Predigt     Johannes 14/19     Jahreslosung 2008     31.12.07

"Anwalt des Lebens"
(von Pfarrer Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

ein Gedicht von Kurt Marti aus seinen „Leichenreden“ möchte uns einstimmen
(ders., Luchterhand, 1976. S. 19):

wenn ich gestorben bin
hat sie gewünscht
feiert nicht mich
und auch nicht den tod
feiert DEN
der ein gott von lebendigen ist

wenn ich gestorben bin
hat sie gewünscht
zieht euch nicht dunkel an
das wäre nicht christlich
kleidet euch hell
singt heitere lobgesänge

wenn ich gestorben bin
hat sie gewünscht
preiset das leben
das hart ist und schön
preiset DEN
der ein gott von lebendigen ist

Vielleicht braucht das jeder irgendwann wirklich: Das memento mori, das Denken an den Tod. Damit vor seinem Hintergrund das Leben wieder zu leuchten beginnt als ein großes Geschenk. Ich habe dieser Tage gelesen, die großen und schon die kleinen Deutschen, seien ein Volk, das keine Wünsche an das Leben mehr offen hat. „Satt und sauber“, so reißt es die Jahre seines Lebens ab, lange bevor es ins Altersheim geht. Ausgehen, Freunde treffen, Latte macchiato trinken, und zack ist man 50.

„Satt und sauber“, nicht nur ein Motto fürs Altersheim, sondern auch für unsere sich so reformfreudig gebärdende Nation. Wer die Zeitung im vergangenen Jahr aufmerksam gelesen hat, hat wohl auch dies wahrgenommen: Ja, die reformeifrigen, verantwortungsbereiten und entscheidungsfreudigen Jungen machen Fehler. Aber im Konfliktfall - so hat man den Eindruck - sind sie es, die als Sündenböcke für alles, was falsch läuft, ausgemacht und gefeuert werden von der Sparkasse bis zur Diakonie. Das Verschleißalter von Managern, liegt heute so um Mitte vierzig. Tendenz fallend. Und in den Aufsichtsräten wirkt die ganze Schwerkraft der Rechthaber und Besitzstandswahrer. Wo sind sie geblieben, die Unangepassten und Aufmüpfigen, die den Mehltau nicht mehr ertragen, der sich in regelmäßigen Abständen und gerade in guten Zeiten auf unser Leben legt? Immer hundertprozentig korrekt, satt und sauber, so funktioniert das Leben nicht. So wird es erstickt. Und irgendwann wird einer zur Tastatur greifen und schreiben: Es war eine schwache Zeit!

Das Leben braucht Anwälte, die keine Roben tragen, sondern offene Augen und ein offenes Herz haben. Wer nicht mehr hören kann und verstehen will, was ihm nicht in den eigenen Kram passt; wer nur noch denen zuhört, die zur eigenen Alters-, Macht-, Geld- und Meinungsklasse gehören; wer kein Ohr mehr hat für die Schwachen, die Alten und Kinder, kann kein Anwalt des Lebens sein. Der hat längst aufgehört vom Leben irgendetwas zu verstehen. Der hat sich verbarrikadiert in den eigenen Stellungen. Dem wird das Leben und schließlich das eigene Leben, das einmal altert und stirbt, zum Feind.

Wenn ich gestorben bin, hat sie gewünscht, feiert nicht mich, und auch nicht den Tod, feiert DEN der ein Gott von Lebendigen ist. Wann waren Sie das letzte Mal auf einer Beerdigung, auf der das gewünscht war? Wann haben Sie das letzte Mal jemanden erlebt, der noch im Angesicht des Todes ein Anwalt des Lebens war? Der, aus dessen Mund die Losung für das neue Jahr stammt, ist einer. Ich lebe und ihr sollt auch leben. Das sagt der Christus in seinen Abschiedsreden. Da hat er den sicheren Tod vor Augen. Dort und gerade dort, erweist er sich als Anwalt des Lebens. Und zwar in doppelter Hinsicht: Wer dem Christus als Anwalt des Lebens vertraut, braucht sich um sein Leben und Sterben keine Sorgen zu machen. Und zweitens: Wenn Christus der Anwalt des Lebens ist, hat das ernste Konsequenzen für alle, denen Leben anvertraut ist.

Sparen wir uns bitte heute und im kommenden Jahr diese Pfaffenprosa zur allgemeinen Lebensbewältigung. Sparen wir uns die frommen Pflästerchen der seelischen Ratgeber für alle Lebenslagen. Der Glauben erschöpft sich nicht darin, Menschen wieder fit zu machen für den Wahnsinn des Alltags. Mag der Staat dies auch für die Hauptaufgabe der Kirche halten. In der Tat: Menschen, die im Glauben von der Sorge um ihr eigenes Leben befreit wurden, werden sich um das Leben der Mitmenschen und Mitgeschöpfe umfassend kümmern. Und zwar, indem sie einerseits ganz praktisch und diakonisch tätig werden, und indem sie andererseits die Verhältnisse unseres Alltags auf die Gründe und Abgründe hin hinterfragen, die Leben einschränken, bedrohen und scheitern lassen. Unglaubwürdig, ja zynisch wäre eine Kirche, die die Unglücklichen und Gescheiterten seelsorgerlich tröstet, aber zu den Ursachen ihres Unglücks schweigt und -noch zynischer, vielleicht sogar mit dem Hinweis auf das ewige Leben. Wer im Glauben von dem Christus lebt, der der Anwalt des Lebens ist, kann nicht anders, als selbst ein Anwalt des Lebens zu werden, auch wenn dies Diskurs und Konflikt bedeutet.

