Liebe Leser,
liebe Glückssucher!
für einige mag das eine überraschende Anrede sein: „Glückssucher“. –
Aber auch wenn insbesondere den jungen Christen unter uns, den
Konfirmandinnen und Konfirmanden das noch keiner so deutlich gesagt
hat – Christen sind Glückssucher! Die Sehnsucht nach dem „Himmel auf
Erden“, dem Reich Gottes, wie es das Neue Testament nennt, die Suche
nach dem Glück, wie wir sagen, - das ist es, was alle Christen
miteinander verbindet.
Freilich, mit dem Finden des Glücks ist es nicht ganz so einfach.
Schon der Philosoph Marcus Terentius Varro, der von 116–27 vor
Christus lebte, unterschied 288 Glückstheorien. Und das Sprichwort,
das jeden seines eigenen Glückes Schmied sein lässt, steigert die
Summe der Glücksmöglichkeiten gar ins Unendliche. Das Glück hat also
bunte Kleider! Gut so! Das macht die Glückssuche im Leben eines
jeden von uns spannend! Aber halt auch: riskant! Denn so manche
Glückswahl hat sich im späteren Leben als falsch entpuppt, ja, als
Unglück.
Von beidem – vom Finden des Glücks, vom Himmel auf Erden, und vom
Verfehlen des Glücks, vom Un-Glück – erzählt auch die heilige
Schrift, eigentlich ja vom Anfang bis zum Ende! Jesus hat die in
meinen Augen schönste Glückssucher-Geschichte erzählt. Der
Evangelist Lukas hat sie aufgeschrieben. Sie steht im 15. Kapitel
seines Evangeliums. Und mit ihr will Jesus seine Zuhörer, also auch
uns, einladen, sich selbst in dieser Geschichte wieder zu finden:
Text
Der jüngere von zwei Söhnen, so wird erzählt, bittet den Vater um
vorzeitige Aushändigung seines Erbteils, nimmt es an sich, verlässt
Haus und Hof und zieht davon in die Fremde.Es ist das verbreitete
Märchen-Motiv vom Jüngling, der auszieht, sein Glück zu machen. Die
Ferne wirkt verlockend, Abenteuerlust ist geweckt, man bricht auf zu
neuen Ufern, ungewissen Erfahrungen, mit dem Ziel, „sein Glück zu
machen“ - etwas zu gewinnen, das einen langen Weg, große Anstrengung
und auch persönliche Bewährung braucht. Etwas, das einem jedenfalls
nicht von vornherein in den Schoß gelegt auf der Couch im
Elternhaus.
Der Auszug des jüngeren Sohnes ist deshalb noch kein Akt von
Untreue, wie umgekehrt das Verweilen des älteren Sohnes – davon
erzählt der zweite Teil der Parabel – für sich noch keinen Treue-Akt
darstellt. Der Vater unterlässt es ja auch, die Absicht seines
Sohnes mit Vorwürfen zu quittieren. Er entlässt ihn; wenn schon
nicht im Segen, so doch immerhin im Frieden. Der Auswanderungswille
des jüngeren Sohnes ist kein Konfliktstoff.
„Emanzipation vom Elternhaus“ – so nennt man diesen Schritt, den ein
jeder und eine jede von uns gehen soll, ja muss, wenn man denn ein
freier, ein, wie man sagt: „eigen-ständiger“ Mensch werden will.
Kein Glück ohne diese Eigen-Ständigkeit, kein Glück ohne diesen
bewussten Schritt in die Freiheit! Dazu gehört Mut! Und das wollen
wir den Jüngeren unter uns nicht verheimlichen: zu diesem Schritt in
die Eigenständigkeit, zur „Individuation“ wie C.G. Jung sagen würde,
gehört auch die Bereitschaft, ein Risiko einzugehen – ein Risiko für
Leib und Leben! Der Weg in die Freiheit ist ein Weg in Gefahr.
