Liebe Leser,
an Pfingsten gerät alles in Bewegung, in
geradezu stürmische Bewegung: Da braust es vom Himmel her, da
brennen Feuerzungen. Pfingsten, das liebliche Fest, ist alles andere
als ruhig und beschaulich. Da ist eher eine Sturm- und
Unwetterwarnung angesagt. Aber da, wo alles in Bewegung gerät, kann
allein Neues geschehen.
Die vielen Feste zu Pfingsten, Kirchweihfeste, Motorradrennen, die
Wanderungen und Gartenfeste sind ja nur ein vielfältiger Abglanz
dieser Bewegung, einer Bewegung, die von Anfang an nicht einfach zu
erklären war. Denn wie soll das Brausen vom Himmel her, wie sollen
die Feuerzungen erklärt werden? Was ist vom Himmel her zu erwarten,
Heil oder Unheil? Schon am Anfang herrschten Entsetzen und
Ratlosigkeit. Aber so ist das, wenn Gottes Geist kommt und alles in
Bewegung bringt. Da herrscht durchaus nicht immer fromme
Gemütserregung. Einige wussten gleich eine Antwort: Die Menschen
sind betrunken von süßem Wein. Das war die einfachste Erklärung. Und
recht besehen ist sie gar nicht so abwegig: Sie waren trunken vom
Heiligen Geist!
Die Pfingstgeschichte erzählt, dass Menschen unterschiedlicher
Sprachen versammelt waren. Sie waren sich fremd. Sie hatten - wie
wir heute sagen würden - einen unterschiedlichen
Migrationshintergrund und wahrscheinlich auch einen je anderen
Sozialisationshintergrund. Und vermutlich hatten sie noch dazu eine
je andere Religion. Aber auf wunderbare Weise verstanden sie sich!
Wenn Menschen, die einander fremd sind und nichts miteinander zu tun
haben, sich verstehen, dann sind Barrieren gefallen, dann sind
trennende Grenzen weggebrochen. Dann ist wirkliche Gemeinschaft
entstanden. Bilder von Menschen ziehen an meinem inneren Auge
vorbei, die aufeinander zugehen, sich gar um den Hals fallen, die
tanzen und miteinander singen - vom Geist der Einheit, des
Eins-Seins bewegt. Ja, da kann man trunken werden vor Begeisterung!
Ginge es doch allen Menschen und Völkern so, die durch Mauern
getrennt und verfeindet sind! Nur für Außenstehende ist das
verrückt. So geht es, wenn Gottes Geist kommt und alles in Bewegung
bringt. Menschen verstehen sich. Unbegreiflich ist das, wunderbar im
Wortsinne!
Nun hat allerdings der Geist unter Menschen eine lange Geschichte
des Unverständnisses hinter sich, sagen wir: der babylonischen
Sprachverwirrung. Dass auch einander fremde Menschen sich
miteinander ganz schlicht verstehen können, kommt in der Geschichte
nicht vor. Stattdessen vielerlei andere Geister - der Zeitgeist, der
Ungeist, nicht zuletzt und immer wieder die Geistlosigkeit! Und alle
haben sie Geschichte geschrieben - ihre Geschichten der Feindschaft,
der Knechtschaft und des Todes. Gottes Geist aber, der Pfingstgeist,
der alles in Bewegung bringt, ist eindeutig lebensförderlich. Er
unterdrückt nicht, sondern befreit. Er entzweit nicht, sondern
schafft Gemeinschaft. Der Apostel Paulus spricht sogar davon, dass
er Menschen in die Bewegung vom Tod zum Leben hineinzieht. Ja, wo
der Geist Gottes ist, ist Leben!
In einer großartigen Vision schaut der Prophet Hesekiel, dass der
Geist Gottes Leben in Totengebeine bläst. Der Prophet erzählt, dass
er ein großes Feld mit Totengebeinen sieht, und er vernimmt die
Verheißung, dass die Gebeine wieder lebendig werden sollen. Zuvor
aber wird er gefragt: „Meinst Du wohl, dass die Gebeine wieder
lebendig werden?" „Unmöglich" müsste er antworten, wenn er nach den
Vorstellungen des Zeitgeistes des Realismus antwortete. „Das
widerspricht aller Erfahrung." - „Unmöglich" sagen auch wir, wenn
wir auf Szenerien der Verwüstung sehen. Ihr schreckensvoller Anblick
verschlägt alle Hoffnung. „Wie soll das wieder werden?" Hesekiel
stellt die Antwort Gott anheim: „Herr, mein Gott, du weißt es." -
Und der Geist Gottes bläst Leben in die toten Gebeine!
