Liebe Leser,
Tagebucheintrag der Maria, am Morgen der Heiligen
Nacht aus dem Jahre 0
Da liegt er vor mir und schlummert vor sich hin. Gewärmt von einem Fell,
das die Hirten dagelassen haben. Auch Joseph schläft noch. Nur der Esel
stöbert schon mit seiner Nase durch das Heu. Still ist es in dieser
Morgenstunde. Ungewohnt still nach dem Trubel der letzten Nacht. Dieser
kleine Wurm soll der Heiland sein? Mein Jesulein, das da in der Krippe
ganz süß träumt?
Vor neun Monaten war es, als mir ein Engel erschien. Ganz schön
erschrocken bin ich damals. Einen Sohn sollte ich bekommen, und der soll
einmal König sein. Das kündigte mir der Engel an. Und als ich dann
tatsächlich schwanger wurde, da wurde mir klar, dass Gott tatsächlich
Großes mit meinem Sohn vorhaben musste. Da habe ich dann einen großen
Lobgesang gedichtet. Doch die Zeit ging ins Land. Gestern Nachmittag
noch war ich fast am Verzweifeln: Die Geburt stand kurz bevor, doch
niemand wollte uns ein Zimmer für die Nacht geben. Dann fanden wir
diesen Stall! Kann es wirklich sein, dass mein Sohn König werden wird,
wie der Engel sagte? Ein König geboren in diesem armen Stall!
Doch dann, als ich mit vielen Mühen und Schmerzen die Geburt hinter mir
hatte, und Joseph meinen Jesus gerade in den Futtertrog bettete, da
kamen sie, die Hirten. Sie hatten auch eine Engelserscheinung wie ich
damals vor neun Monaten. Und sie teilten mir voller Ergriffenheit mit,
was die Engel ihnen offenbart hatten: „Siehe, ich verkündige euch große
Freude, die allem Volk widerfahren wird: denn euch ist heute der Heiland
geboren.“. Mein Herz bebte bei diesen Worten: Der Heiland ist geboren!
Dann stimmt es also wirklich, dass Gott mit meinem Sohn Großes vor hat,
dass mein Sohn unserem Land und Volk Heil bringen wird. Die Hirten haben
mir durch ihre Botschaft neue Gewissheit gebracht. Mein Jesulein, das
ist der Heiland!
Frieden, den haben wir nötig: So viele Menschen leiden unter der
Obrigkeit und den Reichen, die sich nicht um die Belange der kleinen
Leute scheren, die nur rechnen, wie sie selbst möglichst viel vom Kuchen
abbekommen. Oder die Hirten, die ein so schweres Leben führen. Aber auch
ich selber sehne mich nach Frieden: Noch hat mich Joseph nicht
geheiratet. Noch bist du, liebes Jesulein, unehelich. Was da blos die
Leute sagen werden, wenn wir wieder zu Hause in Nazareth sind? Ich kann
mir das Getuschel schon vorstellen. Frieden, den hat unsere kleine
Familie nötig. Und er soll ihn bringen. Ich kann es kaum glauben: Dieser
kleine Wurm!
Wie soll das zusammengehen? Ich sehe dich vor mir: Du bist ein ganz
normales Kind. Und dann das Wort, das die Engel über dich gesagt haben:
du sollst der Heiland sein. Und dann mein eigenes Leben: Wer wirst du
für mich sein? Wie soll das gehen, dass du uns Heil bringst? Viele
Gedanken schwirren mir durch den Kopf. Die Worte der Engel beschäftigen
mich. Du als der Heiland – wir werden ja sehen. Ach, jetzt scheinst du
aufzuwachen. Ich werde mal nach deiner Windel sehen.
Tagebucheintrag der Maria am Passahfest im Jahr 12
Endlich haben wir ihn wieder. Drei Tage haben wir ihn gesucht. Wir waren
zum Passahfest im Tempel, und da ging er uns verloren. Wir fanden ihn
dann im Tempel, mitten unter den Schriftgelehrten. Er diskutierte mit
ihnen. Mein Jesus konnte gar nicht verstehen, dass wir uns Sorgen
gemacht haben. Er sagte nur: „Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr
nicht, dass ich im Haus meines Vaters sein muss?“. Eine seltsame
Antwort. Ich bin jedenfalls froh, dass wir ihn wieder haben.
