Zum Nachdenken - Predigt - Fürbitten
Zum Nachdenken
"Aus der Psychiatrie weiß man, wie leicht eine depressive
in eine manische Phase umkippen kann – und umgekehrt. Einiges spricht
für die Vermutung, dass ein solcher plötzlicher Umschwung nicht nur bei
individuellen Patienten, sondern auch bei großen Kollektiven zu
beobachten ist. In den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen
Jahrhunderts schien die Depression zu überwiegen. Überall wurden
Szenarien des Untergangs ausprobiert. Der Kalte Krieg, mit seinen
Blockaden und Stellvertreterkonflikten, hatte zur Lähmung der
Weltpolitik geführt. Umweltkatastrophen aller Art zeichneten sich ab.
Der Club of Rome prophezeite die Erschöpfung aller endlichen Ressourcen
in kürzester Zeit. Vom nuklearen Winter war die Rede. Apokalyptische
Stimmungen breiteten sich nicht nur auf der Leinwand des Hollywood-Films
und auf dem Bildschirm aus. Offenbar hatten sich die westlichen
Gesellschaften zu früh auf den Untergang gefreut.
Schon lange vor der Jahrtausendwende bahnte sich die manische Phase an.
Es war diesmal nicht die Geschichtsphilosophie, die mit
Erlösungsversprechen aufwartete; keine Partei, keine politische
Ideologie trat mit einem neuen Menschheitsprojekt auf den Plan – im
Gegenteil, der Kollaps des Kommunismus hinterließ ein ideologisches
Vakuum, das keine alte oder neue Linke zu füllen vermochte. Die neuen
utopischen Verheißungen kamen aus den Forschungsinstituten und den
Laboratorien der Naturwissenschaften, und es dauerte nicht lange, bis
ein phantastischer Optimismus die Szene beherrschte. Fast über Nacht
kehrten alle Motive des utopischen Denkens wieder: der Sieg über
sämtliche Mängel und Nöte der Spezies, über die Dummheit, den Schmerz
und den Tod.
Auf einmal sagten viele, es sei nur eine Frage der Zeit, bis die
genetische Verbesserung des Menschen zum Ziel führte, bis die
altertümliche Form der Zeugung, der Geburt und des Todes abgeschafft
wäre, bis Roboter den biblischen Fluch der Arbeit aus der Welt
schafften, bis die Evolution der Künstlichen Intelligenz (KI) dem
leidigen Mangelwesen ein Ende machte.
Uralte Allmachtsphantasien fanden so eine neue Zuflucht im System der
Wissenschaften. Keineswegs geht es dabei um die Gesamtheit der
Wissensproduktion. Immer klarer zeichnet sich die hegemoniale Position
weniger Disziplinen ab, die über die entscheidenden Ressourcen wie Geld
und Aufmerksamkeit verfügen, während andere – wie die Theologie, die
Literaturwissenschaft, die Archäologie und leider auch die Philosophie –
nur noch eine marginale, um nicht zu sagen dekorative Rolle spielen. …
Letzten Endes wird die Utopie der totalen Beherrschung der Natur und des
Menschen, wie alle bisherigen Utopien, nicht an ihren Gegnern scheitern,
sondern an ihren eigenen Widersprüchen und an ihrem Größenwahn. Noch nie
hat sich die Menschheit freiwillig von ihren Allmachtsphantasien
verabschiedet. Erst wenn die Hybris ihren Lauf genommen hat, wird die
Einsicht in die eigenen Grenzen, vermutlich zu einem katastrophalen
Preis, notgedrungen die Oberhand gewinnen. Dann wird auch eine
Wissenschaft, die wir achten und mit der wir leben können, wieder eine
Chance haben.
Hans Magnus Enzensberger "Putschisten im Labor" (Der Spiegel, Nr.
23/2001, S. 216ff)
Predigt
Liebe Leser,
manchmal lohnt es sich wirklich, den Schriftstellern und Philosophen
zuzuhören, die einen wachen Blick haben in die Zeit und ihre Geister.
Erst letzte Woche war aus Südkorea wieder Phantastisches zu hören: Ein
Durchbruch in der Stammzellenforschung verheißt wieder einmal die
Erlösung der Menschheit von unheilbaren Krankheiten. Im Kleingedruckten
stand, dass man sich keine übertriebenen Hoffnung machen sollte und dass
die gerade mal 11 neuen Stammzelllinien unter Verbrauch von 185
weiblichen Keimzellen erzeugt wurden.
Weihnachten ist lange vorbei. Und auch vom Tsunami in Südostasien und
seinen hunderttausenden von Opfern gibt es keine Meldung mehr.
