Der Epitaph "Teich von Bethesda" in der
Hospitalkirche
Klicken Sie auf das Bild zum Vergrößern!
Liebe Leser,
haben Sie schon mal einen Engel baden gehen
sehn? Auf dem Epitaph „Teich von Bethesda“, hinten rechts in der
Hospitalkirche, dessen Mittelteil Sie auch auf Ihrem Liedblatt
betrachten können, hat der Künstler einen fröhlich planschenden
Engel mit gerafftem Kleid mitten ins Bild gemalt. Das ist nun
freilich keine Szene aus dem Sommerurlaub. Am Ufer des kleinen Sees
sieht man keine Badegäste, sondern eine Versammlung von
Hilfsbedürftigen, Kranken, Verletzten und Traurigen. Wir sehen eine
Szene, in der ein offenbar gehbehinderter Mann, gestützt auf Krücke
und Stock so schnell er kann ins Wasser humpelt. Damit er nicht
hinfällt, hält ihn einer seiner beiden Freunde beim Arm. Fest hat er
den Blick auf den Engel gerichtet, neben dem er gleich steht – ohne
Krücke und Stock, die Hände zu einer Geste des Erstaunens, ja des
frohen Schreckens vor der rechten Schulter zusammengelegt.
Diese Szene ist nicht frei erfunden. Der Maler hat sich um das Jahr
1550 eine Geschichte aus dem Johannesevangelium zum Motiv genommen.
Wir finden sie dort im 5. Kapitel vom 1. bis zum 9. Vers.
2 Es ist aber in Jerusalem beim Schaftor ein
Teich, der heißt auf Hebräisch Betesda. Dort sind fünf Hallen;
3 in denen lagen viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte. Sie
warteten darauf, dass sich das Wasser bewegte.
4 Denn der Engel des Herrn fuhr von Zeit zu Zeit herab in den Teich
und bewegte das Wasser. Wer nun zuerst hineinstieg, nachdem sich das
Wasser bewegt hatte, der wurde gesund, an welcher Krankheit er auch
litt.
5 Es war aber dort ein Mensch, der lag achtunddreißig Jahre krank.
6 Als Jesus den liegen sah und vernahm, dass er schon so lange
gelegen hatte, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden?
7 Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der
mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich aber
hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein.
8 Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin!
9 Und sogleich wurde der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging
hin.
Liebe Leser,
es ist es kein Wunder, dass es heute sehr viele Altenheime, Kliniken
und andere gesundheitsfördernde Einrichtungen gibt, die Betesda
heißen. Ein Kabarettist könnte im Hinblick auf unseren modernen
Medizinbetrieb sagen: Da gibt es wahre Gesundheitstempel (vgl. Dr.
Dagmar Kreitzscheck, in GPM, 2/2007, Heft 4, S.425), in denen es
richtige Priester gibt, die mit weißen oder grünen Kitteln
herumlaufen. Diese sogenannten Ärzte werden von Tempelfunktionären
gemanagt, die in sogenannten Krankenkassen sitzen. Der niedere
Klerus besteht aus den Pflegekräften und Therapeuten. Viele
Gläubige, also wir alle, pilgern im Notfall in diese Tempel, für
deren Unterhalt wir nicht nur den biblischen Zehnten, sondern sogar
bis zu 18% unseres Einkommens opfern, um dann bei der Visite die
hochgezogene Augenbraue des behandelnden Priesters betrachten zu
dürfen.
Dafür bietet man uns die Hoffnung auf ewige Gesundheit, zumindest
bis ins hohe Alter. Allerdings nur, wenn wir die asketischen Übungen
in Form von Diäten, Fitnessübungen und die Speisegebote einhalten.
Deshalb ist heute ein unüberschaubares Heer von Gesundheitsaposteln
unterwegs, die online oder in unzähligen Hochglanzzeitschriften ihre
Gebote und die mit ihnen verbundenen Verheißungen bis in die
hintersten Winkel der Welt tragen. Mit Erfolg. Jeder, der eine
Apotheke mit einem daneben liegenden Wirtshaus vergleicht, sieht oft
schon auf den ersten Blick, wer mehr Kunden hat und wo so richtig
Geld umgesetzt wird.
