Predigt     Lukas 11/5-13    Rogate     29.05.11

"Mit Gott im Gespräch"
(von Pfarrer Rudolf Koller, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

zum Beten kommen viele nur in solchen Momenten, in denen die Worte eigentlich am Ende sind, wo alle Hoffnung verblasst ist, wo häufig Angst einem die Kehle zuschnürt. In solchen Momenten ist unsere Seele ein einziges Gebet: leise und unhörbar oder laut und ungestüm wie ein Schrei in den Wind. Aber oft bleibt diese Erfahrung isoliert wie eine Momentaufnahme. Sie vergeht, sobald sich die Angst legt oder der Schmerz nachlässt und die Welt wieder im vertrauten Licht der Normalität erscheint.

Wozu beten? In den meisten Situationen des Lebens erklärt sich das für die Mehrzahl der Menschen nicht von selbst. Dafür ist das Beten von Kindheit an zu wenig eingeübt, hat es im Alltag vieler Menschen keinen festen Platz, gilt gar in den Augen so mancher als Welt- und Realitätsflucht.

Freilich, von selbst hat sich das Beten im Grunde noch nie verstanden. Nicht umsonst wenden sich die Jünger am Anfang unseres Predigtabschnittes an ihren Meister mit der Bitte: „Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrte.“ Und Jesus lehrt sie das Vaterunser. Er schenkt ihnen Worte, mit denen sie beten können. Worte, die alles enthalten, was nötig ist. Kurz und prägnant. Worte, die sich einfügen in jeden Tag, egal, wo man ist, mit sich allein oder gemeinsam mit anderen. Worte, die tragen: in Glück und Freude ebenso wie in schwerem Leid und in tiefer Trauer. Worte, die sich niemals abnutzen, selbst wenn man sie jeden Tag mehrmals spricht.

Bei diesen Worten, beim Vaterunser, lässt es Jesus jedoch nicht bewenden. Denn beim Beten geht es um mehr als passende Worte, die richtige Technik oder konsequente Übung. Freilich, zu diesen Fragen schweigt der Lehrer des Gebets. Nichts sagt er über Zeiten zum Gebet, über Rituale beim morgendlichen Aufstehen und beim Zubettgehen am Abend, über Tischgebete oder andere Formen von Frömmigkeit und Spiritualität. All das ist nebensächlich vor dem Hintergrund des entscheidenden Problems bei jedem Gebet: Wozu beten? Ist es wirklich mehr als ein Selbstgespräch? Wird es erhört? Und was dürfen wir erwarten an Reaktion und an Antwort?

Spätestens jetzt erkennen wir das Unerhörte eines jeden Gebetes, jenen riesigen Abstand zwischen Himmel und Erde, zwischen dem allmächtigen Gott und uns ohnmächtigem Menschen. Ins Bewusstsein tritt die Winzigkeit jedes menschlichen Anliegens, das daher gemurmelt oder gar nur in der Stille vor sich hingedacht wird vor der Größe dieses Herrn über das ganze Universum. Die eigenen so brennenden Bitten erscheinen wie ein kaum hörbarer Einzelton im Chor ungezählter Stimmen. Ein unaufhörlich anschwellendes Raunen von Bitten und Klagen ertönt über dem ganzen Erdball – über dieser kleinen Kugel in den Weiten des Weltalls. Der Kontrast tritt hervor zwischen der Ungeduld des Herzens im hektischen Stammeln der Bitten und dem unsagbar langen Atem der Ewigkeit im Schweigen der unendlichen Räume. Im Grunde ist jedes Gebet eine einzige Anmaßung. Und diese Anmaßung bringt Jesus in seinen Vergleichen auf den Punkt. Gleichzeitig führt er dabei behutsam und werbend in den Kern des Betens ein. So erweist er sich als wahrer Lehrer der Zwiesprache mit Gott. Im Kern ist es eine Kunst der Empathie, der Einfühlung, in die Jesus seine Zuhörer einübt. Fast unmerklich ebnet sie den Weg zum Gebet.

