Liebe Leser,
„Der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack weist auf dem
Hintergrund seiner empirischen Studien unermüdlich daraufhin, dass
außerhalb von Kirche oder religiöser Gemeinschaft kaum religiöse
Produktivität auszumachen sei. Ich zitiere Pollack: »Es ist einfach
nicht wahr, dass die Kirchen sich leeren, aber Religion boomt.« Was
als »Religionsboom« verkauft wird, ist eine Religion, die weitgehend
ohne Gott auskommt. Konjunktur haben esoterische Suchbewegungen, die
eine vage Sinnsuche des ortlos gewordenen und vielfältig
verunsicherten Individuums der späten Moderne anzeigen, aber nicht
ein substantielles Interesse an religiöser Kommunikation und an
einer Lebensführung, die von einer religiösen Grundhaltung bestimmt
wäre.
Spiritualität ist insofern nicht mit Religion identisch. Sie
befindet sich vielmehr an den »unscharfen Rändern des religiösen
Feldes«. Spiritualität ist ein Mix aus fernöstlichen Religionen,
Homöopathie, Formen der Lebensberatung, der Esoterik und
christlicher Frömmigkeit, vor allem in ihrer mystischen Spielart.
Sie umfasst nahezu alles, »was die Kundschaft mit einem Gefühl der
Bedeutsamkeit des eigenen Seins versorgt.« Es geht hier vor allem um
die Suche nach dem Ich, das in der modernen Gesellschaft notorisch
in der Krise ist, da es sich vielfach fragmentiert erlebt und sich
gerade deshalb nach Ganzheitlichkeit sehnt. Spiritualität bearbeitet
das Unbestimmbare deshalb auch in möglichst unbestimmbarer Weise.
Das Argument verliert an Bedeutung … Die Tendenz zur
Entkonkretisierung von Religion ist dabei unübersehbar. Es ist
insofern zweifelhaft, ob die Kirchen von dieser spätmodernen
Spiritualität profitieren können, selbst wenn sie sich in ihrer
eigenen Praxis auf sie einstellen.“ (Isolde Karle, Deutsches
Pfarrerblatt, Heft 11/2012, S. 612)
So sagte es die Theologieprofessorin Isolde Karle beim Deutschen
Pfarrertag 2012 in Hannover. Und wer den Marktplatz der religiösen
Möglichkeiten mit seinen Ständen, Buden und Bauchläden betrachtet,
mit denen sich die Kirche längst auf die spätmoderne spirituelle
Marktlage eingestellt hat, wird in der Tat finden, dass hier allzu
oft das Unbestimmbare auf möglichst unbestimmbare Weise bearbeitet
wird. Nur nicht konkret werden. Das schreckt ab. Manches, was da in
der Kirche angeboten wird, erinnert schon ein wenig an das
ungeliebte und gemiedene Kind, dem man ein Schnitzel um den Hals
hängt, damit wenigstens die Hunde mit ihm spielen.
Heute am letzten Sonntag der Epiphaniaszeit lässt der Christus
deshalb sein Licht noch einmal hell aufscheinen. Und hat es doch
schon in seiner irdischen Zeit schwer, recht verstanden zu werden.
Was soll das Gerede vom Kreuz, bemerken seine Anhänger, wo der
Christus doch ein irdisches und ewiges Reich errichten soll. Dem
Christus als Freiheitskämpfer und König lassen sich weitere
Missverständnisse hinzufügen. Der Christus als Weisheitslehrer und
als moralisches Vorbild zum Beispiel. Immer gibt es Menschen, die
mit ihm etwas anfangen können und wollen, und sich darauf verstehen,
ihn einzubauen in ihr philosophisches oder politisches Weltbild.
Aber weder mit dem Christus, noch mit seinem himmlischen Vater
sollen wir Menschen irgendetwas anfangen, sondern sollen ihn, wie er
ist, und um seiner selbst willen zur Wirkung kommen lassen. Glauben
heißt eben nicht, mit Gott etwas anfangen können, sondern sich von
sich selbst abwenden und sich ganz Gott zuwenden. Wir sehen es ja in
unserem Predigttext, wie der Christus sich von denen abwendet, sich
vor denen verbirgt, die in die Finsternis zurückfallen lässt, die
mit ihm etwas anfangen wollen.
