Predigt     Lukas 15/1-3,11b-32    3. Sonntag nach Trinitatis     21.06.2015

"Von einem, der auszog das Glück zu finden"
(von Pfarrer Rudolf Koller, Hospitalkirche Hof)
 

Liebe Leser,

liebe Glückssucher!

für einige mag das eine überraschende Anrede sein: „Glückssucher“. – Aber auch wenn insbesondere den jungen Christen unter uns, den Konfirmandinnen und Konfirmanden das noch keiner so deutlich gesagt hat – Christen sind Glückssucher! Die Sehnsucht nach dem „Himmel auf Erden“, dem Reich Gottes, wie es das Neue Testament nennt, die Suche nach dem Glück, wie wir sagen, - das ist es, was alle Christen miteinander verbindet.

Freilich, mit dem Finden des Glücks ist es nicht ganz so einfach. Schon der Philosoph Marcus Terentius Varro, der von 116–27 vor Christus lebte, unterschied 288 Glückstheorien. Und das Sprichwort, das jeden seines eigenen Glückes Schmied sein lässt, steigert die Summe der Glücksmöglichkeiten gar ins Unendliche. Das Glück hat also bunte Kleider! Gut so! Das macht die Glückssuche im Leben eines jeden von uns spannend! Aber halt auch: riskant! Denn so manche Glückswahl hat sich im späteren Leben als falsch entpuppt, ja, als Unglück.

Von beidem – vom Finden des Glücks, vom Himmel auf Erden, und vom Verfehlen des Glücks, vom Un-Glück – erzählt auch die heilige Schrift, eigentlich ja vom Anfang bis zum Ende! Jesus hat die in meinen Augen schönste Glückssucher-Geschichte erzählt. Der Evangelist Lukas hat sie aufgeschrieben. Sie steht im 15. Kapitel seines Evangeliums. Und mit ihr will Jesus seine Zuhörer, also auch uns, einladen, sich selbst in dieser Geschichte wieder zu finden:

Text

Der jüngere von zwei Söhnen, so wird erzählt, bittet den Vater um vorzeitige Aushändigung seines Erbteils, nimmt es an sich, verlässt Haus und Hof und zieht davon in die Fremde.Es ist das verbreitete Märchen-Motiv vom Jüngling, der auszieht, sein Glück zu machen. Die Ferne wirkt verlockend, Abenteuerlust ist geweckt, man bricht auf zu neuen Ufern, ungewissen Erfahrungen, mit dem Ziel, „sein Glück zu machen“ - etwas zu gewinnen, das einen langen Weg, große Anstrengung und auch persönliche Bewährung braucht. Etwas, das einem jedenfalls nicht von vornherein in den Schoß gelegt auf der Couch im Elternhaus.

Der Auszug des jüngeren Sohnes ist deshalb noch kein Akt von Untreue, wie umgekehrt das Verweilen des älteren Sohnes – davon erzählt der zweite Teil der Parabel – für sich noch keinen Treue-Akt darstellt. Der Vater unterlässt es ja auch, die Absicht seines Sohnes mit Vorwürfen zu quittieren. Er entlässt ihn; wenn schon nicht im Segen, so doch immerhin im Frieden. Der Auswanderungswille des jüngeren Sohnes ist kein Konfliktstoff.

„Emanzipation vom Elternhaus“ – so nennt man diesen Schritt, den ein jeder und eine jede von uns gehen soll, ja muss, wenn man denn ein freier, ein, wie man sagt: „eigen-ständiger“ Mensch werden will. Kein Glück ohne diese Eigen-Ständigkeit, kein Glück ohne diesen bewussten Schritt in die Freiheit! Dazu gehört Mut! Und das wollen wir den Jüngeren unter uns nicht verheimlichen: zu diesem Schritt in die Eigenständigkeit, zur „Individuation“ wie C.G. Jung sagen würde, gehört auch die Bereitschaft, ein Risiko einzugehen – ein Risiko für Leib und Leben! Der Weg in die Freiheit ist ein Weg in Gefahr.

