Liebe
Leser,
so ist das samstags immer: Vor mir liegt ein leeres
Blatt Papier, auf dem einmal eine Predigt stehen soll. Und dann auch
noch über so einen bekannten Text. Der Fischzug des Petrus. Ist der
nicht schon gehörig leergefischt? Lohnt da die Mühe? Oder ist sie
vergeblich?
Ein Ausleger schreibt: Der See scheint leergefischt zu sein, aus dem
sich seit Jahrhunderten die Netze, die Boote der Kirche überreich
gefüllt hatten. Es ist, als ob die kirchlichen Kähne müde dahindümpelten
und die Bischöfe nur noch leere Netze wüschen. (...) Wie viele Pfarrer
und kirchliche Mitarbeiter kennen das nicht: das Gefühl der
Vergeblichkeit. Die Arbeit geht scheinbar ins Leere. Es lohnt nicht
mehr. Die guten Zeiten sind lange vorbei.
Aber auf dein Wort ...
Aber auf dein Wort, Herr Jesus. Einen anderen Grund gibt es ja nicht
mehr, noch einmal hinauszufahren. Einen anderen Grund gibt es ja nicht,
ein leeres Blatt mit einer Predigt zu füllen. Einen anderen Grund gibt
es ja nicht, ein Christenmensch zu sein.
Hat Simon genannt Petrus damals mitleidig gelächelt? Als erfahrener
Fischer weiß er schließlich, dass die Fische nachts an die Oberfläche
steigen und zum Morgen wieder hinab in die Tiefe, wo die Netze sie nicht
erreichen. Nachts waren sie draußen und hatten nichts gefangen außer
Dreck, den sie jetzt todmüde aus den Netzen waschen. Nichts Essbares
dabei, das Leib und Seele zusammenhält.
Hat Simon genannt Petrus damals mitleidig gelächelt, als Jesus ihn
auffordert noch einmal hinauszufahren und zu fischen? Hat er vielleicht
auch gelächelt, als er begann, das Netz wieder heraufzuziehen? Leer wird
es sein und gleich wird er es Jesus zeigen, es vielleicht über dem Kopf
im Kreis schwingen, damit Jesus sieht wie leer es ist. Fischen am
helllichten Tag. Ein hoffnungsloses und vergebliches Unterfangen. Und so
zieht Petrus am Netz und da stürzt eine Hoffnungslosigkeit, eine
Vergeblichkeit in sich zusammen. Und wie!
Wahnsinn! Hat Petrus vielleicht gemurmelt, denn ein Schrecken hatte ihn
erfasst und alle, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie
miteinander getan hatten. Schrecken über einen Misserfolg, der nicht
eintrifft. Schrecken über eine Vergeblichkeit, die sich nicht bestätigt.
Schrecken über eine Hoffnungslosigkeit, die widerlegt wird.
„Was für ein Schrecken“, schreibt Peter Handke in einem frühen Gedicht:
(...)
über alles Genießbare, an dem sich noch kein Preiszettel befindet
über jede Bank, die noch nicht ausgeraubt ist
über jedes Foto, auf dem noch keine gestrichelte Linie eingezeichnet ist
über jeden Laden, der noch nicht wegen Todesfall geschlossen ist
über jede Mücke auf dem Arm, die nicht zusticht
(...)
über jeden Ort, der sich auch in Wirklichkeit dort befindet, wo ihn die
Landkarte eingezeichnet hat.
(...)
Erschrecken über nicht erschrecken
erschrecken über sich freuen
sich freuen über erschrecken:
(...)
Diese Wüste ist eine Fata Morgana (Peter Handke „Erschrecken“ aus “Die
Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“, 1969)
Das ist es, worüber die Fischer erschrecken: Diese Vergeblichkeit, diese
Hoffnungslosigkeit ihres Fischzugs ist eine Fata Morgana. Es ist ihre
erste große Glaubenserfahrung.
Auf dein Wort hin. Auf Jesu Wort hin, das ist die Bedingung. Es ist ein
besonders unter evangelischen Christen verbreitetes Missverständnis,
wenn die reformatorischen Ausschließlichkeitsartikel, allein die
Schrift, allein der Glaube, allein Christus, als Rechtfertigung der
eigenen Bewegungslosigkeit gedeutet werden.
Und ebenso gibt es einen Unglauben, der sich mit dem Festhalten an
seinen Glaubenssätzen am Leben erhält. Stellen wir uns einen Petrus vor,
der am Ufer bleibt und zu Jesus sagt: Alles was recht ist, Chef, aber es
ist Schwachsinn jetzt rauszufahren. Nie hat jemand um diese Tageszeit
etwas gefangen. Das geht nicht und das gibt’s nicht.
