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		Liebe Leser,
		 es gibt Texte, die im Laufe der Jahrhunderte derart mit fremden 
		Gedanken und Vorstellungen überfrachtet wurden, dass es einige Mühe 
		kostet, ihre ursprüngliche Bedeutung wieder frei zu legen. Die 
		Geschichte von Maria und Marta gehört dazu. Wir befinden uns mit Jesus 
		auf dem Weg nach Jerusalem. Und das ist dann auch schon das Einzige, was 
		uns auf seine Passion, sein Leiden und Sterben, hinweist. Auf diesem Weg 
		kehrt er bei zwei guten Freundinnen ein.  
		 
		Die Exegeten sind sich einig: Ursprünglich wurde diese Geschichte „als 
		Mahnung an die Hausfrauen in der Zeit urchristlicher Wanderprediger 
		verstanden, über der Bewirtung des Gastes nicht die Predigt zu 
		vernachlässigen.“ (Dietmar Mieth, Meister Eckhart – Einheit mir Gott, 
		Patmos, 2014, S. 58) Unter dem Einfluss der griechischen Philosophie 
		wurden dann ganz andere Gedanken herangetragen, z.B. die Frage, was denn 
		besser sei, die vita contemplativa oder die vita activa, die 
		Kontemplation oder die Aktion, das beschauliche oder das tätige Leben, 
		die Meditation oder das Engagement, die Gottesschau oder die tätige 
		Nächstenliebe, die Mystik oder die Weltverbesserung. Und natürlich waren 
		sich die griechischen Philosophen sehr einig, dass immer das erste dem 
		zweiten vorzuziehen ist. Steht das denn mit Maria und Marta nicht auch 
		in der Bibel? Arme Marta, mach doch bitte mal die Küchentür zu!  
		 
		Wir könnten deshalb darüber predigen, dass die Arbeit das eine und die 
		Muße das andere ist, und dass wir modernen Menschen trotz langem Urlaub 
		viel zu wenig Zeit haben, einmal nichts zu tun, weil wir das oft gar 
		nicht mehr können. Weil das Wochenende jedes Mal völlig verplant ist und 
		der Urlaub ein Gefliege, Gefahre und Gerenne. Alles, was wir tun, muss 
		zu irgendwas gut sein und wenn wir nichts tun, dann fühlen wir uns zu 
		nichts gut. Und auf der Todesanzeige steht: „Du warst im Leben so 
		bescheiden/ nur Pflicht und Arbeit kanntest du/ mit allem warst du stets 
		zufrieden/ nun schlafe sanft in stiller Ruh.“ Toll, denken wir da 
		zunächst, aber ein Leben in Freiheit war das wohl nicht.  
		 
		In seiner grundlegenden Schrift „Von 
		der Freiheit eines Christenmenschen“ hat Luther in Wittenberg 
		1520 zwei grundlegende Thesen formuliert, die sich scheinbar 
		widersprechen: Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge 
		und niemandem untertan. Und: Ein Christenmensch ist ein dienstbarer 
		Knecht aller Dinge und jedermann untertan.  
		 
		Frei ist der Mensch, sofern er im Glauben Anteil an Gottes Wesen 
		gewinnt, indem er mit Christus eins wird. Die Freiheit Gottes wird zu 
		seiner eigenen. Ist er in Gott und Gott in ihm, ist er ledig und frei. 
		Weil aber Gott Liebe ist und lieben will, muss auch der Mensch, in dem 
		er wohnt, ein liebender Mensch sein, der seinem Nächsten hilft und 
		dient. Gottes Wille und des Menschen Wille werden vereint. „Aus dem 
		allem ergibt sich die Folgerung, dass ein Christenmensch nicht in sich 
		selbst lebt, sondern in Christus und seinem Nächsten. In Christus durch 
		den Glauben, im Nächsten durch die Liebe. Durch den Glauben fährt er 
		über sich in Gott. Aus Gott fährt er wieder unter sich durch die Liebe 
		und bleibt doch immer in Gott und in göttlicher Liebe.“ (Martin Luther)
		 
		 
		Christliches Handeln entsteht also nicht durch christliche Moral, 
		christliche Tugend, christliche Werte, christliche Pflichten, denen sich 
		der Christenmensch im Leben angestrengt und verzweifelt anzunähern 
		versucht, in der Hoffnung, dass Gott ihn vielleicht dafür belohnt mit 
		dem Himmelreich. Christliches Handeln entsteht dadurch, dass der Mensch 
		durch Christus ein anderer Mensch wird, ein Kind Gottes eben. Der gute 
		Baum bringt gute Früchte. Das Kind Gottes tut gute Werke. Das neue Sein 
		bringt das gute Handeln hervor. Hier heißt es nicht länger, „du sollst“, 
		sondern „du wirst“. 
		 
