Predigt     Johannes 14/23-27     Pfingsten    24.05.2015

"Der Mutmacher"
(von Pfarrer Rudolf Koller, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

an Pfingsten gerät alles in Bewegung, in geradezu stürmische Bewegung: Da braust es vom Himmel her, da brennen Feuerzungen. Pfingsten, das liebliche Fest, ist alles andere als ruhig und beschaulich. Da ist eher eine Sturm- und Unwetterwarnung angesagt. Aber da, wo alles in Bewegung gerät, kann allein Neues geschehen.

Die vielen Feste zu Pfingsten, Kirchweihfeste, Motorradrennen, die Wanderungen und Gartenfeste sind ja nur ein vielfältiger Abglanz dieser Bewegung, einer Bewegung, die von Anfang an nicht einfach zu erklären war. Denn wie soll das Brausen vom Himmel her, wie sollen die Feuerzungen erklärt werden? Was ist vom Himmel her zu erwarten, Heil oder Unheil?  Schon am Anfang herrschten Entsetzen und Ratlosigkeit. Aber so ist das, wenn Gottes Geist kommt und alles in Bewegung bringt. Da herrscht durchaus nicht immer fromme Gemütserregung. Einige wussten gleich eine Antwort: Die Menschen sind betrunken von süßem Wein. Das war die einfachste Erklärung. Und recht besehen ist sie gar nicht so abwegig: Sie waren trunken vom Heiligen Geist!

Die Pfingstgeschichte erzählt, dass Menschen unterschiedlicher Sprachen versammelt waren. Sie waren sich fremd. Sie hatten - wie wir heute sagen würden - einen unterschiedlichen Migrationshintergrund und wahrscheinlich auch einen je anderen Sozialisationshintergrund. Und vermutlich hatten sie noch dazu eine je andere Religion. Aber auf wunderbare Weise verstanden sie sich!

Wenn Menschen, die einander fremd sind und nichts miteinander zu tun haben, sich verstehen, dann sind Barrieren gefallen, dann sind trennende Grenzen weggebrochen. Dann ist wirkliche Gemeinschaft entstanden. Bilder von Menschen ziehen an meinem inneren Auge vorbei, die aufeinander zugehen, sich gar um den Hals fallen, die tanzen und miteinander singen - vom Geist der Einheit, des Eins-Seins bewegt. Ja, da kann man trunken werden vor Begeisterung! Ginge es doch allen Menschen und Völkern so, die durch Mauern getrennt und verfeindet sind! Nur für Außenstehende ist das verrückt. So geht es, wenn Gottes Geist kommt und alles in Bewegung bringt. Menschen verstehen sich. Unbegreiflich ist das, wunderbar im Wortsinne!

Nun hat allerdings der Geist unter Menschen eine lange Geschichte des Unverständnisses hinter sich, sagen wir: der babylonischen Sprachverwirrung. Dass auch einander fremde Menschen sich miteinander ganz schlicht verstehen können, kommt in der Geschichte nicht vor. Stattdessen vielerlei andere Geister - der Zeitgeist, der Ungeist, nicht zuletzt und immer wieder die Geistlosigkeit! Und alle haben sie Geschichte geschrieben - ihre Geschichten der Feindschaft, der Knechtschaft und des Todes. Gottes Geist aber, der Pfingstgeist, der alles in Bewegung bringt, ist eindeutig lebensförderlich. Er unterdrückt nicht, sondern befreit. Er entzweit nicht, sondern schafft Gemeinschaft. Der Apostel Paulus spricht sogar davon, dass er Menschen in die Bewegung vom Tod zum Leben hineinzieht. Ja, wo der Geist Gottes ist, ist Leben!

In einer großartigen Vision schaut der Prophet Hesekiel, dass der Geist Gottes Leben in Totengebeine bläst. Der Prophet erzählt, dass er ein großes Feld mit Totengebeinen sieht, und er vernimmt die Verheißung, dass die Gebeine wieder lebendig werden sollen. Zuvor aber wird er gefragt: „Meinst Du wohl, dass die Gebeine wieder lebendig werden?" „Unmöglich" müsste er antworten, wenn er nach den Vorstellungen des Zeitgeistes des Realismus antwortete. „Das widerspricht aller Erfahrung." - „Unmöglich" sagen auch wir, wenn wir auf Szenerien der Verwüstung sehen. Ihr schreckensvoller Anblick verschlägt alle Hoffnung. „Wie soll das wieder werden?" Hesekiel stellt die Antwort Gott anheim: „Herr, mein Gott, du weißt es." - Und der Geist Gottes bläst Leben in die toten Gebeine!

