Liebe Leser,
in dem Film „Babettes Fest“ von 1988 wird von einer Meisterköchin
erzählt, die in den Wirren des Bürgerkrieges von 1871 aus Paris
fliehen muss. Sie findet Unterschlupf bei zwei alten Jungfern, die
Schwestern sind und an der Küste Jütlands ein kärgliches und
puritanisches Leben führen. So wurden sie von ihrem Vater erzogen.
Die Dorfgemeinschaft besteht aus Menschen, die wir alle kennen. Sie
sind oft unglücklich, zerstritten, voller Schuldgefühle und voller
Schuldzuweisungen an andere. Sie kämpfen mit den verpassten Chancen
in ihrem Leben und machen auch anderen das Leben schwer.
Nach 14 Jahren gewinnt Babette 10.000 Franc im Lotto. Von diesem
Geld richtet sie den Menschen, mit denen sie lebt, ein Festmahl aus,
das aus vielen Gängen besteht - einer besser und raffinierter als
der andere. Und der Zuschauer erlebt, wie sich während des Essens
und Trinkens die Menschen verändern. Sie wenden sich einander zu,
sie fangen an zu genießen, sie fangen an zu leben! Als am Ende die
Früchte auf dem Tisch stehen, hält ein alter General eine kleine
Rede und sagt: „Der Mensch in seiner Schwachheit und Kurzsichtigkeit
denkt, er müsse hier im Leben eine Wahl treffen und fürchtet die
Gefahr, die er dabei läuft. Wir kennen diese Furcht. Aber nein,
unsere Wahl hat nicht die mindeste Bedeutung. Doch es kommt der
Augenblick, da wir endlich sehend werden und wir auf einmal erkennen
lernen, dass die Gnade unendlich ist. Wir müssen sie nur
vertrauensvoll erwarten und in Dankbarkeit hinnehmen. Die Gnade
stellt keine Bedingungen. Und siehe da, alles, was wir erwählt
haben, es wird uns geschenkt; alles, was wir uns verweigert haben,
wird uns zuteil, auch was wir einst verworfen haben - selbst das
bekommen wir zurück.“ (Dr. Kay-Ulrich Bronk, GPM 2/2009, Heft 3,
S.347)
Das klingt nicht nur wie eine Predigt, das ist eine Predigt. So als
wäre das Festessen für alle, die es erlebt haben, ein Symbol, nein
wohl eher ein Medium der Gnade Gottes und eine Quelle der
Gotteserkenntnis gewesen, die ja immer auch eine Erkenntnis unseres
eigenen Lebens ist.
Rudolf Otto hieß der Theologe, der vor 100 Jahren in einem berühmt
gewordenen Buch über „Das Heilige“ nachdachte. In der Bibel gibt es
eine Reihe von Berichten über direkte Begegnungen mit Gott, die ja
nichts anderes als Berichte über die Zustände der Seele von Menschen
sind, denen solches widerfuhr. „Ach siehe, ich habe mich
unterwunden, zu reden mit dem Herrn, wiewohl ich Erde und Asche
bin“, ruft Abraham aus. „Rudolf Otto zitiert einen Erlebnisbericht:
‚Ich empfand in diesem Augenblick nichts als unaussprechliche Freude
und Wonne. (…) Es ist wie die Wirkung eines großen Orchesters, wenn
alle einzelnen Töne zu einer Harmonie zusammenschmelzen, die in dem
Zuhörer nur das Gefühl erweckt, dass seine Seele emporgehoben wird
und vor Entzücken fast zerspringt.‘ Die Seele zerspringt, die Netze
reißen.“ (Dr. Kay-Ulrich Bronk, aaO. S.345)
Womit wir über Babettes Fest und Abrahams Ausruf bei Petrus im Boot
wären. Denn was ist seine Erfahrung mit den unglaublich vollen
Netzen anderes, als eine Gotteserfahrung in einem sehr irdischen
Glück? „Wahnsinn“ wird er noch gemurmelt haben, als er am Netz zog
und da brach seine Welt mit all ihren Höhen und Tiefen, mit all
ihren Freuden und Enttäuschungen, aber auch mit all seinen
Gewissheiten in einem noch nie dagewesenen Glück zusammen.
Not lehrt beten. So haben wir‘s gelernt. Und so sind wir vielleicht
je älter wir werden und je länger wir leben, desto mehr blind und
taub dafür geworden, wie schön das Glück uns hilflos und sprachlos
machen kann, selbstvergessen machen kann, alle Enttäuschungen, alle
Mutlosigkeit, alle Demütigungen, alle bösen Träume vertreiben kann.
Weil wir gelernt haben, dass das Leid ein Anlass zur Suche nach Gott
sein kann, haben wir vielleicht nie gelernt, dass auch das Glück uns
nicht nur zu Gott locken will, sondern wirklich ein Medium der
Gotteserfahrung sein kann.
Die Liebe zum Beispiel. In der christlichen Theologie ist die Liebe
zwischen Menschen vor allem ein Bild, ein Vergleich, eine Metapher
für die Liebe Gottes zu seinem Volk. Bei Navid Kermani, der die
islamische Mystik so unvergleichlich erklärt, kann man lernen, dass
sie nicht nur ein Bild, sondern ein Medium der Liebe Gottes sein
kann, also etwas, in dem sich Gott erfahren lässt. Meister Eckhart,
der christliche Mystiker, der auch die islamischen Meister gelesen
hat, hätte dem sofort zugestimmt. Alle Schönheit und alles Glück
dieser Welt hängt Gott an seine große Angel, damit wir anbeißen und
er uns zu sich ziehen kann.
