Predigt    Lukas 14/25-33    5. Sonntag nach Trinitatis    08.07.07

"Die Tasse läuft über!"
(Von Vikar Jörg Mahler, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

sie hat ein wunderschönes weißes Brautkleid an, er einen dunklen Anzug. Beide sitzen sie nebeneinander im Standesamt. Der Bräutigam scheint nicht so ganz bei der Sache. Er wirkt unkonzentriert und dreht sich zwischendurch immer wieder leicht nach hinten und tuschelt mit einem der Trauzeugen. Dem Standesbeamten bleibt das nicht verborgen, darum stellt er die entscheidende Frage etwas lauter. Der Bräutigam wendet kurz verwirrt den Blick in Richtung des Standesbeamten und murmelt ein hastig-halbherziges „Jaja“. Noch bevor der Standesbeamte dazu kommt, dieselbe Frage auch an die junge Dame zu stellen, steht diese auf, eilt zielstrebig zur Tür und verschwindet.

Ich kann die junge Dame gut verstehen. Das Verhalten und das dahingeplapperte „Jaja“ ihres Bräutigams war wohl kein „Ja“, das sie überzeugte. Und darum sagte sie „Nein“, indem sie einfach ging. Wenn die Ehe schon so losgeht, wie soll es dann bloß später werden? Die junge Dame kann doch wohl von dem Mann, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen will, erwarten, dass er ihr seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt, dass er wahrnimmt, wie es ihr geht, was sie beschäftigt, dass er für sie da ist im Guten wie im Schweren.

Als Christen verbringen wir unser Leben nicht nur mit der Familie und den Freunden. Wir verbringen es auch mit Gott. Und Gott hat auch Erwartungen an uns: In unserem heutigen Predigttext sagt Jesus, was er von seinen Nachfolgern erwartet. Bisher dachte ich, ich wäre so ein Nachfolger Jesu. Der Konfirmandenunterricht hat mir Spaß gemacht. Nach der Konfirmation habe ich in der Jugendarbeit mitgearbeitet. Und sonntags gehe ich seit meiner Konfirmandenzeit in den Gottesdienst. Ich engagiere mich für die Gemeinde. Mir ist der Glaube und die Beziehung zu Gott wichtig. Mit alledem fühle ich mich als „Nachfolger Jesu“. Doch nun lese ich diese Worte: Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein. Das ist ein hartes Wort, das mir unser Herr da sagt! Die Familie ist mir wichtig, nie könnte ich sie hassen! Und sagt Jesus nicht selbst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst? Nehme ich, so wie ich lebe, den Glauben und das Leben als Christ nicht ernst?

Vor meinem Auge erscheint das Bild eines Wandermönchs, der alles zurückgelassen hat, alle familiären und wirtschaftlichen Bindungen, in denen er einst lebte. Er zieht in seiner zerlumpten Kutte durch die Gegend und lebt allein vom Wort Gottes und den Gaben, die er bekommt. Seine Augen leuchten. Er gibt sich ganz Gott hin. Ist das der ideale Nachfolger? Was erwartet Gott von uns?

Ein Professor kam zu einem Zen-Meister, um von ihm einiges über Zen zu erfahren. Nan-in, der Zen-Meister, reichte ihm Tee. Er goss ihm Tee in die Tasse und goss weiter, als die Tasse bereits überlief. Der Professor sah die Tasse überlaufen und konnte schließlich nicht mehr an sich halten: „Die Tasse läuft über! Sie können nicht noch mehr hineingießen!“. „Wie diese Tasse“, entgegnete ihm Nan-in, „sind sie randvoll mit ihren eigenen Ansichten und Spekulationen. Wie soll ich Ihnen Zen beibringen können, wenn sie nicht erst einmal ihre Tasse leeren?“.

Wer bis obenhin angefüllt ist, der tut sich schwer, offen zu sein für das Wesentliche. Der Bräutigam jener jungen Dame war angefüllt mit vielen Dingen, so dass er sich nicht auf sie konzentrieren konnte. Ich lasse meine Fantasie spielen: Vielleicht waren es berufliche Aufgaben, von denen er nicht loskam. Oder das junge Paar ist gerade dabei, ein Haus zu bauen, und da gilt es, viel zu organisieren. Vielleicht kümmert er sich um seine kranke Mutter, oder er geht auf in den Sorgen seiner Geschwister. Vielleicht beanspruchen ihn die Freunde, vielleicht rauben Verein und Hobby Zeit und Energien. Wahrscheinlich aber kommen bei ihm viele verschiedene Dinge zusammen, so dass er angefüllt ist bis obenhin wie die Tasse von Nan-in. Vielleicht fühlt er ja selbst, dass er seinen Kopf nicht mehr frei hat und überläuft von alledem, was in ihm ist und noch ihn hinein will, und einfach nicht mehr hineinpasst.