Wir kennen alle dieses Motiv der Wanderschaft aus Märchen, auch aus
Heiligenlegenden, vor allem aber aus der Heiligen Schrift: seit
Abraham folgen Menschen der göttlichen Weisung, Haus und Hof zu
verlassen und sich aufzumachen ins Land der Verheißung! Im Motiv des
Auswanderns kommt symbolisch zur Sprache, dass Lebensglück nicht von
vornherein vorhanden und zugänglich ist, sondern nur auf der
Wegstrecke eines Lebensprozesses, eines Emanzipationsprozesses
erreichbar wird. Sein Glück muss man suchen, und sein Glück darf man
suchen, und so wird auch in der amerikanischen Verfassung das
Streben nach Glück („pursuit of happiness“) als Rechtsgut
garantiert, nicht dagegen das Glück selbst. Das Glück selbst kann
als ein vorhandenes Rechtsgut niemandem garantiert werden! Was Glück
ist, muss offenbar erst unter Gefahr und Schmerzen erfahren werden.
Übrigens gilt das genauso für die Gottsuche: Wer Gott ist, muss auch
erst unter Gefahr und Schmerzen erfahren und erkannt werden.
Gotteserkenntnis stellt sich auch nicht am Anfang, sondern im
Vollzug eines Lebensprozesses ein.
Auf dem Weg ins Glück gerät der jüngere Sohn auf die „schiefe Bahn“,
so erzählt Jesus. Glückssuche kann auch scheitern! Aber jetzt lohnt
sich – gerade zur Warnung für unsere Jüngeren! - ein genauer Blick!
Warum? Oder besser gesagt: Woran scheitert die Glückssuche des
jüngeren Sohnes?
„Er brachte sein Erbteil durch mit Prassen“ so heißt es. Das ist
nicht moralisch gemeint! Nach dem Motto: Saufen und…Nein, das ist
grundsätzlich, also theologisch und anthropologisch gemeint! Er
verschenkt sich an Gegenstände, die ihm Glück versprechen. Er
erliegt der Illusion, sein Glück kaufen, es sich durch Kaufkraft
verschaffen zu können. Aus der Gabe des Vaters wird eine Habe, die
verbraucht werden kann. Das ist auch eine Emanzipation, aber
Emanzipation in den nackten und totalen Verbrauch hinein; zügelloses
Leben, „Prassen“ wie es in der Parabel heißt. Aber solches „Prassen“
ist selbstzerstörerisch, bringt nicht Freiheit, sondern führt in
neue, tiefere Abhängigkeit. Es verschafft Un-Glück, nicht Glück,
weil das Verlangen immer mehr rauschhafte Züge annimmt – mit all den
dazu gehörigen Symptomen der Sucht.
Der Mensch entäußert sich dabei seiner Menschlichkeit bis zur
letzten und tiefsten Stufe der Verdinglichung. Er endet bei den
Schweinen, das heißt für jüdisches Bewusstsein: bei der unreinen und
verächtlichsten Kreatur. Dort, wo der Mensch vollkommen hilflos, vor
allem aber ganz beziehungslos ist. Er verlangt nach den Schoten des
Johannisbrotbaumes, nach Schweinefraß, und niemand gibt sie ihm. Das
kennzeichnet eindrucksvoll seine Beziehungslosigkeit im Un-Glück.
Welch ein erschreckendes Bild für eine misslungene Glückssuche! Und
was die Geschichte dann erzählt, ist das Geheimnis unseres
christlichen Glaubens, ist das Wunder der Neugeburt, ist der erste
Schritt ins Glück: Ein ganz kurzer Satz nur: „Da ging er in sich“. –
Die Wege draußen, die er energisch beschritten hatte, sein Glück zu
finden, sind sämtlich erschöpft und zu Ende. Der Ausweg, der bleibt,
ist der Weg nach innen. Nachdem er sein ganzes Vermögen veräußert,
sich selbst entäußert hatte bis zur Selbstzerstörung, geht der
jüngere Sohn in sich. Aus besinnungsloser, rauschhafter Glückssuche
findet er zu einer ersten Selbstbesinnung. Er wird seiner selbst
gewahr, seiner Geschichte, seiner rücksichtslos verspielten
Beziehungen. Aus der Flucht in die dinglichen Lieferanten des
Glücks, die tatsächlich nur seine Verlorenheit – Selbstverlorenheit
und Gottverlorenheit – hervorriefen, findet er jetzt zu einer ersten
vorläufigen Heimkehr: bei sich selbst. Die erlittene Krise befähigt
erstmals zur Selbst-Kritik. Ihm gehen die Augen auf über seine
Person und bekommt einen nüchternen Blick für die Wirklichkeit, in
die sein Leben eingebunden ist, und damit: für die realen
Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Glücks.