„Unsere Gebeine sind verdorrt, und unsere Hoffnung ist verloren, und
es ist aus mit uns." - So hat das Volk Israel in seiner Geschichte
immer wieder geklagt.
Es ist aus mit uns. So ist das, wenn der Geist fehlt. So ist das mit
Menschen und ihrem Leben. Es ist aus mit uns: von allen guten
Geistern verlassen! Kennen Sie das? Es ist aus mit uns, es ist aus
mit mir. Da ist keine Perspektive und kein Funke Hoffnung mehr. Wir
alle kennen vermutlich solche Situationen im Leben, wo einen dieses
Gefühl gepackt und in die Tiefe gezogen hat, wo alles sinnlos
erscheint nach dem Motto: Es lohnt nicht mehr. Es ist aus!
Da wird der Geist Gottes tätig. Er bringt die in Bewegung, die in
Hoffnungslosigkeit erstarrt sind. Zunächst macht das oft nur
Schmerzen, weil Erinnerung belebt wird: Erinnerung an die
Verlorenheit eines Kindes, an die Verirrungen und Verfehlungen eines
Lebensweges, an versäumte Chancen und an das Scheitern eines
Lebenszieles - aus! All das wird schmerzlich erinnert. Aber der
Schmerz ist schon erstes Lebenszeichen, er fühlt sich an wie Leben.
Und mit dem Leben kommt der Mut. Denn der Heilige Geist ist der
große Mut-Macher. Da gibt es kein „aus", kein „sinnlos" und kein „es
lohnt nicht mehr". Es gibt die neue Chance. Der belebende Geist
schenkt Möglichkeiten über alle Vergeblichkeit hinaus.
Deshalb kann weiter an Friedensplänen gearbeitet werden, deshalb
können Landstriche und ganze Länder, die verwüstet darnieder lagen,
wieder aufgebaut werden, deshalb gibt es eine Chance für den
Gescheiterten: Du kannst neu beginnen an jedem Morgen! Der Sturm des
Geistes Gottes wirkt Lebensmut. Deshalb nennt der Evangelist
Johannes den Geist auch „Tröster“! Der Trost, das ist die
Festigkeit, der Trotz, mit dem man der Mutlosigkeit widerstehen
kann, der Mut zum Sein gegen allen Augenschein.
Der Apostel Paulus kennt das aus ganz persönlicher Erfahrung. Er
schildert einen Menschen, für den alles aussichtslos ist, weil er
sich selbst im Wege steht. Er ist besessen von einer Macht, gegen
die er sich verzweifelt wehrt, aber ohne Erfolg. „Denn das Gute, das
ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will,
das tue ich." Zerrissen in seinem Innern, gebunden von einer ihn
sich selbst entfremdenden Macht ruft er: „Ich elender Mensch! Wer
wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?" Das ist der
Schrei aus der Tiefe, das ist das Stöhnen eines Menschen, der vom
Leben genug hat, weil er mit sich selbst und seinem Leben nicht
zurechtkommt. Lieber nicht leben, als so wie ich. Lieber kein Leben,
als so ein zerrissenes, gefangen im eigenen Selbst.
Der Geist Gottes befreit aus dieser Gefangenschaft. Gegen alle
Verzweiflung führt der Apostel die Kraft des Geistes ins Feld: „So
gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.
Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus,
hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes." (Röm.
8,1-2) Der große Befreier, der Geist, holt Menschen heraus aus dem
Sog der Verdammnis. Und all das, was verdammungswürdig ist, versinkt
in die Tiefe. Es hat da seinen Ort, wo der Christus in der Tiefe war
und alle Verdammnis auf sich genommen hat.
Am Kreuz Jesu Christi ist der Ort alles dessen, was Sünde genannt
werden muss: die Lebenszerstörung und die Selbstzerstörung, der
Gotteshass und die Menschenfeindlichkeit, alle großen und alle
kleinen alltäglichen Gehässigkeiten. All das kann hinter uns
bleiben. Es wird nicht versteckt oder unter den Teppich gekehrt, wo
es dann im Geheimen zerstörerische Macht ausübt. Nein, es wird
benannt und ans Kreuz dessen geheftet, der die Verdammnis
durchlitten hat. Nur erkannte Schuld kann vergeben werden, nur von
erkannter Schuld können Menschen frei werden.
Es ist eine eigenartige Bewegung vom Tod zum Leben, in die uns der
Geist Gottes hineinzieht. Durch die Verbindung mit Jesus Christus
wird alles Tödliche abgetan. Und das, was dem Leben gut tut, wird
uns zugetan! Auch das, mit dem wir uns selbst verdammen und
verwerfen, können wir hier abtun. Es ist, als ob der Geist, der mit
Jesus Christus verbindet, sich wie ein Schutzwall um die herum
lagert, die verurteilt oder verdammt werden - von anderen und auch
von sich selbst. Der Geist schützt vor aller Verdammung und fängt
all das auf, was Menschen gegen sich selbst und gegen das Leben
sagen und fluchen, und er richtet die Gedanken und Sinne auf Leben.
