Liebe Leser,
„Auf dem Sportplatz ist es meist spannender
als in der Kirche. Denn in der Kirche wird im Grunde immer nur das
eine gesagt: Du hast gewonnen. Gott hat alles für dich getan, es
kann dir trotz allem gar nichts passieren. Das klingt manchmal sehr
langweilig, und deshalb ist ein Fußballspiel meist aufregender als
ein Gottesdienst." Das sind harte Worte. Sie stammen nicht etwa von
Michael Ballack, sondern von Manfred Josuttis, Professor für
praktische Theologie und bekennender Fußballfan. So mancher
Konfirmand hier in der Kirche würde ihm vermutlich mit Freuden
zustimmen.
Aber auch wir Erwachsenen erinnern uns ja gerne an die Sternstunden
des deutschen Fußballs: Die Ältesten unter uns haben noch das „Tor,
Tor, Tor“ aus dem WM-Finale in Bern 1954 im Ohr, beim 3:2 über
Ungarn. Oder die „Weltmeister der Herzen“, jene junge deutsche
Mannschaft, die 2006 hier bei der WM in Deutschland mit
erfrischendem Fußball den 3. Platz belegte. Fußball ist spannend,
keine Frage. Da gibt es Kampf und Dramatik, da gibt es Freude und
Tränen, da gibt es Sieg und Niederlage in letzter Sekunde. Alle
Gefühle des Lebens scheinen sich in den 90 Minuten wie unter einem
Brennglas zu konzentrieren. Und in der Kirche?
Da gibt es nur Gewinner, sagt M. Josuttis. Gott hat alles für dich
getan, es kann dir trotz allem gar nichts passieren. Gut zu wissen,
aber irgendwie langweilig. Andererseits - was ist wirklich dagegen
einzuwenden? Schließlich ist die Frohe Botschaft von der Liebe
Gottes die Grundlage unseres Glaubens. Außerdem kommen die Menschen
doch gerade deswegen in die Kirche. In einer Zeit, die immer
rasanter und unübersichtlicher wird, brauchen wir ein wenig Balsam
für die entfremdete Seele.
„Ihre Predigt hat mir gut getan", sagen Gottesdienstbesucher, wenn
sie mit einem guten Gefühl nach Hause gehen. Mit freundlichem
Händedruck und anerkennender Geste verabschieden sie sich vom
Pfarrer. So sind am Ende wirklich alle Gewinner. Ganz schön - aber
langweilig, könnte M. Josuttis wieder einwenden und die Konfirmanden
würden wieder nicken.
Und noch einer würde sich das Geschehen vielleicht mit einem
Stirnrunzeln anschauen. Der heutige Predigttext zeigt einen Jesus,
der ganz und gar nichts davon zu halten scheint, sich im Glauben auf
der sicheren Seite zu fühlen. Von wegen, wir sind alle Gewinner. Da
hatten sich viele Menschen im Gefolge Jesu auf den Weg gemacht,
sicher auch in der Erwartung, von ihm Worte der Erbauung zu hören.
Und er hält mitten auf dem Weg inne, wendet sich ihnen zu und sagt:
(Text, siehe rechte Spalte)
Der Evangelist Lk. erzählt nichts davon, wie viele auf dem Fuße
kehrt gemacht haben und nach Hause gegangen sind. Sicher, das Wort
"hassen" im Text der Lutherbibel ist zu stark! Folgt man dem
griechischen Original, muss man „weniger lieben“ oder auch „geringer
achten“ übersetzen. Es geht also nicht um eine feindselige Haltung.
Aber dennoch: Was für eine Zumutung steckt immer noch in der
Forderung Jesu, ihn mehr zu lieben als die eigenen Kinder?! Das ist
nicht langweilig. Das ist schon eher ärgerlich. Jede Mutter und
jeder Vater wird den Kopf schütteln und fragen: Warum verlangt Jesus
solche Dinge? Warum stellt er das vierte Gebot auf den Kopf? Zumal
Jesus selbst in der Geschichte davor beim großen Festmahl noch davon
erzählt, dass selbst die von draußen an den Hecken und Zäunen
eingeladen sind. Im Kapitel danach lobt er den Hirten, der sich auf
die Suche nach dem verlorenen Schaf macht.
