Liebe Leser,
wenn man bedenkt, dass dieses Gespräch zwischen Jesus und Petrus
nach Ostern spielt kommt man ins Staunen und dann aus dem Staunen
nicht mehr heraus. Hast du mich lieb, so geht das dreimal hin und
her. So reden Liebende miteinander, innig vertraute. Aber wie kann
Jesus so mit Petrus reden? Der Meister mit dem Jünger, der Meister
mit dem Jünger, der alle seine Schwüre gebrochen, alle seine
Versprechen nicht eingehalten, der ihn verleugnet und im Stich
gelassen hat, dem trotz feuriger Beteuerungen sein eigenes Leben
dann doch lieber war, als sein Meister. Petrus, der Fels heißt und
sich doch nur als ein treuloses und jämmerliches Windei erwiesen
hat.
Versetzen wir uns einmal in Jesu Lage. Mit Verlaub gesagt, da hätte
es sich für uns doch ausgeturtelt. Und welche verantwortungsbewusste
Kirchenleitung wollte einem wie diesem Petrus wichtige Funktionen
übertragen, der so wackelig auf dem Boden des Bekenntnisses steht.
Aber der auferstandene Herr redet mit Petrus, wie er will. Und er
macht aus Petrus, was er will. Ob es uns oder der Kirchenleitung
oder sonst wem in den Kram passt oder nicht. Und er macht damit auch
deutlich, dass seine Kirche schon immer aus schwachen und
wankelmütigen und gescheiterten Gestalten zu bestehen hat. Und
nichts anderes sind wir alle und allzumal. Wer aus eigener Kraft
mehr oder besser sein will, wird weniger! Das ist die erste Lektion,
die wir mit Petrus lernen.
Mehr als, besser als, das sind ja so Worte, die in unserem Leben
eine wichtige Rolle spielen. Wer bin ich denn in der
Steigerungsform. Komparativ. Mehr und besser, stärker und fester,
gläubiger und moralischer? Und genau dort holt Jesus Petrus mit
seiner ersten Frage ab. Petrus, hast du mich lieber als die
anderen?
Ich stelle mir vor, das Petrus rot geworden ist. Ertappt! Ja, das
ist es wohl, was er immer gewollt hat. Nicht einmal um die anderen
in den Schatten zu stellen, sondern nach dem Motto: Genug ist nicht
genug. Liebhaben ist nicht genug, lieber haben, das ist es. Petrus
das brennende Herz, das in seiner Liebe keinen Frieden findet und
nie das richtige Maß. Petrus der sich aufs Wasser wagt und versinkt;
der das Christusbekenntnis spricht und Satan genannt werden muss,
der mit Jesus sterben wollte und ihn verleugnete. Unser Herz ist
unruhig und unsere Liebe wohnt unter einem Dach mit der Angst, ist
bald groß und bald klein, bald kühn und bald feige.
Petrus hast du mich lieber, als die anderen? Erstaunlich, dass Jesus
Petrus nicht tadelt. Ja, er rettet die Steigerungsform, den
Komparativ, indem er nicht sagt: Weide meine Schafe, sondern Jesus
sagt: Weide meine Lämmer. Die kleinen Schafe, die darf Petrus
ruhig mehr lieb haben. Für die ist das Mehrliebhaben genau richtig.
Und das ist keine sentimentale Antwort, die Jesus da gibt, sondern
eine kritische. Denn die kleinen Lämmer, das sind ja nicht vor allem
die niedlichen, sondern die niedrigen, die schutzlosen, die
schwachen, die bedrohten! Für die ist das Mehrliebhaben genau
richtig.
Aber ansonsten gilt: Weniger ist mehr. Und darum fragt Jesus beim
zweiten Mal: Petrus hast du mich lieb? Und die Antwort das Petrus
ist so erstaunlich, wie beim ersten Mal. Was wäre aus uns
herausgesprudelt an Petrus Stelle? Vielleicht: Herr, denk‘ bloß
nicht, weil ich das und das gemacht habe, dass ich dich nicht lieb
habe. Denk‘ doch dran, wie ich damals ...? Nein, Petrus versucht
nicht seine Geschichte noch einmal so hinzubiegen, dass er in den
Augen Jesu trotzdem noch als liebenswert erscheinen kann. Das ist
das Spiel all derer, die das Evangelium von Gottes Liebe und Gnade
zwar gut finden, es aber noch besser finden, wenn sie selbst es gar
nicht nötig haben oder zumindest so selten wie irgend möglich. Gott
weiß, wie sehr gerade sie es nötig haben und Petrus weiß das
inzwischen auch.
Und deshalb legt er die Antwort auf die Frage Jesus in die Hand:
Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Da steckt Mut drin, nach
allem, was war. Da steckt Glauben drin, nach allem was war. Mein
Gott, wenn ich in meiner Geschichte und in meinem Herzen schon
nichts mehr finden kann, was für meine Liebe zu dir spricht -
vielleicht siehst du es, weißt du es, entdeckst du es.
Und der Auferstandene entdeckt es. Er deckt es Petrus auf. Der
auferstandene Herr arbeitet die böse Vergangenheit des Petrus nicht
dadurch auf, dass er mit ihm erörtert wer und welche Umstände wohl
an dieser Vergangenheit Schuld sein könnten. Das ist ja das Elend so
mancher Psychotherapie, dass sie Schuld nur so lange herumschieben
und rochieren kann, bis ein Mensch wieder Platz zum Leben findet.
Und so wird oft genug die Befreiung von einer Hoffnungslosigkeit
durch eine andere erkauft.
