Predigt    Lukas 11/14-23    Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres   13.11.05

"Für eine neue Ökumene"
(Von Vikar Michael Krauß, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

als Schüler stand ich zum ersten Mal auf einem der riesigen Soldatenfriedhöfe in der Normandie. Weiße Steinkreuze in rauen Mengen und irgendwie sieht über ein halbes Jahrhundert nach dem Krieg immer noch alles recht nach Exerzierplatz aus: Da liegen sie, fein säuberlich aufgereiht nebeneinander: Menschen aus der ganzen Welt, eben noch aufeinander geschossen und nun liegen sie friedlich unter den Hügeln in Reih und Glied. Warum haben sie das eigentlich zu Lebzeiten nicht hinbekommen, frage ich mich? Warum erst ein vereintes Europa der Toten, bevor sich auch die Lebenden dazu bequemen?

Sollte es mit dem Himmel etwa genauso sein wie mit den Gräberfeldern? Sollten erst die Toten gemeinsam im Himmel das Abendmahl feiern, was die Lebenden auf Erden getrennt in evangelisch und katholisch nicht hinbekommen? Nun, ich werde heute nicht zu einem billigen Frieden aufrufen, nach dem Motto: Vergessen wir die Unterschiede. Nein, ich werde um einen schmerzhaften Frieden raten, zu einem Frieden, wie ihn Jesus Christus vorschlägt. Ich lese den Predigttext aus dem Evangelium nach Lukas, 11. Kapitel.

Jesus heilt einen Kranken, dem ein böser Geist den Mund verstopft hatte. Und sofort wird manchen unheimlich – nicht wegen des bösen Geistes. Nein, an den hatten sie sich gewöhnt, der störte sie schon nicht mehr weiter. Der Kranke war halt stumm. Und Stumme sind angenehme Nachbarn, wie Tote. Unheimlich wird den Umstehenden nicht durch den angenehm stummen bösen Geist, sondern wohl eher durch die plötzliche Lebendigkeit des Geheilten. Er war mundtot gewesen. Wer hatte ihn wohl mundtot gemacht? Ein BÖSER Geist, also kein gesundes Schweigen. Vielleicht hat er es selbst vorgezogen nicht mehr zu reden, um des lieben Friedens willen. Vielleicht wurde er von den Umstehenden mundtot gemacht. Wer weiß, was er auszuplaudern hat?

Und schon prasseln die abstrusesten Vorwürfe auf Jesus ein: „Du stehst mit dem Teufel im Bunde. Nur deshalb gehorchen dir die bösen Geister!“

Jesus antwortet recht bodenständig, beinahe deftig und äußerst überzeugend: „Nicht mal Satan ist so blöd, dass er mich losschickt, um Gutes zu tun. Schließlich will er ja das Böse. Wenn der Teufel gegen sich selbst arbeiten würde, wäre er bald am Ende. Jedes Reich zerbricht, wenn es mit sich selbst uneins ist. Wenn ich jemanden heile, dann ist das was Gutes – auch oder gerade deshalb, weil er plötzlich zu reden anfängt. Wenn also Gutes dabei herauskommt, dann wird's wohl von dem kommen, von dem alles Gute kommt: Gott.

Und nun überlegt, liebe Kritiker: Wenn das, was ich getan habe von Gott kommt, ... dann ist das Reich Gottes zu euch gekommen. Überall wo Gutes geschieht, da ist das Reich Gottes. Gott bricht ein in die kalten Paläste des Schweigens, löst die Fesseln und Knebel der Eingesperrten, und vorbei ist's mit der Ruhe. Ihr beschimpft Gott als Teufel, weil er Gefesselte befreit, weil er mundtot Gemachte reden lässt? Wer Menschen mundtot macht, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.“

Das gilt auch in der Ökumene. Kein Blatt vor den Mund! Wer Menschen mundtot macht, wer Unterschiede unter den Teppich kehrt, der ist gegen mich, spricht Jesus! Der Teufel sorgt für Einigkeit in seinen Palästen, in dem er Menschen mundtot macht. Wer anderen oder sich selbst den Mund verbietet, wird, ob er will oder nicht zu einem BÖSEN Geist.

Das gilt für die Gleichschaltungsversuche Hitlers genauso wie für Medien, die manche zu Wort kommen lassen und andere nicht. Es gilt genauso für die katholische Kirche, wenn sie autoritär Lehre festsetzen will. Und es gilt auch für unsere Kirche, wenn sie sich selbst mundtot macht, indem sie jedem gefallen will. Ich glaube jeder und jede von uns findet auch im eigenen Leben böse Geister am Werk – vielleicht in bester Absicht – sozusagen um des lieben Friedens willen.

Jesus Christus aber ermahnt uns, seinen Frieden nicht mit diesem „lieben“ Frieden zu verwechseln, der durch die Hallen des Schweigens weht. Der Einigkeit in den Hallen der Toten fehlen Recht und Freiheit. Einigkeit und Recht und Freiheit gehören zusammen. Einigkeit ohne Freiheit ist das Werk böser Geister – auch in der Kirche.

