Predigt     Johannes 11/47-53     Judika    17.03.13

"Kollateralschaden"
(von Pfarrer Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

hören wir noch einige Ausschnitte aus der Rede des Hohenpriesters Kaiphas vor dem Hohen Rat:

„Sehr verehrte Mitglieder des Hohen Rates,

im Hinblick auf unsere Aufgabe – Schaden vom jüdischen Volk abzuhalten – wurde diese Sondersitzung unseres Gremiums einberufen. Ich bin dankbar, dass Sie alle Ihr Erscheinen so kurzfristig möglich gemacht haben, obwohl das Passahfest mit all seinen Verpflichtungen vor uns liegt. Ich komme zur Sache.

In diesen Tagen kommen Entwicklungen zu einem neuen Höhepunkt, die uns schon seit einiger Zeit beschäftigen. Die terroristischen Gruppen zur Befreiung Palästinas haben immer mehr Zulauf. Die Anschläge werden immer dreister und es sind schon viele Menschenleben zu beklagen. Zwar können unsere und die römischen Geheimdienste vereinzelte Erfolge verbuchen. Barabas konnte dingfest gemacht werden. Aber schlägt man der Schlange dieser Bewegung einen Kopf ab, wachsen zwei nach.

Die Lebenskraft dieser Bewegung ist die Messiaserwartung. Die missbrauchte Messiaserwartung, meine Herren! Das einfache Volk hofft auf einen Erlöser, der sich an die Spitze der Befreiungsbewegung in Palästina setzt. Noch sind die einzelnen Gruppen untereinander zerstritten. Wenn sie es aber schaffen, sich auf einen Anführer zu einigen, dann brauche ich Ihnen die Konsequenzen nicht ausmalen.

Meine Herren, die Römer sind nicht bereit, irgendwelche Unruhen tatenlos hinzunehmen. Wenn es zu einem Großeinsatz militärischer Kräfte kommt, werden auch wir ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Alles, was wir in mühsamen Verhandlungen mit den Römern erreicht haben, wäre von heute auf morgen in Gefahr. Alles, was unserem Volk unter den gegebenen Umständen noch an Selbstbestimmung und Freiheit geblieben ist, wäre aufs Spiel gesetzt. Wollen wir wirklich abwarten, bis es so weit kommt?

Wir müssen handeln, meine Herren. Und wir müssen jetzt handeln. In wenigen Tagen ist Passahfest in Jerusalem. Die Stadt wird aus allen Nähten platzen. Ein idealer Nährboden für Unruhen aller Art. Jetzt ist noch Zeit den Römern zu zeigen, dass wir an der Bewahrung des Status Quo interessiert sind. Daher schlage ich vor, ein Exempel zu statuieren.

Ich denke da an diesen Jesus von Nazareth. Seine Lehren sind gotteslästerlich. Besonders die Pharisäer unter uns, sind von ihm schon mehrfach bloßgestellt und beleidigt worden. Dieser Mann bringt Unruhe in unser Volk und in unsere Synagogen. In den mir vorliegenden Geheimdienstberichten wird zwar nicht erwähnt, dass dieser Jesus zur Gewalt aufruft. Aber niemand kann übersehen, dass sich immer mehr Leute um ihn scharen, die aus dem terroristischen Umfeld stammen. Ein Bericht nennt in diesem Zusammenhang Judas Ischarioth, der zum engsten Jüngerkreis gehören soll.

Dieser Jesus ist mit seinen Anhängern auf dem Weg nach Jerusalem. Im nahen Bethanien hat er wieder eine große Anhängerschaft hinzugewonnen. Er soll einen gewissen Lazarus von Bethanien vier Tage nach seinem Tod wieder lebendig gemacht haben. Sie finden das lächerlich? Wir nehmen das ernst. Wir lassen die Sache genau prüfen. Meine Herren, da sammelt sich ein Potential, das nicht unterschätzt werden darf.

Kurz vor dem Passahfest ist noch einmal Vollstreckungstermin auf dem Totenkopfhügel. Wir können Jesus von Nazareth dort mit unterbringen. Die Rechtsabteilung hat das mit positivem Ergebnis geprüft. Wir wären ein religiöses Problem los und ein politisches dazu. Ich weiß, dass einige in diesem hohen Hause wie immer Bedenken haben, aber schwere Zeiten erfordern schwere Entscheidungen. Auch die Opposition hat jetzt die Gelegenheit zu zeigen, dass sie stolz ist auf unser Land und unseren Glauben. Wenigsten auf das, was davon noch übrig ist. Wer eine solche Entscheidung nicht treffen will, muss dann auch den Mut haben, den Müttern ins Auge zu sehen, die um ihre von römischen Soldatenstiefeln zertrampelten Kinder trauern. Haben Sie den? Opfern wir deshalb diesen Jesus von Nazareth für das Wohl, die Sicherheit, die Freiheit und den Frieden unseres Volkes. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.“

Von dem Tage an, war es für sie beschlossene Sache, dass sie in töteten. Wie hätten Sie entschieden? War das nicht eine blitzsaubere Rede und eine blitzsaubere Entscheidung? So geht es doch bestenfalls zu in der Politik. Ist doch gut, dass die Entscheidung hier einmal zugunsten des kleineren Übels fällt und Lobbyinteressen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Jesus von Nazareth, ein Bauernopfer der großen Politik. Wie viele hat sein Tod vielleicht vor Verletzung und Tod bewahrt?

