Predigt     Johannes 15/9-12     21. Sonntag nach Trinitatis     28.10.07

"Sehnsucht nach Liebe "
(von Vikar Jörg Mahler, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

„Ich, Ines, weiblich, 31 Jahre, dunkles Haar, warmherzig, ehrlich, einfühlsam, suche dich, zwischen 30 und 35 für Freundschaft, zum Reden, Streiten und Zuhören, und vielleicht auch zum Kuscheln. Melde dich doch einfach!“.

Längst ist es nicht mehr nur die Wochenendausgabe der Zeitung, in der Menschen jeden Alters Kontakte suchen. Die Internetportale zum Kennenlernen boomen. Nicht immer geht’s um den Traumpartner fürs Leben: Viele suchen im Internet nach guten Freunden. Vielen geht es wie Ines. Sie sehnt sich nach jemandem, der für sie da ist, der an ihr Interesse hat, der wissen will, was sie für ein Mensch ist, welche Sehnsüchte und Hoffnungen, welche Träume aber auch welche Ängste sie in sich trägt. Sie wünscht sich jemanden, dem sie sich öffnen kann und der sich ihr öffnet, jemanden, bei dem sie sich geborgen fühlt. Sie wünscht sich einen wirklich guten Freund – und vielleicht wird dann ja auch mehr daraus.

Nicht nur Singles haben diese Sehnsüchte. Im Krankenhaus habe ich letztes Jahr eine Frau besucht, um die 60, verheiratet, zwei Kinder. Als ich bei ihr am Krankenbett saß, da begann sie zu Weinen. Schon habe ich überlegt, was ich ihr sagen könnte, da erklärte sie mir: „Wissen sie, das habe ich von meiner Großmutter. Die war auch ein weinerlicher Typ. Ich weine nicht, weil es mir schlecht geht. Ich bin gerührt. Es gibt nämlich kaum mehr Menschen, die einem zuhören.“. Und so bricht aus ihr heraus, was ihr auf der Seele liegt: Mit ihrem Mann kann sie nicht über ihre Gefühle reden, so gerne sie ihn hat. Auch die Freundinnen sind eher rationale Typen. Jetzt ist sie froh, dass sie einfach einmal reden kann, über das, was sie tief in ihrem Inneren beschäftigt, wo sie aber bisher niemanden hatte, der ihr zugehört hätte, der sie versteht und in dessen Hände sie sich fallen lassen kann.

Jesus war für die Menschen damals so jemand, zu dem sie Vertrauen geschöpft haben, zu dem sie mit ihren Sorgen gekommen sind. Er hat ihnen zugehört. In ihm haben sie einen guten Freund gefunden. Sie haben die Wärme seines Herzens gespürt, eine Geborgenheit, die von ihm ausstrahlt. Deshalb sind sie zu ihm gegangen, haben ihn gesucht und aufgesucht. Und er ist zu ihnen gegangen, dahin, wo er solche Sehnsüchte und Nöte gespürt hat. Er kann Trauer und Leid nicht sehen: Deshalb macht er Kranke an Leib und Seele gesund. Ja um der trauernden Martha willen ruft er sogar Lazarus aus dem Grab zurück ins Leben.

Woher nimmt Jesus die große Liebe und Zuneigung zu allen, die seinen Weg kreuzen? In unserem Predigttext verrät er es uns: „Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch.“. Kennen sie das nicht auch? Wenn sich mir jemand zuwendet, mich anlächelt und mir freundlich entgegenkommt, dann steckt mich das an. Wie sehr muss sich Jesus bei Gott geborgen und von ihm freundlich angesehen fühlen, so dass ihn die Liebe Gottes so sehr durchdringt, dass er nicht anders kann, als weiterzulieben, als mit der Liebe Gottes, die er empfängt, auch uns zu lieben. „Ich und der Vater sind eins“, sagt er einmal: eins in der Liebe zueinander und in der Liebe zum Menschen. Jesus gibt sich Gott und seiner Liebe ganz hin und wird so Teil der Liebe Gottes selbst.