„Unsere Gebeine sind verdorrt, und unsere Hoffnung ist verloren, und es ist aus mit uns." - So hat das Volk Israel in seiner Geschichte immer wieder geklagt.
Es ist aus mit uns. So ist das, wenn der Geist fehlt. So ist das mit Menschen und ihrem Leben. Es ist aus mit uns: von allen guten Geistern verlassen! Kennen Sie das? Es ist aus mit uns, es ist aus mit mir. Da ist keine Perspektive und kein Funke Hoffnung mehr. Wir alle kennen vermutlich solche Situationen im Leben, wo einen dieses Gefühl gepackt und in die Tiefe gezogen hat, wo alles sinnlos erscheint nach dem Motto: Es lohnt nicht mehr. Es ist aus!

Da wird der Geist Gottes tätig. Er bringt die in Bewegung, die in Hoffnungslosigkeit erstarrt sind. Zunächst macht das oft nur Schmerzen, weil Erinnerung belebt wird: Erinnerung an die Verlorenheit eines Kindes, an die Verirrungen und Verfehlungen eines Lebensweges, an versäumte Chancen und an das Scheitern eines Lebenszieles - aus! All das wird schmerzlich erinnert. Aber der Schmerz ist schon erstes Lebenszeichen, er fühlt sich an wie Leben. Und mit dem Leben kommt der Mut. Denn der Heilige Geist ist der große Mut-Macher. Da gibt es kein „aus", kein „sinnlos" und kein „es lohnt nicht mehr". Es gibt die neue Chance. Der belebende Geist schenkt Möglichkeiten über alle Vergeblichkeit hinaus.

Deshalb kann weiter an Friedensplänen gearbeitet werden, deshalb können Landstriche und ganze Länder, die verwüstet darnieder lagen, wieder aufgebaut werden, deshalb gibt es eine Chance für den Gescheiterten: Du kannst neu beginnen an jedem Morgen! Der Sturm des Geistes Gottes wirkt Lebensmut. Deshalb nennt der Evangelist Johannes den Geist auch „Tröster“! Der Trost, das ist die Festigkeit, der Trotz, mit dem man der Mutlosigkeit widerstehen kann, der Mut zum Sein gegen allen Augenschein.

Der Apostel Paulus kennt das aus ganz persönlicher Erfahrung. Er schildert einen Menschen, für den alles aussichtslos ist, weil er sich selbst im Wege steht. Er ist besessen von einer Macht, gegen die er sich verzweifelt wehrt, aber ohne Erfolg. „Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich." Zerrissen in seinem Innern, gebunden von einer ihn sich selbst entfremdenden Macht ruft er: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?" Das ist der Schrei aus der Tiefe, das ist das Stöhnen eines Menschen, der vom Leben genug hat, weil er mit sich selbst und seinem Leben nicht zurechtkommt. Lieber nicht leben, als so wie ich. Lieber kein Leben, als so ein zerrissenes, gefangen im eigenen Selbst.

Der Geist Gottes befreit aus dieser Gefangenschaft. Gegen alle Verzweiflung führt der Apostel die Kraft des Geistes ins Feld: „So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind. Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes." (Röm. 8,1-2) Der große Befreier, der Geist, holt Menschen heraus aus dem Sog der Verdammnis. Und all das, was verdammungswürdig ist, versinkt in die Tiefe. Es hat da seinen Ort, wo der Christus in der Tiefe war und alle Verdammnis auf sich genommen hat.

Am Kreuz Jesu Christi ist der Ort alles dessen, was Sünde genannt werden muss: die Lebenszerstörung und die Selbstzerstörung, der Gotteshass und die Menschenfeindlichkeit, alle großen und alle kleinen alltäglichen Gehässigkeiten. All das kann hinter uns bleiben. Es wird nicht versteckt oder unter den Teppich gekehrt, wo es dann im Geheimen zerstörerische Macht ausübt. Nein, es wird benannt und ans Kreuz dessen geheftet, der die Verdammnis durchlitten hat. Nur erkannte Schuld kann vergeben werden, nur von erkannter Schuld können Menschen frei werden.

