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			Liebe Leser, „Warmunds grausiger Tod muß im Leben des (Köhler) 
			Michel einen gewaltigen Eindruck hinterlassen haben, denn von diesem 
			Tag an legte er die Hände in den Schoß. Dem baffen Weib verkündigte 
			er mit weicher Stimme, er habe in seiner Kohlgrub eine Vision 
			erlitten. Eine Amsel habe zu ihm geredet und ihm geboten, nicht 
			länger die Arbeit eines gemeinen Mannes zu verrichten, sondern die 
			Berufung zum geistlichen Dichter anzunehmen. Nachdem sich die 
			Michlerin gefaßt hatte, schlug sie dem Visionär die Faust ins 
			verklärte Antlitz. Er aber ließ sich nicht belehren und wurde ein 
			geistlicher Dichter. Gottlob haben ihm einige wohlwollende Nachbarn 
			hin und wieder ein vertrocknetes Brot, ein ranziges Stück Butter, 
			eine umgestandne Milch gereicht, denn bei der Tätigkeit des Dichtens 
			wäre der Köhler mit Sicherheit verhungert.“ (Robert Schneider, 
			Schlafes Bruder, Leipzig 1992, S. 61) 
			 
			So die knappe Notiz einer Bekehrung in Robert Schneiders Roman 
			„Schlafes Bruder“, die wir lächelnd und kopfschüttelnd zur Kenntnis 
			nehmen. Das müssen wir dann freilich auch mit den Worten Jesu tun, 
			die Lukas uns heute zu Gehör bringt. Die große Reise des Köhler 
			Michel steht im Roman erst noch bevor. Jesus ist bereits auf der 
			Pilgerreise, die ihn nach Jerusalem führt, wo nichts Gutes auf ihn 
			wartet. Und auf dem Weg haut er scheinbar alles in Stücke, was uns 
			lieb und teuer ist: Unser schönes Zuhause, das Nest, das wir uns 
			und unseren Lieben gebaut haben, die Achtung vor und die Liebe zu 
			ihnen, die sich hoffentlich nicht erst im Blumenschmuck auf der 
			Beerdigung zeigt. Aber immerhin geht es dort ja um die Solidarität, 
			zu der jeder Mensch fähig sein sollte: Die Solidarität im Angesicht 
			des Todes. Und schließlich unsere ganze Geschichte, die wir im Lauf 
			unseres Lebens geschrieben haben, besonders die Dinge, an die wir 
			uns so gerne erinnern, auf die wir so stolz sind und die wir für das 
			halten, was wir geworden sind –- unsere Identität also.  
			 
			Offensichtlich gehört dieser Jesus von Nazareth zu den Leuten, vor 
			denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben. Und wer wollte denn mit 
			so einem noch die Gottesdienste feiern, die wir so gern mögen, z.B. 
			einen Familiengottesdienst? Das geht doch gar nicht. Aber vielleicht 
			helfen uns die Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung 
			weiter. Die hat herausgefunden, dass es sich hier um das Ethos der 
			damaligen Wanderprediger und eben auch der ursprünglichen 
			Jesusbewegung handelt. Diese fühlte sich vor allem folgenden 
			Bedingungen verpflichtet: Heimatlosigkeit, Familienlosigkeit, 
			Besitzlosigkeit und Schutzlosigkeit. Diese Leute und mit ihnen der 
			pilgernde Christus waren sozusagen völlig losgelöst.  
			 
			Das geht gar nicht, müssen (!) wir sagen. Was sollen diese 
			Wanderprediger denn nach heutigem Verständnis anderes sein als 
			lichtscheues Gesindel und Sozialschmarotzer? Denen halten wir unsere 
			Werte entgegen, die doch auch die Kirche vertritt. Zu denen gehören 
			nun einmal Heimat, Familie, Besitz und Sicherheit. Und zwar auf den 
			vorderen Plätzen. Ja, damals war so etwas vielleicht möglich, und 
			wenn man bedenkt, dass Jesus ja seinen baldigen Tod vor Augen hatte 
			- da werden dem Menschen schon mal andere Dinge wichtiger. Das 
			kennen wir. Aber auf der Traueranzeige hat zu stehen: „Du warst im 
			Leben so bescheiden, nur Pflicht und Arbeit kanntest du. Mit allem 
			warst du stets zufrieden, nun schlafe sanft in stiller Ruh'.“  
			 
			In stiller Ruh soll auch der Christus unseres heutigen Evangeliums 
			lieber bleiben. Aber den Gefallen tut er uns nicht. Er bleibt für 
			uns Christenmenschen die personifizierte Unruhe, wenn wir denn 
			wirklich ernst nehmen, was etwa die 2. These der „Barmer 
			theologischen Erklärung“ sagt: „Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch 
			der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst 
			ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch 
			ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen 
			dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen. Wir 
			verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in 
			denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen 
			wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung 
			durch ihn bedürften.“  
			 
			Ein Ausleger schreibt: „Jesus kann nicht in den Herrgottswinkel 
			unserer bürgerlichen Existenz abgeschoben werden. Sondern von ihm 
			aus und vor ihm haben sich unsere hergebrachten Obligationen und 
			Einstellungen durchleuchten zu lassen. Denn ‚Verpflichtungen‘, 
			Sitten und Gebräuche, Sachzwänge vor allem sind so herrlich 
			geeignet, uns vor der existenziellen Entscheidung (um es einmal ganz 
			pietistisch zu formulieren, vor der Frage: ‚Willst Du zu Jesus 
			gehören?‘) zu drücken: ‚Ich würde ja gern, aber da ist zuerst noch 
			dies und das zu erledigen.‘ Möglicherweise würden wir in 
			Wirklichkeit ja gar nicht so gern? Vielleicht ist uns das warme Bett 
			unserer uns angeblich so drückenden Verpflichtungen in Wahrheit 
			längst ganz lieb (und zudem überschaubar) geworden.“ (Robert Leicht, 
			GPM 1/2009, Heft 2, S. 182) Zitat Ende.  
			 