Ich bleibe in meiner Fantasie bei diesem Mann. Ihn zieht es am Sonntag nach seiner missglückten Trauung in den Gottesdienst. Er hört unseren heutigen Predigttext: Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein.
Durch den Mann geht ein Ruck! Er merkt plötzlich, wie wichtig es ist, sich auf etwas ganz und gar einzulassen. Er hat die Worte in dieser Härte gebraucht. Dem Mann geht auf, wie wichtig es ist, seine Prioritäten im Leben richtig zu setzen und die Dinge des Lebens einander recht zuzuordnen.

Ich weiß nicht, ob er nun einen neuen Anlauf nimmt, und seine zukünftige Frau an die erste Stelle setzt, oder ob er sich vielleicht sogar darauf einlassen kann, Gott an die erste Stelle zu setzen. Genau darum aber geht es Jesus mit seiner harten Predigt: Gott an die erste Stelle zu setzen. Ihm geht es um das Wirksamwerden des ersten Gebots: „Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir!“. Jesus erwartet von demjenigen, der ihm nachfolgt, dass er sich ganz entleert von allen Dingen dieser Welt, und sich ganz füllt mit Gott. Er will, dass die Herzen allein für Gott schlagen, dass wir, im Bild der Hochzeit gesprochen, ganz bei der Sache sind. Wenn Jesus davon spricht, dass seine Nachfolger sogar sich selbst hassen sollen, dann kann das nur heißen, die eigenen Wünsche, Bedürfnisse und Ziele hintanzustellen. Ihm geht es darum, was unsere Identität entscheidend bestimmt: die Familie, der Beruf, dies oder das, oder Gott!

Doch wird der Bräutigam fragen: Wie sieht dann das Verhältnis zu meiner Frau aus? Dann kommt sie ja doch wieder nur an zweiter Stelle? Das Ehepaar Mäder hat die Erfahrung gemacht, dass durch den Glauben sich auch ihre Beziehung gewandelt hat. Herr Mäder schreibt: „Bei mir haben sich die Prioritäten radikal geändert – allerdings in einem längeren Lernprozess. Jesus steht nun an erster Stelle, dann folgt die Familie, dann die Mitmenschen, die mir plötzlich wichtig wurden, dann erst das Geschäft … Ich habe gelernt, Fehler zuzugeben, und das verkrampfte Leistungsdenken ist weg.“. Seine Frau ergänzt: „Meine Unruhe wich einem inneren Frieden. Aufkommende Probleme gehen wir jetzt gemeinsam an und sagen sie Gott. Aus einer alltäglichen Ehe wurde eine neue Partnerschaft, viel intensiver und alles andere als langweilig, auch wenn Fehler natürlich immer wieder passieren.“ (Nach: "Persönlich. Was Menschen in ihrem Leben wichtig ist." Gießen 1985, S.13) Hier geschieht es, dass sich bei Menschen, die mit Gott durchs Leben gehen, die Einstellungen zu vielen Dingen ändern, und dass sie sich vom täglichen Druck entlastet fühlen und mit neuer Aufmerksamkeit und Fürsorge miteinander umgehen.

Jesus sagt uns aber auch, dass die Nachfolge nicht immer eine fröhliche Sache ist: Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein. Das ist eine alte Erfahrung der Christen: Wer Christus nachfolgt, der kann in schwierige Situationen geraten und unter dem Glauben leiden.

Da klingelt ein Bettler an der Tür. Für das Mädchen, 11 Jahre alt, ist es selbstverständlich, ihm 3 Euro zu geben – ihr sind die Geschichten präsent, wie Jesus den Menschen hilft und sie nicht im Regen stehen lässt. Sie kommt zurück ins Wohnzimmer und erzählt, wer da an der Türe war. Und schon gibt es Ärger von den Eltern. Der Vater schimpft: Bettlern gibt man nichts. Das Mädchen aber trägt das Kreuz Christi und folgt ihm nach.

