Liebe Leser,
der Beter der Klagelieder erwartet alles von
Gott: Glück und Leid. Als ich etwa in der 10. Klasse war, vertrat einer
meiner Mitschüler die Ansicht, dass Gott nicht nur gut sei, wie meist
angenommen, sondern ebenso böse. Er sei der Allmächtige. Es gebe keine
Macht außer Gott – also komme auch das Böse aus ihm.
Sofort regten sich Widerstände in mir – trotz gewichtiger
Argumente, die für die Annahme meines Mitschülers sprachen:
Die Schöpfungsgeschichte berichtet ja, dass Gott die Welt aus dem
Chaos geformt hat, dem Chaos Ordnung aufgezwungen hat. Das Chaos, das
Böse, war also bereits da, bevor Gott es zum Guten gezwungen hat. Wo kam
es also her? Von Gott? Oder ist es genauso ewig wie Gott, sozusagen die
böse Urmasse allen Seins? Ist Gott nur der Erbauer eines Gartens, den er
der Wüste abgerungen hat?
Die Bibel kennt das Bild Gottes als des Kämpfers, der dem Chaos, der
Wüste einen Garten abringt und verteidigt. So lässt sich Gott leicht als
guter Gott malen. Das Böse braucht man dann nicht in Gott selbst zu
denken. Die Bibel kennt aber auch die Lücken
dieses Bildes. Nämlich: Wer weiß, ob Gott nicht irgendwann dem Chaos
unterliegt? Schließlich ist das Chaos in diesem Gottes- und Weltbild der
Urstoff und das Leben nur eine nachträgliche Ordnung. Im Bild Gottes als
des Kämpfers gegen das Böse ist der gute Gott teuer erkauft zu Gunsten
einer Urherrschaft des Bösen.
Deshalb gibt es auch die Vorstellung Gottes als des Allmächtigen, von
dem alles kommt. Gottes Herrschaftsbereich umfasst alles nur
Erdenkliche. Es gibt keine Macht außer Gott, Gott ist die Macht
schlechthin. Die Schwierigkeit dabei: Nun muss auch das Böse aus Gott
kommen. In der Vorstellung von einem allmächtigen Gott, ist Gott genauso
ein Abgrund des Bösen wie ein Abgrund des Guten, ein Hurrikan des Glücks
und des Leids, allmächtig eben, wie mein Mitschüler das vertrat.
Allmacht so gesehen hat keine Richtung und ist damit sinnentleert. Wo
rohe Kräfte sinnlos walten ... Wie kann man denn von Gott reden, wenn er
einfach an nichts festgemacht werden kann? Von einem solchen Gott kann
man nicht reden.
Dass die Bibel dennoch von einem allmächtigen Gott reden kann, liegt
daran, dass Gott selbst seine Allmacht begrenzt. Gott der Ungreifbare
macht sich selbst berührbar: in Jesus Christus z.B. oder auch in den
Bundesschlüssen im Alten Testament, zum ersten Mal beim Schöpfungssegen
und dann immer wieder; am beeindruckendsten
vielleicht am Berg Sinai. Gott bindet sich in seinen Bundesschlüssen
selbst und macht sich so greifbar, zumindest was sein Verhalten uns
gegenüber betrifft. Er gibt seiner richtungslosen Allmacht freiwillig
eine Richtung, nämlich Liebe, ähnlich einer Ehe, in der Gott verspricht,
uns zu lieben – auch wenn noch anderes, vielleicht der Liebe
widersprechendes in ihm wohnt. In den Liebesbünden beschränkt Gott sein
Verhalten der Welt gegenüber auf die Liebe. An
diesen Liebesbünden, an diesen Verträgen können wir also entlang gehen,
wenn wir von Gott reden. Als den, wie er sich in den Bundesschlüssen zu
erkennen gibt, können wir ihn anreden.
Wenn wir in der Bibel lesen, haben also einen Gott vor uns, der gut und
böse in einem ist, aber sich selbst vertraglich auf das Gute festgelegt
hat. Es braucht uns also nicht an Selbstbewusstsein zu fehlen, ihm
gegenüber darauf zu pochen. Ein berührendes
Beispiel einer solchen Theologie, ist die Geschichte eines Juden, der
der spanischen Inquisition entfliehen konnte, Frau und Kind verlor und –
sich dennoch zu Gott bekennt:
"... Du kannst mich schlagen, mir das Beste und
Teuerste nehmen, das ich auf der Welt habe. Du kannst mich zu Tode
peinigen – ich werde immer an Dich glauben. Ich werde Dich immer lieb
haben – Dir selbst zum Trotz!"
Es mag uns an allem mangeln, aber es sollte uns nicht am Selbstbewusstsein
mangeln, Gott an seinen Liebesbund zu erinnern. Ja, wir sind nicht
perfekt, aber das hat Gott von Anfang an gewusst. Und sein Bund
beinhaltet: Wenn wir Verfehlungen bereuen, nimmt er uns wieder auf. Es
braucht uns also nicht an Selbstbewusstsein zu mangeln im Gebet.
"Du kannst mich zu Tode peinigen – ich werde
immer an Dich glauben. Ich werde Dich immer lieb haben – Dir selbst zum
Trotz! Nein, einen Gott ohne Sinn, der gleich
böse wie gut ist, den brauche ich nicht, da reicht mir schon das Leben.
Erinnere dich, Gott, an deinen Bund. Ich erinnere mich: Du hast die Welt
geschaffen – im Guten. Du hast uns Menschen unter deinen Segen gestellt.
Du hast uns aus Ägypten befreit, einen Bund mit uns geschlossen, und uns
ins gelobte Land geführt. Nur den Leviten hast du kein Land gegeben.