			Es ist eine alte Geschichte: Das Gute ist der ärgste Feind des 
			Besten. Nicht der Teufel, nicht die Sünde, nicht unsere Schwächen 
			sind der ärgste Feind des Reiches Gottes, sondern unsere Werte und 
			unsere Moral und unsere Stärken. Von drei Bekehrungsgeschichten 
			hören wir im heutigen Evangelium. Sie sind individuell, wie unsere 
			eigene. Sie sind der ganz persönliche Ruf in die Nachfolge des 
			Christus und damit in die Freiheit der Kinder Gottes. Jedes Mal 
			steht dem nicht Unlust oder Unwilligkeit im Weg, sondern lauter 
			Dinge, gegen die nun wirklich niemand etwas sagen kann.  
			 
			Aber in Wahrheit erweisen sie sich gerade dann (!), wenn der Ruf des 
			Christus uns erreicht als das warme Bett unserer angeblich so 
			drückenden Verpflichtungen, das uns so lieb und überschaubar 
			geworden ist, dass wir es der Freiheit der Kinder Gottes vorziehen. 
			Nennt in diesem Fall irgendeinen Grund, der euch als treusorgenden 
			Familienmenschen oder Ehepartner ausweist und ihr werdet eure Ruhe 
			haben und wenn nicht, werden alle anderen auf eurer Seite stehen und 
			behaupten, Gott tue das auch. In unserer Kirche wird für 
			Kindergeburtstage sogar der Jüngste Tag verschoben.  
			 
			Scherz beiseite. Hören wir endlich im heutigen Evangelium den 
			ungeheuerlichen Ruf in die Freiheit! Ja, der Christus und die Seinen 
			sollen völlig losgelöst sein. Der Christus erlaubt uns nicht, dass 
			wir an irgendetwas anderem kleben, als an ihm allein. Meister 
			Eckhart gehört hierher, der wie andere Meister der Theologie, die 
			völlige Abkehr von den Dingen, Sitten, Gebräuchen, Verpflichtungen 
			und Sachzwängen predigte. Nur wer all das lässt und schließlich 
			sogar sich selbst; wer also aufhört zurückzuschauen und sich mit 
			sich selbst und seiner Identität zu beschäftigen, nur der wird Gott 
			wirklich finden und mit ihm eins werden können. Denn Bekehrung meint 
			ja immer beides: die Bewegung weg von den Dingen und hin zu Gott. 
			Dieser Bewegung entspricht augenblicklich die Bewegung Gottes hin 
			zum Menschen, damit sie anfangen, ineinander zu wohnen.  
			 
			Und dann bekommen alle Dinge einen neuen Platz. Meister Eckhart hat 
			das mit einer höchst eigenwilligen Auslegung der Geschichte von 
			Maria und Martha (Lukas 10/38) deutlich gemacht. Maria sitzt zu Jesu 
			Füßen und hört Jesus zu, während Martha in der Küche beschäftigt 
			ist. Und 
			obwohl Jesus eindeutig sagt, Maria habe das bessere Teil erwählt, 
			weiß Eckhart in seiner Predigt 28 (nach Quint) einen anderen Schluss. Martha habe 
			längst zu Jesu Füßen gesessen und sei nun in innerer Gelassenheit 
			und Einheit mit Gott wieder an ihre Arbeit gegangen. In dieser 
			Gelassenheit wird sie nicht länger von ihren Sorgen und Mühen 
			beherrscht. Sie steht nicht länger in, sondern bei der 
			alltäglichen Sorge. Der Klang ihrer Töpfe und Pfannen singt nicht 
			länger das Lied von den Sachzwängen des Lebens, sondern ein Loblied 
			auf Gott. Oder um es mit Barmen 2 zu sagen: Martha ist die aus 
			gottlosen Bindungen zum dankbaren Dienst an allen Geschöpfen 
			wahrhaft Befreite. Maria, die zu Jesu Füßen sitzt, wird ihr dahin 
			folgen.  
			 
			Und auch der Christus geht denen, die er in die große Freiheit ruft 
			voran. Sein Weg und der Weg seiner Jüngerinnen und Jünger führt 
			nicht in ein Leben in himmlische Sphären oder religiösen 
			Sonderwelten, aus denen verächtlich auf die böse Welt geblickt wird, 
			sondern zu den Mühseligen und Beladenen, um ihnen zu dienen. Dieser 
			Dienst des Christus geht bis zur Hingabe seines Lebens. Das sei 
			nicht zuletzt all den Gemeinplatzbewachern gesagt, die der 
			christlichen Freiheit misstrauen. Sie sind und bleiben Sklaven der 
			Sachzwänge und Konventionen, die andere versklaven. Sie bessern die 
			Welt nicht. Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.  
		
      Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche 
		Hof) 
      	(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter 
      www.kanzelgruss.de)  | 
			Text: 
			57 Und als sie auf dem Wege waren, sprach 
			einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst. 
			58 Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel 
			unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo 
			er sein Haupt hinlege. 
			 
			59 Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: 
			Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe. 
			60 Aber Jesus sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du 
			aber geh hin und verkündige das Reich Gottes! 
			 
			61 Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber 
			erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem 
			Haus sind. 
			62 Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und 
			sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes. 
			 
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