Freiheit und Einigkeit gehören zusammen. Einigkeit ohne Freiheit führt in die eisigen Paläste des Schweigens. Freiheit ohne Einigkeit endet in Krieg und Streit, letztlich auf den Soldatenfriedhöfen, wo wieder alles schweigt: „Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet, und ein Haus fällt über das andre.“ Das gilt wohl auch für die Kirche.

Nachdem Jesus dem Mundtoten seine Stimme zurückgegeben hat, wendet er sich deshalb dem Thema Einheit zu: „Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet, und ein Haus fällt über das andre.“ Das gilt für das Reich Satans wie für jedes Reich - auch für das Reich Gottes: „Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.“ Ich meine, recht viel deutlichere Worte zum Thema „Einheit der Kirche“ lassen sich nicht finden.

Aber wie soll das gehen: Klappe auf und trotzdem Einigkeit? Beim Thema gemeinsames Abendmahl wird das besonders deutlich. Hier prallen die Gegensätze zwischen katholischer und den evangelischen Kirchen besonders heftig aufeinander, und es tut gleichzeitig besonders weh. Weil doch gerade das Abendmahl das Bild für die Gemeinschaft der Christen schlechthin ist.

Nur ein böser Geist schweigt die Gegensätze tot. Die Frage nach dem Amt in der Kirche, die evangelische und katholische Christen trennt, ist wichtig. Die Frage, ob eine Kirche geschwisterlich oder hierarchisch aufgebaut ist, ist auch in Bezug auf die Wortauslegung wichtig. Sagt einer oben, was richtig ist oder haben wir alle um die Wahrheit zu ringen? Solche Konflikte müssen im Sinne Jesu Christi ausgetragen werden. Wer vom bösen Geist des Totschweigens geheilt worden ist, der redet bestimmt auch Unangenehmes. Offensichtlich will Jesus das, wenn er den Stummen heilt. Es muss also geredet werden – auch heftig und kontrovers.

Aber sollte es nicht dennoch möglich sein, dass wir, die Kirche Jesu Christi gemeinsam am Tisch des Herrn feiern – auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, was wir da feiern. Auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, ob wir da korrekt und berechtigt feiern. Auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, wer kommen darf und wer nicht.

Ich meine, es sollte doch möglich sein, sich gemeinsam um den Tisch des Herrn zu versammeln, ohne wichtige Differenzen unter den Tisch zu kehren und ohne zu klären, wer letztlich recht hat. Jesus jedenfalls hält das für möglich, indem er Mundtoten das Reden beibringt – auch auf die Gefahr hin, dass sie Unangenehmes sagen. Es sollte doch möglich sein, sich gegenseitig zu sagen: Ich meine, du hast Unrecht. Und einst im Himmel wirst selbst du einsehen, dass ich recht habe. Dann wird dir unser Herr schon die Augen öffnen! ... Aber lass uns zusammen feiern, unser Herr wird's schon richten. Lass uns zusammen feiern, bevor wir im Himmel dann doch miteinander feiern und bereuen, es nicht schon früher getan zu haben – wie die Soldaten auf den Friedhöfen.

Sich wacker streiten, ohne faule Kompromisse und dennoch zusammen feiern, vielleicht meinte Jesus ja das, als er sagte: ... dann ist das Reich Gottes zu euch gekommen. Der nun beinahe zweitausendjährige Versuch, eine Einheit der Kirche über eine einheitliche Lehre zu erreichen, wäre dann ein Irrtum gewesen. Jesus ruft zu einer Einheit über das gemeinsame Leben und Feiern auf – über die Wahrheit darf und soll heftigst gestritten werden. Über die Lehre muss man sich nicht einig werden – im Gegenteil: Um die Wahrheit muss gerungen werden.

Zu solcher schmerzhaften, streitbaren Einheit in Freiheit verhelfe uns der allmächtige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.

Vikar Michael Krauß        

Text: 

11,14 Und er trieb einen bösen Geist aus, der war stumm. Und es geschah, als der Geist ausfuhr, da redete der Stumme. Und die Menge verwunderte sich.
11,15 Einige aber unter ihnen sprachen: Er treibt die bösen Geister aus durch Beelzebul, ihren Obersten.
11,16 Andere aber versuchten ihn und forderten von ihm ein Zeichen vom Himmel.
11,17 Er aber erkannte ihre Gedanken und sprach zu ihnen: Jedes Reich, das mit sich selbst uneins ist, wird verwüstet, und ein Haus fällt über das andre.
11,18 Ist aber der Satan auch mit sich selbst uneins, wie kann sein Reich bestehen? Denn ihr sagt, ich treibe die bösen Geister aus durch Beelzebul.
11,19 Wenn aber ich die bösen Geister durch Beelzebul austreibe, durch wen treiben eure Söhne sie aus? Darum werden sie eure Richter sein.
11,20 Wenn ich aber durch Gottes Finger die bösen Geister austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen.
11,21 Wenn ein Starker gewappnet seinen Palast bewacht, so bleibt, was er hat, in Frieden.
11,22 Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt und überwindet ihn, so nimmt er ihm seine Rüstung, auf die er sich verließ, und verteilt die Beute.
11,23 Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.
 


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