Anwälte für das Leben hat unser Gemeinwesen bitter nötig. Von den Kindern, die es schaffen in unserem Land geboren zu werden, lebt über eine Million in Armut. Jugendliche aus zerrütteten Familien, die keine Arbeit haben, landen auf der Straße, weil es unter 25 nicht einmal Harz IV gibt. Viele der im jetzigen Aufschwung geschaffenen Arbeitsplätze sind so schlecht bezahlt, dass man von dem Lohn nicht leben kann. Die Politik hat der Verteilungsgerechtigkeit den Abschied gegeben und versprochen, stattdessen Chancengerechtigkeit zu schaffen. Tatsächlich öffnet sich die Schere zwischen Arm und Reich rasant, und jede neue Pisastudie bescheinigt, dass von Chancengleichheit in Sachen Bildung und späteren Berufschancen bei uns keine Rede sein kann. Wer aus mittellosen und bildungsarmen Verhältnissen kommt, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein geborener Verlierer. Wie hohl und zynisch wird die Hymne von „Einigkeit und Recht und Freiheit“ in einem Land klingen, in dem ein großer Teil nach seiner eigenen Fasson nur unselig und unglücklich werden kann?

Eine solche Aussicht nimmt uns in die Verantwortung für das Leben. Verantwortliche Menschen wollen wir alle sein. Die Frage lautet, wem wir verantwortlich sind. Eigentum verpflichtet, heißt es im Grundgesetz (Art. 14, Abs.2). Das kann so verstanden werden, dass derjenige, der Eigentum verwaltet, dieses unter allen Umständen im Interesse der Besitzer oder Aktionäre nicht nur zu bewahren, sondern auch zu mehren hat. Alles andere hat sich diesem Ziel unterzuordnen. Hierzu gehören Löhne, Arbeitsplätze, Altersversorgung und andere menschliche Faktoren und Tugenden. Diese können, ja müssen geopfert werden, wenn es die „Verantwortung vor dem Eigentum, den Mitteln oder dem Geld“ erfordert.

Um dieser Fehlentwicklung zu wehren, hat schon das Grundgesetz dem Satz, Eigentum verpflichtet, einen zweiten zur Seite gestellt: „Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ In diesem Punkt hat unser Grundgesetz uns Christenmenschen als Mitstreiter, weil unser Herr Jesus Christus selbst an diesem Punkt kompromisslos Stellung bezieht: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ (Mt 6,24) Dass in der Kirchen nach guten Regeln und nicht nach Gutsherrenart mit dem Geld umgegangen wird, versteht sich von selbst. Aber in der Kirche darf es keine weitergehende „Verantwortung vor den Mitteln“ geben, sondern der Umgang mit dem Geld hat sich der Verantwortung vor Gott und den Menschen unterzuordnen. Geld hat zu dienen, z.B. der Fürsorge, dem Frieden, der Gerechtigkeit und in allem dem Leben. Dem Leben, das hart ist und schön, ganz und gar umsonst und geschenkt - und gerade deshalb unbezahlbar. Feiert den, der ein Gott von Lebendigen ist.

Darum lässt der Christus, der Abschied nimmt von seinen Jüngern und seinem irdischen Leben, die Seinen nicht als Waisen zurück, sondern bekräftigt, dass durch sein Leben und Sterben hindurch, dem Leben die Zukunft gehört. Er meint damit sein göttliches Leben, das er aber so gar nicht für sich behalten will, sondern es schon auf Erden überfließen lässt auf die Jünger: Ich lebe und ihr sollt auch leben.

Darin erweist sich der Christus als der Geber, Bewahrer und Anwalt des Lebens. Wer sich ihm anvertraut, braucht sich um sein eigenes Leben und Sterben keine Sorgen zu machen. Darin liegt die Freiheit selbst zum Anwalt des Lebens zu werden. Unsere Welt hat Anwälte des Lebens nötig. Lassen wir uns auf dem Weg ins neue Jahr erinnern, was bleibt und wem wir verantwortlich sind: Nicht den toten Dingen, nicht dem Staub, aus dem wir gemacht sind, sondern dem, der ein Gott von Lebendigen ist. Der schenke uns ein Jahr voller Leben - und dass wir uns dieses Geschenkes würdig erweisen.

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)
Text:

Christus spricht:

18 Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch.
19 Es ist noch eine kleine Zeit, dann wird mich die Welt nicht mehr sehen. Ihr aber sollt mich sehen, denn
ich lebe und ihr sollt auch leben.

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