„Umkehr“, „Buße“ nennt die Heilige Schrift diese Selbsterkenntnis.
Und sie kommt nicht im Gewande dumpfer Zerknirschung daher, sondern
als Auftakt zur Freude, als Wende zum Glück. Der Umkehrende ist
nicht der Geschlagene, der zu Kreuze kriecht, sondern der
Erleuchtete, der nach allerlei Irrfahrten den Weg in die Heimat
entdeckt hat. In der Umkehr des verlorenen Sohnes liegt das
Eingeständnis: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor
dir.“ Die Formulierung ist aufschlussreich. Sünde bedeutet nicht
einfach moralisches Fehlverhalten, sondern rücksichtslos zerstörte
Beziehung: „gegen den Himmel“ und „vor dir“. Der verlorene Sohn war
verloren, weil er jegliche Beziehung verloren hatte, in der sich
Glück herstellen konnte: die Beziehung zu sich selbst, zu seinen
Mitmenschen und zu Gott.
Und dann erzählt die Geschichte von der Glückserfahrung schlechthin:
Dem heimkehrenden Sohn eilt der Vater wie selbstverständlich
entgegen. Er beweist Entgegenkommen, ehe ein Wort gewechselt ist.
Umarmung und Kuss sind Zeichen der Versöhnung. Dass damit Glück
erzielt wird, an einer Stelle, die der jüngere Sohn anfangs nicht
für möglich gehalten hatte, macht die Erzählung unmissverständlich
klar. Dreimal ist die Rede davon, dass Anlass bestehe, „fröhlich zu
sein“. Ein Freudenfest wird in Szene gesetzt. Und „Freude ist der
Adel des Glücks, an ihr kann nichts mehr den Rang des glücklichen
Lebens streitig machen“ (Ernst Bloch). Das unverhoffte Glück des
Sohnes verdankt sich dem bedingungslosen Entgegenkommen des Vaters.
Es gründet im Akt der Sündenvergebung. Wie die Sünde des Sohnes in
totale Beziehungslosigkeit (von Gott, Welt und Selbst) hineintrieb,
so die Sündenvergebung in die neu eröffnete, neu gewährte Beziehung.
Das heißt nun aber nicht, dass jetzt wieder alles beim Alten ist.
Das Entgegenkommen des Vaters schafft neue Verhältnisse, innen und
außen. Ausführlich wird erzählt, wie der Vater den Heimkehrenden
kleidet, ihm den Siegelring an die Hand gibt: das bedeutet die
öffentliche Adoption des jungen Mannes in die Sohnschaft und
feierliche Übertragung des Vertretungsrechts! Nicht in einem
Gegenstand und nicht in einem Zustand also erfährt der jüngere Sohn
sein Glück, sondern in einer Beziehung. Spiegelbildlich offenbart
übrigens der ältere Sohn dieselbe Wahrheit. Formal zwar in der
Beziehung zum Vater bleibend (wie der jüngere Sohn am Anfang),
erweist sich sein Unglück daran, dass er tatsächlich beziehungslos
zum Vater gelebt hatte und lebt. Sein Zorn, seine Vorwürfe gegen den
Vater zeugen davon.
In der Erzählung ist der ältere Sohn eher der Typus, der Glück ohne
Risiko, ohne Leiden und Tod erleben und dann auch als gerechten Lohn
für seine Beharrlichkeit beanspruchen möchte. – Die Geschichte des
jüngeren Sohnes dagegen erzählt, dass Glück sich in jenem Leben
einstellt, das dem Tode ausgeliefert war, den Tod geschmeckt hat und
nun – glücklich – den Tod hinter sich hat: Dieser mein Sohn war tot
…Glück ist auf diese Weise nicht im Vergessen, im Verdrängen des
Todes, sondern in der Auferstehung aus dem Tode. Auferstehung aus
dem Tode ereignet sich aber im Entgegenkommen des Vaters, in der
Sündenvergebung.
Und im Entgegenkommen des Vaters lernt der Sohn den Vater erst neu
und richtig kennen. Er begreift jetzt, was er an seinem Vater hat.
