Liebe Leser,
erst als wir das obere Relief im linken
Altarflügel in der Hospitalkirche restauriert hatten, gab das Bild
von der Verkündigung der Geburt Jesu an Maria (Bild rechts) alle
Details preis. Über dem Engel und Maria thront Gott Vater im Himmel.
Und während der Engel mit Maria spricht, geht von ihm ein kleines
Kind aus, das sich im kühnen Sprung Richtung Maria befindet. Ziel
dieses Sprungs ist eindeutig das Ohr, das Maria dem redenden Engel
zuneigt.
Das Nordportal der Würzburger Marienkapelle zeigt eine ähnliche
Darstellung: „Gottvater hält an seinem Mund einen Schlauch, der
seine Worte beziehungsweise seinen Atem, sein Pneuma, zum Ohr der
Maria leitet. Eine Taube ‚beschattet‘ das Ohr der Jungfrau, während
das Kind auf dem Schlauch zu ihm herabgleitet. So befremdend die
Darstellung anmuten mag, so tiefgründig vermag sie anzudeuten, dass
auch wir Christus empfangen, wie Maria ihn empfing: im Hören!“
(Tabea Frey, GPM 4/2004, Heft 1, S. 38)
Aber halt, das ist schon zu viel Geheimnis auf einmal. Bleiben wir
beim ersten. Sofort wird klar, dass es in dieser Geschichte zwischen
Maria und dem Engel nicht um Zeugung im biologischen Sinne geht. Es
ist deshalb folgerichtig, dass man später die Geburt des Christus
eine Jungfrauengeburt genannt hat. Denn was hier in unserer
Geschichte erzählt wird, ist nichts anderes als die erste Geburt des
von Gott gesandten Christus in Maria. Eine Geburt, der die Geburt
des Christus in Fleisch und Blut im Stall von Bethlehem folgt. So
wie der Allmächtige die Welt durch sein Wort schafft, so wird sein
Wort als Christus in Maria geboren. Maria gebiert in der Weihnacht
den Christus als das fleischgewordene Wort Gottes. Sie bringt den in
ihr geborenen Christus und mit ihm Gott zur Welt. Das ist ihre
Mission.
Meister Eckhart, der mittelalterliche Theologe und Philosoph,
schreibt zur Stelle in seiner Predigt 23 (nach Quint): „Das
allergrößte Heil, das Gott dem Menschen je zuteilwerden ließ, das
war, dass er Mensch wurde. Da will ich eine Geschichte erzählen, die
gut hierzu passt. Es war ein reicher Mann und eine reiche Frau. Da
widerfuhr der Frau ein Unfall, bei dem sie ein Auge verlor; darüber
war sie sehr betrübt. Da kam der Mann zu ihr und sprach: „Frau,
weshalb seid Ihr so betrübt? Ihr sollt nicht darüber betrübt sein,
dass Ihr Euer Auge verloren habt.“ Da sprach sie: „Herr, nicht das
betrübt mich, dass ich mein Auge verloren habe; darum vielmehr
betrübe ich mich, dass mich dünkt, Ihr werdet mich umso weniger lieb
haben.“ Da sprach er: „Frau, ich habe Euch lieb.“ Nicht lange danach
stach er sich selbst ein Auge aus und kam zu der Frau und sprach:
„Frau, damit Ihr nun glaubt, dass ich Euch lieb habe, habe ich mich
Euch gleich gemacht; ich habe nun auch nur mehr ein Auge.“ Genauso
ist der Mensch: Der konnte kaum glauben, dass Gott ihn so lieb habe,
bis Gott sich selbst schließlich „ein Auge ausstach“ und menschliche
Natur annahm. Das bedeutet: „Fleisch geworden“ (Joh. 1,14).“ (Quint,
S. 257)
Gerade weil Meister Eckhart das allergrößte Geschenk in der
Menschwerdung Gottes sieht, möchte er die Geburt des Christus nicht
auf Maria beschränkt wissen. Darum bemerkt er mit Ausrufungszeichen:
„Hätte Maria Gott nicht zuerst geistig geboren, er wäre nie leiblich
von ihr geboren worden. Eine Frau sprach zu unserm Herrn Jesus
Christus: ‚Selig ist der Leib, der dich trug‘. Da sprach unser Herr:
‚Nicht nur der Leib ist selig, der mich getragen hat; selig sind,
die das Wort Gottes hören und bewahren‘ (Lk 11/27f). Es ist Gott
wertvoller, dass er geistig geboren werde von einer jeglichen
Jungfrau - will sagen - von einer jeglichen guten Seele, als dass er
von Maria leiblich geboren wurde.“ (Quint, S.256)
Ein unerhörter Satz, bei dessen Klang man zu Eckharts Zeiten schon
mit dem Holzsammeln für den Scheiterhaufen begann. Und doch hat
Eckhart einfach recht. Genau zitiert er den Christus, als die
Volksseele ihm zuruft: Selig ist der Leib, der dich getragen hat,
und die Brüste, an denen du gesogen hast. Ach, nicht nur zur
Weihnachtszeit bleiben wir an den vordergründigen Dingen kleben und
an ihrer Süßigkeit. Wie lieblich lächelt uns Maria aus unzähligen
Bildern und Figuren an. Wie schnell sind wir verschwunden im
weihnachtlichen Idyll mit seinen Annehmlichkeiten. Lassen wir uns um