Anmaßend ist der erste Vergleich ganz direkt. Den Zuhörer lässt Jesus dabei aus der unbehaglichen Perspektive des Bittenden auf die Szene schauen. Es gehört Mut und eine gewisse Unverfrorenheit dazu, mitten in der Nacht den Freund zu wecken, um Brot von ihm zu erfragen. „Wer bist du eigentlich, dass du dir so etwas herausnimmst?“ wäre eine zu erwartende Reaktion auf das nächtliche Klopfen. Freundschaft hin oder her - das ist eine Unverschämtheit! Oder mit den Worten der Schrift: „Ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben!“ Da wird die Not des Bittenden wird geradezu leibhaft spürbar. Sein Flehen bleibt unerhört. Mit leeren Händen wird er zurückkehren müssen zu seinem Gast. Was für eine Schande!

Aber jetzt bringt Jesus seine Zuhörer dazu, sich in den Freund einzufühlen. Ja, das Band der Freundschaft wird strapaziert, aber das unverschämte Drängen lässt ihn dann doch aufstehen - und sei’s nur, dass er danach wieder seine Ruhe hat! Ja, der allmächtige Gott lässt sich vom Drängen unseres Gebets bewegen! Und jetzt geht Jesus mit uns einen zweiten Schritt. Denn dieser allmächtige Gott ist wie ein liebender Vater. Und ein jeder von uns weiß oder hat zumindest eine Ahnung davon, was ein wirklich liebender Vater ist! Denn das kann kein wirklicher Vater tun: Wenn sein Kind ihn um etwas zu essen bittet, ihm eine Schlange und einen Skorpion in die geöffnete Hand zu drücken. Was für eine grauenhafte, ja empörende Vorstellung!

Nein, wie ein Vater mit ganzem Herzen für sein Kind sorgt, so ist der Herr über Zeit und Raum da für ein jedes seiner Kinder. Mit seiner unbändigen Kraft, mit der er das Universum bis in den letzten Winkel durchwirkt, sorgt er sich um die geringsten Anliegen und um die größten Ängste eines kleinen Menschenlebens. Er lässt sich ansprechen, in einfachen geprägten Worten wie dem Vaterunser, in ängstlichem Stammeln und in anmaßenden Anklagen. Der Allerhöchste lässt sich beschimpfen und anschreien. Nichts ist ihm zu viel, nicht einmal die Belanglosigkeiten unserer ganz gewöhnlichen Tage. Für jedes einzelne Herz mit seinem unverkennbaren Ton ist er da. Er hört. Jede einzelne Stimme erhört er wie ein Liebender das Geschöpf seiner Sehnsucht. Wie ein Vater seinem geliebten Kind das Ohr leiht, so ist Gott da für jeden Menschen. Im Grunde sogar noch unendlich viel mehr als das. Denn irdische Väter erhören nicht jede Bitte. Nicht alle geben ihren Kindern tatsächlich Brot und Wärme, sondern manchmal giftige Gleichgültigkeit und Kälte. Das ist das Unfassbare, Anmaßende dieser Worte Jesu. Gott erhört jede Bitte, jedes Seufzen und Sehnen. Gott erhört, und er gibt sein Bestes - seine verändernde Kraft, die Weite seines Herzens, seine Liebe, die jede Leere zu erfüllen vermag. Gott gibt seinen Geist! Das ist die Verheißung, unter der jedes Reden mit Gott steht.