Angesichts solchen Rummels um die Gesundheit, nimmt sich das
750jährige Jubiläum des Hofer Hospitals, dessen einziger
Stiftungszweck die Altenhilfe ist, wirklich unspektakulär aus. Es
erinnert uns zunächst einmal an die Binsenweisheit, dass der Mensch
trotz der sensationellen Versprechen der modernen Medizin und trotz
planschender Engel in wundertätigen Teichen früher oder später alt
und gebrechlich wird. So hilflos und hilfsbedürftig, wie er auf die
Welt gekommen ist, so hilfsbedürftig muss er sie wieder verlassen.
So zeigt sich gerade am Anfang und am Ende des Lebens, was
unabdingbar zum Wesen des Menschen gehört. Der Mensch ist nicht vor
allem der Leistungsfähige, der sich und seine Welt selbst schafft
und macht. Er ist vor allem ein Mensch, der auf Zuwendung, Hilfe,
Liebe und Fürsorge angewiesen ist.
Zeilen des Theologen Eberhard Jüngel, vor 20 Jahren geschrieben,
sind mir bis heute nicht aus dem Sinn gegangen und aktueller, denn
je! Ich zitiere: „Kinder und Alte repräsentieren auf natürlichste
Weise den unbedingten Vorrang der Person vor ihren Taten. Sie sind
ja vor allem Nehmende und können für ihr Dasein noch nichts oder
nichts mehr tun. Nur wenn wir (solche Menschen) (…), als eine
Wohltat empfinden, nur wenn wir, (…) ihre Würde respektieren,
strahlen unsere Gottesdienste das Evangelium so in den Alltag der
Welt aus, dass unsere Leistungsgesellschaft eine menschliche
Gesellschaft genannt zu werden verdient. Entsprechendes gilt für
unseren Umgang mit Kranken, und zwar nicht nur für unseren privaten
Umgang, sondern auch für den (…) gesellschaftlichen Umgang mit den
kranken Menschen.“ (Eberhard Jüngel, Das Evangelium von der
Rechtfertigung des Gottlosen als Zentrum des Christlichen Glaubens,
Mohr, 1999/3, S.229)
Die Werbeslogans, die uns täglich umschwirren, sprechen eine andere
Sprache. „Unterm Strich zähl ich!“, lautet eines dieser modernen
Glaubensbekenntnisse, mit dem man sich ganz schamlos zur
Unsolidarität bekennt! Und der Gelähmte schreit genau das schon am
Teich von Betesda hinaus: Herr, ich habe keinen Menschen! Tiefer
kann eine Klage nicht sein. Übermenschlich kann eine Bedrohung, eine
Aufgabe, eine Angst und ein Leid werden. In Situationen, die über
die eigene Menschenkraft gehen, wird die helfende Hand und das
offene Ohr eines anderen Menschen unbedingt gebraucht. Ohne diesen
anderen Menschen kann ich nicht Mensch sein und bleiben. Sich nicht
mehr als Mensch fühlen zu können, ist die unterste Stufe der
Verdammnis. 38 steinerne Jahre hatte dieser Mensch Zeit, um darüber
nachzudenken.
Und deshalb lässt er die Frage Jesu, ob er denn gesund werden will,
nicht an der Oberfläche stehen, sondern geht sich und seiner
Krankheit auf den Grund: Herr, ich habe keinen Menschen! Und
bezeichnet damit nicht nur seine persönliche Situation. Er bringt
zur Sprache, was heute auch als Krankheit unserer modernen
Gesellschaft gelten kann. 500 Freunde auf Facebook und keinen zum
Reden!
Diese Krankheit kann nur geheilt werden, wenn wir uns wieder auf das
Maß des Menschlichen besinnen. So wie Hospitalmeister Wolf Schultes
das schon vor über 450 Jahren getan hat. Anlässlich des Todes seiner
Frau Margareta hat er es sich um das Jahr 1546 ein hübsches Sümmchen
kosten lassen, damit wir Heutigen noch erfahren, wo er seinen Platz
sah. Auf dem Epitaph „Teich von Betesda entdeckt man ihn mitten
drin, ausstaffiert wie Martin Luther, dessen Zeitgenosse er war.
Vorne im Bild ist das Gerenne groß um den wundertätigen Teich mit
dem planschenden Engel.
