Liebe Leser,
„Reblaus“ heißt nicht nur ein Lokal gleich neben der
Hospitalkirche, sondern auch ein Schädling, der Mitte des 19.
Jahrhunderts von Amerika nach Europa eingeschleppt wurde und hier
den gesamten Weinbau zu vernichten drohte. Das gemeine Tier saugt an
den Wurzeln des Weins und macht ihm schließlich den Gar aus. Heilung
brachten schließlich amerikanische Wurzelstöcke, die gegen den
Schädling resistent sind. Auf sie pfropft man seither die
europäischen Sorten. Und die Reblaus guckt in die Röhre.
Auch dem Weinstock Kirche wird heute kritisch die ein oder andere
Krankheit bescheinigt: Allgemeiner Kümmerwuchs bei schwindender
Substanz; mageres oder ungenießbares Fruchten; Saft- und
Kraftlosigkeit der Verkündigung, schwindende Verwurzelung innerhalb
der modernen Gesellschaft um nur einige zu nennen. So wird denn
gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten immer wieder darüber
nachgedacht, wo etwas zu beschneiden wäre und wie nutzlose Mitesser,
Rebläuse also, zu entfernen wären. Und natürlich gibt es auch die
Idee, die Kirche gegebenenfalls auf bessere Wurzelstöcke zu
pfropfen, z.B. auf die amerikanische Sorte „Willow Creek“ oder die
bereits weit verbreitete Sorte „McKinsey“. Auch wird dem gesamten
Weinberg „Fundraising“ verordnet, was zu deutsch „Kapital
aufbringen“ heißt, im Raum der Kirche aber gerne mit „Schätze heben“
übersetzt wird – in Verwechslung mit dem Gleichnis vom Schatz im
Acker (Mt 13/44), wo es um etwas ganz anderes geht. Offensichtlich
handelt es sich hier um den Versuch einer grundlegenden
Bodenverbesserung für den Weinberg Kirche.
Wir wollen all die ernannten und selbsternannten Pflanzendoktoren
und Weinbauexperten in der Kirche nicht entmutigen – müssen aber
feststellen, dass Rebläuse und andere Krankheiten in unserem
Predigttext überhaupt keine Rolle spielen. Sie kommen nicht vor.
Auch stellen wir fest, dass in dem Weinberg, den Jesus uns vor Augen
malt, nur ein Weinbauer am Werk ist: Gott selbst. Schließlich muss
die Kirche auch noch die Kränkung hinnehmen, dass sie nicht der
Weinstock ist, sondern nur die Reben. Christus ist der Weinstock und
die Kirche hängt sozusagen nur an ihm, oder fällt ab, verdorrt und
taugt nur noch zum Verheizen. Denn ohne mich könnt ihr nichts tun.
Das können Kirchenaktivisten, die wir hoffentlich alle sind,
wirklich schwer hören.
Aber in jeder Kränkung, die ein Wort der Bibel für uns auf den
ersten Blick bereithält, steckt etwas Heilsames. Oder ist das nicht
entlastend, wenn Jesus uns den Platz als Rebe und Traube zuweist, um
die sich Gott der Weingärtner kümmert? Er geht achtsam mit uns um;
beschneidet den ein oder anderen Wildwuchs, bindet an und nimmt auch
einmal etwas weg, an dem wir hängen. Das mag schmerzlich sein, aber
der Weingärtner weiß um das gute Ziel. Ihr seid schon rein um des
Wortes willen, das ich zu euch geredet habe, sagt Jesus und nimmt
seinen Jüngern die Angst, der Weingärtner könnte gleich zum Spaten
oder zur Axt greifen. Wer am Weinstock Christus wächst hat für immer
Zukunft. Denn in Ewigkeit wird Gott diesen Weinstock nicht
verwerfen. Deshalb ist dies auch ein österlicher Text. Deshalb
gehört er zum Sonntag Jubilate: Wir dürfen ganz zu dem gehören, der
an Ostern die Mauern des Todes für immer eingerissen hat.
