Predigt     Johannes 20/11-18     Ostersonntag    31.03.13

"Maria!"
(von Pfarrer Rudolf Koller, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

Maria von Magdala steht draußen vor dem Grab Jesu. Sie trauert, weint. Sie erlebt das Gesetz des alles verschlingenden Todes. Des Todes, der so viele grausame Spielarten hat. Der uns so ohnmächtig macht, der uns schweigend Schreien und uns so hilflos macht. So mancher unter uns hat diese schreckliche Kränkung all seines Wollens und Machen-Könnens erlebt, am Krankenbett eines lieben Menschen, an seinem Sterbebett, am Grab und in der plötzlich leer gewordenen Wohnung.
„Maria steht draußen… und weint." Ihre Erfahrung ist die Erfahrung so vieler Menschen. Abgeschnitten vom Leben zu sein, mit durchschnittener Verbindung zu dem Menschen, ohne den das Leben nicht mehr vorstellbar ist.

„Maria steht draußen… und weint." Tränen über Tränen und immer wieder die alte Frage „Warum?“ und „Wie soll es weitergehen?“ Maria beugt sich hinunter zum Grab. Ich sehe sie vor mir: gebückt und in sich gekrümmt, den Blick gesenkt, die Augen starr. Mit eingeschränkter Wahrnehmung, mit verdunkeltem Horizont. So sehen Augen, wenn das, was einen lebendig gemacht hat, abgestorben ist: alle Lebenskraft, alle Hoffnung, alles Glück. Und wenn nichts mehr zurückzuholen ist, nichts mehr zu machen ist. Wenn alle glückliche Vergangenheit nur noch eine einzige schmerzliche Erinnerung ist. Ja, das tut weh, diese Ohnmacht, dieses „aus und vorbei“.

Maria erlebt das so. Sie sucht eine Geschichte, die vergangen ist. Ein für alle Mal. Dabei war es doch ihre Geschichte! Quälende Geister hatte Jesus von ihr ausgetrieben, sie von schlimmen Ängsten und von tiefen Zweifeln befreit. In der Nähe zu ihm hatte sie sich verwandelt zu einer lebendigen, lebensfrohen Frau. Er hatte ihr alles gegeben: Heilung ihrer Zerrissenheit, Kraft und Lebensmut, ja, und auch wieder den Glauben an einen gütigen Gott. Sie war glücklich.

Und nun das Ende – und was für ein schreckliches am Kreuz! Am Kreuz und mit ihm starb alles: ihre Lebensfreude, ihre Kraft und auch ihr Glaube. Maria steht draußen. So wie trauernde Frauen und Mütter, trauernde Männer und Väter, trauernde Töchter und Söhne draußen stehen. Dann hat sie eine eigenartige Vision und innere Schau. Sie sieht zwei Engel!

Engel sind Mittler zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Welt, zwischen Licht und innerer Finsternis. Sie sind keine Vermittler oder gar Garanten von Harmonie, von leichtem und glückseligem Leben. Manchmal sind Engel einfach stumm und wollen doch verstanden werden. Diese beiden Engel sprechen. Sie sprechen die Frau an. Nicht mit Namen, noch nicht. Das bleibt Jesus allein vorbehalten. Engel, diese Lebensboten Gottes, sprechen meistens indirekt. Das heißt, ihre Worte warten auf die eigene Deutung, das eigene Verstehen, das eigene Erkennen. Das muss von uns selber kommen. Was aus dem Gehörten oder Gesehenen wird, liegt immer auch bei mir. Wir sind immer nach Antwort gefragt. „Frau, was weinst du?"

Und Maria antwortet. Zum ersten Mal findet sie Worte, durchbricht die Sprachlosigkeit und in ihre Starre kommt Bewegung. Mit der Klage lässt sie ihrem Schmerz und ihren Tränen endlich freien Lauf: „Sie haben meinen Herrn weggenommen“… mein Leben, meine Kraft, meine Hoffnung! - „Und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben“… weiß nicht, wo alles das geblieben ist, was mich trug, was mich erfüllte und mir Leben gab.

Maria wendet sich um. Eben war sie noch gebückt, gekrümmt und starr. Eben hatte sie noch Augen, die nur nach unten sahen und sich nicht bewegten. Jetzt hat sie Augen, mit denen sie Jesus sehen könnte … Aber sie erkennt ihn nicht! Noch nicht. Noch sind ihre Augen gehalten. Ja, Trauer beeinträchtigt die Wahrnehmung, Tränen lassen Konturen verschwimmen. Dann zwei Fragen Jesu: „Frau, was weinst du?" Zum zweiten Mal erklingt diese Aufforderung, den Schmerz auszudrücken. Dann die direkte Frage: „Wen suchst du?" Den Toten? Deinen gütigen Gott? Dein verlorenes Selbst?

