Predigt     Lukas 2/15-20     Weihnachten I    25.12.08

"Sie aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen"
(von Vikar Jörg Mahler, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

Tagebucheintrag der Maria, am Morgen der Heiligen Nacht aus dem Jahre 0

Da liegt er vor mir und schlummert vor sich hin. Gewärmt von einem Fell, das die Hirten dagelassen haben. Auch Joseph schläft noch. Nur der Esel stöbert schon mit seiner Nase durch das Heu. Still ist es in dieser Morgenstunde. Ungewohnt still nach dem Trubel der letzten Nacht. Dieser kleine Wurm soll der Heiland sein? Mein Jesulein, das da in der Krippe ganz süß träumt?

Vor neun Monaten war es, als mir ein Engel erschien. Ganz schön erschrocken bin ich damals. Einen Sohn sollte ich bekommen, und der soll einmal König sein. Das kündigte mir der Engel an. Und als ich dann tatsächlich schwanger wurde, da wurde mir klar, dass Gott tatsächlich Großes mit meinem Sohn vorhaben musste. Da habe ich dann einen großen Lobgesang gedichtet. Doch die Zeit ging ins Land. Gestern Nachmittag noch war ich fast am Verzweifeln: Die Geburt stand kurz bevor, doch niemand wollte uns ein Zimmer für die Nacht geben. Dann fanden wir diesen Stall! Kann es wirklich sein, dass mein Sohn König werden wird, wie der Engel sagte? Ein König geboren in diesem armen Stall!

Doch dann, als ich mit vielen Mühen und Schmerzen die Geburt hinter mir hatte, und Joseph meinen Jesus gerade in den Futtertrog bettete, da kamen sie, die Hirten. Sie hatten auch eine Engelserscheinung wie ich damals vor neun Monaten. Und sie teilten mir voller Ergriffenheit mit, was die Engel ihnen offenbart hatten: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird: denn euch ist heute der Heiland geboren.“. Mein Herz bebte bei diesen Worten: Der Heiland ist geboren! Dann stimmt es also wirklich, dass Gott mit meinem Sohn Großes vor hat, dass mein Sohn unserem Land und Volk Heil bringen wird. Die Hirten haben mir durch ihre Botschaft neue Gewissheit gebracht. Mein Jesulein, das ist der Heiland!

Frieden, den haben wir nötig: So viele Menschen leiden unter der Obrigkeit und den Reichen, die sich nicht um die Belange der kleinen Leute scheren, die nur rechnen, wie sie selbst möglichst viel vom Kuchen abbekommen. Oder die Hirten, die ein so schweres Leben führen. Aber auch ich selber sehne mich nach Frieden: Noch hat mich Joseph nicht geheiratet. Noch bist du, liebes Jesulein, unehelich. Was da blos die Leute sagen werden, wenn wir wieder zu Hause in Nazareth sind? Ich kann mir das Getuschel schon vorstellen. Frieden, den hat unsere kleine Familie nötig. Und er soll ihn bringen. Ich kann es kaum glauben: Dieser kleine Wurm!

Wie soll das zusammengehen? Ich sehe dich vor mir: Du bist ein ganz normales Kind. Und dann das Wort, das die Engel über dich gesagt haben: du sollst der Heiland sein. Und dann mein eigenes Leben: Wer wirst du für mich sein? Wie soll das gehen, dass du uns Heil bringst? Viele Gedanken schwirren mir durch den Kopf. Die Worte der Engel beschäftigen mich. Du als der Heiland – wir werden ja sehen. Ach, jetzt scheinst du aufzuwachen. Ich werde mal nach deiner Windel sehen.

Tagebucheintrag der Maria am Passahfest im Jahr 12

Endlich haben wir ihn wieder. Drei Tage haben wir ihn gesucht. Wir waren zum Passahfest im Tempel, und da ging er uns verloren. Wir fanden ihn dann im Tempel, mitten unter den Schriftgelehrten. Er diskutierte mit ihnen. Mein Jesus konnte gar nicht verstehen, dass wir uns Sorgen gemacht haben. Er sagte nur: „Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht, dass ich im Haus meines Vaters sein muss?“. Eine seltsame Antwort. Ich bin jedenfalls froh, dass wir ihn wieder haben.

Ach wie schön war jenes Gefühl damals in der Heiligen Nacht, da habe ich das Heil in meinem Herzen gespürt. Aber jetzt mitten im Alltag, mitten im Leben, da ist alles anders, als es in der Heiligen Nacht war. Joseph muss hart arbeiten, ich versorge Jesus und seine Geschwister. Euch ist heute der Heiland geboren! Davon möchte ich so gerne etwas spüren. Oft bewege ich vor dem Einschlafen diese Worte in meinem Herzen, die mir die Hirten vor 12 Jahren überbrachten.

Tagebucheintrag der Maria im Sommer des Jahres 30 (Mk 3,31-35)

Ich verstehe meinen Sohn nicht mehr. Er hat nichts mehr von dem süßen Kind in der Krippe an sich. Was heute passiert ist, das ist der Gipfel: Ich wollte ihn mit ein paar meiner Kinder sprechen. Also ließen wir ihn rufen. Einer der Jünger sagte zu ihm: „Deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir.“. Und Jesus? Statt dass er zu uns kam oder uns holen ließ, sagte er zu all den Versammelten: „Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? Wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“. Er hat einfach so getan, als würden wir nicht existieren!

