Liebe Leser,
Jetzt sind die Scheunen wieder bis zum Dach gefüllt, die Ballen Lage
um Lage sorgfältig gestapelt. Vorbei die Anspannung, die Eile, die
ängstlichen Blicke zum Himmel. „Hält sich das Wetter? Kriegen wir
alles trocken rein?“ Keine Zeit verlieren, den ganzen Tag bis in den
Abend aufladen und abladen. Heute muss noch alles unters Dach
kommen. Warm ist es jetzt in der Scheune und ruhig. Die Wärme eines
ganzen Sommers noch in den Ballen. Die große Ruhe nach der großen
Arbeit. An dieser Stelle hören wir den Predigttext für das heutige
Erntedank-Fest.
Text
Die große Ruhe nach der großen Arbeit … Auch wir feiern das
Erntedankfest, aber wir schwitzen nicht mehr unter der Sonne, damit
die Ernte rechtzeitig unter Dach und Fach kommt. Wir werden nicht
mehr durstig und hungrig davon. Unsere Arbeit ist anders. Die
wenigsten von uns sehen noch das Ergebnis ihrer Arbeit oder können
es sogar anfassen. Schwitzen und sich erschöpfen, das passiert nicht
am Schreibtisch, sondern erst beim Sport nach Feierabend.
Unsere Arbeit ist anders. Aber die große Ruhe nach der großen Arbeit
- das ist auch unser aller Sehnsucht! Das Bier oder das Glas Wein am
Feierabend schmeckt ein bisschen nach dieser Ruhe. Wie köstlich muss
das sein - fragt sich der Schreibtischtäter -, einmal wirklich
durstig zu sein nach einer Arbeit in der Hitze des Tages. Einmal das
Tagwerk getan haben. Einmal morgens anfangen und abends wirklich
fertig sein, ruhig im doppelten Sinn des Wortes. Einmal alles unter
Dach und Fach bringen.
„Solange die Erde währt, sollen nicht aufhören Saat und Ernte, Frost
und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ - Das sind Gottes
Versprechen an die Menschen von Anfang an, wie es in der
Noah-Geschichte erzählt wird. Die Bögen des Lebens! Auch das Leben
ist ein Bogen. Es hat einen Anfang und ein Ende, ist ein Werden und
Vergehen, Saat und Ernte. Aber eben diese Bögen des Lebens sind
heutzutage nur noch verschwommen und mühsam erkennbar: Man kann sie
nicht mehr schmecken, weil es das ganze Jahr frisches Obst und
Gemüse gibt. Man kann sie nicht mehr sehen, weil es uns ein Leichtes
ist, die Nacht zum Tag zu machen. Man kann sie nicht mehr hören,
weil der Sonntag kein Tag der Ruhe mehr ist.
Das Leben ist ein Bogen. Aber wir biegen ihn heutzutage gerade mit
aller Gewalt - weil wir das Ende nicht sehen wollen! „Es gibt immer
was zu tun“ - Die Klage der einen ist längst schon zum Werbeslogan
für die anderen geworden. Und: Kein Ende in Sicht! Der Satz ist
mehrdeutig! Man kann ihn auch so verstehen, dass wir die große Ruhe
nach der großen Arbeit lieber noch ein bisschen verschieben.
Schließlich hat diese große Ruhe so etwas Endgültiges …
Lieber noch etwas tun. Scheunen bauen zum Beispiel. Wahrscheinlich
beginnt der Irrtum des reichen Menschen gleich nach dem ersten Satz.
„Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen.“ Nur, er
hat kein Danklied auf seinen Lippen, da singt keine Melodie in
seinem Herzen! „Herr, die Erde ist gesegnet von dem Wohltun deiner
Hand. Güt und Milde hat geregnet, dein Geschenk bedeckt das Land.“
Nichts dergleichen! Der reiche Mensch hat einfach vergessen, von
wessen Güte und Milde er lebt. Ein fruchtbares Feld, günstige
Witterung, eine gute Ernte - fragen Sie den Bauern! Er wird Ihnen
bestätigen, dass all das unverfügbar ist, nichts, was von
Menschenhand gemacht werden kann. Der reiche Mensch hat darüber
hinaus vergessen, wem all das gehört! Denn die Grundlagen des Lebens
gehören nicht uns: die Luft, die wir atmen; das Wasser, das wir
trinken; die Erde, die wir bebauen.
Das vergessen auch wir heutzutage gerne. Vielleicht, weil wir nicht
mehr säen und ernten müssen. Das vergessen wir, weil unsere Scheune
die ganze Welt ist und von überallher kommt, was wir brauchen oder
wollen. Das vergessen wir in den Gängen der Supermärkte, in den
Geschäften und an den Kassen. Dort lernen wir etwas anderes: dass
man alles kaufen kann und dass der angeblich einzige Mangel im Leben
der Mangel an Geld ist. Die Vergesslichkeit des reichen Menschen in
unserem Predigttext ist insofern unserer Vergesslichkeit durchaus
ähnlich!