Wir kennen alle dieses Motiv der Wanderschaft aus Märchen, auch aus Heiligenlegenden, vor allem aber aus der Heiligen Schrift: seit Abraham folgen Menschen der göttlichen Weisung, Haus und Hof zu verlassen und sich aufzumachen ins Land der Verheißung! Im Motiv des Auswanderns kommt symbolisch zur Sprache, dass Lebensglück nicht von vornherein vorhanden und zugänglich ist, sondern nur auf der Wegstrecke eines Lebensprozesses, eines Emanzipationsprozesses erreichbar wird. Sein Glück muss man suchen, und sein Glück darf man suchen, und so wird auch in der amerikanischen Verfassung das Streben nach Glück („pursuit of happiness“) als Rechtsgut garantiert, nicht dagegen das Glück selbst. Das Glück selbst kann als ein vorhandenes Rechtsgut niemandem garantiert werden! Was Glück ist, muss offenbar erst unter Gefahr und Schmerzen erfahren werden. Übrigens gilt das genauso für die Gottsuche: Wer Gott ist, muss auch erst unter Gefahr und Schmerzen erfahren und erkannt werden. Gotteserkenntnis stellt sich auch nicht am Anfang, sondern im Vollzug eines Lebensprozesses ein.

Auf dem Weg ins Glück gerät der jüngere Sohn auf die „schiefe Bahn“, so erzählt Jesus. Glückssuche kann auch scheitern! Aber jetzt lohnt sich – gerade zur Warnung für unsere Jüngeren! - ein genauer Blick! Warum? Oder besser gesagt: Woran scheitert die Glückssuche des jüngeren Sohnes?

„Er brachte sein Erbteil durch mit Prassen“ so heißt es. Das ist nicht moralisch gemeint! Nach dem Motto: Saufen und…Nein, das ist grundsätzlich, also theologisch und anthropologisch gemeint! Er verschenkt sich an Gegenstände, die ihm Glück versprechen. Er erliegt der Illusion, sein Glück kaufen, es sich durch Kaufkraft verschaffen zu können. Aus der Gabe des Vaters wird eine Habe, die verbraucht werden kann. Das ist auch eine Emanzipation, aber Emanzipation in den nackten und totalen Verbrauch hinein; zügelloses Leben, „Prassen“ wie es in der Parabel heißt. Aber solches „Prassen“ ist selbstzerstörerisch, bringt nicht Freiheit, sondern führt in neue, tiefere Abhängigkeit. Es verschafft Un-Glück, nicht Glück, weil das Verlangen immer mehr rauschhafte Züge annimmt – mit all den dazu gehörigen Symptomen der Sucht.

Der Mensch entäußert sich dabei seiner Menschlichkeit bis zur letzten und tiefsten Stufe der Verdinglichung. Er endet bei den Schweinen, das heißt für jüdisches Bewusstsein: bei der unreinen und verächtlichsten Kreatur. Dort, wo der Mensch vollkommen hilflos, vor allem aber ganz beziehungslos ist. Er verlangt nach den Schoten des Johannisbrotbaumes, nach Schweinefraß, und niemand gibt sie ihm. Das kennzeichnet eindrucksvoll seine Beziehungslosigkeit im Un-Glück.

Welch ein erschreckendes Bild für eine misslungene Glückssuche! Und was die Geschichte dann erzählt, ist das Geheimnis unseres christlichen Glaubens, ist das Wunder der Neugeburt, ist der erste Schritt ins Glück: Ein ganz kurzer Satz nur: „Da ging er in sich“. – Die Wege draußen, die er energisch beschritten hatte, sein Glück zu finden, sind sämtlich erschöpft und zu Ende. Der Ausweg, der bleibt, ist der Weg nach innen. Nachdem er sein ganzes Vermögen veräußert, sich selbst entäußert hatte bis zur Selbstzerstörung, geht der jüngere Sohn in sich. Aus besinnungsloser, rauschhafter Glückssuche findet er zu einer ersten Selbstbesinnung. Er wird seiner selbst gewahr, seiner Geschichte, seiner rücksichtslos verspielten Beziehungen. Aus der Flucht in die dinglichen Lieferanten des Glücks, die tatsächlich nur seine Verlorenheit – Selbstverlorenheit und Gottverlorenheit – hervorriefen, findet er jetzt zu einer ersten vorläufigen Heimkehr: bei sich selbst. Die erlittene Krise befähigt erstmals zur Selbst-Kritik. Ihm gehen die Augen auf über seine Person und bekommt einen nüchternen Blick für die Wirklichkeit, in die sein Leben eingebunden ist, und damit: für die realen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Glücks.