Verklungen ist, was der Präses der EKD, Wolfgang Huber dem Spiegel
diktierte: „Nicht die Allmacht Gottes, sondern die
Allmachtsvorstellungen des modernen Menschen werden durch solche
Ereignisse in ihre Schranken gewiesen. Gottes Allmacht kann man sich
nicht so vorstellen, dass Gott alles Böse und Unbegreifliche im
Vorhinein aus dem Lauf der Dinge herausschneidet. Gottes Allmacht zeigt
sich in der Liebe, mit der er sich uns Menschen zuwendet, damit wir uns
auch angesichts des Unbegreiflichen an ihr orientieren.“
Unbegreiflich schien es für viele, dass es in unserer modernen Welt
überhaupt noch Unbegreifliches gibt. Dass dieser blaue Planet sich dem
Menschen entzieht und ihn nicht nur mit Wohltaten überschüttet. Unsere
Urahnen hatten noch eine Ahnung davon, dass das Leben dem Himmel und der
Erde abgetrotzt war. Heute meinen wir ein Recht auf Stütze und Wohlfahrt
in allen Lebenslagen zu haben. Wenn der nächste Brocken aus den
Asteroidengürteln unseres Sonnensystems Kurs auf die Erde nimmt um nicht
zum ersten Mal in der Erdgeschichte das Leben um neunzig Prozent zu
vermindern, wird es nicht helfen ihm die Faust hinzurecken. Hans Magnus
Enzensberger: „Erst wenn die Hybris ihren Lauf genommen hat, wird die
Einsicht in die eigenen Grenzen, vermutlich zu einem katastrophalen
Preis, notgedrungen die Oberhand gewinnen.“
So realistisch sieht das die Bibel auch. Als wir im Vorbereitungskreis
zusammen saßen, kam uns die Noahgeschichte in den Sinn. Die wollten wir
heute ursprünglich bedenken. Mich hat die Frage interessiert, ob auch
das Neue Testament oder Jesus selbst diese uralte Geschichte aufgreift,
die an eine Katastrophe erinnert, der fast die ganze damals Menschheit
zum Opfer fiel. Als hätte Gott bereut, dass er den Menschen überhaupt
gemacht hatte, lässt er seinem Zorn freien Lauf.
Die Antwort gibt unser Predigttext. Jesus zitiert gleich noch die
Katastrophe von Sodom hinzu – und stellt beide in einen völlig
ungewohnten und überraschenden Zusammenhang. Er erzählt vom Einbruch, ja
Zusammenbruch einer scheinbar ewigen Normalität. Sie aßen, sie tranken,
sie kauften, sie verkauften, sie pflanzten, sie bauten, sie heirateten,
sie ließen sich heiraten und wenn sie nicht gestorben sind …. Und dann
kommt alles ganz anders, aus heiterem Himmel.
Die Pointe ist bei Jesus aber nicht Tod und Verderben, sondern das
genaue Gegenteil. Die Pointe ist das überraschende Kommen des
Gottesreichs. So wie die zitierten Katastrophen kommen, ohne Vorboten,
ohne Anzeichen, ohne Vorwarnung, so kommt das Reich Gottes in die Welt.
Nicht als böse, sondern als freudige Überraschung.
Und auch hier werden wir nicht gefragt, sind wir nicht beteiligt. Es
sollte zur eisernen Ration an Geschichtserfahrung der Christenheit
gehören, dass man das Reich Gottes und seine erfreulichen Verhältnisse
nicht herbeizwingen kann. Und schon gar nicht mit Waffengewalt. Ein
solcher Krieg ging als der dreißigjährige in die Geschichte ein. Was als
Kampf um den rechten Glauben begann wurde die Hölle auf Erden.
Nein, dass Himmelreich kommt von selbst. Man muss es nehmen, wie es
kommt. In einem Magazin fand ich das Bild eines sehr spärlich behaarten
Mannes. Darunter war zu lesen, er wäre schon sechs mal vom Blitz
getroffen worden. Er habe jedes Mal so ein komisches Kribbeln gespürt.
Aber dann sei es schon zu spät. Jedenfalls machte der Mann einen recht
fröhlichen Eindruck.
Vom Blitz getroffen. Vom Donner gerührt. So muss man sich das Kommen des
Himmelreichs vorstellen. Mitten unter uns. Mitten unter uns wie der
Christus selbst. Denn vor allem und zuerst gilt: Das Himmelreich ist da,
wo der Christus gegenwärtig ist. Wo zwei oder drei in seinem Namen
versammelt sind, zum Gottesdienst, zum Dienst an der Welt und ihrer
Menschen. Da leuchtet Himmelreich auf.
