Predigt     Lukas 17/20-30    1. Sonntag nach Trinitatis    29.05.05

"Entgrenzter Mensch - begrenzter Gott"
Texte und Predigt zum Gemeindefest der Hospitalkirchengemeinde

(von Pfr. Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)

Zum Nachdenken - Predigt - Fürbitten

Zum Nachdenken

"Aus der Psychiatrie weiß man, wie leicht eine depressive in eine manische Phase umkippen kann – und umgekehrt. Einiges spricht für die Vermutung, dass ein solcher plötzlicher Umschwung nicht nur bei individuellen Patienten, sondern auch bei großen Kollektiven zu beobachten ist. In den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts schien die Depression zu überwiegen. Überall wurden Szenarien des Untergangs ausprobiert. Der Kalte Krieg, mit seinen Blockaden und Stellvertreterkonflikten, hatte zur Lähmung der Weltpolitik geführt. Umweltkatastrophen aller Art zeichneten sich ab. Der Club of Rome prophezeite die Erschöpfung aller endlichen Ressourcen in kürzester Zeit. Vom nuklearen Winter war die Rede. Apokalyptische Stimmungen breiteten sich nicht nur auf der Leinwand des Hollywood-Films und auf dem Bildschirm aus. Offenbar hatten sich die westlichen Gesellschaften zu früh auf den Untergang gefreut.

Schon lange vor der Jahrtausendwende bahnte sich die manische Phase an. Es war diesmal nicht die Geschichtsphilosophie, die mit Erlösungsversprechen aufwartete; keine Partei, keine politische Ideologie trat mit einem neuen Menschheitsprojekt auf den Plan – im Gegenteil, der Kollaps des Kommunismus hinterließ ein ideologisches Vakuum, das keine alte oder neue Linke zu füllen vermochte. Die neuen utopischen Verheißungen kamen aus den Forschungsinstituten und den Laboratorien der Naturwissenschaften, und es dauerte nicht lange, bis ein phantastischer Optimismus die Szene beherrschte. Fast über Nacht kehrten alle Motive des utopischen Denkens wieder: der Sieg über sämtliche Mängel und Nöte der Spezies, über die Dummheit, den Schmerz und den Tod.

Auf einmal sagten viele, es sei nur eine Frage der Zeit, bis die genetische Verbesserung des Menschen zum Ziel führte, bis die altertümliche Form der Zeugung, der Geburt und des Todes abgeschafft wäre, bis Roboter den biblischen Fluch der Arbeit aus der Welt schafften, bis die Evolution der Künstlichen Intelligenz (KI) dem leidigen Mangelwesen ein Ende machte.

Uralte Allmachtsphantasien fanden so eine neue Zuflucht im System der Wissenschaften. Keineswegs geht es dabei um die Gesamtheit der Wissensproduktion. Immer klarer zeichnet sich die hegemoniale Position weniger Disziplinen ab, die über die entscheidenden Ressourcen wie Geld und Aufmerksamkeit verfügen, während andere – wie die Theologie, die Literaturwissenschaft, die Archäologie und leider auch die Philosophie – nur noch eine marginale, um nicht zu sagen dekorative Rolle spielen. …

Letzten Endes wird die Utopie der totalen Beherrschung der Natur und des Menschen, wie alle bisherigen Utopien, nicht an ihren Gegnern scheitern, sondern an ihren eigenen Widersprüchen und an ihrem Größenwahn. Noch nie hat sich die Menschheit freiwillig von ihren Allmachtsphantasien verabschiedet. Erst wenn die Hybris ihren Lauf genommen hat, wird die Einsicht in die eigenen Grenzen, vermutlich zu einem katastrophalen Preis, notgedrungen die Oberhand gewinnen. Dann wird auch eine Wissenschaft, die wir achten und mit der wir leben können, wieder eine Chance haben.