Der Auferstandene tut mehr. Er kann von Schuld entlasten,
Geborgenheit schenken und einen neuen Weg weisen. Er setzt an die
Stelle unserer bösen Vergangenheit seine eigene göttliche Zukunft.
Er setzt an die Stelle der Schuld, die uns liebensunwert gemacht
hat, seine göttliche Liebe.
Und rettet damit nicht zuletzt unsere menschliche. Und rettet damit
nicht zuletzt unsere menschliche Liebe. Auch und gerade die braucht
Erlösung, neuen Anfang, neuen Weg. Es ist kein Zufall, dass sich im
Gespräch Jesu mit Petrus, anders als im Deutschen, zwei griechische
Worte für Liebe finden: Agape und Philia, das Wort für die
selbstlose Liebe Gottes und das Wort für die Liebe zwischen
Freunden.
Und so lautet denn auch die dritte Frage Jesu: Petrus hast du mich
lieb, wie einen Freund? Und Petrus antwortet: Herr du weißt alle
Dinge, du weißt das ich dein Freund bin. Es geht nicht an, die
selbstlose Liebe Gottes anzustreben und hoch zu loben auf Kosten der
menschlichen. Beide brauchen einander und der auferstandene Christus
verachtet die Freundschaft des Petrus nicht. Und wir sollten sie
auch nicht verachten. Schade, wenn Freundschaft auch im Raum von
Kirche und Gemeinde mit der Angst und dem Misstrauen unter einem
Dach wohnt. Schade, wenn Freundschaften zerbrechen aus vermeintlich
geistlichen und moralischen Gründen. Schade, wenn Freundschaften
unter Christen oft so wenig von dem anderen Weg zeigen, den Jesus
gerade mit dem Jünger geht, der ihn enttäuscht hat. Schade,
wenn Freundschaften so wenig atmen von dem Geist des Auferstandenen,
der uns ein neues Gebot gibt: Dass wir einander lieben, wie er uns
geliebt hat (Joh,15,12). Dass wir unseren Schuldigern vergeben, wie
er uns vergibt, vergeben in der Kraft des Auferstandenen.
Denn die Liebe des Auferstandenen will uns ja auf einen neuen Weg
bringen, Petrus und uns. Weide meine Schafe sagt Jesus. Weide
meine Schafe sagt Jesus zu dem, den er gerade selbst wie das
verlorene Schaf gesucht und heimgetragen hat. Selbst vom guten
Hirten Jesus Christus gesucht und gefunden worden zu sein, ist die
unabdingbare Voraussetzung dafür, selbst ein Hirte werden zu können.
Denn Jesus will keine Hirten, die sich aus eigener Kraft, aus
eigener Überzeugung, aus eigenem Charisma zu einem solchen Amt
berufen fühlen. Die von Jesus berufenen Hirten haben nur eines zu
tun: Das für sich selbst gehörte Wort Gottes weiterzusagen und nicht
irgendein anderes; nicht irgendwelche, sondern die selbst erfahrene
Liebe und Zuwendung Gottes weiterzugeben, weiter fließen zu lassen
zu den Menschen, die Gott ihnen über den Weg führt.
Die Gott ihnen über den Weg führt, wohlgemerkt. Denn sie bleiben mit
ihrem Weg und mit ihrem Leben die seinen und werden nicht die
unseren. Weide meine Schafe, sagt Jesus. Und macht damit deutlich,
dass kein Papst, keine Kirche, kein Mensch und keine Instanz das
Recht hat, ihren Führungsanspruch zwischen uns und unseren Herrn
Jesus Christus zu stellen. Wir gehören mit unserem Leben ihm und
sonst niemand.
Deshalb werden Petrus deutliche Worte zuteil, als er sich für das
Schicksal seines Mitjüngers interessiert: Was geht’s dich an, fährt
Jesus ihm übers Maul, sieh zu, dass Du mir nachfolgst. Das sei uns
gesagt, die wir uns oft so gerne und so ausführlich für die Wege
anderer interessieren, sie beraten und beurteilen und so wenig
über unseren eigenen Weg mit Gott nachdenken: Es gibt Dinge, die uns
als Seelsorger und bei aller wohlgemeinten Sorge um den anderen
nichts angehen. Nicht weil wir seine Privatsphäre oder seine
Menschenwürde zu achten hätten, was auch nicht schlecht ist.
Vielmehr aber, weil wir den Gott und Herrn zu achten haben, dem sein
Leben gehört. Und der wohl weiß, wie er einen wie Petrus, wie er
Menschen wie uns durch alle Höhen und Tiefen, durch Schicksal und
Schuld, ja selbst durch den Tod zum Leben führen kann. Darüber lasst
uns fröhlich sein und einander begleiten als gute Hirten, als
Freunde, als Schwestern und Brüder.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text: 15 Als sie nun das Mahl
gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des
Johannes, hast du mich lieber, als mich diese haben? Er spricht zu
ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu
ihm: Weide meine Lämmer!
16 Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast
du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich
lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!
17 Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast
du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm
sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle
Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm:
Weide meine Schafe!
18 Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest
du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn du aber alt
wirst, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich
gürten und führen, wo du nicht hinwillst.
19 Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen
würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir
nach!
20 Petrus aber wandte sich um und sah den Jünger folgen, den Jesus
lieb hatte, der auch beim Abendessen an seiner Brust gelegen und
gesagt hatte: Herr, wer ist's, der dich verrät?
21 Als Petrus diesen sah, spricht er zu Jesus: Herr, was wird aber
mit diesem?
22 Jesus spricht zu ihm: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich
komme, was geht es dich an? Folge du mir nach!
|