Liebe Leser, jeder betet! Und selbst
der, der an absolut gar nichts mehr glaubt, sinkt vielleicht in
seiner letzten Stunde auf die Knie und spricht: Lieber Gott, wenn es
dich gibt, rette meine Seele - wenn ich eine habe.
Zum Lachen ist das nur im ersten Moment. Was für eine Tragödie, wenn
einem in der letzten Stunde seines Lebens bewusst wird, dass er
nicht nur Gott nicht gefunden hat in seinem vielleicht langen Leben,
sondern nicht einmal sich selbst. Das kann einem heute viel
schneller passieren als noch vor hundert Jahren. Da hieß es: Die
Wege Gottes sind unerforschlich. Heute gilt: Die Wege des modernen
Menschen sind es noch viel mehr. Und so glauben wir alle irgendwas
über Gott und den Menschen – und das kann sich von heute auf morgen
ändern.
Nie wussten wir so wenig von der Zukunft wie heute. Zukunftsromane
habe ich immer gerne gelesen. Und was wurde in den siebziger und
achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts, in den Jahren der
Technik- und Wissenschaftsgläubigkeit nicht alles über die
wunderbare Zukunft der Menschheit phantasiert! Bis zum Jahr 2000
gibt es keinen Hunger mehr, keine Kriege, keinen Krebs. Der Beweis,
dass auch technikbegeisterte Vernunftmenschen oft wirres Zeug reden.
Aber keiner, wirklich keiner, hat vorhergesehen, dass heute fast
jeder mit einem kleinen Wischkästchen in der Tasche herumläuft, das
liebevoll Handy genannt wird und durch das man überall und immer –
sogar in der Kirche und auf der Beerdigung – erreichbar ist und von
überall und immer jeden immer und überall erreichen kann – sogar
Lieschen Müller in der Antarktis beim Robbenzählen.
Das Handy kann inzwischen fast alles: Die Zeitung anzeigen, Musik
spielen, schöne Fotos machen, z.B. von dem, was man gerade auf dem
Teller hat. Man kann mühevoll gewichtige Nachrichten eintippen, bis
einem die Augen rausfallen: „Komme eine halbe Stunde später“ oder
„viele Grüße von der Zugspitze. Die Aussicht ist prima!“ Diese
Nachrichten erreichen jeden immer und überall. Dazu ist ein Aufwand
an Technik notwendig, den man sich kaum vorstellen kann; als ginge
es um Leben und Tod.
Weil es in der Tat so ist, ob wir uns dessen bewusst sind oder
nicht! Die Möglichkeit zur Kommunikation, zur Vernetzung, zum
Gespräch, zum Gehörtwerden ist eine Frage auf Leben und Tod. Wer
nicht mehr angesprochen wird und niemand hat, der ihm zuhört und ihn
anspricht, der geht drauf. Tot ist, wen keiner mehr anruft. Am
Anfang war das Wort. Hier stellt sich die Existenzfrage!
Daher ist es alles andere als verwunderlich, dass die Menschheit
seit Beginn des neuen Jahrtausends ihre ganze Kraft in die Sicherung
und den Ausbau ihrer Kommunikationsmöglichkeiten investiert. Immer
schneller und immer perfekter überziehen Kanäle unsere Welt. Könnte
jemand von weit her zuschauen, er müsste den Eindruck haben, als
spinne unsere Erde sich panikartig mit Kommunikationsnetzen ein. Als
hätte sie ihren großen Ansprechpartner und Zuhörer für immer
verloren. Die Datenautobahn als Ersatz fürs Händefalten?
Die Versprechungen sind groß und grenzen an Heilserwartung. Die kann
aber nur der teilen, der die Enttäuschung nicht kennt, dass die
eigene Facebookseite kein Schwein sehen will, dass die E-Mail an die
Technikhotline in Ewigkeit nicht beantwortet wird und das World Wide
Web auch nur ein Marktgetümmel ist, in dem nur der Aufmerksamkeit
findet, der am lautesten schreit.
