Predigt     Johannes 21/1-14    Quasimodogeniti    03.04.05

"Himmlische Momente"
(von Vikar Michael Krauß, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

eine illustre Gesellschaft von sieben Jüngern wird uns hier vorgestellt. Allesamt Jünger der ersten Stunden, die eine wechselvolle Geschichte mit Jesus hinter sich hatten. Sie waren die ersten, die Jesus nachfolgten; die sich anstecken ließen von seiner großartigen Vision; die ersten, die sich zu ihm als dem Messias, König von Israel, Kyrios und Gott bekannten. Drei von ihnen, Simon Petrus und die beiden Söhne des Zebedäus hatte Jesus hier am See zu seinen Jüngern berufen: „Folgt mir nach, ihr sollt Menschenfischer sein, sollt Menschen für mich gewinnen.“

Und man muss sagen, es hatte gut angefangen. Immer mehr Menschen strömten Jesus zu – in Fülle- Tausende. Einmal waren es 5000. Die Netze drohten zu reißen. Man hatte Angst, sie nicht satt zu bekommen. Aber es blieb so viel Essen übrig, dass man noch viel mehr satt bekommen hätte. Ja, man hatte gemeinsam gehofft, gemeinsam gefeiert und geplant. Man hatte gezweifelt und es doch gewagt. Herausgekommen ist der Tod. Leider allzu oft die Tragik des Lebens. Gerade wenn man viel wagt und einer so großartigen Vision folgt, wie der Vision Jesu vom Reich Gottes.

Wenn die Jünger also hier in unserem Predigttext Jesus als dem Auferstandenen neu begegnen, dann mit einer bedeutsamen Vorgeschichte und einer tiefen Verunsicherung und Enttäuschung. Jesus war ihnen bereits in Jerusalem als der Auferstandne erschienen. Er hatte sie mit dem Heiligen Geist beschenkt und ermächtigt, in seinem Namen Sünden zu vergeben oder zu behalten(20,19ff). Aber irgendwie war das im Sande verlaufen. Zu tief saß wohl die Enttäuschung über die verlorene Hoffnung. Die Enttäuschung auch darüber, dass Israel sich nach dem großen Hosianna abgewandt hatte von seinem Messias. Ja, die Jünger hatten den Auferstandenen gesehen. Sie waren begeistert gewesen. Aber jedes Mal waren es nur Sekunden des Erkennens gewesen. Sobald sie ihn erkannten, war er auch schon wieder verschwunden.

Ja, so ist das mit dem Glauben. Kurze Momente in unserem Leben ist alles klar. Da rührt Gott unser Herz an, und wir legen unseren Finger in seine Wunde. Tatsächlich: Er ist auferstanden! Und dann ist er weg. Wenige Sekunden, sehen, tasten und spüren. Dann schließt sich die unsichtbare Welt wieder vor unseren Augen und wir stehen wieder in der alten Welt und vor der Entscheidung unseren Glauben aus diesen kurzen Momenten zu nähren oder ihn fahren zu lassen.

Die Jünger waren nach einiger Zeit ernüchtert zurückgekehrt zu ihren alten Berufen, in die alte Heimat – in der Hoffnung, die Zeit zurückdrehen zu können und die Geschichte zu vergessen, an die sie die besten Jahre ihres Lebens verschenkt zu haben schienen. Zurück aus der aufgewühlten Unruhe, dem ständigen Hin und Her zwischen Zweifel und Begeisterung, zurück in die Ruhe am See Tiberias, aus der sie Jesus herausgerissen hatte. Nun schien sich das Leben wieder etwas zu beruhigen. Es tat gut, Gras über die Sache wachsen zu lassen und ein Kohlenfeuer ein Kohlenfeuer, ein Boot ein Boot sein und Fischer Fische fischen zu lassen. Und nun erscheint er wieder, der Auferstandene. Warum erkennen sie ihn nicht sofort? Vielleicht wollen sie ihn gar nicht erkennen. „Lass uns, wir sind gerade dabei, so zu tun, als wären die letzten beiden Jahre nicht gewesen. Es war zu schön um wahr zu sein und der Fall danach zu tief.“