Du kannst wieder leben, du bist frei.
Dem Sog in die Tiefe der Verdammnis entspricht der unendlich viel
stärkere Auftrieb zu Freiheit und Gerechtigkeit. Martin Luther hat
das den fröhlichen Wechsel genannt. Wir können das abgeben, wirklich
weggeben, all das, von dem wir selbst und andere dachten: da kommt
er nicht mehr raus, das haftet ihm an ein Leben lang. Denn in der
Verbindung mit Christus gilt die neue Gerechtigkeit: Gott wird uns
gerecht. Er macht uns recht. So werden wir frei.
Das ist der Grund des Pfingstjubels, der stürmischen Pfingstfreude.
Da kann man in der Tat singen und tanzen, erleichtert und befreit:
Ich kann wieder anfangen, wir können wieder neu anfangen! Der
Heilige Geist, der große Mut-Macher, der Tröster und der große
Befreier ist auch der Geist der Liebe.
Man hat den Heiligen Geist auch das Band der Liebe, vinculum
caritatis, genannt. Das Band, das Gott, den Vater und den Sohn,
verbindet, das Menschen untereinander und mit dem Christus
verbindet, Himmel und Erde. Diese Verbindung führt aber nicht zu
einer unklaren Vermischung. Vom Wein Verwirrte mögen sich das so
vorstellen und wünschen. Aber Himmel und Erde bleiben unterschieden,
und Menschen werden nicht zu kleinen Göttern, auch nicht durch die
Liebe. Der Geist erhebt niemanden in den siebenten Himmel, damit er
anschließend umso tiefer abstürze. Und er schickt uns nicht im
Traumschiff auf Himmelsreisen, so dass wir nach dem Höhenflug zu
Tode betrübt zurückfallen. Der Geist der Liebe macht uns stattdessen
nüchtern und ganz gegenwärtig, präsent. „Geistesgegenwärtig" sagen
wir, wenn jemand so präsent ist.
Der Heilige Geist, von dem gesagt wird, er sei der beste Freund des
gesunden Menschenverstandes, macht uns so gegenwärtig, dass wir
sensibel werden dafür, wo Liebe gebraucht wird. Und wo ist das nicht
der Fall! Liebe kann erkennen, wo es am täglichen Brot mangelt und
an der täglichen Fürsorge oder nur an einem Wort. Es bedarf keiner
Himmelsstürmer, sondern nüchterner irdischer Dienerinnen und Diener,
die im Geist der Liebe die Verteilungsprobleme in unserer
Gesellschaft und weltweit in Angriff nehmen. Es kann nicht sein,
dass der Kraftstoff für die einen den anderen das tägliche Brot
wegnimmt. Aber Liebe sensibilisiert auch für die Nähe und sogar für
vermeintlich Unscheinbares. Das Band der Liebe, das mit Christus
verbindet, verbindet uns auch mit denen neben uns, die wir so leicht
übersehen.
Es ist ja Trägheit, die uns übersehen lässt, wo liebevolles
Eingreifen notwendig ist. Aus Bequemlichkeit will man sich nicht
bewegen und lässt sich dann auch nicht mehr von der Not des Nächsten
bewegen. Und dann gibt es noch die Trägheit, mit der man sich auf
sich selbst zurückzieht und bitter feststellt: „Die Menschen sind
schlecht, sie sorgen alle für sich. Nur ich sorg' für mich." Das ist
die Sünde der Trägheit, die nicht mehr wahrnimmt, was uns alle Tage
geschenkt wird. Der Geist der Liebe hingegen öffnet unsere Augen für
die Liebe und die Lebensfülle, die uns alle Tage zukommen! Und die
wir genießen können und sollen, all Morgen neu.
Der Heilige Geist, der große Mut-Macher, der Tröster, der Befreier
von Schuld, die wir hinter uns lassen dürfen, und der Geist der
Liebe, der unsere Trägheit überwindet: Um den bitten wir heute mit
den Worten, mit denen Christen seit Jahrhunderten bitten: Ja, komm,
Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen und entzünde in
ihnen das Feuer deiner Liebe. Amen.
Pfarrer Rudolf Koller
(Hospitalkirche
Hof)
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Text:
23 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wer
mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn
lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.
24 Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das
Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der
mich gesandt hat.
25 Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin.
26 Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird
in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles
erinnern, was ich euch gesagt habe.
27 Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht
gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und
fürchte sich nicht.
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