Hans Magnus Enzensberger "Putschisten im Labor" (Der Spiegel, Nr. 23/2001, S. 216ff)
 

Predigt

Liebe Leser,

manchmal lohnt es sich wirklich, den Schriftstellern und Philosophen zuzuhören, die einen wachen Blick haben in die Zeit und ihre Geister. Erst letzte Woche war aus Südkorea wieder Phantastisches zu hören: Ein Durchbruch in der Stammzellenforschung verheißt wieder einmal die Erlösung der Menschheit von unheilbaren Krankheiten. Im Kleingedruckten stand, dass man sich keine übertriebenen Hoffnung machen sollte und dass die gerade mal 11 neuen Stammzelllinien unter Verbrauch von 185 weiblichen Keimzellen erzeugt wurden.

Weihnachten ist lange vorbei. Und auch vom Tsunami in Südostasien und seinen hunderttausenden von Opfern gibt es keine Meldung mehr. Verklungen ist, was der Präses der EKD, Wolfgang Huber dem Spiegel diktierte: „Nicht die Allmacht Gottes, sondern die Allmachtsvorstellungen des modernen Menschen werden durch solche Ereignisse in ihre Schranken gewiesen. Gottes Allmacht kann man sich nicht so vorstellen, dass Gott alles Böse und Unbegreifliche im Vorhinein aus dem Lauf der Dinge herausschneidet. Gottes Allmacht zeigt sich in der Liebe, mit der er sich uns Menschen zuwendet, damit wir uns auch angesichts des Unbegreiflichen an ihr orientieren.“

Unbegreiflich schien es für viele, dass es in unserer modernen Welt überhaupt noch Unbegreifliches gibt. Dass dieser blaue Planet sich dem Menschen entzieht und ihn nicht nur mit Wohltaten überschüttet. Unsere Urahnen hatten noch eine Ahnung davon, dass das Leben dem Himmel und der Erde abgetrotzt war. Heute meinen wir ein Recht auf Stütze und Wohlfahrt in allen Lebenslagen zu haben. Wenn der nächste Brocken aus den Asteroidengürteln unseres Sonnensystems Kurs auf die Erde nimmt um nicht zum ersten Mal in der Erdgeschichte das Leben um neunzig Prozent zu vermindern, wird es nicht helfen ihm die Faust hinzurecken. Hans Magnus Enzensberger: „Erst wenn die Hybris ihren Lauf genommen hat, wird die Einsicht in die eigenen Grenzen, vermutlich zu einem katastrophalen Preis, notgedrungen die Oberhand gewinnen.“

So realistisch sieht das die Bibel auch. Als wir im Vorbereitungskreis zusammen saßen, kam uns die Noahgeschichte in den Sinn. Die wollten wir heute ursprünglich bedenken. Mich hat die Frage interessiert, ob auch das Neue Testament oder Jesus selbst diese uralte Geschichte aufgreift, die an eine Katastrophe erinnert, der fast die ganze damals Menschheit zum Opfer fiel. Als hätte Gott bereut, dass er den Menschen überhaupt gemacht hatte, lässt er seinem Zorn freien Lauf.

Die Antwort gibt unser Predigttext. Jesus zitiert gleich noch die Katastrophe von Sodom hinzu – und stellt beide in einen völlig ungewohnten und überraschenden Zusammenhang. Er erzählt vom Einbruch, ja Zusammenbruch einer scheinbar ewigen Normalität. Sie aßen, sie tranken, sie kauften, sie verkauften, sie pflanzten, sie bauten, sie heirateten, sie ließen sich heiraten und wenn sie nicht gestorben sind …. Und dann kommt alles ganz anders, aus heiterem Himmel.

Die Pointe ist bei Jesus aber nicht Tod und Verderben, sondern das genaue Gegenteil. Die Pointe ist das überraschende Kommen des Gottesreichs. So wie die zitierten Katastrophen kommen, ohne Vorboten, ohne Anzeichen, ohne Vorwarnung, so kommt das Reich Gottes in die Welt. Nicht als böse, sondern als freudige Überraschung.

Und auch hier werden wir nicht gefragt, sind wir nicht beteiligt. Es sollte zur eisernen Ration an Geschichtserfahrung der Christenheit gehören, dass man das Reich Gottes und seine erfreulichen Verhältnisse nicht herbeizwingen kann. Und schon gar nicht mit Waffengewalt. Ein solcher Krieg ging als der dreißigjährige in die Geschichte ein. Was als Kampf um den rechten Glauben begann wurde die Hölle auf Erden.

