Liebe Leser, die historisch-kritischen Forscher empfehlen, die
Verse ab Vers 9 wegzulassen. Es ist unschwer zu erkennen, dass Jesus
sein Gleichnis mit Vers 8 beschlossen hat. „Wer Ohren hat zu hören,
der höre!“ Was dann folgt ist Geschichte, Gemeindegeschichte des
Lukas. Als er sein Evangelium schreibt, hat die christliche Gemeinde
dieses Gleichnis vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen schon
diskutiert. Lukas hat die Einsichten ins Evangelium übernommen und
Jesus in den Mund gelegt. Kann sein, kann aber auch nicht sein.
Interessant ist es allemal.
Denn die Frage beschäftigt uns doch auch heute. Warum bleibt das
Wort Gottes scheinbar so wirkungslos und erfolglos? Dort, wo es doch
eigentlich aufgehen und seine Kraft entfalten müsste, passiert so
oft gar nichts. Da weisen z.B. die Kirchengemeinden die
Kommunalpolitiker darauf hin, dass der Mensch nicht vom Arbeiten,
Einkaufen und Rentekriegen allein lebt, die Interessen des
Einzelhandels mithin nicht die allein seligmachenden sind, und der
Sonntag geschützt gehört, und die Stadtväter und -mütter grüßen
freundlich zurück und verfahren nach der bewährten Methode: Lesen,
lachen, lochen.
Und wenn eine Predigt wirklich einmal die ein oder anderen Gemüter
bewegt hat, weitergereicht und diskutiert wird, dann sind die hohen
Herren nicht fern, die mahnend den Finger erheben. Ob man denn
wirklich so tagesaktuell predigen müsse. Das gäbe es in der
katholischen Kirche auch nicht. Auf den harten und steinigen Wegen,
im Dornengestrüpp des Alltags, hätten die Menschen es doch sowieso
schon schwer genug. Da hätte die Kirche doch sonntags für die
Menschen vor allem Balsam für die Seele bereitzuhalten, damit sie
sich am Montag dem allgemeinen Wahnsinn wieder stellen können.
Friede, Freude, Eierkuchen, das sind die drei Dinge für die die
Kirche vor allem zuständig sei.
Wer so redet, weiß nicht, womit er es beim Wort Gottes eigentlich zu
tun hat. Nein, das Wort Gottes ist keine kulturgeschichtliche
Sammlung moralischer Einsichten. Nein, es besteht nicht vor allem
aus den 10 Geboten. Nein, es ist kein Katalog christlicher Werte,
die sich im christlichen Abendland mal mehr, meistens aber eher
weniger durchgesetzt haben und durchsetzen. Nein, es ist nicht die
Stimme der Vernunft im demokratischen Meinungsbildungsprozess.
Wenn wir vom Wort Gottes reden, dann meinen wir das Fleisch, d.h.
Mensch gewordene Wort Gottes. Wenn wir vom Wort Gottes reden, dann
meinen wir Christus selbst. Denn er ist das menschgewordene Wort
Gottes. Dieses Wort Gottes ist lebendig. Christus vergleicht sich
selbst mit einem Weizenkorn, das in die Erde fällt und stirbt.
(Johannes 12/24) Das Gleichnis vom Sämann muss im Munde Jesu als
Deutung seiner eigenen Sendung verstanden werden.
So entgehen wir von vornherein dem sentimentalen Blick in eine
längst vergangene bäuerliche Landwirtschaft und dem Gedanken, ein
solcher Landwirt bräuchte heutzutage dringend landwirtschaftliche
Beratung. Kein Sämann schmeißt sein Saatgut unter die Dornen, auf
felsigen Boden oder auf den Weg. Das Wort Gottes, das in Christus
Mensch wird, tut das freilich ganz bewusst und absichtlich. Es teilt
sich aller Welt mit und macht dadurch deutlich: Es gibt keinen
verdammten Winkel dieser Welt, in dem das Wort Gottes nicht aufgehen
will. Das ist ein Teil der frohen Botschaft.
Für den Christus selbst bedeutet das Scheitern und Leid. An den drei
Sonntagen der Vorfastenzeit kommt so auch seine Passion in den
Blick. Es ist kein Zufall, dass wir das menschgewordene Wort Gottes
vor seiner Hinrichtung unter einer Dornenkrone wiederfinden, von
Soldatenstiefeln zertreten und schließlich am Kreuz vor Durst
stöhnend. Jeder begreift, wie diese Bilder mit dem Gleichnis vom
Sämann zusammengehören.
Das gilt auch für das letzte Bild. Das menschgewordene Wort Gottes,
das in alle Winkel dieser Welt dringt und dort aufgehen will, wird
schließlich nicht zertreten und erstickt. Es verdorrt am Ende nicht.
Es bringt hundertfaches Leben. Es setzt sich durch. Es ist
erfolgreich. An Ostern steigt der Christus siegreich aus dem Grab.
Die Male seines Martyriums an Händen und Füßen legen dafür Zeugnis
ab. Das Wort Gottes ist nicht totzukriegen.