Es ist eine eigenartige Bewegung vom Tod zum Leben, in die uns der Geist Gottes hineinzieht. Durch die Verbindung mit Jesus Christus wird alles Tödliche abgetan. Und das, was dem Leben gut tut, wird uns zugetan! Auch das, mit dem wir uns selbst verdammen und verwerfen, können wir hier abtun. Es ist, als ob der Geist, der mit Jesus Christus verbindet, sich wie ein Schutzwall um die herum lagert, die verurteilt oder verdammt werden - von anderen und auch von sich selbst. Der Geist schützt vor aller Verdammung und fängt all das auf, was Menschen gegen sich selbst und gegen das Leben sagen und fluchen, und er richtet die Gedanken und Sinne auf Leben. Du kannst wieder leben, du bist frei.

Dem Sog in die Tiefe der Verdammnis entspricht der unendlich viel stärkere Auftrieb zu Freiheit und Gerechtigkeit. Martin Luther hat das den fröhlichen Wechsel genannt. Wir können das abgeben, wirklich weggeben, all das, von dem wir selbst und andere dachten: da kommt er nicht mehr raus, das haftet ihm an ein Leben lang. Denn in der Verbindung mit Christus gilt die neue Gerechtigkeit: Gott wird uns gerecht. Er macht uns recht. So werden wir frei.

Das ist der Grund des Pfingstjubels, der stürmischen Pfingstfreude. Da kann man in der Tat singen und tanzen, erleichtert und befreit: Ich kann wieder anfangen, wir können wieder neu anfangen! Der Heilige Geist, der große Mut-Macher, der Tröster und der große Befreier ist auch der Geist der Liebe.

Man hat den Heiligen Geist auch das Band der Liebe, vinculum caritatis, genannt. Das Band, das Gott, den Vater und den Sohn, verbindet, das Menschen untereinander und mit dem Christus verbindet, Himmel und Erde. Diese Verbindung führt aber nicht zu einer unklaren Vermischung. Vom Wein Verwirrte mögen sich das so vorstellen und wünschen. Aber Himmel und Erde bleiben unterschieden, und Menschen werden nicht zu kleinen Göttern, auch nicht durch die Liebe. Der Geist erhebt niemanden in den siebenten Himmel, damit er anschließend umso tiefer abstürze. Und er schickt uns nicht im Traumschiff auf Himmelsreisen, so dass wir nach dem Höhenflug zu Tode betrübt zurückfallen. Der Geist der Liebe macht uns stattdessen nüchtern und ganz gegenwärtig, präsent. „Geistesgegenwärtig" sagen wir, wenn jemand so präsent ist.

Der Heilige Geist, von dem gesagt wird, er sei der beste Freund des gesunden Menschenverstandes, macht uns so gegenwärtig, dass wir sensibel werden dafür, wo Liebe gebraucht wird. Und wo ist das nicht der Fall! Liebe kann erkennen, wo es am täglichen Brot mangelt und an der täglichen Fürsorge oder nur an einem Wort. Es bedarf keiner Himmelsstürmer, sondern nüchterner irdischer Dienerinnen und Diener, die im Geist der Liebe die Verteilungsprobleme in unserer Gesellschaft und weltweit in Angriff nehmen. Es kann nicht sein, dass der Kraftstoff für die einen den anderen das tägliche Brot wegnimmt. Aber Liebe sensibilisiert auch für die Nähe und sogar für vermeintlich Unscheinbares. Das Band der Liebe, das mit Christus verbindet, verbindet uns auch mit denen neben uns, die wir so leicht übersehen.

Es ist ja Trägheit, die uns übersehen lässt, wo liebevolles Eingreifen notwendig ist. Aus Bequemlichkeit will man sich nicht bewegen und lässt sich dann auch nicht mehr von der Not des Nächsten bewegen. Und dann gibt es noch die Trägheit, mit der man sich auf sich selbst zurückzieht und bitter feststellt: „Die Menschen sind schlecht, sie sorgen alle für sich. Nur ich sorg' für mich." Das ist die Sünde der Trägheit, die nicht mehr wahrnimmt, was uns alle Tage geschenkt wird. Der Geist der Liebe hingegen öffnet unsere Augen für die Liebe und die Lebensfülle, die uns alle Tage zukommen! Und die wir genießen können und sollen, all Morgen neu.

Der Heilige Geist, der große Mut-Macher, der Tröster, der Befreier von Schuld, die wir hinter uns lassen dürfen, und der Geist der Liebe, der unsere Trägheit überwindet: Um den bitten wir heute mit den Worten, mit denen Christen seit Jahrhunderten bitten: Ja, komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen und entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe. Amen.
 

Pfarrer Rudolf Koller   (Hospitalkirche Hof)

Text:

23 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.
24 Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat.
25 Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin.
26 Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.
27 Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.
 


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