Predigt     Lukas 12/15-21    Erntedankfest     04.10.15

"Werde erwachsen!"
(von Pfarrer Rudolf Koller, Hospitalkirche Hof)
 

Liebe Leser,

Jetzt sind die Scheunen wieder bis zum Dach gefüllt, die Ballen Lage um Lage sorgfältig gestapelt. Vorbei die Anspannung, die Eile, die ängstlichen Blicke zum Himmel. „Hält sich das Wetter? Kriegen wir alles trocken rein?“ Keine Zeit verlieren, den ganzen Tag bis in den Abend aufladen und abladen. Heute muss noch alles unters Dach kommen. Warm ist es jetzt in der Scheune und ruhig. Die Wärme eines ganzen Sommers noch in den Ballen. Die große Ruhe nach der großen Arbeit. An dieser Stelle hören wir den Predigttext für das heutige Erntedank-Fest.

Text

Die große Ruhe nach der großen Arbeit … Auch wir feiern das Erntedankfest, aber wir schwitzen nicht mehr unter der Sonne, damit die Ernte rechtzeitig unter Dach und Fach kommt. Wir werden nicht mehr durstig und hungrig davon. Unsere Arbeit ist anders. Die wenigsten von uns sehen noch das Ergebnis ihrer Arbeit oder können es sogar anfassen. Schwitzen und sich erschöpfen, das passiert nicht am Schreibtisch, sondern erst beim Sport nach Feierabend.

Unsere Arbeit ist anders. Aber die große Ruhe nach der großen Arbeit - das ist auch unser aller Sehnsucht! Das Bier oder das Glas Wein am Feierabend schmeckt ein bisschen nach dieser Ruhe. Wie köstlich muss das sein - fragt sich der Schreibtischtäter -, einmal wirklich durstig zu sein nach einer Arbeit in der Hitze des Tages. Einmal das Tagwerk getan haben. Einmal morgens anfangen und abends wirklich fertig sein, ruhig im doppelten Sinn des Wortes. Einmal alles unter Dach und Fach bringen.

„Solange die Erde währt, sollen nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ - Das sind Gottes Versprechen an die Menschen von Anfang an, wie es in der Noah-Geschichte erzählt wird. Die Bögen des Lebens! Auch das Leben ist ein Bogen. Es hat einen Anfang und ein Ende, ist ein Werden und Vergehen, Saat und Ernte. Aber eben diese Bögen des Lebens sind heutzutage nur noch verschwommen und mühsam erkennbar: Man kann sie nicht mehr schmecken, weil es das ganze Jahr frisches Obst und Gemüse gibt. Man kann sie nicht mehr sehen, weil es uns ein Leichtes ist, die Nacht zum Tag zu machen. Man kann sie nicht mehr hören, weil der Sonntag kein Tag der Ruhe mehr ist.

Das Leben ist ein Bogen. Aber wir biegen ihn heutzutage gerade mit aller Gewalt - weil wir das Ende nicht sehen wollen! „Es gibt immer was zu tun“ - Die Klage der einen ist längst schon zum Werbeslogan für die anderen geworden. Und: Kein Ende in Sicht! Der Satz ist mehrdeutig! Man kann ihn auch so verstehen, dass wir die große Ruhe nach der großen Arbeit lieber noch ein bisschen verschieben. Schließlich hat diese große Ruhe so etwas Endgültiges …

Lieber noch etwas tun. Scheunen bauen zum Beispiel. Wahrscheinlich beginnt der Irrtum des reichen Menschen gleich nach dem ersten Satz. „Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen.“ Nur, er hat kein Danklied auf seinen Lippen, da singt keine Melodie in seinem Herzen! „Herr, die Erde ist gesegnet von dem Wohltun deiner Hand. Güt und Milde hat geregnet, dein Geschenk bedeckt das Land.“ Nichts dergleichen! Der reiche Mensch hat einfach vergessen, von wessen Güte und Milde er lebt. Ein fruchtbares Feld, günstige Witterung, eine gute Ernte - fragen Sie den Bauern! Er wird Ihnen bestätigen, dass all das unverfügbar ist, nichts, was von Menschenhand gemacht werden kann. Der reiche Mensch hat darüber hinaus vergessen, wem all das gehört! Denn die Grundlagen des Lebens gehören nicht uns: die Luft, die wir atmen; das Wasser, das wir trinken; die Erde, die wir bebauen.

Das vergessen auch wir heutzutage gerne. Vielleicht, weil wir nicht mehr säen und ernten müssen. Das vergessen wir, weil unsere Scheune die ganze Welt ist und von überallher kommt, was wir brauchen oder wollen. Das vergessen wir in den Gängen der Supermärkte, in den Geschäften und an den Kassen. Dort lernen wir etwas anderes: dass man alles kaufen kann und dass der angeblich einzige Mangel im Leben der Mangel an Geld ist. Die Vergesslichkeit des reichen Menschen in unserem Predigttext ist insofern unserer Vergesslichkeit durchaus ähnlich!