Deshalb sollen wir ganz gelassen bleiben. Wir die Gemeinde, die nun
mit der Gemeinde des Lukas fragt, zu welcher Sorte Welt sie gehört,
wenn das Wort Gottes auf sie fällt. Deutet das Gleichnis vom Sämann
das Schicksal des menschgewordenen Wort Gottes, so fragt die
Gemeinde nun nach ihrem eigenen Schicksal. Sie tut das in dem
richtigen Gefühl, dass sie dem Christus, der auch sie sucht und
findet eine Antwort schuldig ist. Wenn das Wort Gottes zu aller Welt
kommt, ist ihm alle Welt eine Antwort schuldig. Man muss sich zu ihm
verhalten.
Niemand - nicht einmal wir selbst - würden uns abnehmen, dass wir
immer und allezeit das gute Land sind, das Wort Gottes bewahren in
feinem, reinen Herzen und Frucht bringen in Geduld. Besonders mit
letzterer hapert es ja an allen Ecken und Enden. Das feine, reine
Herz weiß, dass es nur Substrat sein kann für das, was ein anderer
in ihm wachsen lässt. Damit mag sich der moderne Christ immer
weniger abfinden. Weiß er doch immer schon, wie’s schneller und
besser geht. Liegt ihm doch das Ideenentwickeln, das Planen und
Machen so viel näher als das Hören und Behalten. Wir behalten ja so
gar nichts mehr bei uns. Ein neuer Morgen, eine neue Idee. So wächst
wohl auch im Christenleben nicht viel bis zum bitteren Ende. Und
wenn’s anders wäre, hätten wir überhaupt noch die Zeit, uns an etwas
zu freuen, das lange gewachsen ist? Muss es nicht gleich durch etwas
Neues ersetzt werden? So halten wir uns immer fein trostlos auf der
Höhe unseres kleinen Anfangs.
Das ist ja eine echte Not. Manche Lebensgeschichte erzählt davon.
Niemals war unser Leben so darauf ausgerichtet, in jeder Beziehung
„erfolgreich“ zu werden. Aber wenn ich solche Geschichten dann höre,
dann bestand so ein Leben näher besehen z.B. aus einer zertretenen
Kindheit, einer schnellen und kurzen Karriere, einer Ehe, in der
einer irgendwann seelisch erstickt ist. Unversehens finden wir uns
auf dem Fels, in den Dornen, auf dem Weg. Unversehens haben wir bei
der Inventur unseres Lebens nur noch die eine Liste mit
Vertrocknetem, Ersticktem, Gestohlenem und Weggefressenem und die
bange Frage, was und wie man denn nun mit dem eigenen Leben
überhaupt noch etwas anfangen kann?
Fangen wir an, diese Frage zu den Akten zu legen! Nein, wir wissen
nicht, wie in unserem Leben hundertfach Frucht gedeiht. Nein, wir
wissen nicht, wie unsere Kirche wieder wachsen soll und vielleicht
gar gegen den Trend. Nehmen wir stattdessen Zuflucht zum Christus,
der das Gleichnis vom Sämann erzählt und davon, dass Gott weiß, wie
sich sein Wort in der Wüste einer verlorenen Welt trotz allem
erfolgreich durchsetzt und dem Leben zum Sieg verhilft. Beten wir
darum, dass sich dieser Sieg auch in unserem Leben und in unserer
Kirche ereignet. Verlassen wir uns darauf, dass der Christus schon
weiß, wie er unser Leben nach Hause bringt und schließlich trotz
allem als „gelungen“ verbucht. Verlassen wir uns darauf, dass keine
Niedertracht, kein Teufel, kein Fels und keine Dornen verhindern
können, dass auch bei uns wächst, was Gott gefällt.
Es gibt keinen verdammten Winkel der Welt und unseres Lebens, in den
das lebendige Wort Gottes nicht ausgestreut ist. Legen wir unsere
Mängelliste beiseite und wenden wir uns diesem Reichtum zu.
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
4 Als nun eine große Menge beieinander war und
sie aus den Städten zu ihm eilten, redete er in einem Gleichnis:
5 Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen. Und indem er säte,
fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter
dem Himmel fraßen's auf.
6 Und einiges fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es,
weil es keine Feuchtigkeit hatte.
7 Und einiges fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen
mit auf und erstickten's.
8 Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug
hundertfach Frucht. Als er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu
hören, der höre!
9 Es fragten ihn aber seine Jünger, was dies Gleichnis bedeute.
10 Er aber sprach: Euch ist's gegeben, die Geheimnisse des Reiches
Gottes zu verstehen, den andern aber in Gleichnissen, damit sie es
nicht sehen, auch wenn sie es sehen, und nicht verstehen, auch wenn
sie es hören.
11 Das Gleichnis aber bedeutet dies: Der Same ist das Wort Gottes.
12 Die aber auf dem Weg, das sind die, die es hören; danach kommt
der Teufel und nimmt das Wort aus ihrem Herzen, damit sie nicht
glauben und selig werden.
13 Die aber auf dem Fels sind die: wenn sie es hören, nehmen sie das
Wort mit Freuden an. Doch sie haben keine Wurzel; eine Zeit lang
glauben sie und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab.
14 Was aber unter die Dornen fiel, sind die, die es hören und gehen
hin und ersticken unter den Sorgen, dem Reichtum und den Freuden des
Lebens und bringen keine Frucht.
15 Das aber auf dem guten Land sind die, die das Wort hören und
behalten in einem feinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld.
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