Trauen wir uns ruhig einmal, die Sache so zu sehen. Trauen wir uns ruhig unsere Welt einmal so zu sehen, wie sie – auch heute noch – ist. Dann kommen wir z.B. nicht mehr auf den Gedanken, die bösen Juden seien die Mörder unseres armen Herrn Jesus. Das stirbt ja nicht aus. Geben wir einmal zu, dass wir Politiker vom Format und Augenmaß eines Kaiphas gar nicht so schlecht finden. Das war ein hochverehrter Franz Joseph Strauß des Hohen Rats von Jerusalem.

Wie allen Politikern bleibt ihm oft nur die Wahl zwischen dem kleineren und dem größeren Übel. Wie oft bleibt uns nur die Wahl zwischen dem kleineren und dem größeren Übel? Wie oft werden Opfer gebracht? 3700 Tote z.B. jedes Jahr für freie Fahrt für freie Bürger. Wie viele kleine dreckverspritzte Kreuze mit davor verwelkten dreckverspritzten Blumen stehen an unseren Straßen? Sie schaffen bei uns nicht einmal den Betroffenheitsgrad eines ölverschmierten Seevogels. Die Welt rollt achtlos daran vorbei. Und so wäre auch das Kreuz des Jesus von Nazareth ein solches kleines Kreuz am Straßenrand der großen Politik. Ein bedauerlicher Kollateralschaden einer eben heillosen Welt und Ausweis derselben.

Wenn, ja wenn in unserem Predigttext nicht jene seltsame Wandlung wäre, die die Worte des Kaiphas nehmen. Gerade spricht hier noch der Manager einer heillosen Welt und ehe man sich’s versieht, hat Gott ihm die Worte aus dem Mund genommen. Auf einmal spricht Kaiphas, was Gott verheißen hat. Gerade noch erscheint uns der Jesus von Nazareth als eines der unzähligen, ohnmächtigen Bauernopfer der Weltgeschichte, da erscheint hinter ihm der Willen und Plan des allmächtigen Gottes. Denn hier herrscht in Wahrheit nicht der blinde Zufall oder die Logik einer trostlosen Welt, hier wird erfüllt, was Gott, was der Christus beschlossen hat: Er marschiert in das Getriebe dieser Welt, auf dass sich ihre Zahnräder die Zähne an ihm ausbeißen.

Niemand wird ihn daran hindern und dieser Leidensweg wird niemals vergessen werden. Denn neben diesem Kreuz am Straßenrand verwelken keine Blumen. Dieses Bauernopfer bleibt nicht in seinem Grab. Sein Kreuz wird nicht zum Mahnmal der Vergangenheit, sondern zum Zeichen der Hoffnung. Nicht Ausweis einer verlorenen Welt, sondern Wegweiser zum Himmelreich. Aus dem schmerzverzerrten Gesicht des ohnmächtig Gekreuzigten blickt der Mächtige schlechthin. Ihr Lacher und Macher nehmt euch in acht! Wenn der Christus im Tod die Augen schließt, hat er dem Kaiphas und all den anderen Managern dieser Welt die Feder, mit der die Weltgeschichte geschrieben wird, aus der Hand genommen.

Und er wird sich verbieten, dass von seinem Leiden und Sterben in der Begrifflichkeit des Kaiphas geredet wird. Dass wir von einem Opfer reden, dass Gott bringt, oder der Christus Gott, oder wem immer. Dass von ihm im Jargon der Rache, der Wut und des Hasses geredet wird oder in der Begrifflichkeit aufgeklärter Gleichgültigkeit oder kaltherzigen Kalküls. Hier wird kein kleineres Übel gewählt und kein Opfer gebracht. Hier ist Gottes Liebe unterwegs, zugunsten des Lebens. Und die Liebe bringt keine Opfer. Nicht einmal der Tod stellt sich ihr in den Weg.

Seitdem gilt: Wir brauchen nicht mehr Werte in der Politik und nicht mehr Bereitschaft zum Opfer. Kaiphas sein, reicht nicht. Wir brauchen auch in der Politik Menschen, die aus Liebe handeln. Nur die haben Zukunft. Dazu hilf uns Herr Jesus!

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text:

47 Da versammelten die Hohenpriester und die Pharisäer den Hohen Rat und sprachen: Was tun wir? Dieser Mensch tut viele Zeichen.
48 Lassen wir ihn so, dann werden sie alle an ihn glauben, und dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute.
49 Einer aber von ihnen, Kaiphas, der in dem Jahr Hoherpriester war, sprach zu ihnen: Ihr wisst nichts;
50 ihr bedenkt auch nicht: Es ist besser für euch, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe.
51 Das sagte er aber nicht von sich aus, sondern weil er in dem Jahr Hoherpriester war, weissagte er. Denn Jesus sollte sterben für das Volk
52 und nicht für das Volk allein, sondern auch, um die verstreuten Kinder Gottes zusammenzubringen.
53 Von dem Tage an war es für sie beschlossen, dass sie ihn töteten.
 


Archiv
Homepage Hospitalkirche