Da ist die ältere Dame, die schon lange ihren Mann verloren hat. Viele andere Schicksalsschläge hatte sie zu verkraften. Jetzt wurde ihr noch ein Bein abgenommen. Es ist schwer für sie, dieses Leid und Gott zusammenzudenken. Doch sie lässt den Glauben vor lauter Enttäuschung nicht hinter sich. Sie rechtet zwar mit Gott, bleibt aber an ihm dran und erhofft von ihm dennoch Trost und Kraft. Sie trägt das Kreuz Christi und folgt ihm nach.

In der Nachfolge Jesu wird uns oft ein schwerer, bitterer Kelch gereicht. Nicht immer können wir ihn wie Bonhoeffer dankbar und ohne Zittern nehmen. Darauf weist Jesus die Menschen hin, die ihm folgen. Fordert Jesus uns darum auf, dass wir es uns mit der Nachfolge genau überlegen? So wie derjenige, der einen Turm baut, sich zuvor hinsetzt und überlegt, ob er das Bauwerk auch vollenden kann? So wie ein König, der sich vor dem Kriegszug hinsetzt und überlegt, ob er ihn zum Erfolg führen kann?

Ich frage mich: Kann man das überhaupt vorher sagen, ob man dem Kreuz, das da auf einen zukommt, gewappnet sein wird? Ist es nicht immer eine Herausforderung, in der sich der Glauben bewähren muss? Und: Selbst wenn wir uns das mit der Nachfolge zuvor überlegen und uns dann für Gott leeren: Holt uns der Alltag nicht immer wieder ein? Ist der Glaube nicht ständig in der Gefahr, wieder zugegossen zu werden?

Ist es daher nicht besser, sich nicht nur einmal wie der Bauherr und der König, sondern sich regelmäßig hinzusetzen und nachzudenken? Ich selbst lasse mich von den beiden Beispielen Jesu dazu anregen, mitten in aller Aktivität zur Ruhe kommen – nicht nur in den Gottesdiensten, sondern beispielsweise auch, wenn ich auf dem Theresienstein beim großen Steinlöwen inmitten der Blumen sitze. Gerade weil der Alltag sich in mir Raum erobern will, ist es für mich wichtig, regelmäßig eine solche Rast im Lebensfluss einzulegen.

Ich denke dann über das nach, was mir täglich begegnet: die Menschen, die Gespräche, die Arbeit. Ich versuche, all das aus der Perspektive des Glaubens zu betrachten. Und so treffen mich Korrektur und neue Impulse von Gott her. Meine Rast wirkt sich damit wieder auf meine Arbeit und meine Beziehungen aus. Und ich versuche dem nachzuspüren, wozu Gott mich als seinen Nachfolger gebrauchen will. Durch solches Innehalten geschieht es, dass wir uns mit Gott füllen: Wir treten zu ihm in Beziehung und betrachten von dieser Perspektive aus unser Leben, und lassen uns von Gott verändern und leiten. Und genau das heißt für mich „Nachfolge“.

Ich weiß nicht, ob sich der Bräutigam darauf einlassen kann, Gott an die erste Stelle zu setzen, und so in einer tieferen Beziehung zu seiner Verlobten zurückzufinden. Und ich weiß nicht, ob wir uns immer wieder neu leeren können, und so den Segen eines Lebens erfahren, das mit Christus gefüllt ist. Ich wünsche es jedenfalls uns allen.

Vikar Jörg Mahler  (Hospitalkirche Hof)

Text:

25 Es ging aber eine große Menge mit ihm; und er wandte sich um und sprach zu ihnen:
26 Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein.
27 Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein.

28 Denn wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich nicht zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen, –
29 damit nicht, wenn er den Grund gelegt hat und kann's nicht ausführen, alle, die es sehen, anfangen, über ihn zu spotten,
30 und sagen: Dieser Mensch hat angefangen zu bauen und kann's nicht ausführen?

31 Oder welcher König will sich auf einen Krieg einlassen gegen einen andern König und setzt sich nicht zuvor hin und hält Rat, ob er mit zehntausend dem begegnen kann, der über ihn kommt mit zwanzigtausend?
32 Wenn nicht, so schickt er eine Gesandtschaft, solange jener noch fern ist, und bittet um Frieden.
33 So auch jeder unter euch, der sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein.
 

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