Liebe Leser,
der Schriftsteller Wilhelm Genazino stellt fest: „Unsere
Verhältnisse produzieren unablässig Erschöpfung, ausreichend Platz
für die Erschöpften gibt es aber nicht. Der Erschöpfte ist eine
stigmatisierte Figur. Er bildet das System ab, das über ihn
herrscht, und die Lächerlichkeit seiner Versprechungen. Vor Jahren
habe ich einmal ein Handbuch für Erschöpfte schreiben wollen, eine
Art Stadtführer mit schattenspendenden Bäumen, unbekannten
Schleichwegen (ohne Werbetafeln links und rechts), stillen Cafés
(ohne Gedudel) und so weiter. Leider war ich selber zu erschöpft, um
dieses Handbuch zu schreiben.“ (Wilhelm Genazino, Die
Liebesblödigkeit, München 2008, S. 54 f.)
Wenn wenigstens in der Kirche am Erntedankfest ausreichend Platz
wäre für Erschöpfte, und nicht auch an diesem Fest wieder
angestrengte Betriebsamkeit, das Schielen auf hoffentlich volle
Kirchenbänke, die Angst es auch jedem Besucher, jeden Alters recht
zu machen, die oft angestrengte Fröhlichkeit und Dankbarkeit zu
spüren wäre, dann wäre das doch wirklich großartig. Erschöpft sind
ja nicht nur die, die auch dieses Jahr die große Fracht des Sommers
in hoffentlich ausreichend große Scheunen verladen haben. Mancher
ist trotz langer Sommerferien schon wieder erschlagen und erschöpft
von der Mühle des Alltags, in dem von immer mehr Menschen ein
lebenslang nie endender Optimierungsprozess verlangt wird. Die immer
steigenden Qualitäts- und Produktivitätsansprüche von außen sind das
eine. Die immer höheren Ansprüche an uns selbst und unser Leben sind
das andere.
Deutschland kann mehr und du bist Deutschland? Das muss wie Hohn
klingen für einen Milchbauern, der für die Milch, die er produziert
nicht einmal soviel bekommt, dass er seine Kosten decken kann und
sieht, wie die Mitbewohner des Dorfes in den Supermarkt auf der
grünen Wiese fahren, wo es die Milch noch ein paar Cent billiger
gibt. Es muss wie Hohn klingen für einen der Vollzeit arbeitet und
vom Lohn seine Familie nicht ernähren kann. Es muss wie Hohn klingen
für einen, dessen Erfolge gestern heute nichts mehr wert sind. Wir
sind zum Wachstum verdammt, zum wirtschaftlichen Wachstum ebenso,
wie zum Wachstum unserer Ansprüche an uns und andere. Wann haben wir
den Geldbeutel voll genug, den Hals voll genug, die Schnauze voll
genug? Wo gibt es Ruhe und Frieden? Oder warum schleppen wir uns
denn immer weiter, wie erschöpft wir auch sind? Doch um irgendwann
zu unserer Seele sprechen zu können: Nun habe Ruhe, iss und trink
und habe guten Mut.
Zweifellos ist das Gleichnis vom reichen Kornbauern ein Gleichnis
von einem Erschöpften; von einem Erschöpften, der es gerade noch
geschafft hat, dass ihm der eigene Reichtum nicht über den Kopf
wächst. Manchmal fängt ab einem gewissen Reichtum das nächst größere
Elend an. Der Kornbauer hat ihn gebändigt und in geordnete
Verhältnisse, in größere Scheunen gebracht. Er hat es geschafft,
macht die Tür hinter sich zu, lässt sich erleichtert in den Sessel
fallen und legt die Füße hoch. Was für ein Glücksmoment für den
Erschöpften. Dieser Moment, in dem sich der Sinn all unserer Mühen
zeigt und erfüllt. „Ausgesorgt“, seufzt der reiche Kornbauer
erleichtert. Da tut sich unter ihm die Erde auf.