Lazarus rief er zurück ins Leben. Aber ihn selbst hat seine Liebe und die Botschaft des Lebens das Leben gekostet: Eine lieblose Welt hat ihn kreuzigt. „Jesus liebt dich“, dieser Satz, den manch einer schon gar nicht mehr hören kann, weil er schon so abgedroschen scheint, steckt voller Dynamik: Jesu Liebe ist eine Liebe, die bis in den Tod an den Menschen festhält. Noch unter dem Kreuz denkt er an die Seinen, an den Schächer an seiner Seite, an seine Mutter und den Jünger Johannes. Und so wie er bei den Seinen ist, so ist Gott im Tod bei ihm: Gottes Liebe bricht den Tod auf. Gottes Liebe schafft neues Leben und öffnet einen neuen Lebensraum.

Daher fordert Jesus seine Jünger auch kurz vor seinem Weggang zum Vater auf: „Bleibt in meiner Liebe!“. Liebe ist offensichtlich wie ein Raum, in den man eintritt und in dem man wohnen kann. Findet in meiner Liebe eure Bleibe! In dieses Haus seiner Liebe sind nicht nur Jesu 12 Jünger hineingestellt, in dieses Haus der Liebe sind wir alle hineingenommen durch unsere Taufe. Bleibt im Haus meiner Liebe, lasst es euch Heimat sein, sagt Jesus. Denn das Haus, das die Liebe Jesu gebaut hat, ist ein Haus der Geborgenheit: Im Kaminzimmer schenkt uns der Hausherr Wärme, in der Küche Nahrung für Leib und Seele, im Esszimmer Gemeinschaft, in der Bibliothek tiefe Gespräche, durchs Dachbodenfenster trifft der Schein der himmlischen Sonne all das Dunkel, das wir mit uns tragen, und es öffnet sich ein Blick in den Himmel. „Bleibt in meiner Liebe!“ – diese Aufforderung ist zuallererst eine Zusage: Meine Liebe bleibt euch, sie bleibt euch auch nach meinem Weggang Heimat und ein Haus, um darin zu wohnen. Und in dieser Aufforderung steckt auch der seelsorgerliche Wunsch Jesu: Lasst meine Liebe auch nach meinem Weggang eure Heimat sein, damit ihr euch allezeit angenommen, frei und beheimatet fühlt.

Ich muss wieder an die Frau im Krankenhaus denken, die sich trotz Ehemann und Freundinnen so alleine fühlt. Kann auch sie im Haus der Liebe Jesu Heimat finden? Bei Krankenbesuchen erzählen mir Gemeindeglieder immer wieder, wie sie im Krankenhaus intensiv ins Gespräch mit Gott kommen. Sie klagen ihm ihre Not, erzählen ihm, was ihnen schwer auf der Seele liegt – und das sind nicht unbedingt zuallererst die Krankheiten. Sie finden trotz schlimmer Diagnosen bei Gott Geborgenheit und Kraft und vertrauen sich ihm an. Kann auch für diese Frau der Glaube so ein Haus der Geborgenheit und Ort der Kraft werden? Ich habe mit ihr am Krankenbett gebetet, und sie hat sich dafür sichtlich bewegt bedankt. Vielleicht beheimatet sie sich in der Liebe Jesu, die seit ihrer Taufe über ihrem Leben steht, und sie gewinnt Jesus lieb.

Liebe zu einer Person bezieht sich nicht nur auf diese Person allein, sondern immer auch auf ihr soziales Umfeld. Damit können wir nicht Jesus lieben, ohne seine Freunde mit dabei zu haben. Denn im Haus seiner Liebe wohnen wir nicht alleine mit ihm, da wohnen auch unsere Nächsten. Wir wohnen mit ihnen und unserem Herrn unter einem Dach. Deshalb beheimatet Jesus uns nicht nur bei sich, er beheimatet uns auch beieinander: „Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe.“. Was sind seine Gebote? Jesus gebietet uns nichts anderes als seinem Vorbild nachzufolgen: „Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.“. Es entsteht also eine Kette, die sich immer weiter fortsetzt: Wie der Vater Jesus liebt, so liebt Jesus uns. Und so wie Jesus uns liebt, lieben wir einander.

Doch wie soll diese Liebe zueinander aussehen? Über die Nächstenliebe ist schon viel gesagt worden. Ich will deshalb nur weitergeben, was ein Bibelübersetzer erlebt hat: In einem afrikanischen Land hatte er beinahe die ganze Arbeit getan, aber immer vergeblich nach einem Wort für „Lieben“ gesucht. Das ist schlimm, denn was ist eine Bibel ohne dieses Wort? – Er war fast so weit, sich sein Scheitern einzugestehen. Da beobachtete er, wie ein junger Mann zu seiner Braut sagte: „Ich sehe dich“. Da ging es ihm endlich auf: „Ich sehe dich“ und „Ich liebe dich“ – das ist ein – und dasselbe!

