Predigt     Johannes 14,1   Jahreslosung 2010   31.12.09

"Der Christus, der uns festhält"
(von Pfarrer Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

es gibt einige Dinge, die lassen sich einfach nicht befehlen. Spontan sein zum Beispiel, oder lachen. Lieben gehört dazu und das, was die Jahreslosung aus dem Munde Jesu fordert. Euer Herz erschrecke nicht. Geht nicht. Und wenn solches dann doch, mit Gewalt sozusagen, ins Werk gesetzt wird, was unter Frommen gelegentlich versucht wird, sieht und spürt jeder, dass nichts als Krampf dabei herauskommt.

Fromme Verkrampfung ist die Sache Jesu nicht. Und deshalb machen seine Worte deutlich, dass er um das Herz des Menschen sehr genau Bescheid weiß. Es gehört zum Wesen des menschlichen Herzens, dass es erschrecken kann. Ja es kann so sehr erschrecken, dass es aufhört zu schlagen. Dann kann es nicht mehr erschrecken. Und deshalb lautet die Diagnose für Menschen, die über gar nichts mehr erschrecken können: Herztod. Kein Wunder, wenn wir solche Menschen herzlos nennen. Hartherzig sind sie auf jeden Fall geworden. Ihr Herz schlägt für nichts und niemanden mehr.

Niemand sollte das mit Karakterstärke verwechseln oder als solche ausgeben. Wer im tiefsten Herzen nicht mehr erschrecken kann, braucht dringend Hilfe. Eine Völkergemeinschaft, die den Klimagipfel von Kopenhagen scheitern lässt, braucht dringend Hilfe. Sie steht für eine Menschheit, die offenbar unfähig ist, ihre eigenen Lebensgrundlagen für künftige Generationen zu erhalten. Treffen sich zwei Planeten. Sagt der eine: Du siehst aber echt krank aus. Was hast Du denn? Sagt der andere: Homo sapiens. Sagt der eine: Keine Sorge, das geht vorbei.

Vorbei scheint auch die größte Finanz- und Wirtschaftskrise aller Zeiten bald wieder zu sein, wenn man den Experten glauben darf. Zurück bleibt ein astronomischer Schuldenberg, den noch unsere Kindeskinder abzutragen haben. Wie herzlos muss eine Politik sein, die in dieser Zeit Steuererleichterungen fürs neue Jahr beschließt? Und nachdem wir am Jahresende wissen, dass wir uns nach 60 Jahren Frieden wieder im Krieg befinden, wird uns die Regierung sicher auch bald mitteilen, was das Leben eines afghanischen Zivilisten, den wir uns lieber nicht als Menschen wie du und ich vorstellen, in Euro und Cent wert ist. „Das verlorene Jahrzehnt“ titelte der Spiegel in der 49. Ausgabe. Untertitel: Was die Welt aus einer Dekade der Unvernunft lernen muss. Eine erste Antwort lautet: Wer über nichts mehr erschrecken kann, braucht dringend Hilfe.

Und wer darüber aus tiefstem Herzen erschrickt, braucht sie auch. Damit das Herz nicht hart wird im Ansturm vielleicht verlorener Jahre. Damit es nicht mehr und mehr aufhört für das Leben und für andere zu schlagen. Unsere Welt braucht wie immer und mehr denn je beherzte Menschen. Sie scheinen ihr auszugehen.

Deshalb weist der Christus auf die Kraft hin, die unseren Herzen wieder auf die Sprünge hilft. „Glaubt an Gott und glaubt an mich“. Offensichtlich ist hier nicht zweierlei, sondern ein Glaube gemeint. Der Glaube an Gott ist der Glaube an Christus und der Glaube an Christus ist der Glaube an Gott. „Ich und der Vater sind eins.“ (Johannes 10,30) Die innige Einheit des Sohnes mit dem Vater, die nicht einmal Tod und Teufel zerstören können, ist ein Hauptmotiv des Evangeliums und zugleich Urbild des Glaubens.

