Liebe Leser,
nichts ist so zerbrechlich wie eine Weihnachtsfeier. Deshalb gibt es
auch eine Vielzahl von Weihnachtsgeschichten, die sich mit dem
kläglichen Scheitern von besinnlichen Stunden befassen, was, ehrlich
gesagt, keine große Kunst ist. Groß ist die innere Erwartungshaltung und
es genügt schon ein falscher Ton, ein mühsames Dankeschön für ein
offensichtlich völlig daneben liegendes Geschenk und schon ist die
Heilige Nacht beim Teufel. Ganz zu schweigen von der stundenlang
zubereiteten Flugente, die entweder auf dem Teller zerfällt oder
wahrscheinlich mehr als zehntausend Flugstunden in der gebräunten Brust
hat. Oder nehmen wir die Kinder, die sich beim Krippenspiel nicht als
Christkinder, sondern als notorische Quengler und Störer erweisen, bei
der Bescherung als undankbare Nörgler und bei der Hausmusik den Zuhörern
das Wort „Kakophonie“ anhörlich erklären. Nichts ist so zerbrechlich wie
eine Weihnachtsfeier.
Das liegt daran, dass nichts so zerbrechlich ist, wie der Innenraum, den
wir der Weihnacht in unserem Herzen reservieren und den wir alle Jahre
wieder mit zitternder Hoffnung betreten. Das Jahr über war er
zugeschlossen und wir draußen in der bösen Welt. Jetzt an Weihnachten
würden wir in ihm gerne unsere Ruhe haben und die böse Welt draußen
lassen. Und alle Jahre lässt sie uns dann doch nicht allein.
Geben wir’s endlich auf! Geben wir’s endlich auf, der Weihnacht einen
stillen Winkel in unseren Herzen zu dekorieren und ihn mit falscher
Hoffnung anzufüllen. Dort wird kein Christkind geboren, sondern der
jährliche Frust. Denn an Weihnachten kommt Gott nicht in die
Herrgottswinkel dieser Erde, sondern zur Welt und zur bösen ganz
besonders. Und dort soll deshalb Weihnachten gefeiert werden.
Von nichts anderem singt der große Lobgesang der Maria. Maria hält
keinen Vortrag. Sie singt. Und Lieder trägt man nicht im Keller oder im
stillen Kämmerlein vor. Sie wollen zu Gehör bringen. Das Lied der Maria
will den zu Gehör bringen, von dem es singt: „Meine Seele erhebt den
Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes, denn er hat
die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.“ Zur Weihnacht schaut Gott mit
dem Blick seines Herzens in die finstere Welt; sieht dort Maria und
jeden von uns; schaut hinein in die Winkel des offensichtlichen und
versteckten Elends, das sich deshalb an Weihnachten so besonders
schlecht verstecken kann. Erschreckend ist das und tröstlich zugleich;
denn Gott bleib nicht beim Hinschauen stehen. Er schickt sich in unsere
Menschlichkeit hinein, verlässt seinen Herrgottswinkel in der
Herrlichkeit um als Mensch bei uns zu sein. Sein Erbarmen und seine
Menschwerdung sind eins. Erbärmlich sind die Umstände seiner Geburt und
erbärmlich ist der Säugling, um den die Engel schweben; wie wir alle
angewiesen auf die Brust seiner Mutter, auf die Zuwendung seines Vaters
und die Wärme der Tiere. Seht hier ist Gott und wahre Menschlichkeit
zugleich.
Weihnachten macht Maria nicht größer und auch keinen von uns. Gott zeigt
uns unser wahres menschliches Maß als ein gutes und geliebtes. Und
deshalb gilt: „Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig
sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt
die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen
leer ausgehen.“ Das ist nicht die Umwertung aller Werte und auch nicht
die religiöse Variante von der sozialistischen Gleichheit aller. Hier
handelt vielmehr der Gott, der dem entmenschlichten Menschen seine
Menschlichkeit zurückgibt und denjenigen, der ein Übermensch sein will,
auf das menschliche Maß zurückstutzt.
Gewaltig und gewalttätig kommen nicht nur die Diktatoren dieser Welt
daher. Gewaltig und gewalttätig kann auch das vermeintlich Gute werden,
das sich der Welt verordnen will und sich dabei notfalls den Weg
freischießt. Gewaltig und gewalttätig sind die modernen Ideologien vom
besseren Menschen und diejenigen, die in sein Erbgut eingreifen, um ihn
zu optimieren. Gewalttätig ist die Macht der Geschäftemacher, die für
den billigen Profit die Verschmutzung der Meere durch Millionen Tonnen
Öl riskieren, die Leerfischung der Ozeane, die Zerstörung der
Lebensgrundlagen. Gewalttätig ist jede Form der scheinbaren Steigerung
des eigenen Lebens auf Kosten anderer, der Ökosysteme und damit des
künftigen Lebens. Solches bleibt nicht ohne Folgen für das eigene.
Ein Ausleger schreibt: „Hochmut in allen Varianten seiner
Äußerungsformen entlarvt sich als (meist unwissentlicher) Versuch, den
Thron Gottes zu usurpieren – was in Wahrheit nicht einmal dem Usurpator
selber gut tut. ... Was ließe sich dem aus der Anschauung unserer
eigenen Zeit nicht alles hinzufügen! Führt nicht z.B die innere
Verelendung bei materiellem Überfluss in und um uns erschreckend vor
Augen, wie Gott die Reichen leer lässt?“ (H. Stoevesandt, in GPM, Heft
1, 4/2002, S. 37)
Schauen wir uns um. Auch wenn uns die Weihnachtsstimmung vergeht, wir
den weihnachtlichen Innenraum in unseren Herzen noch öder vorfinden und
unser Zeigefinger auf die böse Welt dann ganz schnell wieder in der
eigenen Tasche verschwindet. Geben wir’s endlich auf! Geben wir’s
endlich auf, an Weihnachten die Weihnacht selbst ausrichten zu wollen.
Folgen wir einfach der Einladung der Weihnachtsbotschaft an die Hirten
auf dem Felde. Machen wir uns auf zum Stall und zur Krippe und schauen
wir uns dieses Jesuskind an. Wir werden unsere Welt vorfinden, wie sie
nun mal meistens ist. Wir werden die Menschen vorfinden, wie sie nun mal
meistens sind. Aber wir werden uns und die ganze Welt als Welt finden,
um die sich an Weihnachten ganz menschliche Arme legen; Arme, zu denen
das liebende Herz des ewigen Gottes gehört. Das ist das eine und große
Gottesweihnachtsgeschenk.
Dann wird uns ziemlich egal sein, was es am Essen und der
Weihnachtsfeier und den Geschenken auszusetzen gibt. Denn in diesen
Armen werden wir lächelnd und glücklich ertragen, wie niedrig und klein
wir wirklich sind. Menschen eben und doch - Gottes Kinder zugleich! Mehr
kann man nicht werden und sein!
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
46 Und Maria sprach:
Meine Seele erhebt den Herrn,
47 und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes;
48 denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.
Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.
49 Denn er hat große Dinge an mir getan,
der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.
50 Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht
bei denen, die ihn fürchten.
51 Er übt Gewalt mit seinem Arm
und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.
52 Er stößt die Gewaltigen vom Thron
und erhebt die Niedrigen.
53 Die Hungrigen füllt er mit Gütern
und lässt die Reichen leer ausgehen.
54 Er gedenkt der Barmherzigkeit
und hilft seinem Diener Israel auf,
55 wie er geredet hat zu unsern Vätern,
Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.
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