Meister Eckhart schreibt: „Es gibt manche (Leute), die, wenn es
ihnen innerlich oder äußerlich gut geht, Gott loben und ihm wohl
vertrauen, wie denn etliche sagen: „Ich habe zehn Malter Korn und
ebenso viel Wein in diesem Jahre; ich vertraue fest auf Gott!“ Ganz
recht, sage ich, du hast volles Vertrauen - zu dem Korn und dem
Wein!“ (Quint, S. 380) Der mittelalterliche Mystiker Meister Eckhart
war kein Asket und keiner, der auf Nagelbrettern schlief, aber
einer, der ganz im Sinne dieses Gleichnisses mit scharfem Verstand
dazu aufrief, den Sinn des Lebens nicht in Ausrichtung auf die Dinge
dieser Welt, auf der Habenseite sozusagen, sondern in der Öffnung
des Herzens und des Verstandes zu Gott hin, auf der Seite des Seins
sozusagen, zu suchen. Haben oder Sein, heißt der Bestseller des
Philosophen Erich Fromm, der Meister Eckhart sehr genau gelesen und
verstanden hat. Jesus bringt es in der Bergpredigt auf den gleichen
Punkt: Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. (Matthäus 6/24)
Über solche harschen Sätze mag man heute in der modernen
evangelischen Kirche nicht besonders gerne reden. Es gilt das
fröhliche und angeblich so einladende „sowohl - als auch“. Gott
bewahre uns vor einem Erntedankfest, dass eine fröhliche
Leistungsschau unseres Wohlstandes mit christlicher Begleitmusik
ist. So wie es ja inzwischen üblich ist, zu jedem Thema, zu jedem
Anlass, für jede Gelegenheit die christliche Begleitmusik ein- und
anzufordern. Oft lädt sie sich sogar selber ein. Es lebe die
Selbstfeier des Menschlichen und Allzumenschlichen mit christlicher
Begleitmusik. „Ich habe zehn Malter Korn und ebenso viel Wein in
diesem Jahre; ich vertraue fest auf Gott!“ Ganz recht, sage ich, du
hast volles Vertrauen - zu dem Korn und dem Wein!“
Wie erhellend muss für den Kornbauern jener letzte Moment seines
Falls in die einfachste Grundbedingung seines Menschseins gewesen
sein! Das letzte Hemd hat keine Taschen. Und deshalb geht der fehl,
der das, was man haben kann, für den letzten Horizont und Grund
seines Lebens hält. Närrisch nennt Jesus die, die Arbeiten,
Einkaufen und Rente kriegen für den Sinn des Lebens halten. Dieses
System produziert unablässig Erschöpfte. Der Erschöpfte ist eine
stigmatisierte Figur. Er bildet das System ab, das über ihn
herrscht, und die Lächerlichkeit seiner Versprechungen.
Zweifellos ist die Bibel genau das Handbuch für Erschöpfte, das
Wilhelm Genazino wegen Erschöpfung nicht zu schreiben in der Lage
war. Zweifellos ist die Bibel jener Stadt- und Landführer, in dem
Jesus uns vorbeiführt am Lilienfeld und an der selbstwachsenden
Saat. Er zeigt uns die unbekümmerten Spatzen, die nichts haben, und
wie Gott für sie sorgt. Wie viel mehr wird er dann für euch sorgen.
Genau das ist die Botschaft der Gaben, die heute um unseren Altar
liegen. Alle gute Gabe, kommt her von Gott dem Herrn. Und wir können
uns mit hinlegen zu diesen Gaben. Denn auch unser Leben ist
geschenkt. Der Schmuck des Altars und wir selbst als versammelte
Gemeinde sind am Erntedankfest nichts, aber auch gar nichts anderes,
als die Leistungsschau der Güte Gottes.
Mit einem solchen freien Blick auf den Reichtum der Güte Gottes, ist
es geradezu unmöglich, im Selbstgespräch des reichen Kornbauern mit
seiner Seele zu bleiben. Da muss die eigene Seele raus aus ihrem
Schneckenhaus und nach dem Gott Ausschau halten, der so gütig ist.
Da muss Atem geholt werden für den Lobgesang. Da müssen Seele und
Herz weit werden. Ich habe einen gütigen Gott, der für mich sorgt.
Darum iss und trink und haben guten Mut. Dieser Glaube ist das Ende
aller Erschöpfung. Denn die Güte Gottes ist unerschöpflich.
Das ist ja der eigentliche Skandal dieses Gleichnisses: Da hat einer
so ein großes Bauernzeug und die größten Kartoffeln und bleibt ein
in sich selbst verkrümmter Mensch, der Selbstgespräche führt. Da hat
einer so große Scheunen und so ein mickriges Herz.
Dass wir uns nicht erschöpfen im Kampf um das, was wir haben,
sondern das, was wir haben, als Geschenk Gottes erkennen und unser
Verstand und unser Herz am Erntedankfest weit werden für Gott und
unseren Nächsten, das verleihe Gott uns allen.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text: 15 Und er sprach zu
ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt
davon, dass er viele Güter hat.
16 Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher
Mensch, dessen Feld hatte gut getragen.
17 Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich
habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle.
18 Und sprach: Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen
und größere bauen und will darin sammeln all mein Korn und meine
Vorräte
19 und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen
Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten
Mut!
20 Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine
Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft
hast?
21 So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei
Gott.
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