Leider müssen wir einem Ausleger recht geben, der schreibt: In unserer evangelischen Kirche finden wir oft „Hochgestimmte Spiritualität mit viel Gott und Segen und Geheimnis – aber jesusrein. … Es wird eine Geheimniskrämerei um die zentralen Gegenstände des Glaubens veranstaltet, als würden wir Lohengrin und nicht … Jesus bezeugen. … Die Luft für Jesus und für ein christliches Selbstverständnis, das sich als persönliche Jesus-Nachfolge getrauen würde zu beschreiben, ist zurzeit in der Kirche sehr, sehr dünn.“ (Dietrich Neuhaus, GPM, Nr. 2, 2005, Heft 3, S. 348)

Dagegen schärft Jesus seinen Jüngern ein, was gelebten Glauben ausmacht: „Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ (Joh 8/31f.) Eine Herberge ist Bleibe für die Nacht. Christus und sein Wort sind Bleibe für ein ganzes Leben. Deshalb sollte man auch in jeder Christusherberge, in jedem Gotteshaus, genau das finden. Denn dieses Wort ist niemals ausgehört. Ihm ist niemals zu Ende nachgedacht. Wahrheit und Freiheit warten auf den, der dabei bleibt.

Das erfährt freilich nur der, der die Frage „Wo bleiben wir eigentlich?“ nicht in dem Sinne stellt, wie sie von Zuhörern auf Wahlveranstaltungen gestellt wird. Als Frage, wo ich und meine Interessen denn vorkommen und wo denn für mich etwas dabei ist. Wahrheit und Freiheit erfährt eine Kirche nur, wenn sie sich nicht auch noch auf solche Fragen einlässt und wie eine Partei versucht ihren Wählern und Kunden zu zeigen, dass sie auch für sie etwas im Sortiment hat.

Wahrheit und Freiheit erfährt der Nachfolger Jesu Christi und die christliche Gemeinde nur, wenn sie die Fremdheit des Christus aushalten und die Fremde seines Worts und trotzdem dem Ruf Jesu folgen!

Wo bleibst du eigentlich?, fragen die Jünger am Jordan (Johannes 1,38), und ahnen, dass in der Antwort Jesu auch die Antwort auf die Frage, wo wir bleiben, enthalten ist. Erst einmal führt sie der Christus in seine kleine Herberge, was für den Anfang auch schon was ist: Zeichen, dass dieser Christus weiß, wo der Weg nach Hause zu finden ist. Wo bleibst du eigentlich?, ist deshalb eine gute Frage.

Später auf dem Weg gibt Jesus seinen Jüngern weitere Antworten auf genau diese Frage. Gleich im Anschluss an die Jahreslosung sagt er seinen Jüngern zum Abschied: „In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn's nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten? Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin.“ (Joh 14,2f.) Hier die Herberge, dort die Heimat. Hier über Nacht, dort für immer. Dort bleibt der Christus. Dort bleiben wir.

Weil das feststeht, dürfen sich die aufgeschreckte Seele und das erschreckte Herz an ihre Zukunft erinnern und schon heute an ihr teilhaben. Ruhe finden, weil sie Ruhe in Gott finden werden. Das ist so sicher, wie das Amen in der Kirche. Wer sich auf die gemeinsame Zukunft verlässt, die wir sterblichen Menschen und der allmächtige Gott durch Christus haben, wird gerade deshalb erschrecken müssen über die Differenz, die zwischen unserer Welt und dem Reich der Himmel besteht. Aber nicht so, dass das Herz aufhört für das Leben und für andere zu schlagen. Und erst recht nicht so, dass wir diese Differenz kleinreden, totschweigen und entschuldigen. Erst recht nicht so, dass wir angesichts dieser Differenz gleichgültig die Achseln zucken und die Hände in den Schoß legen.

Beherzte, weil glaubende Christenmenschen fangen bei sich selber an. Und das heißt, dass sie Menschen sind, die sich zu Gott hinkehren, die sich verlassen können, gerade, wenn sie sich verlassen fühlen. Die sich zuerst von Gott helfen lassen, statt zuerst alle Arten auszuprobieren sich selbst zu helfen. Die ihre Schuld bekennen und sich von Gott rechtfertigen lassen, statt sich selbst zu rechtfertigen. Die loslassen können, was nicht festzuhalten ist. Der beherzte Mensch, das feste Herz weiß, was allein festzuhalten ist: Der Christus, der uns festhält.

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text:

Christus spricht:

Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!
 


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