Wie traurig muss es uns da machen, wenn wir sehen, wie Menschen oft einander übersehen. Gerade dort, wo die einen Macht über die anderen haben, verlieren sie oft den Blick füreinander. Nicht nur Aufsichtsräte, auch „kleine“ Vorgesetzte fassen Beschlüsse, ohne dass die Menschen im Blick sind, über die beschlossen wird. Es ist oft so, als ob Christen sagen würden: Die Aufforderung Jesu „Bleibt in meiner Liebe“ gilt nur im privaten Umgang miteinander, in Wirtschaft und Politik hat diese Gefühlsduselei nichts verloren. Aber ist nicht das Gegenteil der Fall? Kann ich Jesus aus irgendeinem Bereich meines Lebens aussperren: Bis hierher und nicht weiter!? Kann es mir im Beruf egal sein, wie es dem Kollegen oder Untergebenen geht? Jesus spricht davon, dass unsere Freude vollkommen werde – und sie kann doch nur vollkommen sein, wenn nicht nur ich mich geliebt weiß, sondern wenn ich auch meinen Mitmenschen mit liebevollen Augen ansehe. Denn zu Lieben schenkt Freude, nicht allein geliebt zu werden! Wer den anderen nicht sieht, der tritt aus dem Haus der Liebe Jesu heraus. Der ist weit weg von göttlicher Freude, und schwelgt höchstens in der Freude seiner Selbstgenügsamkeit und seines Eigenruhms.

„Ich sehe dich“ und „Ich liebe dich“ – das ist ein – und dasselbe! Wie traurig muss es uns da machen, wenn wir sehen, wie Menschen oft einander übersehen. Der Ehemann und die Freundinnen übersehen schon seit Jahren, wie es der Frau, die gerade im Krankenhaus liegt, wirklich geht. Könnten wir alle nicht versuchen unseren Blick zu schärfen, genauer hinzusehen, nicht nur zu den Fremden, sondern zu den Menschen, mit denen wir täglich zu tun haben? Könnten wir nicht lernen, genauer hinzusehen auf die Sehnsüchte und Bedürfnisse, die der andere mit sich trägt? Können wir nicht gemeinsam in einem Zimmer im Haus der Liebe in Ruhe Platz nehmen, im Kaminzimmer einander Geborgenheit schenken, oder in der Küche gemeinsame Zeit beim Essen verbringen und die oft selbstverständliche Hausarbeit würdigen lernen?

Was kann uns und diesen Ehemann dazu bewegen, den anderen zu sehen? „Ich liebe euch“, sagt Jesus. Wer mit dieser Gottesliebe in Verbindung tritt, dessen Blick bricht auf und nimmt den anderen in den Blick: Er richtet sein Herz automatisch an der Liebe Gottes aus, und das hat Konsequenzen im Tun und verändert Beziehungen!

Die Frau im Krankenhaus hat gespürt, dass sie lange nicht gesehen wurde. Ich wünsche ihr, dass es anders geworden ist, nach ihrem Krankenhausaufenthalt: Ich wünsche ihr, dass ihr Ehemann beginnt, sie zu sehen, dass er sie in den Arm nimmt und fest drückt. Dann wird sie fühlen, dass er sich für sie interessiert und innerlich bei ihr ist. Und dann stellt sich eine stille Freude in ihr ein: Ich bin für meinen Mann wirklich wichtig! Diese Freude gesellt sich zu den beiden anderen Freuden: zu der Freude, die sie fühlt, wenn sie ihren Ehemann sieht, und ihm wiederum ihre Aufmerksamkeit schenkt, und zu der Freude, dass sie weiß und spürt: Gott sieht mich. Er ist für mich da. Mit dieser dreifachen Freude ist die Liebe und die Freude Jesu in ihr, und ihre Freude wird vollkommen sein, wie es das Ziel der Worte Jesu war, die wir heute miteinander bedacht haben: „Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.“.

Danken wir Gott, dass er uns immer wieder Zeit und Raum schenkt, einander im Haus seiner Liebe zu begegnen und einander mit wachen Augen zu sehen.

Vikar Jörg Mahler  (Hospitalkirche Hof)

Text:

Christus spricht:

9 Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe!
10 Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe.
11 Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.
12 Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.
 

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