Und dann, liebe Gemeinde, wird's komisch. Obwohl da keine Komödie gespielt wird, sondern das Spiel von Leben und Tod. Und vom Leben aus dem Tod und aus den Trauererfahrungen. Maria meint, Jesus sei der Gärtner, oder sagen wir es deutlich: der Totengräber! Er sei der Zuständige für Grabkultur und Pietät! Die Vorstellung des lebendigen Christus als Bestatter entbehrt nicht einer gewissen Komik. Aber noch erkennen ihre Augen nur das, was man in dieser Welt voller Friedhöfe eben erwartet: Totenverehrung und Grabpflege. „Sag mir, wo du ihn hingelegt hast, dann will ich ihn holen." Sie will aktiv werden, will etwas tun, will mit dem, was sie schon immer tat, ins Leben zurückkehren. Sie will sich selbst das Leben, jedenfalls ein eingeschränktes Leben, aber immerhin Leben zurückholen. Das bisschen Leben, das ihr noch bleibt.

Bis sie Jesus bei ihrem Namen ruft. „Maria!“ - Leise, liebevoll, zärtlich. So höre ich diese Anrede. Die leisen und liebevoll tröstenden Lebensworte gehen ja am tiefsten. Es ist ja auch eine leise Ostergeschichte, keine mit Pauken und Trompeten, die uns ganz tief ansprechen will. Maria hört sich bei ihrem Namen gerufen. So, wie wir das aus Kindertagen kennen, wenn wir uns verirrt hatten…und endlich einer unseren Namen rief. So, wie wir das aus Krisenzeiten kennen, wenn wir nicht weiter wussten und wenn uns unsere Einsamkeit wie ein dumpfes Echo immer wieder entgegenschallte. Dann beim Namen angesprochen zu werden…das ist wie nach Hause finden. „Maria!“ Mehr sagt Jesus nicht. Er spricht sie nur mit ihrem Namen an. Aber das ist wie eine sanfte Hand auf der Schulter. Wie ein tröstendes Streichen über den Kopf. Wie ein „Fürchte dich nicht! Ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein".

Jetzt wendet sich Maria um. Sie dreht sich um. Sie wird umgedreht. Sanft und zärtlich. Sie spricht Jesus auch direkt an: „Rabbuni". Das meint: Meister! Sie sagt Worte, wie sie sie vorher gesprochen hat, vor ihrer Trauer. Vertraute Worte. Alles, was sie verloren hat und was zerbrochen ist, ist in diesem Augenblick wieder da. „Mein Herr und mein Meister, meine Hoffnung, mein Glaube, mein Lebensmut." Alles legt sie in dieses Wort hinein: „Rabbuni". Und findet das Leben wieder. Oder es wird ihr wiedergegeben. Jedenfalls wird Jesu liebevolles „Maria!“ für sie ein Ruf zur Umkehr, zu einem neuen Sehen, zu einem neuen Leben.

Aber damit ist diese leise Ostergeschichte nicht zu Ende. Es ereignet sich noch kein Durchbruch. Es geschieht noch kein gewaltiger Einbruch des Himmels und göttlicher Macht in ihre und auch nicht in unsere Wirklichkeit. Die ist und bleibt angefüllt und bedroht vom Suchen und Fragen, von lebensfeindlichen Mächten und bis heute von allen Spielarten des Todes. Angst wird von Gott nicht österlich weggezaubert oder weggepustet. Erfahrungen mit der Auferstehung bescheren uns noch keine heile Welt. Angst bleibt, Trauern bleibt, Sterben bleibt bedrohlich. Maria möchte Jesus festhalten, will diesen Augenblick festhalten.

Jesus aber sagt: „Rühre mich nicht an!" Das markiert eine Grenze. Das schafft eine Distanz da, wo Maria Nähe und Vertrautheit sucht. Nein, Jesus kehrt nicht in das diesseitige Leben zurück. Er geht weg. Er entzieht sich ihr. Und entzieht sich uns ja auch immer wieder. Jeder macht diese Erfahrung im eigenen Glauben. Aber dennoch weiß sich Maria namentlich erkannt von ihm. So umfassend liebevoll erkannt, dass sie ins Leben zurückkehren kann. Er geht weg - und sie kann nun auch gehen. Sie kann den Ort des Todes und der Trauer verlassen. Sie muss nicht mehr draußen stehen. Sie muss nicht mehr rückwärts sehen und nicht mehr rückwärts gehen. Sie hat gefunden, denn sie ist gefunden worden.

Diese Erfahrung will sie weitergeben. Sie steht auf und verkündigt den Jüngern, was sie gesehen und gehört hat. Obwohl sie keinen direkten Auftrag von Jesus dazu hat. Aber: „Wem das Herz voll ist, dem geht der Mund über." Aus der gebeugten und verkrümmten Maria wird eine Frau, die aufrecht steht und aufrecht zurück ins Leben geht. Eine Wiedergeburt, ein neuer Anfang, eine Auferstehung aus Starre, Verzweiflung und Tod.

Liebe Gemeinde, von der Auferstehung erzählt uns diese leise Ostergeschichte nicht direkt, sondern nur indirekt. Sie erzählt uns aber wohl von einer bezwingenden Ostererfahrung. Keine Machtdemonstration, nicht das Wunder der Auferstehung wird uns berichtet. Aber von einer Auferstehung mitten am Tage, mitten in der alltäglichen Welt wird uns erzählt. „Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt."

Pfarrer Rudolf Koller   (Hospitalkirche Hof)

Text:

11 Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, schaute sie in das Grab
12 und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten.
13 Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.
14 Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist.
15 Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen.
16 Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister!
17 Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.
18 Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.
 


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