„Was sieht das Auge des Todes von mir?“, fragt der Schriftsteller
Botho Strauß. „Nur mein mühseliges Entgegenkommen. Nichts als
ablaufende Zeit. Gesehen aber, wahrhaftig gesehen werde ich nur
durch sein Partikular. Das Partikular, durch das der Ewige uns
sucht, erfasst uns ohne zeitliches Brimborium, ohne geschichtliche
Ergänzung und Verfälschung. Erkennt jeden in seiner göttlichen
Vereinzelung. Jeden dürftigen Stein unter Millionen in der
Kiesel-Schwarte der Bucht. Denn des Allerhöchsten Auflösung sieht
dich mutterwindallein auf Erden.“ (Botho Strauß, Das Partikular,
Hanser, 2000, S.84)
Es gibt Worte, die haben die Kraft, uns nicht nur neue Räume zu
zeigen, sondern sie einladend zu öffnen, ja uns in sie hinein zu
versetzen. Mir ging es so, als ich diese Worte des Schriftstellers
las. Wie ein dürftiger Stein in der Kiesel-Schwarte der Bucht, so
komme ich mir oft genug vor. Aber Gott sieht mich dort in
unvorstellbarer Auflösung, in höchster Hör- und Sehschärfe, als wäre
ich mutterwindallein auf Erden.
Was für eine wunderbare Beschreibung eines Gebetsraumes! Das ist der
Raum der höchsten und ungeteilten Aufmerksamkeit Gottes. Um in ihn
zu gelangen, muss man keine Gebrauchsanweisung lesen, kein
esoterisches Geheimwissen besitzen und keinen Meditationskurs
absolviert haben. Gott hat ihn durch sein Wort bei der Schöpfung
aufgespannt. Er ist eine Handbreit neben jedem von uns. Und der
Christus kommt zur Welt, um zu suchen und nach Hause zu bringen, was
verloren ist. Mit der höchsten Sehschärfe seines Herzens sammelt er
gerade die dürftigen Steine in der Kiesel-Schwarte der Bucht. Hört
das Schreien des blinden Bartimäus am Straßenrand und nimmt noch im
Sterben am Kreuz den heruntergekommenen Mörder neben sich mit in das
Himmelreich. Der kann auch dich und mich nicht übersehen und
überhören.
Raum des Gebets ist der Raum der höchsten und ungeteilten
Aufmerksamkeit Gottes. Wenn du in ihn eintrittst, musst du nichts
sagen. Aber du darfst etwas sagen, mit Worten oder einfach mit dem
Herzen. Und du darfst in der Fürbitte all die Menschen mitbringen,
die dir am Herzen liegen. So bringst du sie in die ungeteilte
Aufmerksamkeit Gottes. Darum schreibt Paulus: Seid beharrlich im
Gebet und wacht in ihm mit Danksagung! Betet zugleich auch für uns,
dass Gott uns eine Tür für das Wort auftue und wir das Geheimnis
Christi sagen können.
Das Geheimnis des Christus, der uns auch durch Sterben und Tod nach
Hause bringt und uns im Herzen Gottes einen Platz einräumt, so dass
er auf uns hört wie ein Vater auf seine Töchter und Söhne. Wer einen
Platz im Herzen Gottes hat, dem gehört die Zukunft. Der braucht sich
vor den dunklen Geheimnissen seiner Vergangenheit und den dunklen
Stunden seiner Zukunft nicht fürchten. Gott schaut uns auch im
Dunkeln freundlich an.
Jeden einzelnen! Die göttliche Vereinzelung unseres Daseins ist
Ausdruck der ungeteilten Aufmerksamkeit Gottes und seiner Liebe. Die
Liebe macht aus den Vielen den Einzelnen. Und für eine gute Mutter
ist jedes ihrer Kinder etwas ganz Besonderes. Lasst uns das nicht
vergessen, wenn wir vom „miteinander Beten“ reden. In ein
gemeinsames Gebet können wir einstimmen mit dem Herzen oder mit
Worten und fallen trotzdem nicht heraus aus der ungeteilten
Aufmerksamkeit Gottes.
Dies verdient unseren absoluten Respekt! Einen betenden Menschen
soll man daher nicht filmen und fotografieren, ihm in sein Gebet
nicht hineinschwätzen oder ihm gar mit einem eigenen Gebet eine
versteckte Predigt halten. Wer einen betenden Menschen stört, tritt
wohl auch sonst die Menschenwürde mit Füßen, denn wo kann denn die
Würde des Menschen sichtbarer sein? Hier steht ein Mensch, dem
Gottes ungeteilte Aufmerksamkeit gilt und seine ganze Liebe. Hier
ragt er in die Ewigkeit hinein. Mutterwindallein, doch zuhause.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
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Die Predigt zum Hören
Text:
Paulus schreibt:
2 Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung!
3 Betet zugleich auch für uns, auf dass Gott uns eine Tür für das
Wort auftue und wir vom Geheimnis Christi reden können, um
dessentwillen ich auch in Fesseln bin,
4 auf dass ich es so offenbar mache, wie ich es soll.
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