		Meister Eckhart zum Thema: „Denn, wer recht daran sein soll, bei dem 
		muss von je zwei Dingen eines geschehen: entweder muss er Gott in den 
		Werken zu ergreifen und zu halten lernen, oder er muss alle Werke 
		lassen. Da nun (aber) der Mensch in diesem Leben nicht ohne Tätigkeit 
		sein kann, die zum Menschsein gehört und deren es vielerlei gibt, darum 
		lerne der Mensch, seinen Gott in allen Dingen zu haben und unbehindert 
		zu bleiben in allen Werken und Stätten.“ (zitiert nach Mieth, aaO, S. 
		53) Will heißen: Da der Mensch nicht nichts tun kann, soll er als Christ 
		in seinen Werken das in Gott Geschaute wirksam verkünden. „Nicht einmal 
		durch die Gefahr der Sünden soll man sich vom Wirken in guter Absicht 
		abhalten lassen; jeder soll auf seine Weise in tätiger Liebe mit Gott 
		mitwirken.“ (Mieth, aaO. S. 52).  
		 
		Wer behauptet, damit sei christliches Handeln unterbewertet und ins 
		Belieben gestellt, der lasse sich von Martin Luther den Kopf waschen. 
		Ich zitiere: „Wer den Glauben mit der Tat nicht beweist, der gilt ebenso 
		viel wie ein Heide, ja er ist ärger als ein Heide, nämlich ein Christ, 
		der dem Glauben abgesagt hat und abtrünnig geworden ist.“ Diejenigen, 
		die diesen untrennbaren Zusammenhang leugnen, werden von Luther als 
		„unnütze Schwätzer und nichtige Lehrer“ gebrandmarkt: „ob sie schon 
		wissen, dass der Glaube ohne Werke nichts und ein falscher Glaube ist, 
		sondern, wo er rechtschaffen ist, müssen Frucht und gute Werke folgen - 
		so gehen sie doch sicher hin und verlassen sich auf die Gnade Gottes, 
		fürchten sich nicht vor Gottes Zorn und Gericht, der den alten Adam 
		gekreuzigt haben will und gute Früchte von guten Bäumen lesen will.“ 
		(zitiert nach Tilman Walther-Sollich, GPM 2/2010, Heft 3, S.332) Zitat 
		Ende.  
		 
		Und so erweist sich die Unterscheidung von vita contemplativa und vita 
		activa, von Kontemplation und Aktion, von beschaulichem und tätigem 
		Leben, von Meditation und Engagement, von Gottesschau und tätiger 
		Nächstenliebe nicht als Alternative, sondern als organische Einheit, in 
		der das eine aus dem anderen hervorgeht in unendlicher Folge. Das eine 
		kann ohne das andere nicht sein. Marta und Maria gehören untrennbar 
		zusammen.  
		 
		In höchst origineller Weise hat Meister Eckhart unsere Stelle ausgelegt, 
		indem er dem Tadel der Marta recht gibt. Maria kann nicht ewig zu Füßen 
		ihres geliebten Christus sitzen und zuhören. In aller Deutlichkeit 
		erteilt Meister Eckhart einem Glauben oder einer Versenkungsmystik, als 
		Flucht vor und aus der Welt, eine kategorische Absage. „Denn als Maria 
		noch zu Füßen unseres Herrn saß, da war sie noch nicht die wahre Maria: 
		wohl war sie’s dem Namen nach, sie war’s aber noch nicht in ihrem Sein; 
		denn sie saß noch im Wohlgefühl und süßer Empfindung und war in die 
		Schule genommen und lernte erst leben. Marta aber stand schon ganz 
		wesenhaft da.“ Maria und Marta werden also gleichsam zu einer Person 
		beziehungsweise Maria erst zur „wesenhaften“ Maria durch den selben 
		Lernprozess wie Marta. „Daher sprach Marta: ‚Herr heiß sie aufstehen‘. 
		(…) Ich wünschte, dass sie leben lernte, (…) auf dass sie vollkommen 
		werde.“ (Quint, Deutsche Predigten, Predigt 28, S. 288) 
		 
		Ja, Maria hat das gute Teil erwählt. Es soll jetzt nicht von ihr 
		genommen werden, aber es ist noch nicht das Ganze! Auch Marta war längst 
		dort zu Füßen ihres Christus gesessen und hat ihn und sein Wort in sich 
		aufgenommen. Und nun steht sie in der Küche als Kind Gottes, das - wie 
		Eckhart fein formuliert - die Freiheit des Christenmenschen im Leben 
		bewährt, indem sie nicht länger „in“ sondern „bei“ der Sorge für ein 
		gutes Essen steht, das Leib und Seele zusammenhält. Sie ist nicht länger 
		die Sklavin der Gründe und Zwecke. Sie hat sich und anderen als Kind 
		Gottes nicht länger zu beweisen, dass sie zu etwas gut ist. Sie tut das 
		jetzt Notwendige gerne und in Freiheit und ohne Warum. So wie Gottes 
		Liebe ohne Warum ist und das Leben ohne Warum ist.  
		 
		Nun findet sie Gott auch im Stall und im Garten und im Klappern der 
		Pfannen über dem Herdfeuer. Und ich stelle mir vor, wie sie dabei lacht 
		– und der Christus mit ihr!  
		 
      
		
      	Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche 
      Hof) 
      (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
      
      www.kanzelgruss.de)  | 
      Text: 
      
		 38 Als sie aber weiterzogen, kam er (Jesus) in 
		ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. 
		39 Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem 
		Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. 
		40 Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihnen zu dienen. Und sie 
		trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine 
		Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! 
		41 Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast 
		viel Sorge und Mühe. 
		42 Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht 
		von ihr genommen werden. 
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