Eines können wir mit Sicherheit damit schon mal festhalten. Jesus
sagt längst nicht immer nur das eine. Im Gegenteil, er mutet nicht
nur Schriftgelehrten und Pharisäern, sondern auch seinem eigenen
Gefolge unbequeme Wahrheiten zu. Selbst auf das Risiko hin, dass sie
umkehren. Und das bestimmt nicht, weil er Langeweile vermeiden will.
Wohl eher, weil niemand besser weiß als er: Der persönliche Glaube
als Beziehung zwischen Gott und Mensch ist kein fertiger Zustand,
den man einfach bestätigt bekommt. Nein, Glaube - Leben im und aus
Glauben - ist ein höchst spannender und lebendiger Prozess. Der Mann
aus Nazareth hat das wie kein anderer am eigenen Leib erfahren:
Welchen verführerischen Versuchungen war der Menschensohn wohl
ausgesetzt? Wie hat er das geschafft: alle Sicherheiten aufzugeben?
Er wählte den schwierigen Weg.
Er erlebt Anfeindung.
Er kämpft bis zur Verzweiflung.
Er liebt und wütet um der Menschen willen.
Er kennt Angst.
Er erlebt die Einsamkeit des Todes am Kreuz.
Am Ende kehrt er heim, aufgezehrt, aber erlöst.
Langweilig? Eher eine Dynamik, die die Welt mehr bewegt als alle
Fußballevents, die es je gab und die noch kommen werden. Wer sich
dies vor Augen hält, versteht Jesus vielleicht besser, wenn er sagt:
Prüft euch selber. Habt ihr die Kraft, den Weg des Glaubens zu
gehen, auch in kritischen Zeiten? Denn statt „Gott hat alles für
dich getan" lautet die Botschaft des heutigen Sonntags: Wer in
meinem Namen unterwegs ist, der muss wissen, worauf er sich
einlässt. So ähnlich haben wir es vorhin auch in der Lesung aus dem
Brief an die Korinther gehört: „Wir aber predigen den Gekreuzigten,
den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit ..."
Und was predigen wir heute? Wir halten fest: Jesu Botschaft ist
alles andere als ein Wohlfühl-Angebot! Das passt so gar nicht zu
unserem Zeitgeist. Wir sind heute daran gewöhnt, alles, was man
braucht, auch in der Light-Version zu bekommen. Für die Botschaft
Jesu Christi darf das nicht gelten. Die Heilige Schrift lebt von
ihren archaischen Bildern. Die Erwartung, sie stets in mundgerechten
Predigthäppchen serviert zu bekommen, ist nicht nur langweilig,
sondern auch falsch. Ja, die Kirche soll sich um ihre Mitglieder
bemühen, aber sie muss niemandem mit einem weichgespülten Evangelium
hinterherlaufen - nur aus Angst, es könnte sich jemand an Jesu
Worten verschlucken.
Umgekehrt muss keiner gleich zum Märtyrer werden. Unsere
Gesellschaft hier erfordert nicht den Todesmut des Widerstands, für
die ein Dietrich Bonhoeffer oder ein Martin Luther King starben.
Gott sei Dank! Auch die rigorose Selbstaufgabe ist mehr etwas für
Exoten. Aber, so der Predigttext, es ist dennoch nie die Zeit für
einen lauwarmen religiösen Dämmerzustand. Denn Mitgliedschaft heißt
nicht, nur dabei zu sein, sondern mittendrin. Dabei geht es nicht
darum, das Kreuz Christi noch einmal zu tragen. Aber wir sollen
erkennen, was unser Kreuz ist! Glaube kostet Mut, Kraft und langen
Atem. Bedenke das, sagt Jesus, wie einer, der einen Turm bauen will
und vorher die Kosten überschlägt. Es wäre ja peinlich, auf halber
Strecke mit dem Bau aufhören zu müssen. Die anderen würden über ihn
spotten. Oder wie ein König, der Krieg führen will. Auch er hält
Rat, ob er mit seiner Truppe überhaupt eine Siegeschance hat. Die
Botschaft hinter diesen sprachlichen Bildern ist nicht: Du hast
schon gewonnen, sondern eher: Du bist gut unterwegs, aber es ist ein
weiter Weg, äußerlich und innerlich.
