnierte geworden sein und ein Mann, der für den Rest
seines Lebens nie wieder lachte. Vielleicht war er alles andere als
begeistert, dass er auf dieser Welt noch einmal antreten musste. Die
Legende meint, er blieb so mit dem Christus verbunden, der auf dem
Weg zum Kreuz war, als er ihn auferweckte.
Christus, voll unendlicher Schönheit und Traurigkeit. Gottes Liebe
hat keine Angst vor dem Tod, damit wir mit ihm leben. Geheimnis des
Glaubens!
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
1 Es lag aber einer krank, Lazarus aus
Betanien, dem Dorf Marias und ihrer Schwester Marta.
2 Maria aber war es, die den Herrn mit Salböl gesalbt und seine Füße
mit ihrem Haar getrocknet hatte. Deren Bruder Lazarus war krank.
3 Da sandten die Schwestern zu Jesus und ließen ihm sagen: Herr,
siehe, der, den du lieb hast, liegt krank.
17 Als Jesus kam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grabe liegen.
18 Betanien aber war nahe bei Jerusalem, etwa eine halbe Stunde
entfernt.
19 Und viele Juden waren zu Marta und Maria gekommen, sie zu trösten
wegen ihres Bruders.
20 Als Marta nun hörte, dass Jesus kommt, geht sie ihm entgegen;
Maria aber blieb daheim sitzen.
21 Da sprach Marta zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, mein
Bruder wäre nicht gestorben.
22 Aber auch jetzt weiß ich: Was du bittest von Gott, das wird dir
Gott geben.
23 Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen.
24 Marta spricht zu ihm: Ich weiß wohl, dass er auferstehen wird –
bei der Auferstehung am Jüngsten Tage.
25 Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer
an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt;
26 und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.
Glaubst du das?
27 Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus
bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.
41 Da hoben sie den Stein weg. Jesus aber hob seine Augen auf und
sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast.
42 Ich weiß, dass du mich allezeit hörst; aber um des Volkes willen,
das umhersteht, sage ich's, damit sie glauben, dass du mich gesandt
hast.
43 Als er das gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm
heraus!
44 Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Füßen
und Händen, und sein Gesicht war verhüllt mit einem Schweißtuch.
Jesus spricht zu ihnen: Löst die Binden und lasst ihn gehen!
45 Viele nun von den Juden, die zu Maria gekommen waren und sahen,
was Jesus tat, glaubten an ihn.
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