„Der große Irrtum des Menschen ist der Besitz“, sagte einmal jemand, „und wenn die Grundlagen des Lebens dir nicht gehören, dann gehört dir auch nur zum Teil, was aus ihnen entsteht.“ In unserem Predigttext häufen sich verdächtig die besitzanzeigenden Fürwörter: „Meine Früchte, meine Scheune, mein Korn, meine Vorräte.“ Ein quengelndes Kleinkind fällt mir ein: „Mein, mein, mein.“ An der Supermarktkasse üben wir angesichts der dort aufgebauten „Quengelware“ geduldig mit unseren Kindern ein, dass man nicht alles haben kann und zu haben braucht. Wir lehren unsere Kinder, manchmal gegen ihren erbitterten Widerstand, abzugeben und zu teilen - und bleiben selbst doch oft merkwürdig unberührt von unseren Lektionen.

Ja, wir wissen, dass man nicht alles haben kann und braucht. Ja, wir wissen, dass man abgeben und teilen muss. Ja, wir wissen, dass wir mit unserem Lebensstil die Lebensgrundlagen aller Menschen auf der ganzen Welt zerstören. Ja, wir wissen, dass die Verteilung der Güter auf dieser Welt ungerecht ist. Wir wissen das alles und quengeln trotzdem weiter: „meine billigen Lebensmittel“, „meine grenzenlose Mobilität“, „mein Lebensstandard“, „mein Haus“, „meine Altersvorsorge“.

Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast? Das quengelnde Kleinkind in uns wird streng zurechtgewiesen. Werde erwachsen! Du kannst nicht alles haben! Und da gibt es noch andere Menschen auf der Welt! Also fang gar nicht erst damit an, dir Scheunen zu bauen. Wenn du nicht mehr weißt, wohin mit dem, was dir gehört, dann hast du schon zu viel. Eigentlich eine schlichte Einsicht - freilich mit weitreichenden Konsequenzen! Ich versuche mir gerade vorzustellen, welche Konsequenzen diese Einsicht in den Manager-Etagen von Banken und Versicherungen haben müsste, oder an der Börse, oder auch für mich persönlich…

Ist denn nicht die Anhäufung von Besitz letztlich nichts anderes als ein weiterer, jämmerlicher Versuch, den Bogen des Lebens mit aller Gewalt gerade zu biegen? Besitz, Geld, eine private Krankenversicherung, das alles verlängert erwiesenermaßen das Leben und erleichtert vielleicht auch den Tod. Aber alles, was wir haben, ändert nichts daran, dass wir eines Tages gehen müssen und nichts mitnehmen können. Das letzte Hemd hat wirklich keine Taschen. Die Grenzen des Lebens, seinen Anfang und sein Ende werden wir nicht verschieben. Der Bogen des Lebens schließt auch unser Leben ein. Es ist gut, sich gerade in den Erntezeiten des Lebens daran zu erinnern.

In der jüdischen Tradition werden zum Erntefest Sukkot kleine Laubhütten errichtet, in denen während der Festtage gewohnt wird. Eine Laubhütte mit einem durchlässigen Dach - das genaue Gegenteil von einer Scheune! Keine Sicherheit, aber offen zum Himmel, zur Großherzigkeit unseres himmlischen Vaters. Und: Bereit zu gehen! Weil wir nicht bleiben können.

Was also tun? - „Reich bei Gott sein“ heißt es in unserem Predigttext und die Heilige Schrift gibt viel Anschauungsmaterial, was das heißen kann: Gesammelt werden da andere „Schätze“: nämlich Erfahrungen von Glück und gelingendem Leben. Das beginnt womöglich mit der Freude an Gott (oder in Gott?), dem Herrn des Lebens, der mir mein Leben geschenkt und bis hierher und heute erhalten hat. Da singt täglich ein feines Dank- und Loblied im Herzen. Das geht weiter mit der im Glauben geschenkten Freiheit gegenüber allem, was das Leben binden oder versklaven will: Besitz, Macht, Ansehen, manchmal auch Personen, wie auch immer die versklavenden Mächte heißen mögen! Und „reich sein bei Gott“ mündet laut Heiliger Schrift bevorzugt in Großherzigkeit! Ist es doch Gottes Großherzigkeit, die unser mickriges Herz aufräumen will, es groß und weit machen will! Auf dass wir - endlich - unsere Mitmenschen in den Blick bekommen und nicht nur uns selbst! Auf dass wir - endlich - nicht danach suchen, geliebt zu werden, sondern zu lieben.

Am Ende, bei der großen Ruhe nach der großen Arbeit, wenn Gott der Herr in seine Scheune sammelt, dann werden wir dort eh nicht finden, was wir besessen haben, aber alles, was wir gegeben haben.

Pfarrer Rudolf Koller   (Hospitalkirche Hof)

Text:

15 Und er sprach zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.
16 Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen.
17 Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle.
18 Und sprach: Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will darin sammeln all mein Korn und meine Vorräte
19 und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut!
20 Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?
21 So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott.
 


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