Das Kreuz auf sich zu nehmen fängt mit der Ehrlichkeit zu sich
selbst an. Im Licht der Worte Jesu zeigen sich meine Schattenseiten:
mein kleinliches Denken, mein verletzter Stolz, meine heimliche
Habgier, meine ewige Sehnsucht nach Anerkennung. Und wer sich selbst
nicht in Frage stellen mag, kann meinen Weg nicht mitgehen, sagt
Jesus. Das Kreuz auf sich zu nehmen heißt weiter, ehrlich zu sein
gegenüber dem eigenen Woher und Wohin. Machen wir es konkret:
Letzten Freitag hat der Hofer Stadtrat mit 36 gegen 8 Stimmen
beschlossen, den Namen der Dr.-Dietlein-Straße beizubehalten. Dekan
Saalfrank hat das in einer persönlichen Stellungnahme im Internet
auch noch goutiert. Nun war Dr. Dietlein erwiesenermaßen „ein
überzeugter und enthusiastischer Nationalsozialist“ und ein
„Antisemit“, dem 1946 das Leitungsgremium des evang. Dekanats einen
Persilschein ausstellte. Die Fakten dazu hat Prof. Dr. Alf Mintzel
schriftlich auf den Tisch gelegt. Was für ein Signal wird hier
eigentlich gesetzt? Dr. Dietlein ein Vorbild? Ist die braune Hofer
Vergangenheit bis in den Stadtrat hinein wieder salonfähig geworden?
Dabei brennen sich die Worte des Predigttextes ins Gewissen ein:
„Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht
mein Jünger sein."
Wer sich zu Jesus Christus hält, muss seine irdischen Bindungen
ständig neu an der Wahrheit des Evangeliums prüfen. Das ist auch
Kampf mit der eigenen Vergangenheit, bei so manchem vielleicht auch
mit der eigenen Bequemlichkeit. Aber wer seinen Glauben nicht zur
Wellness-Attrappe oder zum frommen Egotrip oder zum schönen Schein
werden lassen will, ringt immer wieder mit Gott und seinem Gewissen.
Mit dem einfachen und doch schweren Gedanken Dietrich Bonhoeffers
gesagt: „Was mich unablässig bewegt, ist die Frage, was das
Christentum oder auch wer Christus heute für uns eigentlich ist." In
diesem Sinne sind und bleiben wir unterwegs mit Jesus.
„Dieser Weg wird kein leichter sein. Dieser Weg wird steinig und
schwer", hat Xavier Naidoo damals gesungen. Ein Lied, das auch die
Fußballnationalspieler 2006 im Bus stets begleitet hat. Es war wie
ein Ritual. Es war Balsam für ihre Seelen kurz vor dem großen Kampf.
Vielleicht ein Rest unbewusster Sehnsucht nach Schutz und
Geborgenheit, nach Segen. „Auf dem Sportplatz ist es meist
spannender als in der Kirche", sagt Manfred Josuttis. Aber er selbst
weiß natürlich auch um die andere Sehnsucht, die sowohl
Kirchenbesucher als auch Fußballer kennen. Sie beschreibt er so:
„Ich brauche auch die Gewissheit, die im Gottesdienst laut wird. Ich
kann nur leben und ich kann nur kämpfen in dem Vertrauen, dass die
Entscheidung über mein Leben schon gefallen ist." Ein Widerspruch?
Vielleicht. Ihn aber aufzulösen wäre ganz und gar langweilig.
Pfarrer Rudolf Koller
(Hospitalkirche
Hof)
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Text:
25 Es ging aber eine große Menge mit ihm;
und er wandte sich um und sprach zu ihnen:
26 Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter,
Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann
nicht mein Jünger sein.
27 Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht
mein Jünger sein.
28 Denn wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich
nicht zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es
auszuführen, –
29 damit nicht, wenn er den Grund gelegt hat und kann's nicht
ausführen, alle, die es sehen, anfangen, über ihn zu spotten,
30 und sagen: Dieser Mensch hat angefangen zu bauen und kann's nicht
ausführen?
31 Oder welcher König will sich auf einen Krieg einlassen gegen
einen andern König und setzt sich nicht zuvor hin und hält Rat, ob
er mit zehntausend dem begegnen kann, der über ihn kommt mit
zwanzigtausend?
32 Wenn nicht, so schickt er eine Gesandtschaft, solange jener noch
fern ist, und bittet um Frieden.
33 So auch jeder unter euch, der sich nicht lossagt von allem, was
er hat, der kann nicht mein Jünger sein.
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