In der Predigt 1, die wir morgen im Studienkreis besprechen, zeigt
uns Meister Eckhart den Christus, der die Händler und Geldwechsler
aus dem Tempel treibt und sieht darin ein Bild für die menschliche
Seele: „Wohlan, nun gebt acht! Wer waren die Leute, die da kauften
und verkauften, und wer sind sie noch? Nun hört mir genau zu! Ich
will jetzt ausnahmslos nur von guten Leuten predigen. Dennoch will
ich diesmal aufzeigen, welches die Kaufleute waren und heute noch
sind, die so kauften und verkauften und es noch tun, die unser Herr
hinausschlug und hinaustrieb. Und dies tut er immer noch allen
denen, die da kaufen und verkaufen in diesem Tempel; von denen will
er keinen einzigen darin lassen. Seht, alle die sind Kaufleute, die
sich hüten vor groben Sünden und wären gern gute Leute und tun ihre
guten Werke Gott zu Ehren, wie Fasten, Wachen, Beten und was es
dergleichen gibt, allerhand gute Werke, und tun sie doch darum, dass
ihnen unser Herr etwas dafür gebe oder dass ihnen Gott etwas dafür
tue, was ihnen lieb wäre: dies sind alles Kaufleute. Das ist im
groben Sinn zu verstehen, denn sie wollen das eine um das andere
geben und wollen auf solche Weise markten mit unserm Herrn. ... Dies
sind sehr törichte Leute, die so markten wollen mit unserm Herrn;
sie erkennen von der Wahrheit wenig oder nichts. Darum schlug sie
unser Herr aus dem Tempel und trieb sie hinaus.
Es kann nicht miteinander bestehen das Licht und die Finsternis.
Gott ist die Wahrheit und ein Licht in sich selbst. Wenn denn Gott
in diesen Tempel kommt, so vertreibt er daraus die Unwissenheit, das
ist die Finsternis, und offenbart sich selbst mit Licht und mit
Wahrheit. Dann sind die Kaufleute fort, wenn die Wahrheit erkannt
wird, und die Wahrheit begehrt nicht nach irgendwelchem Kaufhandel.
Gott sucht das Seine nicht; in allen seinen Werken ist er ledig und
frei und wirkt sie aus echter Liebe. Ganz ebenso tut auch der
Mensch, der mit Gott vereint ist; der steht auch ledig und frei in
allen seinen Werken und wirkt sie allein Gott zu Ehren und sucht das
Seine nicht, und Gott wirkt es in ihm.“ (Quint, S. 153 f.)
Treffender und schöner kann man nicht auslegen, was der Christus im
Johannesevangelium denen sagt, die mit ihm etwas anfangen wollen.
Aber den Christus und seinen himmlischen Vater gibt es für uns nur
um seiner selbst willen, zwecklos, absichtslos, ohne warum. Das
Licht scheint in der Finsternis. Punkt und Gott sei Dank.
Und darum sollen wir die religiöse Marktlage um uns her zur Kenntnis
nehmen und um Gottes willen daraus nicht den Schluss ziehen, wir
hätten uns in irgendeiner Weise darauf einzustellen. Wir haben
unseren Auftrag wahrzunehmen, der da lautet, das Evangelium aller
Welt zu verkünden. Dass es Zeiten gibt, in denen die Ohren und
Herzen der Menschen verschlossen bleiben, mag uns traurig machen.
Das liegt aber nicht in unserer Macht und wir sollten niemals so
tun, als wäre es anders.
Dass aber auch für die Jünger Jesu gelten könnte, dass das
Christuslicht aufhört zu scheinen, dass es ein Zuspät gibt dafür,
ein Kind dieses Lichts zu werden, das sollte uns den Angstschweiß
aus allen Poren treiben. Was wäre eine Kirche und eine Gemeinde, die
aufhört um die Sonne des Gotteslichts zu kreisen? Ein Planet, der
ziellos durch die Finsternis treibt und sich nur noch um sich selber
dreht. Eine solch trostlose Kirche braucht die Welt nicht.
Immer wenn der Eindruck entsteht, dass die christliche Kirche so
geworden ist oder so zu werden droht, dann helfen keine Reformen.
Die bewirken gerade in solchen Situationen nur, dass sich die Kirche
noch ein bisschen schneller um sich selber dreht. Dann hilft in der
Tat nur, dass wir auf die Knie fallen und mit der größten Sehnsucht,
zu der unsere Herzen fähig sind, Gott darum bitten, dass sein
Christuslicht wieder anfängt zu strahlen.
Denn nur dann können wir auch dem spätmodernen Menschen mit seiner
Suche nach Bedeutung, mit seinem zersplitterten Ich den Weg ins
Freie zeigen. Den Weg in die Freiheit der Kinder Gottes. Denn „der
Mensch, der mit Gott vereint ist; der steht ledig und frei in allen
seinen Werken und wirkt sie allein Gott zu Ehren und sucht das Seine
nicht, und Gott wirkt es in ihm.“ Wunderbar!
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof) (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
34 Da antwortete ihm das Volk: Wir haben
aus dem Gesetz gehört, dass der Christus in Ewigkeit bleibt; wieso
sagst du dann: Der Menschensohn muss erhöht werden? Wer ist dieser
Menschensohn?
35 Da sprach Jesus zu ihnen: Es ist das Licht noch eine kleine Zeit
bei euch. Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die
Finsternis nicht überfalle. Wer in der Finsternis wandelt, der weiß
nicht, wo er hingeht.
36 Glaubt an das Licht, solange ihr's habt, damit ihr Kinder des
Lichtes werdet. Das redete Jesus und ging weg und verbarg sich vor
ihnen.
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