Liebe Leser,
eigentlich wollte ich in der 4. Klasse die Pfingstgeschichte schon in der
letzten Stunde erzählen. Da hatte ich die Kinderbibel dabei. Aber dann
waren wir nicht soweit gekommen und heute hatte ich die Kinderbibel
zuhause liegen lassen. Und so musste ich ganz frei erzählen und ließ es
ordentlich brausen im Haus und auf den Köpfen der Jünger brennen. Ich
erzählte wie ängstlich und mutlos sie gerade noch waren und niemandem
von Jesus erzählen wollten, weil sie sich von ihm allein gelassen
fühlten. Aber jetzt rissen sie die Tür auf und liefen hinaus auf den
Marktplatz und predigten den Christus und alle verstanden sie. Die sie
hörten ließen sich taufen und wurden eine Gemeinschaft, eine Gemeinde
Jesu Christi. Das alles macht der Heilige Geist.
Die Kinder hatten atemlos gelauscht. Paul fand als erster seinen Arm und
meldete sich: „Und das ist wirklich in echt passiert?“ „Ja klar“, gab
ich ihm zur Antwort, „und es passiert immer wieder. Auch du hast den
Heiligen Geist.“ Paul war verblüfft. „Aber meine Haare haben noch nie
gebrannt,“ sagte er zu unser aller Belustigung. Quod erat demonstrandum.
„Aber getauft bist du und traurig und mutlos und ängstlich bist du oft
gewesen und bist getröstet worden, fandest neuen Mut.“ Und dann schauten
wir uns noch einmal genau an, was der Heilige Geist mit den Jüngern
angestellt hatte und all das gab Paul schwer zu denken. „Am Sonntag um
11 ist Kindergottesdienst,“ sagte ich am Ende der Stunde beim Gehen.
„Ich komme,“ rief Paul mir hinterher.
Nicht nur am Sonntag Kantate dürfen wir mit Paulus fröhlich und dankbar
darauf schauen, wie auch mitten unter uns das Reich des Christus und mit
ihm das Himmelreich anbricht und einbricht und uns zu seiner Gemeinde
macht. Es ist doch alles andere als selbstverständlich, dass so viele
unserer Kirchenvorsteher und Kirchenvorsteherinnen sich bereit erklären,
Mesnerdienste zu übernehmen, wenn unsere Mesnerin mal Urlaub macht. Es
ist nicht selbstverständlich, dass unser Sitzungszimmer voll ist, wenn
wir uns zum ersten Vorbereitungstreffen für das Gemeindefest treffen. Es
ist nicht selbstverständlich, dass so viele Ehrenamtliche bereit sind
unseren Gemeindebrief in die Häuser zu tragen. Freuen wir uns über den
Studienkreis Meister Eckhart, in dem wir uns an aller theologischen
Weisheit erbauen. Freuen wir uns, dass unsere Kirchenbänke zum
Gottesdienst nicht überall leer sind. Freuen wir uns über die
Hauptamtlichen, denen die Fantasie und die Kraft für ihren Dienst nicht
ausgeht, und die in die Häuser kommen zu allerlei Gelegenheiten und so
ein Netzwerk knüpfen, das die Menschen in der Gemeinde verbindet. Denn
in der Kirche geht es um Gemeinschaft. Nicht um die Neigungsgruppe, die
Fangemeinde und den Freundeskreis, sondern um die Gemeinschaft, zu der
Christus und sein Wort uns durch den Heiligen Geist ruft und verbindet.
Freuen wir uns über unsere Gottesdienste, in denen so vielfältig
gefeiert, gepredigt und musiziert wird. Freuen wir uns, dass die
Hospitalkirche einen Ruf als Predigtkirche hat. Wenn das Wort Christi
reichlich unter uns wohnen soll, ist das ein Ruf, der jeder Kirche gut
ansteht.
Eine Auslegerin schreibt: „Die Anknüpfungsfähigkeit der christlichen
Gemeinde an die weltlichen Diskurse ist uns wichtig, die Nähe des
Evangeliums zur Welt. Unserem Text an Kantate aber nicht! Hier geht es
um das ganz andere Fest. Die Feier einer Welt, deren Klangsphäre
Dankbarkeit ist. Die Feier einer Welt, in der die Geliebten, die
Erwählten und Berufenen einen großen Hymnus anstimmen: Den Klang der
neuen Welt.“ (Johanna Haberer, GPM 1/2010, Heft 2, S. 235)
Diesen Klang dürfen wir - um Gottes Willen - nicht aus den Ohren, aus
den Gedanken und vor allem aus unseren Herzen verlieren bei allem, was
wir planen und tun. Denn sonst holt uns ein, was wir nicht nur in diesen
Tagen besichtigen können: Kirchenleitungen und Gemeinden, die
schwanzwedelnd jedem Stöckchen hinterherrennen, das ihnen die
öffentliche Meinung hinschmeißt. Das ist erstens nicht besonders
interessant, zweitens äußerst ermüdend und drittens ziemlich lächerlich.