Ach wie schön war jenes Gefühl damals in der Heiligen Nacht, da habe ich
das Heil in meinem Herzen gespürt. Aber jetzt mitten im Alltag, mitten
im Leben, da ist alles anders, als es in der Heiligen Nacht war. Joseph
muss hart arbeiten, ich versorge Jesus und seine Geschwister. Euch ist
heute der Heiland geboren! Davon möchte ich so gerne etwas spüren. Oft
bewege ich vor dem Einschlafen diese Worte in meinem Herzen, die mir die
Hirten vor 12 Jahren überbrachten.
Tagebucheintrag der Maria im Sommer des Jahres 30
(Mk 3,31-35)
Ich verstehe meinen Sohn nicht mehr. Er hat nichts mehr von dem süßen
Kind in der Krippe an sich. Was heute passiert ist, das ist der Gipfel:
Ich wollte ihn mit ein paar meiner Kinder sprechen. Also ließen wir ihn
rufen. Einer der Jünger sagte zu ihm: „Deine Mutter und deine Brüder und
deine Schwestern draußen fragen nach dir.“. Und Jesus? Statt dass er zu
uns kam oder uns holen ließ, sagte er zu all den Versammelten: „Wer ist
meine Mutter und wer sind meine Brüder? Wer Gottes Willen tut, der ist
mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“. Er hat einfach so
getan, als würden wir nicht existieren!
Was ist nur aus ihm geworden. Wir haben ihn doch gut erzogen, ihn
gelehrt, was sich schickt und was nicht. Doch Jesus ist ganz anders
geworden. Er zieht umher wie so ein Landstreicher. Er hat Umgang mit
Bettlern, Aussätzigen, Zöllnern und sogar einem römischen Hauptmann. Und
jetzt hat er uns, seine eigene Familie, auch noch schroff zurückgewiesen
und beleidigt. Wir sind mit ihm jeden Sabbat in die Synagoge gegangen,
damit er in der Tradition unserer Mütter und Väter beten und glauben
lernt. Nun aber geht er nicht mehr so oft in die Synagoge und hört den
Lesungen zu. Vielmehr schart er Menschen um sich und predigt selbst. Und
er redet so ganz anders als unsere Schriftgelehrten. Er provoziert und
kritisiert. Er polarisiert, er bringt unsere gewohnte Ordnung in der
Gesellschaft und im Glauben durcheinander, wo sich doch alles seit
Jahrhunderten so gut eingespielt hat. Er spricht sogar mit Frauen über
den Glauben, wo das doch Männerdinge sind.
Euch ist heute der Heiland geboren. Wie soll aus so einem Verhalten Heil
entstehen? Nein, Jesus schenkt mir keinen Frieden. Ich tue mir schwer,
ihn zu verstehen oder mich auf ihn einzulassen. Sollte Gott wirklich
hinter seinem Reden und Tun stehen?
Ich weiß, andere sehen das so. Deshalb hat er ja so viele Anhänger. Ich
tue mir eben schwer damit, dass er mit solchen komischen Leuten Umgang
hat. Was sollen da bloß unsere Freunde und Verwandte denken? Viele
freilich fühlen sich wohl bei ihm. Denn wer geht sonst schon so
vorurteilsfrei auf einen jeden zu, speist und unterhält sich mit ihnen.