Beten ist darum viel mehr als die naive Vorstellung, Gebetserhörung geschehe nach dem Schema von Bitte und entsprechender Erfüllung. Das ist eine Erwartung, die fast notwendig enttäuscht wird. Sie ist wenig einfühlsam in Gottes Wirken. Beten ist Anklopfen. Es ist Suchen und Bitten mit ganzem Herzen, mit aller Kraft. Beten ist die Kunst der Einfühlung in Gottes Wesen, in sein Vatersein. Beten ist die Kunst der Einfühlung in Jesus Christus, der uns den Vater zeigt. Solche Einfühlung öffnet uns das Herz für Gottes verändernde Kraft, den Heiligen Geist.

Darum kann im Beten und Bitten alles vor Gott gelangen in größter und manchmal in erbärmlichster Konkretheit: das Brot, die Gesundheit, die Freude und das Lachen, die Angst, die Schuld und die Trauer. Das ganze Leben wird hineingenommen in dieses Gespräch mit Gott, so wie das Herz es gerade empfindet. Himmelhoch jauchzend, voll Wut und Empörung, erschöpft und traurig. Aber so, wie es hineingenommen wird in das Gebet im Bitten, im Suchen und Anklopfen, so bleibt es nicht. Es wird erhört. Die Sehnsucht in unserem Herzen findet in der Sehnsucht des himmlischen Vaters ihren Gesprächspartner und verändert uns, weitet den Horizont, öffnet den Blick zum liebenden Vater und weckt in uns jenes kindliche Vertrauen, das sich an der Hand des Vaters geborgen und gehalten weiß. Nein, er lässt uns nicht los! Selbst wenn wir scheinbar nichts in der Hand haben. So wird uns gegeben, wenn wir bitten. So werden wir finden in allem Suchen. Wir klopfen an und eine Tür wird sich auftun, auch wenn sie wahrscheinlich den Spalt zu anderen Räumen öffnet, als wir am Anfang erwartet haben.

Beten ist eine Kunst der Einfühlung, die uns am Ende unser Leben stärker mit Liebe und Hingabe empfinden lässt. Beten richtet uns auf und lässt uns gehen mit der Gewissheit, dass keine einzige Regung von Freude und von Traurigkeit unerhört bleibt. Denn es wird Teil eines allumfassenden Gesprächs mit Gott. Und dieses Gespräch verändert uns, je mehr wir uns darauf einlassen - in den schönsten Momenten des Lebens und in den ganz normalen Augenblicken. Aber vor allem in den Zeiten, in denen wir diese verändernde Kraft am nötigsten haben.

Das sehen wir am Ende an Jesus selbst. Er lehrt uns das Beten, wo die Worte eigentlich am Ende sind: Am Ende sind die Hände leer. Nicht einmal ein Brotkrümel ist noch da, den er zwischen seinen Fingern hin und her bewegen kann. Die Hände ertasten einander. Zaghaft und zitternd, obwohl sie darin so geübt sind. Suchende, stammelnde Worte hallen durch den Garten Gethsemane. Voller Ungewissheit klingt es, ob Gott sie hört da draußen in den Weiten des Raums oder im Innersten der Dinge. Trotz der Verzweiflung kommen die Worte, die Bitten, das Flehen. Am Ende ist Jesus ruhig, verwandelt, getrost. Die Hände sind immer noch leer, aber das Herz ist erfüllt, obwohl der Weg noch schwer wird. Er hat von dem Besten geschmeckt, das ein Mensch zwischen Himmel und Erde erwarten kann: erhört, geliebt und gehalten zu sein vom Grund unseres Lebens. Und in einem Gespräch zu sein, das weiter geht, selbst über das Ende unserer Tage hinaus.

Pfarrer Rudolf Koller   (Hospitalkirche Hof)

Text:

5 Und er (Jesus) sprach zu ihnen: Wenn jemand unter euch einen Freund hat und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote;
6 denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann,
7 und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben.
8 Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, dann wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, soviel er bedarf.
9 Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.
10 Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.
11 Wo ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn, wenn der ihn um einen Fisch bittet, eine Schlange für den Fisch biete?
12 Oder der ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion dafür biete?
13 Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben geben könnt, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!
 


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