Liebe Leser,
hören wir noch einige Ausschnitte aus der
Rede des Hohenpriesters Kaiphas vor dem Hohen Rat:
„Sehr verehrte Mitglieder des Hohen Rates,
im Hinblick auf unsere Aufgabe – Schaden vom jüdischen Volk
abzuhalten – wurde diese Sondersitzung unseres Gremiums einberufen.
Ich bin dankbar, dass Sie alle Ihr Erscheinen so kurzfristig möglich
gemacht haben, obwohl das Passahfest mit all seinen Verpflichtungen
vor uns liegt. Ich komme zur Sache.
In diesen Tagen kommen Entwicklungen zu einem neuen Höhepunkt, die
uns schon seit einiger Zeit beschäftigen. Die terroristischen
Gruppen zur Befreiung Palästinas haben immer mehr Zulauf. Die
Anschläge werden immer dreister und es sind schon viele
Menschenleben zu beklagen. Zwar können unsere und die römischen
Geheimdienste vereinzelte Erfolge verbuchen. Barabas konnte dingfest
gemacht werden. Aber schlägt man der Schlange dieser Bewegung einen
Kopf ab, wachsen zwei nach.
Die Lebenskraft dieser Bewegung ist die Messiaserwartung. Die
missbrauchte Messiaserwartung, meine Herren! Das einfache Volk hofft
auf einen Erlöser, der sich an die Spitze der Befreiungsbewegung in
Palästina setzt. Noch sind die einzelnen Gruppen untereinander
zerstritten. Wenn sie es aber schaffen, sich auf einen Anführer zu
einigen, dann brauche ich Ihnen die Konsequenzen nicht ausmalen.
Meine Herren, die Römer sind nicht bereit, irgendwelche Unruhen
tatenlos hinzunehmen. Wenn es zu einem Großeinsatz militärischer
Kräfte kommt, werden auch wir ins Kreuzfeuer der Kritik geraten.
Alles, was wir in mühsamen Verhandlungen mit den Römern erreicht
haben, wäre von heute auf morgen in Gefahr. Alles, was unserem Volk
unter den gegebenen Umständen noch an Selbstbestimmung und Freiheit
geblieben ist, wäre aufs Spiel gesetzt. Wollen wir wirklich
abwarten, bis es so weit kommt?
Wir müssen handeln, meine Herren. Und wir müssen jetzt handeln. In
wenigen Tagen ist Passahfest in Jerusalem. Die Stadt wird aus allen
Nähten platzen. Ein idealer Nährboden für Unruhen aller Art. Jetzt
ist noch Zeit den Römern zu zeigen, dass wir an der Bewahrung des
Status Quo interessiert sind. Daher schlage ich vor, ein Exempel zu
statuieren.
Ich denke da an diesen Jesus von Nazareth. Seine Lehren sind
gotteslästerlich. Besonders die Pharisäer unter uns, sind von ihm
schon mehrfach bloßgestellt und beleidigt worden. Dieser Mann bringt
Unruhe in unser Volk und in unsere Synagogen. In den mir
vorliegenden Geheimdienstberichten wird zwar nicht erwähnt, dass
dieser Jesus zur Gewalt aufruft. Aber niemand kann übersehen, dass
sich immer mehr Leute um ihn scharen, die aus dem terroristischen
Umfeld stammen. Ein Bericht nennt in diesem Zusammenhang Judas
Ischarioth, der zum engsten Jüngerkreis gehören soll.
Dieser Jesus ist mit seinen Anhängern auf dem Weg nach Jerusalem. Im
nahen Bethanien hat er wieder eine große Anhängerschaft
hinzugewonnen. Er soll einen gewissen Lazarus von Bethanien vier
Tage nach seinem Tod wieder lebendig gemacht haben. Sie finden das
lächerlich? Wir nehmen das ernst. Wir lassen die Sache genau prüfen.
Meine Herren, da sammelt sich ein Potential, das nicht unterschätzt
werden darf.
Kurz vor dem Passahfest ist noch einmal Vollstreckungstermin auf dem
Totenkopfhügel. Wir können Jesus von Nazareth dort mit unterbringen.
Die Rechtsabteilung hat das mit positivem Ergebnis geprüft. Wir
wären ein religiöses Problem los und ein politisches dazu. Ich weiß,
dass einige in diesem hohen Hause wie immer Bedenken haben, aber
schwere Zeiten erfordern schwere Entscheidungen. Auch die Opposition
hat jetzt die Gelegenheit zu zeigen, dass sie stolz ist auf unser
Land und unseren Glauben. Wenigsten auf das, was davon noch übrig
ist. Wer eine solche Entscheidung nicht treffen will, muss dann auch
den Mut haben, den Müttern ins Auge zu sehen, die um ihre von
römischen Soldatenstiefeln zertrampelten Kinder trauern. Haben Sie
den? Opfern wir deshalb diesen Jesus von Nazareth für das Wohl, die
Sicherheit, die Freiheit und den Frieden unseres Volkes. Ich danke
für Ihre Aufmerksamkeit.“
Von dem Tage an, war es für sie beschlossene Sache, dass sie in
töteten. Wie hätten Sie entschieden? War das nicht eine blitzsaubere
Rede und eine blitzsaubere Entscheidung? So geht es doch bestenfalls
zu in der Politik. Ist doch gut, dass die Entscheidung hier einmal
zugunsten des kleineren Übels fällt und Lobbyinteressen nur eine
untergeordnete Rolle spielen. Jesus von Nazareth, ein Bauernopfer
der großen Politik. Wie viele hat sein Tod vielleicht vor Verletzung
und Tod bewahrt?