Was hat die Kirche bloß angerichtet, als sie die Liebe zwischen
Menschen unter Generalverdacht gestellt und als Quelle der
Sündhaftigkeit des Menschen schlechthin hingestellt hat? Der
Theologe Fulbert Steffensky erntete bei seiner Bibelarbeit auf den
Stuttgarter Kirchentag zurecht den größten Lacher, als er von einer
christlich-fundamentalistischen Bekehrungsschrift erzählte, in der
das Wort Erotik durchgehend mit Doppel–R geschrieben war. Es gibt
nicht nur eine pornographische, sondern auch eine christliche
Verhöhnung der Liebe!
Lasst uns dem zum Trotz über das große und das kleine, das
himmlische und das himmlische im irdischen Glück reden! Wir tun das
in der Kirche viel zu wenig. Ja, schon wahr: An Petrus können wir
sehen, dass das Glück immer etwas Ungeordnetes, etwas Anarchisches
hat. Es wird auch die Lebensverhältnisse des Petrus
durcheinanderbringen. Es wird nichts mehr sein wie vorher. Denn
dieses Glück ist erst Freude, dann Erschütterung und dann
Faszination, die nicht mehr loslässt. Ein Ausleger schreibt: „Der
Moment des geschenkten Glücks ist eine Krise, in der Menschen sich
selbst radikaler, d.h. schutzloser und ehrlicher wahrnehmen und in
der Konsequenz einen neuen Weg einschlagen können. Es ist eine
Theophanie des Glücks – oder genauer: eine Theophanie in einem sehr
irdischen Glück, die Petrus in die Nachfolge ruft. Demnach sind es
nicht nur die lebensbedrängenden, sondern vielfach auch die
lebensbeglückenden Krisen, die Umkehr und Perspektivwechsel möglich
machen.“ (Dr. Kay-Ulrich Bronk, aaO. S.346)
Ja, Ihr Lieben, wollt ihr denn wirklich warten, bis ihr alt und
krank geworden seid, um Euer Leben als das zu begreifen, was es ist?
Eine unablässige Folge von Momenten der Nähe Gottes. Wie sagt der
alte General auf Babettes Fest: „Doch es kommt der Augenblick, da
wir endlich sehend werden und wir auf einmal erkennen lernen, dass
die Gnade unendlich ist.“ Und das ist auch der Moment, in dem wir
uns selbst erkennen: Asche und Staub, sagt Abraham. Ich bin ein
sündiger Mensch, sagt Petrus. Nein, das ist hier wirklich nicht
moralisch gemeint! Beides sagt: Gott, ich bin ein Nichts vor dir und
ein Nichts ohne dich. Die Mystiker sprechen vom Vergehen, ja von der
Vernichtung des eigenen Selbst in der Glut der Liebe Gottes. Gott
bewirkt es, aber es ist die Macht seiner Liebe. Es ist keine
Erniedrigung und kein Zunichtewerden, sondern eine Erhöhung in die
Gegenwart und die Gemeinschaft des dreieinigen Gottes. Weißt du
nicht, schreibt der Apostel Paulus, dass die Güte Gottes dich zur
Umkehr treibt? (Römer 2,4)
Damit wir das erfahren, kennt Gott viele Momente, in denen er uns
lockt, indem er uns mit Glück überschüttet: mit erlesenen Speisen
bei Babettes Fest oder mit Fischen auf dem See Genezareth, mit nicht
mehr erhoffter und unerwarteter Liebe und Freundschaft, mit dem
Glück der Geburt eines Kindes oder mit einem Vogelkonzert bei
Sonnenaufgang nach einer schlaflosen Nacht. Gottesgeschenke. Gebe
Gott, dass wir wenigsten einen dieser Momente auch wahrnehmen als
das, was er ist.
Denn wir können uns ja wirklich einen Petrus vorstellen, der zu
Jesus sagt: Chef, es ist Blödsinn jetzt nochmal rauszufahren, denn
in der Mittagshitze hat noch nie ein Mensch irgendwas gefangen. Nix
für ungut, aber ich flick jetzt meine Netze und hau mich dann aufs
Ohr, denn ich hab eine Familie zu ernähren und meine Verpflichtungen
und heut Nacht muss ich wieder fischen gehen. Und überhaupt: Was
würden denn die anderen dazu sagen. Die würden doch denken, ich
spinne. Den Petrus kennen wir alle. Und wir sind so oft so verdammt
unglücklich mit ihm.
Deshalb lasst uns auf das Wort des Christus hin noch einmal
hinausfahren und die Netze auswerfen, damit Gott sie uns füllen
kann. Und damit wir den aus dem 19. Jahrhundert stammenden Spruch
Lügen strafen, nach dem wir als Originale geboren werden und als
Kopien des jeweiligen Zeitgeistes sterben. Nein, unser Leben ist
keine Wüste und kein unendliches Jammertal. Es ist ein Leben in der
Gegenwart Gottes. Und wo Gott ist, ist Glück und Freude oder wie der
Christus sagt: das Himmelreich.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
1 Es begab sich aber, als sich die Menge zu
ihm drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See
Genezareth
2 und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren
ausgestiegen und wuschen ihre Netze.
3 Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn,
ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die
Menge vom Boot aus.
4 Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre
hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!
5 Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze
Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich
die Netze auswerfen.
6 Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre
Netze begannen zu reißen.
7 Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie
sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide
Boote voll, sodass sie fast sanken.
8 Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr,
geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.
9 Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die bei ihm waren,
über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten,
10 ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons
Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an
wirst du Menschen fangen.
11 Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und
folgten ihm nach.
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