Wir haben als christliche Gemeinde zuerst und vor allem dem Klang der
neuen Welt hinterher oder sagen wir besser entgegen zu lauschen und
entgegen zu leben. Und das ist, wie unser Predigttext zeigt, alles
andere als eine Flucht aus der wirklichen Welt in eine Scheinwelt.
Diesen Vorwurf weisen wir mit Paulus entschieden zurück. Gerade die
Gemeinde, gerade der Christenmensch, der der neuen Welt und ihrem
Christus entgegen lauscht, wird sich der Differenz zwischen dem
Himmelreich und dieser alten Welt und dem eigenen Leben besonders
scharfsichtig bewusst. Gerade dem wird manches unerträglich erscheinen.
Weil Paulus darum weiß, schreibt er: „Ertrage einer den andern und
vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie
der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!“
Weil leider auch Christenmenschen nicht mehr wissen, was es mit der
christlichen Vergebung auf sich hat. Gerade Christenmenschen dürfen und
sollen ihre Schuld bekennen, beim Namen nennen, umkehren. Gerade
Christenmenschen haben es nicht nötig, ihre Schuld zu verstecken und
unter den Teppich zu kehren. Gerade dann und nur dann gilt: „Wie der
Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr.“ Der Aufruf zur Vergebung
und Versöhnung kommt nicht aus dem Munde der Kirchenleitung und schon
gar nicht aus dem Mund der Täter. Er kommt aus dem Munde unseren Herrn
Jesus Christus! Wer Ohren hat zu hören, der höre!
Der Klang der neuen Welt holt uns nicht aus der Welt. Er nimmt es mit
unserer verlorenen Welt auf und wird sie schließlich überwinden. Dem
Klang der neuen Welt gehört die Zukunft der Welt. Zukunft hat, was
mitsingt im Klang der neuen Welt und sich mit diesem Klang im
Gleichklang befindet.
Ob die guten alten griechischen Tugenden wie Tapferkeit, Klugheit,
Gerechtigkeit und Mäßigung oder die modernen wie Ordnung, Sauberkeit,
Disziplin und Pflichterfüllung wirklich dazu gehören, darf bezweifelt
werden. Eines fällt doch sofort ins Auge: Wie bei den alten Griechen,
sind auch unsere modernen Werte und Tugenden, Tugenden, die sich der
einzelne erwerben soll und muss, um im Wettbewerb mit anderen zu
bestehen. Kompetent hat der einzelne Mensch zu sein. Selbst wenn seine
Kompetenz eine soziale, kommunikative oder eine spirituelle ist, bleibt
sie die Kompetenz des einzelnen, die ihm den Aufstieg in der
Gesellschaft und natürlich auch in der Kirche ermöglicht. Die ganze
Diskussion um die „Werte“ wird unsere Gesellschaft und auch die Kirche
nicht besser und menschlicher machen, solange diese Werte nichts anderes
sind als Ausweis des einzelnen, mit dem er andere in den Schatten
stellen kann.
Und eben das hat in der Kirche Jesu Christi nichts verloren. Deshalb
schreibt Paulus: So zieht nun neue Tugenden an als die Auserwählten
Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen,
Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; und ertrage einer den andern.
Das sind ausnahmslos Tugenden, die die Gemeinschaft befördern und
stärken; die den anderen nicht in den Schatten, sondern in das Licht der
Liebe Gottes stellen. So tönt der Klang der neuen Welt gegen die alte.
Dem Getöse um die Professionalisierung des Einzelnen auch in der Kirche,
wird das Lied von der Herzensbildung in der Christusgemeinschaft
gesungen.
Und die geschieht allen anderen Stimmen zum Trotz vor allem im
Gottesdienst. In der liturgischen Feier ebenso, wie in der Feier des
täglichen Miteinanders. Im Gottesdienst in der Kirche ebenso, wie im
vernünftigen Gottesdienst im Alltag der Welt, von dem Paulus schreibt:
Stellt euch nicht dieser Welt gleich. (Römer 12, 1-2). Sondern lasst
eure Mitwelt auch dort den Klang der neuen Welt hören. In der Tat: Er
ist schon zu hören. Mitten unter uns. Und der Friede Christi zu dem ihr
auch berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen.
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
Paulus schreibt:
12 So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und
Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld;
13 und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn
jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so
vergebt auch ihr!
14 Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der
Vollkommenheit.
15 Und der Friede Christi, zu dem ihr auch berufen seid in einem Leibe,
regiere in euren Herzen; und seid dankbar.
16 Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt
einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen
Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen.
17 Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im
Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.
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