Was ist nur aus ihm geworden. Wir haben ihn doch gut erzogen, ihn gelehrt, was sich schickt und was nicht. Doch Jesus ist ganz anders geworden. Er zieht umher wie so ein Landstreicher. Er hat Umgang mit Bettlern, Aussätzigen, Zöllnern und sogar einem römischen Hauptmann. Und jetzt hat er uns, seine eigene Familie, auch noch schroff zurückgewiesen und beleidigt. Wir sind mit ihm jeden Sabbat in die Synagoge gegangen, damit er in der Tradition unserer Mütter und Väter beten und glauben lernt. Nun aber geht er nicht mehr so oft in die Synagoge und hört den Lesungen zu. Vielmehr schart er Menschen um sich und predigt selbst. Und er redet so ganz anders als unsere Schriftgelehrten. Er provoziert und kritisiert. Er polarisiert, er bringt unsere gewohnte Ordnung in der Gesellschaft und im Glauben durcheinander, wo sich doch alles seit Jahrhunderten so gut eingespielt hat. Er spricht sogar mit Frauen über den Glauben, wo das doch Männerdinge sind.

Euch ist heute der Heiland geboren. Wie soll aus so einem Verhalten Heil entstehen? Nein, Jesus schenkt mir keinen Frieden. Ich tue mir schwer, ihn zu verstehen oder mich auf ihn einzulassen. Sollte Gott wirklich hinter seinem Reden und Tun stehen?
Ich weiß, andere sehen das so. Deshalb hat er ja so viele Anhänger. Ich tue mir eben schwer damit, dass er mit solchen komischen Leuten Umgang hat. Was sollen da bloß unsere Freunde und Verwandte denken? Viele freilich fühlen sich wohl bei ihm. Denn wer geht sonst schon so vorurteilsfrei auf einen jeden zu, speist und unterhält sich mit ihnen.

Da kommt mir gerade in den Sinn: Euch ist heute der Heiland geboren – das gilt vielleicht schon für die, die da am Rande stehen. Er hat z.B. den Aussätzigen geheilt. Jetzt ist der wieder in die Dorfgemeinschaft aufgenommen. So etwas rührt auch mich in meinem Inneren an. Ich tue mir aber dennoch schwer, mich auf seine Wege einzulassen. Ich dachte immer: so und so muss Gott sein. Doch vielleicht muss ich wirklich neu hinsehen und hinhören lernen, um Gottes Wesen und Willen zu entdecken. Vielleicht muss ich mein Herz für seine Botschaft öffnen. „Ihr könnt nicht Gott und dem Mammon dienen“, hat mein Sohn neulich gesagt. Irgendwie hat er da schon recht. Er ruft uns zu einer Entscheidung. Vielleicht ist das auch nötig, dass er so knallharte Worte findet. Er hat ein Herz für die Hungernden und Armen. Den Armen würde es besser gehen, wenn sich mehr Menschen von seinen Worten und Taten aufrütteln ließe. Es geht ja nicht nur ums Geld. Er erzählt Gleichnisse von der Versöhnung und davon, wie gut es tut, wache Augen für die Bedürfnisse des Menschen neben uns zu haben.

Euch ist heute der Heiland geboren. Es könnte stimmen, denn bei ihm wird die Gegenwart Gottes spürbar, und da verändern sich Menschen und Beziehungen. Vielleicht sollte ich auch tiefer seiner Botschaft nachspüren und abwarten, wie sie mich verändert und vielleicht auch meine Sehnsüchte stillt?

Tagebucheintrag der Maria am Passahfest im Jahr 33 (Joh 19,25ff)

Mein Gesicht ist tränenüberströmt. Gerade haben sie ihn vom Kreuz abgenommen und zum Grab gebracht. Mein Sohn ist tot! Ich klage dich an, Gott! Das war nicht ausgemacht! Ich habe dir vertraut, ich dachte, wenn ich dir diene und den Heiland austrage, dann wird alles gut, dann zieht Freude ein. Warum hast du ihn nicht vor dem Tod bewahrt? Euch ist der Heiland geboren – dass ich nicht lache. Was ist das für ein Heiland, der am Kreuz hängt? Wie kann er da mir und dem ganzen Volk Heil schenken? Da haben sie doch recht, die sagen: Gott hilft uns auch nicht. Das mit Gott sind fromme Märchen. Ich glaube es jetzt fast selbst. Mein Leben ist nicht heil, obwohl ich auf dich vertraut habe. Die Engel hatten nicht recht.

Auch wenn das meine Freundin Maria von Magdala nicht so sieht. Mit Tränen in den Augen hatte sie mir unter dem Kreuz zugeflüstert: „Jetzt ist er wirklich soweit unten wie ich es war, als ich mich noch an Männer verkauft habe. Jesus ist jetzt selber da, wo all die Menschen sind, die leiden und sterben. Ihm ergeht es nicht besser. Mit ihm haben sie Gott gekreuzigt, die Liebe gekreuzigt. Jetzt ist Gott wirklich ganz unten angekommen, nicht nur im armen Stall, sondern auch mitten im Tod und Leid.“.