Denn am Stamm Levi sollen alle erkennen: Selbst wenn das gelobte Land
verloren geht, geht unser Erbteil nicht verloren. Denn du Gott, selbst,
willst unser unverlierbares Erbteil sein! Wer auch immer du bist: Wir
haben nichts als deinen Bund der Liebe. Und davon lasse ich nicht."
Das nehme ich zu Herzen, darauf will ich hoffen. Die Güte des HERRN
ist's, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein
Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß. Der
HERR ist mein (Erb-) Teil, spricht meine Seele;
darum will ich auf ihn hoffen. Denn der HERR ist freundlich dem, der auf
ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt.
Gott lässt sich also ansprechen auf seine Bundestreue. Er hat es in der
Vergangenheit getan und wird es wieder tun. Die Erinnerung wird zur
Hoffnung. Sie geht auf wie die Sonne eines neuen Morgens: Seine
Barmherzigkeit ist alle Morgen neu. Das Pochen auf den Bund, das
Vertrauen darauf, dass der All-mächtige ihn halten wird, die
Erinnerung daran, dass er sich bisher alle Zeit an ihn gehalten
hat: Das ist der Durchbruch von der Klage zum Staunen. Zum Staunen
darüber, dass Gott auf seine Allmacht verzichtet und sich an die Liebe
bindet.
Sicher muss er gelegentlich mit sich ringen. Sicher kann es nicht
schaden, ihn daran zu erinnern. Aber dass er auf die Allmacht verzichtet
und das Leben will, ist ein Wunder. Es ist ein Wunder, dass sich die
Allmacht auf die Liebe beschränkt, dass diese Welt noch besteht
und keine Atommacht, Weltwirtschaftsmacht, kein Terrorismus, kein Krieg,
keine Chaosmacht alles verschlingt. Es ist ein Wunder,
noch leben wir, obwohl wir längst tot sein
könnten. Noch geht die Sonne auf: Obwohl
sie schon längst in der Sinnlosigkeit der Allmacht verschwunden sein
könnte.
Unsere Zeit, so scheint es manchmal, hat das Staunen verlernt. Dabei
eröffnet gerade das Staunen den Prozess des Verstehens.Und erst aus dem
Staunen werden die folgenden Verse verständlich:
Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN
hoffen. Es ist ein köstlich Ding für einen Mann,
dass er das Joch in seiner Jugend trage. Er sitze einsam und schweige,
wenn Gott es ihm auferlegt, und stecke seinen Mund in den Staub;
vielleicht ist noch Hoffnung.
Wenn alles aus Gott kommt, Gutes wie Böses. Dann kann's
auch nur Gott richten. Wenn Hoffnung ist, dann bei ihm. Wer den
All-mächtigen bekennt, legt die Waffen nieder und betet!
Dies ist eine Wahrheit im Leid gewachsen und gültig auch in der
Stärke. Ein Lob der Passivität, ein Bollwerk gegen jeden aktivistischen
oder gar gewalttätigen Fanatismus:
Es ist ein köstlich Ding, geduldig zu sein und auf die Hilfe des HERRN
zu hoffen; vielleicht ist noch Hoffnung. "Ein
köstlich Ding", wenn das die Fanatiker aller
Religionen lernen würden: Kein Mensch baut ein Friedensreich. Kein
menschlicher Messias führt es herbei. Wer das Schwert zieht, wird durch's
Schwert umkommen. Wenn dich jemand auf die linke Backe schlägt, halte
ihm auch die rechte hin. Denn: Wer die Waffen
zückt, der vergisst, dass Gott der Allmächtige ist, im Guten wie im
Bösen. Wer die Waffen zückt, vergisst, dass auch alles Leid von Gott
kommt und deshalb nur er daraus befreien kann, indem er sich selbst
bindet: an die Liebe. Wer die Waffen zückt, vergisst: In Gott allein
liegt Glück und Unglück.
Wenn jemand das Friedensreich bauen kann, dann der Allmächtige, der sich
selbst dem Guten verschrieben hat. Menschen sind nicht berufen, das
Friedensreich zu bauen, sondern staunend in ihm zu leben.
Selbst wenn uns das verheißene Land ganz genommen wird, bleibt
uns immer noch dieses Wunder, dass rohe Kräfte einst sinnlos waltend,
sich an die Liebe gebunden haben. Man mag uns alles nehmen, dieser
Erbteil bleibt uns. Und wir dürfen den Allmächtigen selbstbewusst daran
erinnern:
Die Güte des HERRN ist's, daß wir nicht gar aus sind, seine
Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und
deine Treue ist groß. Du kannst mich zu Tode
peinigen – ich werde immer an Dich glauben. Ich werde Dich immer lieb
haben – Dir selbst zum Trotz!
Vikar Michael Krauß
(Hospitalkirche Hof) |
Text:
3,21 Das nehme ich zu
Herzen, darauf will ich hoffen.
3,22 Die Güte des HERRN ist's, daß wir nicht gar aus sind, seine
Barmherzigkeit hat noch kein Ende,
3,23 sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.
3,24 Der HERR ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn
hoffen.
3,25 Denn der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem
Menschen, der nach ihm fragt.
3,26 Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN
hoffen.
3,27 Es ist ein köstlich Ding für einen Mann, dass er das Joch in seiner
Jugend trage.
3,28 Er sitze einsam und schweige, wenn Gott es ihm auferlegt,
3,29 und stecke seinen Mund in den Staub; vielleicht ist noch Hoff-nung.
3,30 Er biete die Backe dar dem, der ihn schlägt, und lasse sich viel
Schmach antun.
3,31 Denn der HERR verstößt nicht ewig;
3,32 sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen
Güte. |