Nein, dass Himmelreich kommt von selbst. Man muss es nehmen, wie es kommt. In einem Magazin fand ich das Bild eines sehr spärlich behaarten Mannes. Darunter war zu lesen, er wäre schon sechs mal vom Blitz getroffen worden. Er habe jedes Mal so ein komisches Kribbeln gespürt. Aber dann sei es schon zu spät. Jedenfalls machte der Mann einen recht fröhlichen Eindruck.

Vom Blitz getroffen. Vom Donner gerührt. So muss man sich das Kommen des Himmelreichs vorstellen. Mitten unter uns. Mitten unter uns wie der Christus selbst. Denn vor allem und zuerst gilt: Das Himmelreich ist da, wo der Christus gegenwärtig ist. Wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, zum Gottesdienst, zum Dienst an der Welt und ihrer Menschen. Da leuchtet Himmelreich auf.

Und deshalb gilt ebenso: Wir können nur an Christus sehen, wie das Himmelreich ist. Welche Spielregeln im Reich der Himmel gelten. Ich greife eine heraus, weil sie sich schon in der Katastrophengeschichte der Sintflut finden lässt. Im Himmelreich herrscht die Selbstbegrenzung des eigenen zugunsten des anderen Lebens. Schon am Ende der Sintflutgeschichte steht ein Bund. Gott begrenzt sich in diesem Bund für alle Zukunft zugunsten des Lebens. Gott schließt die Möglichkeit einer weiteren Sintflut aus. Er streicht sie aus dem Repertoire seines Handelns. Zum Zeichen setzt er den Regenbogen in den Himmel.

Von dieser Selbstbegrenzung Gottes erzählt die Menschwerdung des Christus in noch viel größerem Maße. Mag Allah immer groß sein. Im Kind in der Krippe macht Gott sich ganz klein. Als Prediger vom Gottesreich begibt er sich auf unsere Augenhöhe. Zuvor aber muss er viel leiden und verworfen werden von diesem Geschlecht. Wie eine Achse drehen sich Jesu Worte vom Kommen des Himmelreichs um diesen Satz. Erst muss er noch kleiner werden, festgenagelt an ein Kreuz, hineingelegt in ein Felsengrab. Auch den letzten Menschenweg geht er ab um uns auch dort noch aufzusammeln, wo es keine Macht mehr gibt, sondern alles Ohnmacht ist.

„Erst wenn die Hybris ihren Lauf genommen hat, wird die Einsicht in die eigenen Grenzen, vermutlich zu einem katastrophalen Preis, notgedrungen die Oberhand gewinnen.“ Diese Einsicht ist auch zu dem katastrophalen Preis zu haben, den der Christus zugunsten des Lebens aller Geschöpfe zahlt. Und wir stellen daneben den Menschen, der sein Leben um jeden Preis erhalten will, indem er anderes menschliche Leben verbraucht. Dem sich beständig selbst auf Kosten anderer und auf Kosten der Schöpfung entgrenzenden Menschen stellt Gott den sich selbst begrenzenden Christus gegenüber, der sich auf seine eigenen Kosten einsetzt zugunsten des Lebens und dem gerade darin alle Macht gegeben ist im Himmel und auf Erden.

Gott lässt keinen Zweifel, dass diesem Christus und denen, die ihm nachfolgen die Zukunft gehört und der Mensch, der keine Grenzen kennt, keine Zukunft hat. Natürlich lassen sich daraus auch Richtungsweisungen geben für eine Politik, die Zukunft hat. Es ist auch im Sinne des Evangeliums, wenn Christenmenschen von Politikern nicht nur in Wahljahren klare Aussagen verlangen und sie in die Pflicht nehmen. Und es ist ebenso im Sinne des Evangeliums, dass Christen ihren Herrn und sein Wort ernst nehmen und mit ihm rechnen. Nur so können sie Leuchttürme der Hoffnung in allgemeiner Verzagtheit bleiben. Wenn sie erfahren, dass da wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, etwas vom Himmelreich aufleuchtet: im Hören auf sein Wort, in der Gemeinschaft des Mahls, im Dienst für andere. Es sind nicht die Tsunamis und die Brocken aus dem All, die unseren Zukunftshorizont bestimmen, sondern das kommende Reich der Himmel. Auch das kann hereinbrechen in hoffnungslose Verhältnisse und trübe Aussichten. Dafür lasst uns die Augen offen halten.