Tagebucheintrag der Maria aus dem Jahr 35 (Apg 1,14)

Ich bin so glücklich. Ich gehöre jetzt mit Jesu Geschwistern fest zum Kreis seiner Jüngerinnen und Jünger. Jeden Sonntag versammeln wir uns zum Gottesdienst. Gerade haben wir Ostergottesdienst gefeiert. Heute vor zwei Jahren war es, dass er auferstanden ist. Ich wollte es damals erst gar nicht glauben: doch das Grab war leer, und er ist vielen seiner Freunde erschienen. Als er sich dann sogar meinem Sohn Jakobus gezeigt hatte, da ist in mir das Vertrauen ganz fest geworden: Ja, er lebt. Gott hat den Tod überwunden und damit gezeigt, dass die Macht des Dunkels in der Welt endgültig gebrochen ist. Gott ist in den Tod, ins Leid gegangen. Gott hat dem Tod das Leben entgegengesetzt.

Es war mir so, als wäre er die ganze Zeit bei mir, als ich um ihn weinte. Und viele andere erleben das auch: Es tröstet sie, dass er ihr Dunkel kennt, weil er eben selbst im Dunkel des Todes war. Auch wenn er das Dunkel nicht wegzaubert, so tut es gut, dass wir wissen: Unser Dunkel ist nicht gottlos. Da ist Gott ganz nahe. So wie er Jesus im Tod nahe war. Gott will das Dunkel überwinden, will es hell machen in uns. Jetzt nach Ostern verstehe ich erst die Tiefe dieser Engelsworte aus der Heiligen Nacht: Du bist wirklich der Heiland – auch für mich! Auch mir bist du in der größten Not zur Seite gestanden. Jesus lebt, und ich erlebe, wie er mit mir durchs Leben geht, mich stärkt und ermutigt. Da hatten sie doch recht, die Engel: Euch ist der Heiland geboren. In Gedanken gehe ich immer wieder zur Krippe und höre die Worte der Engel. Sie werden mich nie mehr loslassen. Mein ganzes Leben lang habe ich sie schon in meinem Herzen bewegt.

Ich habe es ja schon damals bei seinen Predigten geahnt, dass da Neues aufbricht, dass er Menschen in die Freiheit führt. Gut, ich habe gebraucht, bis ich das verstanden habe, dass er kein mächtiger König sein wird, der mit starker Hand politischen Frieden schafft. Dafür hat er mir und unserer ganzen Gemeinde viel mehr geschenkt: Wir wissen nun, dass uns nichts von Gott trennt, keine Schuld, keine Not, kein Dunkel. Wir wissen, dass er bei uns ist. Das tröstet uns, daraus gewinnen wir Kraft und Energie. Und wir tragen diesen Frieden weiter: Wir tun es ihm nach, und sind für andere Menschen da, tun ihnen Gutes, trösten sie, stehn ihnen zur Seite und erzählen ihnen von der Gegenwart Gottes. Dadurch wächst unsere Gemeinde, und immer mehr Menschen sind auf dem Weg, dieses Heil in der Tiefe ihres Herzens zu finden. In mir jedenfalls klingen die Worte der Engel nach: Euch ist heute der Heiland geboren!

Nachtrag zum Tagebuch der Maria von Michael Heuffner aus dem Jahre 1511

Heute habe ich den gotischen Marienaltar in Hof fertiggestellt. Ganz unten, unter den Figuren der Maria mit Jesuskind, der Heiligen Katharina und Barbara, da habe ich den Tod der Maria dargestellt, die in Gegenwart der 12 Apostel selig entschläft. Warum ich ihren Tod mit abgebildet habe? Ich musste es tun. Maria hat mich beeindruckt. Zeit ihres Lebens hat sie die Worte der Hirten in ihrem Herzen bewahrt und bewegt. Sie hat ihr Leben immer wieder mit Gott in Zusammenhang gebracht – und damit wird man zeitlebens nicht fertig. Nach vielen Irritationen hat sie entdeckt, dass Jesus ihr Heil und Frieden bringt. Aus den Worten der Engel hat sie Trost und Hoffnung für sich und die Welt geschöpft. Und so war ihr Tod geprägt vom Vertrauen auf Gottes Mitsein auch im größten Dunkel des Lebens.

Meine Altarschnitzerei soll dazu einladen, dass uns alle die Botschaft der Heiligen Nacht immer wieder in Bewegung bringt und wir wie Maria in unserem eigenen Leben die Worte der Engel bewegen, uns von Christus in Frage stellen lassen und zum Vertrauen auf Gott finden. Denn Gott will, dass unser Leben frei wird und wir Geborgenheit finden.

Vikar Jörg Mahler  (Hospitalkirche Hof)

Text:

15 Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.
16 Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen.
17 Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.
18 Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten.
19 Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.
20 Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.


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