Im Vater begegnet ihm die Wirklichkeit der Liebe, und „was ich
liebe, brauche ich nicht zu fürchten“ (Augustin). Der ältere Sohn,
der daheim blieb, kennt seinen Vater nicht. Seine konstante,
pflichtschuldige, „fromme“ Nähe zum Vater hat nicht die Qualität der
Beziehungsnähe. Es handelt sich um Vertrautheit ohne Vertrauen. Das
Glück seines Bruders beobachtet er voller Neid. Und wer Neid
empfindet, fühlt sich um sein Glück betrogen. Vordergründig in
diesem Fall um das Glück der spontanen festlichen Begehung, die dem
jüngeren Bruder zuteil wird. Tiefer aber um den Glücksweg, die
Glückserfahrung des andern: dieser hat den Tod hinter sich, genießt
das Glück eines neuen Lebens aus dem Tode.
Und was jetzt erzählt wird, oder besser gesagt eben nicht erzählt
wird, sondern bewusst unserer Fantasie überlassen wird, ist das Ende
der Geschichte: das Fest des Lebens, die Feier des Glücks! Aber das
wollen wir zuletzt noch festhalten: Ein gemästetes Kalb soll
geschlachtet und mit ihm und anderen Köstlichkeiten üppig
aufgetischt werden. Der Vater ruft auf zum Fröhlichsein und schafft
selber den äußeren Rahmen dafür. Das Glück verleiblicht sich also!
Glück ist im biblischen Sinne nicht nur spirituell, eine
Herzensangelegenheit, die sich im inneren Leben und Erleben des
Menschen abspielte. Sondern das Glück strahlt aus, bezieht andere
ein, gibt dem Leben nicht allein inneren, sondern auch äußeren
Glanz. Der Glückliche hat Grund zu feiern.
Glück hat in der Bibel keinen problematisch-exklusiven Charakter. Es
bleibt nicht reserviert für den Kreis der Glücklichen! Die Feier des
Glücks kann nicht rücksichtslos ausfallen gegenüber dem Schicksal
der Unglücklichen. Deshalb erhebt sich ja der Vater von den
festlichen Tischen, geht hinaus zu dem älteren, unglücklichen Sohn,
beweist auch ihm sein bedingungsloses Entgegenkommen. Und: Glück im
biblischen Sinne ist wahre Gotteserkenntnis – eines Gottes, der uns
freudig entgegenkommt, ja, uns nachläuft - weil das das Ziel aller
seiner Wege mit uns ist: Freude!
Pfarrer Rudolf Koller
(Hospitalkirche
Hof) |
Text: 1 Es nahten sich ihm
aber allerlei Zöllner und Sünder, um ihn zu hören.
2 Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen:
Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.
3 Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach:
Ein Mensch hatte zwei Söhne.
12 Und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater,
das Erbteil, das mir zusteht. Und er teilte Hab und Gut unter sie.
13 Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen
und zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch
mit Prassen.
14 Als er nun all das Seine verbraucht hatte, kam eine große
Hungersnot über jenes Land, und er fing an zu darben
15 und ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes; der
schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten.
16 Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die
Säue fraßen; und niemand gab sie ihm.
17 Da ging er in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein
Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe hier im Hunger!
18 Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm
sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.
19 Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache
mich zu einem deiner Tagelöhner!
20 Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch
weit entfernt war, sah ihn sein Vater, und es jammerte ihn; er lief
und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.
21 Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den
Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein
Sohn heiße.
22 Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das
beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an
seine Hand und Schuhe an seine Füße
23 und bringt das gemästete Kalb und schlachtet's; lasst uns essen
und fröhlich sein!
24 Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden;
er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich
zu sein.
25 Aber der ältere Sohn war auf dem Feld. Und als er nahe zum Hause
kam, hörte er Singen und Tanzen
26 und rief zu sich einen der Knechte, und fragte, was das wäre.
27 Der aber sagte ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat
das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiederhat.
28 Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Da ging sein
Vater heraus und bat ihn.
29 Er antwortete aber und sprach zu seinem Vater: Siehe, so viele
Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten, und du
hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden
fröhlich gewesen wäre.
30 Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut
mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb
geschlachtet.
31 Er aber sprach zu ihm: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und
alles, was mein ist, das ist dein.
32 Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein
Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und
ist wiedergefunden. |