Da mag es seltsam klingen, dass der Christus uns zum Bleiben
auffordert. Einer Rebe am Weinstock muss solches ja nicht extra
gesagt werden. Für sie ist es eine „unmögliche Möglichkeit“ sich vom
Weinstock zu trennen. Aber Jesus weiß, was für Früchtchen wir sind,
und dass uns „unmögliche Möglichkeiten“ immer wieder in den Sinn
kommen. Abhängig sein, schmeckt unserem Stolz gar nicht. Und deshalb
wollen wir uns oft gar nicht Mühe machen, die guten Abhängigkeiten
von den schlechten, die lebensnotwendigen von den zerstörerischen zu
unterscheiden. Besonders der aufgeklärte und moderne Mensch hat ein
Talent, auch die Äste abzusägen, auf denen er sitzt: Er bedroht die
Ökosysteme, von denen er lebt, er vergiftet die Luft, die er atmet,
er verbraucht die Schätze der Erde, als gäbe es kein Morgen, er
vergisst seine Grenzen und dass ihm einer sagen muss, was gut ist
und dem Frieden dient. Wenn er auf dieser Welt die Augen aufschlägt,
weiß er es noch nicht. Gebildet muss er erst werden um für diese
Welt gerüstet zu sein. Und deshalb muss Kirche Bildung im
umfassenden Sinn zu ihren Grundanliegen zählen, weil sie um diese
Wahrheit weiß: Den Saft, den der Mensch braucht um zu blühen und
Frucht zu tragen, kann er sich nicht selbst herstellen. Er ist wie
die Rebe auf den Weinstock angewiesen. Wir alle kennen genug
Beispiele, was passiert wenn Menschen von allen guten Säften, oder
sagen wir besser, von allen guten Geistern verlassen sind. Man muss
nur einmal am Nachmittag das Privatfernsehen einschalten.
Es macht also Sinn, dass Jesus uns grundsätzlich zum Bleiben
auffordert. Wie solches Bleiben im Einzelnen aussieht, können wir im
Bild des Weinstocks ohne große Aufregung betrachten. Nein, die Rebe
muss sich darüber nicht jeden Tag Gedanken machen. Schon gar nicht
muss man ihr dieses Bleiben als besonderes Werk erklären und sie zu
größerer Anstrengung ermahnen. Alles andere als verkrampft hängt sie
am Weinstock. Ist es vermessen, mit diesem Bild auf die „Vegetation
des Glaubens“ aufmerksam zu werden? Der Glaube hält sich an Gott
fest, selbstverständlich und unspektakulär. Manchen Halt, den die
Weinranke entwickelt, wird der Weingärtner sogar wieder lösen um ihr
eine bessere Richtung zu geben. Es wäre daher wirklich lächerlich,
ein Handbuch für Reben zu schreiben, in dem im Einzelnen erklärt
wird, wie sie am Weinstock zu bleiben hätte. Es geht wirklich auch
ohne.
Aber ohne zwei Dinge geht es nicht: Ohne den Christus und sein Wort.
Vom Weinstock Christus kommt der Saft, der der Rebe Kirche alles
gibt, was sie zum Wachsen, Fruchtbringen und Gesundbleiben braucht:
Sein Wort und Sakrament. Wo sie von seinem Wort und Willen
durchdrungen ist, wird sie ihm mit ihren Gebeten antworten und sie
werden in Erfüllung gehen. Denn sie entspringen dem Herzen Gottes
und schallen ihm aus den Herzen und Mündern der Gemeinde zurück.
Hier gehört schließlich hin, was im Bild der „Vegetation des
Glaubens“ „Früchte“ genannt wird. Jetzt in diesen Maitagen erleben
wir, was wir noch wenige Wochen vorher für schier unmöglich hielten.
Keiner kann sich dem Wunder verschließen, wie über Nacht mit den
ersten warmen Winden das Wachsen losbricht. Und im Pflaumenbaum
sitzt der Star vor seinem Kobel und jubiliert alle Melodien aus dem
Repertoire, das er sich auf seinen Reisen zugelegt hat. Stare sind
gebildete Vögel. Eine Stimme braucht Bildung. Ein Herz noch viel
mehr.
Nicht jeder hat ein Herz für Kinder oder für seinen Nächsten
allgemein. Nicht jeder bremst auch für Tiere. Nicht jeder, der viel
hat, hat auch viel übrig. Darüber schimpfen, hilft niemandem. Darum
zu beten um so mehr: Um üppige „Vegetation des Glaubens“, um Bildung
des Herzens, um Achtsamkeit mit den Mitgeschöpfen, um einen guten
Tropfen Menschlichkeit. Denn das sind die Früchte, über die sich der
wahre Wein- und Weltengärtner am meisten freut.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de )
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Text:
Christus spricht:
1 Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater
der Weingärtner.
2 Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen;
und eine jede, die Frucht bringt, wird er reinigen, dass sie mehr
Frucht bringe.
3 Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet
habe.
4 Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen
kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch
ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt.
5 Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und
ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts
tun.
6 Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und
verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer und sie müssen
brennen.
7 Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr
bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren.
8 Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt
und werdet meine Jünger.
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