Und deshalb gilt ebenso: Wir können nur an Christus sehen, wie das
Himmelreich ist. Welche Spielregeln im Reich der Himmel gelten. Ich
greife eine heraus, weil sie sich schon in der Katastrophengeschichte
der Sintflut finden lässt. Im Himmelreich herrscht die Selbstbegrenzung
des eigenen zugunsten des anderen Lebens. Schon am Ende der
Sintflutgeschichte steht ein Bund. Gott begrenzt sich in diesem Bund für
alle Zukunft zugunsten des Lebens. Gott schließt die Möglichkeit einer
weiteren Sintflut aus. Er streicht sie aus dem Repertoire seines
Handelns. Zum Zeichen setzt er den Regenbogen in den Himmel.
Von dieser Selbstbegrenzung Gottes erzählt die Menschwerdung des
Christus in noch viel größerem Maße. Mag Allah immer groß sein. Im Kind
in der Krippe macht Gott sich ganz klein. Als Prediger vom Gottesreich
begibt er sich auf unsere Augenhöhe. Zuvor aber muss er viel leiden und
verworfen werden von diesem Geschlecht. Wie eine Achse drehen sich Jesu
Worte vom Kommen des Himmelreichs um diesen Satz. Erst muss er noch
kleiner werden, festgenagelt an ein Kreuz, hineingelegt in ein
Felsengrab. Auch den letzten Menschenweg geht er ab um uns auch dort
noch aufzusammeln, wo es keine Macht mehr gibt, sondern alles Ohnmacht
ist.
„Erst wenn die Hybris ihren Lauf genommen hat, wird die Einsicht in die
eigenen Grenzen, vermutlich zu einem katastrophalen Preis, notgedrungen
die Oberhand gewinnen.“ Diese Einsicht ist auch zu dem katastrophalen
Preis zu haben, den der Christus zugunsten des Lebens aller Geschöpfe
zahlt. Und wir stellen daneben den Menschen, der sein Leben um jeden
Preis erhalten will, indem er anderes menschliche Leben verbraucht. Dem
sich beständig selbst auf Kosten anderer und auf Kosten der Schöpfung
entgrenzenden Menschen stellt Gott den sich selbst begrenzenden Christus
gegenüber, der sich auf seine eigenen Kosten einsetzt zugunsten des
Lebens und dem gerade darin alle Macht gegeben ist im Himmel und auf
Erden.
Gott lässt keinen Zweifel, dass diesem Christus und denen, die ihm
nachfolgen die Zukunft gehört und der Mensch, der keine Grenzen kennt,
keine Zukunft hat. Natürlich lassen sich daraus auch Richtungsweisungen
geben für eine Politik, die Zukunft hat. Es ist auch im Sinne des
Evangeliums, wenn Christenmenschen von Politikern nicht nur in
Wahljahren klare Aussagen verlangen und sie in die Pflicht nehmen. Und
es ist ebenso im Sinne des Evangeliums, dass Christen ihren Herrn und
sein Wort ernst nehmen und mit ihm rechnen. Nur so können sie
Leuchttürme der Hoffnung in allgemeiner Verzagtheit bleiben. Wenn sie
erfahren, dass da wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind,
etwas vom Himmelreich aufleuchtet: im Hören auf sein Wort, in der
Gemeinschaft des Mahls, im Dienst für andere. Es sind nicht die Tsunamis
und die Brocken aus dem All, die unseren Zukunftshorizont bestimmen,
sondern das kommende Reich der Himmel. Auch das kann hereinbrechen in
hoffnungslose Verhältnisse und trübe Aussichten. Dafür lasst uns die
Augen offen halten.
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de
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Text:
20 Als er aber von den
Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er
ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man's beobachten
kann;
21 man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es!, oder: Da ist es! Denn
siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.
22 Er sprach aber zu den Jüngern: Es wird die Zeit kommen, in der ihr
begehren werdet, zu sehen einen der Tage des Menschensohns, und werdet
ihn nicht sehen.
23 Und sie werden zu euch sagen: Siehe, da!, oder: Siehe, hier! Geht
nicht hin und lauft ihnen nicht nach!
24 Denn wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels
bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein.
25 Zuvor aber muss er viel leiden und verworfen werden von diesem
Geschlecht.
26 Und wie es geschah zu den Zeiten Noahs, so wird's auch geschehen in
den Tagen des Menschensohns:
27 Sie aßen, sie tranken, sie heirateten, sie ließen sich heiraten bis
zu dem Tag, an dem Noah in die Arche ging und die Sintflut kam und
brachte sie alle um.