„Der große Irrtum des Menschen ist der Besitz“, sagte einmal jemand,
„und wenn die Grundlagen des Lebens dir nicht gehören, dann gehört
dir auch nur zum Teil, was aus ihnen entsteht.“ In unserem
Predigttext häufen sich verdächtig die besitzanzeigenden Fürwörter:
„Meine Früchte, meine Scheune, mein Korn, meine Vorräte.“
Ein quengelndes Kleinkind fällt mir ein: „Mein, mein, mein.“ An der
Supermarktkasse üben wir angesichts der dort aufgebauten
„Quengelware“ geduldig mit unseren Kindern ein, dass man nicht alles
haben kann und zu haben braucht. Wir lehren unsere Kinder, manchmal
gegen ihren erbitterten Widerstand, abzugeben und zu teilen - und
bleiben selbst doch oft merkwürdig unberührt von unseren Lektionen.
Ja, wir wissen, dass man nicht alles haben kann und braucht. Ja, wir
wissen, dass man abgeben und teilen muss. Ja, wir wissen, dass wir
mit unserem Lebensstil die Lebensgrundlagen aller Menschen auf der
ganzen Welt zerstören. Ja, wir wissen, dass die Verteilung der Güter
auf dieser Welt ungerecht ist. Wir wissen das alles und quengeln
trotzdem weiter: „meine billigen Lebensmittel“, „meine grenzenlose
Mobilität“, „mein Lebensstandard“, „mein Haus“, „meine
Altersvorsorge“.
Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem
wird dann gehören, was du angehäuft hast? Das quengelnde Kleinkind
in uns wird streng zurechtgewiesen. Werde erwachsen! Du kannst nicht
alles haben! Und da gibt es noch andere Menschen auf der Welt! Also
fang gar nicht erst damit an, dir Scheunen zu bauen. Wenn du nicht
mehr weißt, wohin mit dem, was dir gehört, dann hast du schon zu
viel. Eigentlich eine schlichte Einsicht - freilich mit
weitreichenden Konsequenzen! Ich versuche mir gerade vorzustellen,
welche Konsequenzen diese Einsicht in den Manager-Etagen von Banken
und Versicherungen haben müsste, oder an der Börse, oder auch für
mich persönlich…
Ist denn nicht die Anhäufung von Besitz letztlich nichts anderes als
ein weiterer, jämmerlicher Versuch, den Bogen des Lebens mit aller
Gewalt gerade zu biegen? Besitz, Geld, eine private
Krankenversicherung, das alles verlängert erwiesenermaßen das Leben
und erleichtert vielleicht auch den Tod. Aber alles, was wir haben,
ändert nichts daran, dass wir eines Tages gehen müssen und nichts
mitnehmen können. Das letzte Hemd hat wirklich keine Taschen. Die
Grenzen des Lebens, seinen Anfang und sein Ende werden wir nicht
verschieben. Der Bogen des Lebens schließt auch unser Leben ein. Es
ist gut, sich gerade in den Erntezeiten des Lebens daran zu
erinnern.
In der jüdischen Tradition werden zum Erntefest Sukkot kleine
Laubhütten errichtet, in denen während der Festtage gewohnt wird.
Eine Laubhütte mit einem durchlässigen Dach - das genaue Gegenteil
von einer Scheune! Keine Sicherheit, aber offen zum Himmel, zur
Großherzigkeit unseres himmlischen Vaters. Und: Bereit zu gehen!
Weil wir nicht bleiben können.
Was also tun? - „Reich bei Gott sein“ heißt es in unserem
Predigttext und die Heilige Schrift gibt viel Anschauungsmaterial,
was das heißen kann: Gesammelt werden da andere „Schätze“: nämlich
Erfahrungen von Glück und gelingendem Leben. Das beginnt womöglich
mit der Freude an Gott (oder in Gott?), dem Herrn des Lebens, der
mir mein Leben geschenkt und bis hierher und heute erhalten hat. Da
singt täglich ein feines Dank- und Loblied im Herzen. Das geht
weiter mit der im Glauben geschenkten Freiheit gegenüber allem, was
das Leben binden oder versklaven will: Besitz, Macht, Ansehen,
manchmal auch Personen, wie auch immer die versklavenden Mächte
heißen mögen! Und „reich sein bei Gott“ mündet laut Heiliger Schrift
bevorzugt in Großherzigkeit! Ist es doch Gottes Großherzigkeit, die
unser mickriges Herz aufräumen will, es groß und weit machen will!
Auf dass wir - endlich - unsere Mitmenschen in den Blick bekommen
und nicht nur uns selbst! Auf dass wir - endlich - nicht danach
suchen, geliebt zu werden, sondern zu lieben.
Am Ende, bei der großen Ruhe nach der großen Arbeit, wenn Gott der
Herr in seine Scheune sammelt, dann werden wir dort eh nicht finden,
was wir besessen haben, aber alles, was wir gegeben haben.
Pfarrer Rudolf Koller
(Hospitalkirche
Hof) |
Text: 15 Und er sprach zu
ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt
davon, dass er viele Güter hat.
16 Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher
Mensch, dessen Feld hatte gut getragen.
17 Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich
habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle.
18 Und sprach: Das will ich tun: Ich will meine Scheunen abbrechen
und größere bauen und will darin sammeln all mein Korn und meine
Vorräte
19 und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen
Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten
Mut!
20 Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine
Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft
hast?
21 So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei
Gott.
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