Es dauert. Erst langsam lassen sich die Jünger wieder darauf ein. Zuerst spricht es der Lieblingsjünger aus: „Es ist der Herr“, dann, auf dessen Bekenntnis hin, Petrus; schließlich erkennen es alle Jünger an, die sich nicht trauen, es auszusprechen, obwohl oder gerade weil sie wissen, wer er ist: Der Herr! Plötzlich steht der Himmel wieder offen; wie damals bei der ersten Berufung hier am See, wie bei der Speisung der 5000, wie bei der Begegnung mit dem Auferstandenen in Jerusalem. Petrus springt ins Wasser. Ich stelle mir vor: In diesem Moment springt er aus seiner Welt aus Booten und Fischen in die Welt Gottes. Er versucht nicht mehr die Wirklichkeit Gottes zu verdrängen. Er erkennt die Wirklichkeit des Reiches Gottes an – trotz des Schmerzes und der Unruhe, die diese Welt in sein Leben getragen hat und noch tragen wird:

Es tut weh, Menschen als Kinder Gottes zu sehen, und festzustellen, wie sie geschunden und gedemütigt, wie sie als Material oder Problem betitelt werden, statt als Kinder Gottes behandelt zu werden. Es tut weh, wie sie sich alle Ecken und Kanten wegoperieren lassen und ihr Leben durchstylen, bis keiner und nicht einmal sie selbst mehr erkennen, wer sie sind: Kinder Gottes. Es bringt Unruhe ins Leben, die dazu drängt, als Kind Gottes unter Kinder Gottes zu leben in Würde und Gerechtigkeit. Petrus spürt es deutlich in seinem Herzen: „Es ist der Herr.“ Es gilt keine Zeit zu verlieren. Und wenn es wieder nur wenige Sekunden sind... Jetzt muss ich mich voll tanken mit Gottes Gegenwart, jede Sekunde auskosten.

Das Johannesevangelium erzählt nicht, ob die Jünger diesmal ihrem Auftrag nachgingen, Menschenfischer zu werden, die Welt für Christus zu gewinnen. Das Evangelium endet einfach. Und wir sitzen mit den Jüngern am Ufer des Sees und kämpfen mit der Frage, an was wir unser Leben ausrichten: An den kurzen Momenten unseres Lebens, in denen wir die Nähe Gottes unmittelbar fühlten, in denen der Himmel offen stand oder an den langen Jahren, in denen nichts zu spüren war. Die wenigen Sekunden, in denen uns Gott berührte, haben eine Unruhe in unser Leben gebracht.

Rückblickend sehen wir, wie die Jünger die Frage beantworteten: Petrus gestand den wenigen Sekunden, in denen er Gott gespürt hatte, Wirklichkeit zu. Nicht mehr die Welt vor dem Vorhang wird die Bestimmende, sondern die Welt hinter dem Vorhang, die oft so unsichtbare Welt des Auferstandenen, wird zur bestimmenden Welt für Petrus. Die Welt, aus der er von nun an lebt, ist die Welt des Christus, die er für Sekunden gesehen hat. Er lässt sich beauftragen, in die Welt zu gehen. Und wird vom Reich Gottes erzählen, das für ihn in Jesus Christus angebrochen ist.

Und wir? Vermutlich sind auch Sie hierher getrieben worden von der Unruhe, die in uns lebt, geboren aus einigen Sekunden, in denen Gott uns in die Augen geblickt hat. Wir haben diesen Sekunden Wirklichkeit beigemessen. Deshalb sind wir hier. Aus diesen Sekunden mögen wir leben, ein Leben lang.

Vikar Michael Krauß    (Hospitalkirche Hof)

Text: 

1 Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See Tiberias. Er offenbarte sich aber so:
2 Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger.3 Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich will fischen gehen. Sie sprechen zu ihm: So wollen wir mit dir gehen. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts.
4 Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.
5 Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein.
6 Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische.
7 Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr war, gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser.
8 Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen.
9 Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot.
10 Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt!
11 Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht.
12 Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war.
13 Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch die Fische.
14 Das ist nun das dritte Mal, dass Jesus den Jüngern offenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war.
 


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