„Umkehr“, „Buße“ nennt die Heilige Schrift diese Selbsterkenntnis. Und sie kommt nicht im Gewande dumpfer Zerknirschung daher, sondern als Auftakt zur Freude, als Wende zum Glück. Der Umkehrende ist nicht der Geschlagene, der zu Kreuze kriecht, sondern der Erleuchtete, der nach allerlei Irrfahrten den Weg in die Heimat entdeckt hat. In der Umkehr des verlorenen Sohnes liegt das Eingeständnis: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.“ Die Formulierung ist aufschlussreich. Sünde bedeutet nicht einfach moralisches Fehlverhalten, sondern rücksichtslos zerstörte Beziehung: „gegen den Himmel“ und „vor dir“. Der verlorene Sohn war verloren, weil er jegliche Beziehung verloren hatte, in der sich Glück herstellen konnte: die Beziehung zu sich selbst, zu seinen Mitmenschen und zu Gott.

Und dann erzählt die Geschichte von der Glückserfahrung schlechthin: Dem heimkehrenden Sohn eilt der Vater wie selbstverständlich entgegen. Er beweist Entgegenkommen, ehe ein Wort gewechselt ist. Umarmung und Kuss sind Zeichen der Versöhnung. Dass damit Glück erzielt wird, an einer Stelle, die der jüngere Sohn anfangs nicht für möglich gehalten hatte, macht die Erzählung unmissverständlich klar. Dreimal ist die Rede davon, dass Anlass bestehe, „fröhlich zu sein“. Ein Freudenfest wird in Szene gesetzt. Und „Freude ist der Adel des Glücks, an ihr kann nichts mehr den Rang des glücklichen Lebens streitig machen“ (Ernst Bloch). Das unverhoffte Glück des Sohnes verdankt sich dem bedingungslosen Entgegenkommen des Vaters. Es gründet im Akt der Sündenvergebung. Wie die Sünde des Sohnes in totale Beziehungslosigkeit (von Gott, Welt und Selbst) hineintrieb, so die Sündenvergebung in die neu eröffnete, neu gewährte Beziehung.

Das heißt nun aber nicht, dass jetzt wieder alles beim Alten ist. Das Entgegenkommen des Vaters schafft neue Verhältnisse, innen und außen. Ausführlich wird erzählt, wie der Vater den Heimkehrenden kleidet, ihm den Siegelring an die Hand gibt: das bedeutet die öffentliche Adoption des jungen Mannes in die Sohnschaft und feierliche Übertragung des Vertretungsrechts! Nicht in einem Gegenstand und nicht in einem Zustand also erfährt der jüngere Sohn sein Glück, sondern in einer Beziehung. Spiegelbildlich offenbart übrigens der ältere Sohn dieselbe Wahrheit. Formal zwar in der Beziehung zum Vater bleibend (wie der jüngere Sohn am Anfang), erweist sich sein Unglück daran, dass er tatsächlich beziehungslos zum Vater gelebt hatte und lebt. Sein Zorn, seine Vorwürfe gegen den Vater zeugen davon.

In der Erzählung ist der ältere Sohn eher der Typus, der Glück ohne Risiko, ohne Leiden und Tod erleben und dann auch als gerechten Lohn für seine Beharrlichkeit beanspruchen möchte. – Die Geschichte des jüngeren Sohnes dagegen erzählt, dass Glück sich in jenem Leben einstellt, das dem Tode ausgeliefert war, den Tod geschmeckt hat und nun – glücklich – den Tod hinter sich hat: Dieser mein Sohn war tot …Glück ist auf diese Weise nicht im Vergessen, im Verdrängen des Todes, sondern in der Auferstehung aus dem Tode. Auferstehung aus dem Tode ereignet sich aber im Entgegenkommen des Vaters, in der Sündenvergebung.

