Liebe Leser,
es gibt einige Dinge, die lassen sich einfach nicht befehlen.
Spontan sein zum Beispiel, oder lachen. Lieben gehört dazu und das,
was die Jahreslosung aus dem Munde Jesu fordert. Euer Herz
erschrecke nicht. Geht nicht. Und wenn solches dann doch, mit Gewalt
sozusagen, ins Werk gesetzt wird, was unter Frommen gelegentlich
versucht wird, sieht und spürt jeder, dass nichts als Krampf dabei
herauskommt.
Fromme Verkrampfung ist die Sache Jesu nicht. Und deshalb machen
seine Worte deutlich, dass er um das Herz des Menschen sehr genau
Bescheid weiß. Es gehört zum Wesen des menschlichen Herzens, dass es
erschrecken kann. Ja es kann so sehr erschrecken, dass es aufhört zu
schlagen. Dann kann es nicht mehr erschrecken. Und deshalb lautet
die Diagnose für Menschen, die über gar nichts mehr erschrecken
können: Herztod. Kein Wunder, wenn wir solche Menschen herzlos
nennen. Hartherzig sind sie auf jeden Fall geworden. Ihr Herz
schlägt für nichts und niemanden mehr.
Niemand sollte das mit Karakterstärke verwechseln oder als solche
ausgeben. Wer im tiefsten Herzen nicht mehr erschrecken kann,
braucht dringend Hilfe. Eine Völkergemeinschaft, die den Klimagipfel
von Kopenhagen scheitern lässt, braucht dringend Hilfe. Sie steht
für eine Menschheit, die offenbar unfähig ist, ihre eigenen
Lebensgrundlagen für künftige Generationen zu erhalten. Treffen sich
zwei Planeten. Sagt der eine: Du siehst aber echt krank aus. Was
hast Du denn? Sagt der andere: Homo sapiens. Sagt der eine: Keine
Sorge, das geht vorbei.
Vorbei scheint auch die größte Finanz- und Wirtschaftskrise aller
Zeiten bald wieder zu sein, wenn man den Experten glauben darf.
Zurück bleibt ein astronomischer Schuldenberg, den noch unsere
Kindeskinder abzutragen haben. Wie herzlos muss eine Politik sein,
die in dieser Zeit Steuererleichterungen fürs neue Jahr beschließt?
Und nachdem wir am Jahresende wissen, dass wir uns nach 60 Jahren
Frieden wieder im Krieg befinden, wird uns die Regierung sicher auch
bald mitteilen, was das Leben eines afghanischen Zivilisten, den wir
uns lieber nicht als Menschen wie du und ich vorstellen, in Euro und
Cent wert ist. „Das verlorene Jahrzehnt“ titelte der Spiegel in der
49. Ausgabe. Untertitel: Was die Welt aus einer Dekade der
Unvernunft lernen muss. Eine erste Antwort lautet: Wer über nichts
mehr erschrecken kann, braucht dringend Hilfe.
Und wer darüber aus tiefstem Herzen erschrickt, braucht sie auch.
Damit das Herz nicht hart wird im Ansturm vielleicht verlorener
Jahre. Damit es nicht mehr und mehr aufhört für das Leben und für
andere zu schlagen. Unsere Welt braucht wie immer und mehr denn je
beherzte Menschen. Sie scheinen ihr auszugehen.
Deshalb weist der Christus auf die Kraft hin, die unseren Herzen
wieder auf die Sprünge hilft. „Glaubt an Gott und glaubt an mich“.
Offensichtlich ist hier nicht zweierlei, sondern ein Glaube gemeint.
Der Glaube an Gott ist der Glaube an Christus und der Glaube an
Christus ist der Glaube an Gott. „Ich und der Vater sind eins.“
(Johannes 10,30) Die innige Einheit des Sohnes mit dem Vater, die
nicht einmal Tod und Teufel zerstören können, ist ein Hauptmotiv
des Evangeliums und zugleich Urbild des Glaubens.
Leider müssen wir einem Ausleger recht geben, der schreibt: In
unserer evangelischen Kirche finden wir oft „Hochgestimmte
Spiritualität mit viel Gott und Segen und Geheimnis – aber jesusrein.