Gottes Willen den Satz des Christus nicht entgehen: Selig sind, die
das Wort Gottes hören und bewahren. Hören wir ihn, wie Maria hört,
das Ohr dem Engel zugeneigt. Hören wir wie Maria an der Krippe, die
alles, was sie hört, in ihrem Herzen bewegt. Da liegt das eine Wort
Gottes in der Krippe und da ist es doch immer noch in ihr. „Wenn
sich der Mensch demütigt, kann Gott in seiner ihm eigenen Güte sich
nicht enthalten, sich in den demütigen Menschen zu senken und zu
gießen, und dem allergeringsten teilt er sich am allermeisten mit
und gibt sich ihm völlig.“ (Quint, S.259) So beschreibt Eckhart die
Menschwerdung Gottes, die in der Krippe stattfindet und zugleich in
allen, die sein Wort hören und bewahren.
Was also ist zu tun, damit es auch bei und in uns Weihnachten wird?
Wie demütigt sich der Mensch, damit Gott tun kann, was er immer
schon vorhat? Er braucht den zum Engel geneigten Kopf und das offene
Ohr. Und den schlichten Satz, den Maria am Ende sagt: Mir geschehe,
wie du gesagt hast. Der muss es schon sein. Denn der Christus fällt
nicht mit der Tür ins Haus. Er will eingelassen werden.
Aber Vorsicht. Der Christus hat eine Mission. Seine Mission ist es,
dich und mich heimzubringen in des ewigen Vaters innerstes Herz.
Mitten hinein in den „glühenden Backofen voller Liebe“, wie Luther
Gott einmal genannt hat. Auch davon erzählt Meister Eckhart am Ende
seiner Predigt zum Text: „Als Gott die (menschliche) Seele schuf,
schuf er sie nach seiner höchsten Vollkommenheit, auf dass sie eine
Braut des eingeborenen Sohnes sein sollte. Da der Sohn dies wohl
erkannte, so wollte er ausgehen aus seiner heimlichen Schatzkammer
der ewigen Vaterschaft, in der er ewiglich unausgesprochen innbleibend geschlafen hat.
(…) weil er seine Freundin erhöhen wollte,
die ihm der Vater von Ewigkeit her vermählt hatte, auf dass er sie
zurückbrächte in das Allerhöchste, aus dem sie gekommen ist. (…) Darum
also ging er aus und kam gesprungen wie ein Rehböcklein und erlitt
seine Pein aus Liebe; und nicht ging er so aus, ohne wieder eingehen
zu wollen mit seiner Braut in seine Kammer. Diese Kammer ist das
stille Dunkel der verborgenen Vaterschaft. Dort, wo er ausging aus
dem Allerhöchsten, dort wollte er wieder eingehen mit seiner Braut
(…).“(Quint S.260) Weihnachten erzählt die Geschichte vom Beginn
unserer Heimkehr zu Gott.
Es ist also kein Wunder, dass in der Weihnachtsgeschichte die Menge
der himmlischen Heerscharen aufmarschiert. Denn dort in der Krippe
liegt das größte Heil, das Gott dem Menschen je zuteilwerden ließ.
In der Krippe liegt das Christuskind. Und um die Krippe stehen
Gotteskinder. Sie sind in Christus durch Freud und Leid, durch Leben
und Tod nach Hause unterwegs.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
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Text:
26 Und im sechsten Monat wurde der Engel
Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt
Nazareth,
27 zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef
vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria.
28 Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du
Begnadete! Der Herr ist mit dir!
29 Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist
das?
30 Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! Du hast
Gnade bei Gott gefunden.
31 Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem
sollst du den Namen Jesus geben.
32 Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott
der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben,
33 und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein
Reich wird kein Ende haben.
34 Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch
von keinem Manne weiß?
35 Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird
über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten;
darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt
werden.
36 Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit
einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, sie,
von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei.
37 Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.
38 Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe,
wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.
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