28 Ebenso, wie es geschah zu den Zeiten Lots: Sie aßen, sie tranken, sie
kauften, sie verkauften, sie pflanzten, sie bauten;
29 an dem Tage aber, als Lot aus Sodom ging, da regnete es Feuer und
Schwefel vom Himmel und brachte sie alle um.
30 Auf diese Weise wird's auch gehen an dem Tage, wenn der Menschensohn
wird offenbar werden.
Fürbittengebet
Herr unser Gott,
wir bitten Dich für die Menschen, die ihre Grenzen nicht kennen und sich
für allmächtig halten. Die wie die Elefanten hineintrampeln in den
Porzellanladen des Lebens. Die meinen, man könnte alles wissen und alles
machen. Die die Ressourcen dieser Welt für ihren Besitz halten und sie
ausbeuten, ohne Rücksicht auf kommende Generationen und ohne Rücksicht
auf die labilen und zerbrechlichen Systeme und Gleichgewichte des
Lebens. Die Geld und Macht für die eigentlichen Triebkräfte des Lebens
halten.
Unterbrich uns in unserem Tun, Herr unser Gott, durch Dein gutes und
mahnendes Wort. Schenke uns Achtsamkeit und Ehrfurcht vor dem Leben
aller Deiner Geschöpfe.
Wir rufen zu Dir: Kyrie
Herr, unser Gott,
wir bitten Dich für alle Menschen, die die Erfahrung der Ohnmacht
machen, für alle, die Angst haben in dieser Welt,
Angst um ihr Leben, Angst vor Krankheit und
Hunger, vor Katastrophen, Krieg und Gefahr, Angst
vor der Übermacht unserer Wirtschaftssysteme, vor der Unberechenbarkeit
des persönlichen Schicksals und dem plötzlichen Einbrechen des Todes in
unser Leben.
Lass sie Ruhe finden, die nur Du, unser Gott, selber schenken kannst,
komme in Jesus Christus auf sie zu mit ausgestreckter Hand,
um ihnen neue Hoffnung zu schenken,
um sie zu halten und zu retten.
Wir rufen zu Dir: Kyrie
Herr, unser Gott,
wir bitten Dich für uns selbst. Gib uns Dein Augenmaß und Dein Maß des
Menschlichen. Was wir können, sind und haben, kommt von Dir.
Mache uns bereit unsere Gaben und Fähigkeiten einzusetzen zum Schutz
Deiner Schöpfung und für einen verantwortlichen Umgang miteinander. Gib
uns offene Augen für alles, was unsere besondere Aufmerksamkeit braucht:
Das beginnende Leben, dass sein Recht nicht selbst einklagen kann und
auf Schutzraum angewiesen ist, bis es auf eigenen Füßen stehen kann. Das
verlöschende Leben, dass sich nicht mehr allein erhalten kann und auf
Fürsorge und Pflege angewiesen ist.
Macht und Geld sind nicht Selbstzweck, sondern wollen etwas bewirken zum
Wohle aller. Wehre dem Selbsterhalt von Macht und Geld, der nur sich
selbst kennt und die Menschen, die arbeiten und leben wollen, vergisst.
Gib uns Einsicht in unsere Grenzen. So wie Du Dich selbst begrenzt hast
zum Heil Deiner Welt und ein Mensch wurdest wie wir, so lass uns
aufhören, in den Himmel wachsen zu wollen. Laß uns darauf vertrauen,
dass Du für uns sorgst wie ein liebender Vater, der das Leben und das
Glück seiner Kinder will.
Lass uns nicht erst in der Not und am Ende etwas von Dir erwarten. Wir
vertrauen Dir unser Leben an und hoffen, dass Du zu allen Zeiten
hereinbrechen kannst um unsere Not zu wenden und uns den rechten Weg zu
zeigen.
Wir rufen zu Dir: Kyrie
BARMHERZIGKEIT, BLÜH' AUS DEN CHRIST
Barmherzigkeit, blüh' aus den Christ,
des Vaters Sohn, darin er ist.
Du heißt ihn ewig auferstehn,
ach, laß mich meinen Heiland sehn.
Barmherzigkeit, blüh' aus den Christ,
daß er in mir lebendig ist.
Er ist die Liebe und das Licht,
das aus dem Unerschaffnen bricht.
Barmherzigkeit, blüh' aus den Christ,
des Vaters Sohn, darin er ist.
Laß Deinen Frühling in mir sein
und nimm mich in Dein Blühn hinein.
(© Claus
Henneberg, Melodie EG 7 Köln 1638, Augsburg 1666,
"O Heiland, reiß die Himmel auf"
von Friedrich Spee, 1622) |