Einem solchen Petrus kann Jesus weder die Augen öffnen und Glauben
schenken, noch die Netze füllen. Petrus muss seinen Kahn schon flott
machen und sei es überlegen lächelnd und kopfschüttelnd. Der Herr
Pfarrer muss samstags schon das hoffnungslos leere Blatt Papier und die
Aussicht auf hoffnungslos leere Kirchenbänke aushalten. Einer, der seine
Einsamkeit beklagt, muss schon die Tür aufmachen, wenn es klingelt. Und
wir füllen ja auch freitags in der aberwitzigsten Hoffnung unseren
Lottoschein aus. Denn nur wer mitmacht kann gewinnen. Aber
Glaubenserfahrung soll uns im Liegen wie eine gebratene Taube in den
Mund fliegen? Da lacht nicht nur der Heilige Geist!
Auf dein Wort hin, Herr Jesus, das ist unser Schritt des Glaubens. Auf
dein Wort hin, trotz des wüsten Zustands unserer Kirche, unserer Welt
und vielleicht des ganz persönlichen Lebens. Auf dein Wort hin, Herr
Jesus, damit du uns zeigen kannst: Diese Wüste ist eine Fata Morgana.
Schenke uns diesen erfreulichen und heilsamen Schrecken.
Denn der bleibt nicht nur in unserer Geschichte ganz ein Werk des
Christus. Er kann nicht erzeugt und gemacht werden. Und wo das auch auf
christlichen Großveranstaltungen versucht wird, weiß man sofort, dass
man es hier nicht mit Menschenfischern sondern mit Bauernfängern zu tun
hat. Und auch das bleibt ganz ein Werk des Christus: Die Einsicht in die
Wahrheit über sich selbst. Da fiel Petrus Jesus zu Füßen und sprach:
Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.
Was für eine Einsicht, nicht eines belehrten und bedrohten, sondern
eines beschenkten Menschen. Wisst ihr nicht, dass die Güte Gottes euch
zur Umkehr treibt? (Römer 2/4) Wie reich muss Gott unsere Netze noch mit
Wohlstand füllen, bis wir einmal zur Umkehr und Besinnung auf vielen
Gebieten unseres Lebens fähig werden? Oder verachten wir den Reichtum
seiner Güte, Geduld und Langmut?
Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. So spricht Petrus zu
Jesus. Und in diesen Worten des Petrus steckt eine aberwitzige Hoffnung
auf ein viel größeres Wunder, als die gefüllten Fischnetze es waren. Die
Hoffnung, dass Jesus doch nicht weggeht. Die Hoffnung, dass Jesus trotz
der Wahrheit über Petrus nicht weggeht. Und auch dieses Wunder
geschieht. Und wie! Jesus nimmt Petrus und seine Freunde in seine
Dienste und aus dem armen Fischer wird der Fels, auf den Christus seine
Kirche baut. Auf dein Wort, Herr Jesus, so fangen so große und so kleine
Geschichten an.
So ist das samstags: Vor mir liegen drei vollgeschriebene Blätter mit
der Predigt, die ich Euch gerade halte. Und die Petrusgeschichte ist
noch lange nicht leergefischt und da wäre noch dies und das, worüber ich
ein andermal predigen muss. Und dann kam mir dieses Gedicht in den Sinn,
das ich zum letztem Mal in der Schule gelesen habe. Und ich musste eine
Weile suchen, ehe ich es herausgefischt hatte.
Diese Wüste ist eine Fata Morgana. Dieser trostlose und fischlose See
ist eine Fata Morgana. Diese Hoffnungslosigkeit ist eine Fata Morgana.
Geht einmal durch Euer Leben und Eure Welt. Durch die
Hoffnungslosigkeiten und Teufelskreise, in denen ihr eingerichtet seid,
durch die Dinge, die sich auch mit Gewalt nicht bewältigen lassen. So
ist das nun mal. So bin ich nun mal. So ist sie, die armselige Kirche
und die böse Welt.
Aber auf dein Wort, Herr Jesus, will ich die Netze auswerfen. Recht so!
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
1 Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm
drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth
2 und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen
und wuschen ihre Netze.
3 Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein
wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom
Boot aus.
4 Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus,
wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!
5 Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht
gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze
auswerfen.
6 Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre
Netze begannen zu reißen.
7 Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten
kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll,
sodass sie fast sanken.
8 Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh
weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.
9 Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die bei ihm waren, über
diesen Fang, den sie miteinander getan hatten,
10 ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons
Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an
wirst du Menschen fangen.
11 Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten
ihm nach.
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