… Es wird eine Geheimniskrämerei um die zentralen Gegenstände des
Glaubens veranstaltet, als würden wir Lohengrin und nicht … Jesus
bezeugen. … Die Luft für Jesus und für ein christliches
Selbstverständnis, das sich als persönliche Jesus-Nachfolge getrauen
würde zu beschreiben, ist zurzeit in der Kirche sehr, sehr dünn.“
(Dietrich Neuhaus, GPM, Nr. 2, 2005, Heft 3, S. 348)
Dagegen schärft Jesus seinen Jüngern ein, was gelebten Glauben
ausmacht: „Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr
wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die
Wahrheit wird euch frei machen.“ (Joh 8/31f.) Eine Herberge ist
Bleibe für die Nacht. Christus und sein Wort sind Bleibe für ein
ganzes Leben. Deshalb sollte man auch in jeder Christusherberge, in
jedem Gotteshaus, genau das finden. Denn dieses Wort ist niemals
ausgehört. Ihm ist niemals zu Ende nachgedacht. Wahrheit und
Freiheit warten auf den, der dabei bleibt.
Das erfährt freilich nur der, der die Frage „Wo bleiben wir
eigentlich?“ nicht in dem Sinne stellt, wie sie von Zuhörern auf
Wahlveranstaltungen gestellt wird. Als Frage, wo ich und meine
Interessen denn vorkommen und wo denn für mich etwas dabei ist.
Wahrheit und Freiheit erfährt eine Kirche nur, wenn sie sich nicht
auch noch auf solche Fragen einlässt und wie eine Partei versucht
ihren Wählern und Kunden zu zeigen, dass sie auch für sie etwas im
Sortiment hat.
Wahrheit und Freiheit erfährt der Nachfolger Jesu Christi und die
christliche Gemeinde nur, wenn sie die Fremdheit des Christus
aushalten und die Fremde seines Worts und trotzdem dem Ruf Jesu
folgen!
Wo bleibst du eigentlich?, fragen die Jünger am Jordan (Johannes
1,38), und ahnen, dass in der Antwort Jesu auch die Antwort auf die
Frage, wo wir bleiben, enthalten ist. Erst einmal führt sie der
Christus in seine kleine Herberge, was für den Anfang auch schon was
ist: Zeichen, dass dieser Christus weiß, wo der Weg nach Hause zu
finden ist. Wo bleibst du eigentlich?, ist deshalb eine gute Frage.
Später auf dem Weg gibt Jesus seinen Jüngern weitere Antworten auf
genau diese Frage. Gleich im Anschluss an die Jahreslosung sagt er
seinen Jüngern zum Abschied: „In meines Vaters Hause sind viele
Wohnungen. Wenn's nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich
gehe hin, euch die Stätte zu bereiten? Und wenn ich hingehe, euch
die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir
nehmen, damit ihr seid, wo ich bin.“ (Joh 14,2f.) Hier die Herberge,
dort die Heimat. Hier über Nacht, dort für immer. Dort bleibt der
Christus. Dort bleiben wir.
Weil das feststeht, dürfen sich die aufgeschreckte Seele und das
erschreckte Herz an ihre Zukunft erinnern und schon heute an ihr
teilhaben. Ruhe finden, weil sie Ruhe in Gott finden werden. Das ist
so sicher, wie das Amen in der Kirche. Wer sich auf die gemeinsame
Zukunft verlässt, die wir sterblichen Menschen und der allmächtige
Gott durch Christus haben, wird gerade deshalb erschrecken müssen
über die Differenz, die zwischen unserer Welt und dem Reich der
Himmel besteht. Aber nicht so, dass das Herz aufhört für das Leben
und für andere zu schlagen. Und erst recht nicht so, dass wir diese
Differenz kleinreden, totschweigen und entschuldigen. Erst recht
nicht so, dass wir angesichts dieser Differenz gleichgültig die
Achseln zucken und die Hände in den Schoß legen.
Beherzte, weil glaubende Christenmenschen fangen bei sich selber an.
Und das heißt, dass sie Menschen sind, die sich zu Gott hinkehren,
die sich verlassen können, gerade, wenn sie sich verlassen fühlen.
Die sich zuerst von Gott helfen lassen, statt zuerst alle Arten
auszuprobieren sich selbst zu helfen. Die ihre Schuld bekennen und
sich von Gott rechtfertigen lassen, statt sich selbst zu
rechtfertigen. Die loslassen können, was nicht festzuhalten ist. Der
beherzte Mensch, das feste Herz weiß, was allein festzuhalten ist:
Der Christus, der uns festhält.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
Christus spricht:
Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!
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