Aber das ist nicht der Platz von Schultes. Er wies den Maler an, ihn
an die Seite Jesu zu malen. Man wird zurecht sagen können: Das Hofer
Hospital verstand sich als diakonische Einrichtung und
Hospitalmeister Schultes verstand sich als Diakon, lange bevor die
Diakonie für die Evangelische Kirche im 19. Jahrhundert „neu
erfunden“ wurde. Und deshalb hat er sich nicht nur an die Seite Jesu
malen lassen, der ihm die Hand auf die Schulter legt. Sie finden
Schultes auch ganz links wieder am Bett eines Kranken und sehen, wie
er diesem nun seine Hand auf den Arm legt. Das ist die ganz
unspektakuläre Zuwendung, der tägliche Dienst, der jeden Tag aufs
Neue zu tun ist, damit Menschen einen Menschen haben. Soziales
Engagement und das Heil der Seele gehören zusammen. Dieses Bild darf
Ihnen vor Augen stehen, egal ob Sie diesen Dienst als Arzt, Pfleger,
Ergotherapeut, gerontopsychiatrische Fachkraft, Heimleiter oder
einfach als Besucher tun.
Wolf Schultes, der Hospitalmeister, empfiehlt uns allen dringend,
uns dieses Bild vor Augen zu halten. Denn er hat wohl auch das
gewusst: Wenn wir es mit dem Leid der Welt, und sei es nur mit dem,
das am Ende unseres Lebens auf manchen von uns wartet, alleine
aufnehmen wollen, dann sind wir schnell verlorene Leute. Gerade in
den helfenden Berufen ist die Gefahr auszubrennen besonders groß.
Sie trifft gerade den, der den Menschen ein Mensch sein will und
deshalb empfindsam bleibt und mitleiden kann. Der wird besonders
darunter leiden, dass auch die Arbeitszeiten für
Pflegedienstleistungen immer strenger reglementiert sind. Pflegen im
Akkord sozusagen. Da muss der Mensch für den Menschen zwangsläufig
irgendwann auf der Strecke bleiben. Längst wird deutlich, dass man
angesichts der weiteren Alterung unserer Gesellschaft die Zuwendung
für den alten Menschen nicht allein durch berufliche Leistungen
abdecken kann, sondern dass in Zukunft ehrenamtliches Engagement in
viel höherem Maße nötig sein wird. Die christliche Gemeinde sollte
dies als erste erkennen. Aber für beide, die Haupt- und die
Ehrenamtlichen gilt der gleiche Rat des Hospitalmeisters Schultes:
Nehmt es nicht allein mit dem Leid dieser Welt auf! Soziales
Engagement und das Heil eurer eigenen (!) Seele gehören zusammen.
Engagiert euch deshalb als Mitarbeiter des Christus und seiner
Apostel. Tut es an der Seite dessen, der es mit dem Leid und mit dem
Tod wirklich aufnehmen kann. Tut es nicht, ohne die Hand des
Christus auf eurer Schulter zu spüren. Denkt an Schultes auf dem
Bild. Tut es nicht ohne ihm eure Hand hinzustrecken, wie Schultes
das tut. Dazu braucht es oft nicht einmal ein Gebet. Denn wir alle
haben es schon erlebt. Dem Menschen ein Mensch sein, heißt nicht nur
geben. Unverhofft werden wir selber reich durch den, dem wir uns
zuwenden. Sind es nicht gerade die geringsten Schwestern und Brüder,
in denen uns Christus begegnet? Wer dem Menschen ein Mensch wird,
der kann deshalb unvermittelt neben Christus stehen und seine Hand
halten. Und dazu hätte auch Hospitalmeister Schultes nur noch ein
Wort gesagt: Amen.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche
Hof) (weitere Predigten
von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Lesen Sie mehr
zum Jubiläum auf unserer Webseite.
Hier finden Sie alle Texte.
Der Gottesdienst bei Facebook
Text:
2 Es ist aber in Jerusalem beim Schaftor ein Teich, der heißt auf
Hebräisch Betesda. Dort sind fünf Hallen;
3 in denen lagen viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte. Sie
warteten darauf, dass sich das Wasser bewegte.
4 Denn der Engel des Herrn fuhr von Zeit zu Zeit herab in den Teich
und bewegte das Wasser. Wer nun zuerst hineinstieg, nachdem sich das
Wasser bewegt hatte, der wurde gesund, an welcher Krankheit er auch
litt.
5 Es war aber dort ein Mensch, der lag achtunddreißig Jahre krank.
6 Als Jesus den liegen sah und vernahm, dass er schon so lange
gelegen hatte, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden?
7 Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der
mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich aber
hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein.
8 Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin!
9 Und sogleich wurde der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging
hin.
|