Da kommt mir gerade in den Sinn: Euch ist heute der Heiland geboren –
das gilt vielleicht schon für die, die da am Rande stehen. Er hat z.B.
den Aussätzigen geheilt. Jetzt ist der wieder in die Dorfgemeinschaft
aufgenommen. So etwas rührt auch mich in meinem Inneren an. Ich tue mir
aber dennoch schwer, mich auf seine Wege einzulassen. Ich dachte immer:
so und so muss Gott sein. Doch vielleicht muss ich wirklich neu hinsehen
und hinhören lernen, um Gottes Wesen und Willen zu entdecken. Vielleicht
muss ich mein Herz für seine Botschaft öffnen. „Ihr könnt nicht Gott und
dem Mammon dienen“, hat mein Sohn neulich gesagt. Irgendwie hat er da
schon recht. Er ruft uns zu einer Entscheidung. Vielleicht ist das auch
nötig, dass er so knallharte Worte findet. Er hat ein Herz für die
Hungernden und Armen. Den Armen würde es besser gehen, wenn sich mehr
Menschen von seinen Worten und Taten aufrütteln ließe. Es geht ja nicht
nur ums Geld. Er erzählt Gleichnisse von der Versöhnung und davon, wie
gut es tut, wache Augen für die Bedürfnisse des Menschen neben uns zu
haben.
Euch ist heute der Heiland geboren. Es könnte stimmen, denn bei ihm wird
die Gegenwart Gottes spürbar, und da verändern sich Menschen und
Beziehungen. Vielleicht sollte ich auch tiefer seiner Botschaft
nachspüren und abwarten, wie sie mich verändert und vielleicht auch
meine Sehnsüchte stillt?
Tagebucheintrag der Maria am Passahfest im Jahr 33
(Joh 19,25ff)
Mein Gesicht ist tränenüberströmt. Gerade haben sie ihn vom Kreuz
abgenommen und zum Grab gebracht. Mein Sohn ist tot! Ich klage dich an,
Gott! Das war nicht ausgemacht! Ich habe dir vertraut, ich dachte, wenn
ich dir diene und den Heiland austrage, dann wird alles gut, dann zieht
Freude ein. Warum hast du ihn nicht vor dem Tod bewahrt? Euch ist der
Heiland geboren – dass ich nicht lache. Was ist das für ein Heiland, der
am Kreuz hängt? Wie kann er da mir und dem ganzen Volk Heil schenken? Da
haben sie doch recht, die sagen: Gott hilft uns auch nicht. Das mit Gott
sind fromme Märchen. Ich glaube es jetzt fast selbst. Mein Leben ist
nicht heil, obwohl ich auf dich vertraut habe. Die Engel hatten nicht
recht.
Auch wenn das meine Freundin Maria von Magdala nicht so sieht. Mit
Tränen in den Augen hatte sie mir unter dem Kreuz zugeflüstert: „Jetzt
ist er wirklich soweit unten wie ich es war, als ich mich noch an Männer
verkauft habe. Jesus ist jetzt selber da, wo all die Menschen sind, die
leiden und sterben. Ihm ergeht es nicht besser. Mit ihm haben sie Gott
gekreuzigt, die Liebe gekreuzigt. Jetzt ist Gott wirklich ganz unten
angekommen, nicht nur im armen Stall, sondern auch mitten im Tod und
Leid.“.
Tagebucheintrag der Maria aus dem Jahr 35 (Apg
1,14)
Ich bin so glücklich. Ich gehöre jetzt mit Jesu Geschwistern fest zum
Kreis seiner Jüngerinnen und Jünger. Jeden Sonntag versammeln wir uns
zum Gottesdienst. Gerade haben wir Ostergottesdienst gefeiert. Heute vor
zwei Jahren war es, dass er auferstanden ist. Ich wollte es damals erst
gar nicht glauben: doch das Grab war leer, und er ist vielen seiner
Freunde erschienen. Als er sich dann sogar meinem Sohn Jakobus gezeigt
hatte, da ist in mir das Vertrauen ganz fest geworden: Ja, er lebt. Gott
hat den Tod überwunden und damit gezeigt, dass die Macht des Dunkels in
der Welt endgültig gebrochen ist. Gott ist in den Tod, ins Leid
gegangen. Gott hat dem Tod das Leben entgegengesetzt.