Trauen wir uns ruhig einmal, die Sache so zu sehen. Trauen wir uns
ruhig unsere Welt einmal so zu sehen, wie sie – auch heute noch –
ist. Dann kommen wir z.B. nicht mehr auf den Gedanken, die bösen
Juden seien die Mörder unseres armen Herrn Jesus. Das stirbt ja
nicht aus. Geben wir einmal zu, dass wir Politiker vom Format und
Augenmaß eines Kaiphas gar nicht so schlecht finden. Das war ein
hochverehrter Franz Joseph Strauß des Hohen Rats von Jerusalem.
Wie allen Politikern bleibt ihm oft nur die Wahl zwischen dem
kleineren und dem größeren Übel. Wie oft bleibt uns nur die Wahl
zwischen dem kleineren und dem größeren Übel? Wie oft werden Opfer
gebracht? 3700 Tote z.B. jedes Jahr für freie Fahrt für freie
Bürger. Wie viele kleine dreckverspritzte Kreuze mit davor
verwelkten dreckverspritzten Blumen stehen an unseren Straßen? Sie
schaffen bei uns nicht einmal den Betroffenheitsgrad eines
ölverschmierten Seevogels. Die Welt rollt achtlos daran vorbei. Und
so wäre auch das Kreuz des Jesus von Nazareth ein solches kleines
Kreuz am Straßenrand der großen Politik. Ein bedauerlicher
Kollateralschaden einer eben heillosen Welt und Ausweis derselben.
Wenn, ja wenn in unserem Predigttext nicht jene seltsame Wandlung
wäre, die die Worte des Kaiphas nehmen. Gerade spricht hier noch der
Manager einer heillosen Welt und ehe man sich’s versieht, hat Gott
ihm die Worte aus dem Mund genommen. Auf einmal spricht Kaiphas, was
Gott verheißen hat. Gerade noch erscheint uns der Jesus von Nazareth
als eines der unzähligen, ohnmächtigen Bauernopfer der
Weltgeschichte, da erscheint hinter ihm der Willen und Plan des
allmächtigen Gottes. Denn hier herrscht in Wahrheit nicht der blinde
Zufall oder die Logik einer trostlosen Welt, hier wird erfüllt, was
Gott, was der Christus beschlossen hat: Er marschiert in das
Getriebe dieser Welt, auf dass sich ihre Zahnräder die Zähne an ihm
ausbeißen.
Niemand wird ihn daran hindern und dieser Leidensweg wird niemals
vergessen werden. Denn neben diesem Kreuz am Straßenrand verwelken
keine Blumen. Dieses Bauernopfer bleibt nicht in seinem Grab. Sein
Kreuz wird nicht zum Mahnmal der Vergangenheit, sondern zum Zeichen
der Hoffnung. Nicht Ausweis einer verlorenen Welt, sondern Wegweiser
zum Himmelreich. Aus dem schmerzverzerrten Gesicht des ohnmächtig
Gekreuzigten blickt der Mächtige schlechthin. Ihr Lacher und Macher
nehmt euch in acht! Wenn der Christus im Tod die Augen schließt, hat
er dem Kaiphas und all den anderen Managern dieser Welt die Feder,
mit der die Weltgeschichte geschrieben wird, aus der Hand genommen.
Und er wird sich verbieten, dass von seinem Leiden und Sterben in
der Begrifflichkeit des Kaiphas geredet wird. Dass wir von einem
Opfer reden, dass Gott bringt, oder der Christus Gott, oder wem
immer. Dass von ihm im Jargon der Rache, der Wut und des Hasses
geredet wird oder in der Begrifflichkeit aufgeklärter
Gleichgültigkeit oder kaltherzigen Kalküls. Hier wird kein kleineres
Übel gewählt und kein Opfer gebracht. Hier ist Gottes Liebe
unterwegs, zugunsten des Lebens. Und die Liebe bringt keine Opfer.
Nicht einmal der Tod stellt sich ihr in den Weg.
Seitdem gilt: Wir brauchen nicht mehr Werte in der Politik und nicht
mehr Bereitschaft zum Opfer. Kaiphas sein, reicht nicht. Wir
brauchen auch in der Politik Menschen, die aus Liebe handeln. Nur
die haben Zukunft. Dazu hilf uns Herr Jesus!
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche
Hof) (weitere Predigten von
Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de)
|
Text:
47 Da versammelten die Hohenpriester und
die Pharisäer den Hohen Rat und sprachen: Was tun wir? Dieser Mensch
tut viele Zeichen.
48 Lassen wir ihn so, dann werden sie alle an ihn glauben, und dann
kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute.
49 Einer aber von ihnen, Kaiphas, der in dem Jahr Hoherpriester war,
sprach zu ihnen: Ihr wisst nichts;
50 ihr bedenkt auch nicht: Es ist besser für euch, ein Mensch sterbe
für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe.
51 Das sagte er aber nicht von sich aus, sondern weil er in dem Jahr
Hoherpriester war, weissagte er. Denn Jesus sollte sterben für das
Volk
52 und nicht für das Volk allein, sondern auch, um die verstreuten
Kinder Gottes zusammenzubringen.
53 Von dem Tage an war es für sie beschlossen, dass sie ihn töteten.
|