Und im Entgegenkommen des Vaters lernt der Sohn den Vater erst neu und richtig kennen. Er begreift jetzt, was er an seinem Vater hat. Im Vater begegnet ihm die Wirklichkeit der Liebe, und „was ich liebe, brauche ich nicht zu fürchten“ (Augustin). Der ältere Sohn, der daheim blieb, kennt seinen Vater nicht. Seine konstante, pflichtschuldige, „fromme“ Nähe zum Vater hat nicht die Qualität der Beziehungsnähe. Es handelt sich um Vertrautheit ohne Vertrauen. Das Glück seines Bruders beobachtet er voller Neid. Und wer Neid empfindet, fühlt sich um sein Glück betrogen. Vordergründig in diesem Fall um das Glück der spontanen festlichen Begehung, die dem jüngeren Bruder zuteil wird. Tiefer aber um den Glücksweg, die Glückserfahrung des andern: dieser hat den Tod hinter sich, genießt das Glück eines neuen Lebens aus dem Tode.

Und was jetzt erzählt wird, oder besser gesagt eben nicht erzählt wird, sondern bewusst unserer Fantasie überlassen wird, ist das Ende der Geschichte: das Fest des Lebens, die Feier des Glücks! Aber das wollen wir zuletzt noch festhalten: Ein gemästetes Kalb soll geschlachtet und mit ihm und anderen Köstlichkeiten üppig aufgetischt werden. Der Vater ruft auf zum Fröhlichsein und schafft selber den äußeren Rahmen dafür. Das Glück verleiblicht sich also! Glück ist im biblischen Sinne nicht nur spirituell, eine Herzensangelegenheit, die sich im inneren Leben und Erleben des Menschen abspielte. Sondern das Glück strahlt aus, bezieht andere ein, gibt dem Leben nicht allein inneren, sondern auch äußeren Glanz. Der Glückliche hat Grund zu feiern.

Glück hat in der Bibel keinen problematisch-exklusiven Charakter. Es bleibt nicht reserviert für den Kreis der Glücklichen! Die Feier des Glücks kann nicht rücksichtslos ausfallen gegenüber dem Schicksal der Unglücklichen. Deshalb erhebt sich ja der Vater von den festlichen Tischen, geht hinaus zu dem älteren, unglücklichen Sohn, beweist auch ihm sein bedingungsloses Entgegenkommen. Und: Glück im biblischen Sinne ist wahre Gotteserkenntnis – eines Gottes, der uns freudig entgegenkommt, ja, uns nachläuft - weil das das Ziel aller seiner Wege mit uns ist: Freude!

Pfarrer Rudolf Koller   (Hospitalkirche Hof)

Text:

1 Es nahten sich ihm aber allerlei Zöllner und Sünder, um ihn zu hören.
2 Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.
3 Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach:
Ein Mensch hatte zwei Söhne.
12 Und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht. Und er teilte Hab und Gut unter sie.
13 Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen.
14 Als er nun all das Seine verbraucht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land, und er fing an zu darben
15 und ging hin und hängte sich an einen Bürger jenes Landes; der schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten.
16 Und er begehrte, seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Säue fraßen; und niemand gab sie ihm.
17 Da ging er in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe hier im Hunger!
18 Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.
19 Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner!
20 Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater, und es jammerte ihn; er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.
21 Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße.
22 Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße
23 und bringt das gemästete Kalb und schlachtet's; lasst uns essen und fröhlich sein!
24 Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein.
25 Aber der ältere Sohn war auf dem Feld. Und als er nahe zum Hause kam, hörte er Singen und Tanzen
26 und rief zu sich einen der Knechte, und fragte, was das wäre.
27 Der aber sagte ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiederhat.
28 Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater heraus und bat ihn.
29 Er antwortete aber und sprach zu seinem Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre.
30 Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet.
31 Er aber sprach zu ihm: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein.
32 Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden.


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