Es war mir so, als wäre er die ganze Zeit bei mir, als ich um ihn
weinte. Und viele andere erleben das auch: Es tröstet sie, dass er ihr
Dunkel kennt, weil er eben selbst im Dunkel des Todes war. Auch wenn er
das Dunkel nicht wegzaubert, so tut es gut, dass wir wissen: Unser
Dunkel ist nicht gottlos. Da ist Gott ganz nahe. So wie er Jesus im Tod
nahe war. Gott will das Dunkel überwinden, will es hell machen in uns.
Jetzt nach Ostern verstehe ich erst die Tiefe dieser Engelsworte aus der
Heiligen Nacht: Du bist wirklich der Heiland – auch für mich! Auch mir
bist du in der größten Not zur Seite gestanden. Jesus lebt, und ich
erlebe, wie er mit mir durchs Leben geht, mich stärkt und ermutigt. Da
hatten sie doch recht, die Engel: Euch ist der Heiland geboren. In
Gedanken gehe ich immer wieder zur Krippe und höre die Worte der Engel.
Sie werden mich nie mehr loslassen. Mein ganzes Leben lang habe ich sie
schon in meinem Herzen bewegt.
Ich habe es ja schon damals bei seinen Predigten geahnt, dass da Neues
aufbricht, dass er Menschen in die Freiheit führt. Gut, ich habe
gebraucht, bis ich das verstanden habe, dass er kein mächtiger König
sein wird, der mit starker Hand politischen Frieden schafft. Dafür hat
er mir und unserer ganzen Gemeinde viel mehr geschenkt: Wir wissen nun,
dass uns nichts von Gott trennt, keine Schuld, keine Not, kein Dunkel.
Wir wissen, dass er bei uns ist. Das tröstet uns, daraus gewinnen wir
Kraft und Energie. Und wir tragen diesen Frieden weiter: Wir tun es ihm
nach, und sind für andere Menschen da, tun ihnen Gutes, trösten sie,
stehn ihnen zur Seite und erzählen ihnen von der Gegenwart Gottes.
Dadurch wächst unsere Gemeinde, und immer mehr Menschen sind auf dem
Weg, dieses Heil in der Tiefe ihres Herzens zu finden. In mir jedenfalls
klingen die Worte der Engel nach: Euch ist heute der Heiland geboren!
Nachtrag zum Tagebuch der Maria von Michael
Heuffner aus dem Jahre 1511
Heute habe ich den gotischen Marienaltar in Hof fertiggestellt. Ganz
unten, unter den Figuren der Maria mit Jesuskind, der Heiligen Katharina
und Barbara, da habe ich den Tod der Maria dargestellt, die in Gegenwart
der 12 Apostel selig entschläft. Warum ich ihren Tod mit abgebildet
habe? Ich musste es tun. Maria hat mich beeindruckt. Zeit ihres Lebens
hat sie die Worte der Hirten in ihrem Herzen bewahrt und bewegt. Sie hat
ihr Leben immer wieder mit Gott in Zusammenhang gebracht – und damit
wird man zeitlebens nicht fertig. Nach vielen Irritationen hat sie
entdeckt, dass Jesus ihr Heil und Frieden bringt. Aus den Worten der
Engel hat sie Trost und Hoffnung für sich und die Welt geschöpft. Und so
war ihr Tod geprägt vom Vertrauen auf Gottes Mitsein auch im größten
Dunkel des Lebens.
Meine Altarschnitzerei soll dazu einladen, dass uns alle die Botschaft
der Heiligen Nacht immer wieder in Bewegung bringt und wir wie Maria in
unserem eigenen Leben die Worte der Engel bewegen, uns von Christus in
Frage stellen lassen und zum Vertrauen auf Gott finden. Denn Gott will,
dass unser Leben frei wird und wir Geborgenheit finden.
Vikar Jörg Mahler (Hospitalkirche
Hof) |
Text:
15 Und als die Engel von ihnen gen Himmel
fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach
Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns
der Herr kundgetan hat.
16 Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das
Kind in der Krippe liegen.
17 Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das
zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.
18 Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die
Hirten gesagt hatten.
19 Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem
Herzen.
20 Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für
alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt
war. |