 

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de

Text: 

20 Als er aber von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man's beobachten kann;
21 man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es!, oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.
22 Er sprach aber zu den Jüngern: Es wird die Zeit kommen, in der ihr begehren werdet, zu sehen einen der Tage des Menschensohns, und werdet ihn nicht sehen.
23 Und sie werden zu euch sagen: Siehe, da!, oder: Siehe, hier! Geht nicht hin und lauft ihnen nicht nach!
24 Denn wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein.
25 Zuvor aber muss er viel leiden und verworfen werden von diesem Geschlecht.
26 Und wie es geschah zu den Zeiten Noahs, so wird's auch geschehen in den Tagen des Menschensohns:
27 Sie aßen, sie tranken, sie heirateten, sie ließen sich heiraten bis zu dem Tag, an dem Noah in die Arche ging und die Sintflut kam und brachte sie alle um.
28 Ebenso, wie es geschah zu den Zeiten Lots: Sie aßen, sie tranken, sie kauften, sie verkauften, sie pflanzten, sie bauten;
29 an dem Tage aber, als Lot aus Sodom ging, da regnete es Feuer und Schwefel vom Himmel und brachte sie alle um.
30 Auf diese Weise wird's auch gehen an dem Tage, wenn der Menschensohn wird offenbar werden.
 

Fürbittengebet

Herr unser Gott,

wir bitten Dich für die Menschen, die ihre Grenzen nicht kennen und sich für allmächtig halten. Die wie die Elefanten hineintrampeln in den Porzellanladen des Lebens. Die meinen, man könnte alles wissen und alles machen. Die die Ressourcen dieser Welt für ihren Besitz halten und sie ausbeuten, ohne Rücksicht auf kommende Generationen und ohne Rücksicht auf die labilen und zerbrechlichen Systeme und Gleichgewichte des Lebens. Die Geld und Macht für die eigentlichen Triebkräfte des Lebens halten.

Unterbrich uns in unserem Tun, Herr unser Gott, durch Dein gutes und mahnendes Wort. Schenke uns Achtsamkeit und Ehrfurcht vor dem Leben aller Deiner Geschöpfe.

Wir rufen zu Dir: Kyrie

Herr, unser Gott,

wir bitten Dich für alle Menschen, die die Erfahrung der Ohnmacht machen, für alle, die Angst haben in dieser Welt, Angst um ihr Leben, Angst vor Krankheit und Hunger, vor Katastrophen, Krieg und Gefahr, Angst vor der Übermacht unserer Wirtschaftssysteme, vor der Unberechenbarkeit des persönlichen Schicksals und dem plötzlichen Einbrechen des Todes in unser Leben.

Lass sie Ruhe finden, die nur Du, unser Gott, selber schenken kannst,
komme in Jesus Christus auf sie zu mit ausgestreckter Hand,
um ihnen neue Hoffnung zu schenken,
um sie zu halten und zu retten.

Wir rufen zu Dir: Kyrie

Herr, unser Gott,

wir bitten Dich für uns selbst. Gib uns Dein Augenmaß und Dein Maß des Menschlichen. Was wir können, sind und haben, kommt von Dir.

Mache uns bereit unsere Gaben und Fähigkeiten einzusetzen zum Schutz Deiner Schöpfung und für einen verantwortlichen Umgang miteinander. Gib uns offene Augen für alles, was unsere besondere Aufmerksamkeit braucht: Das beginnende Leben, dass sein Recht nicht selbst einklagen kann und auf Schutzraum angewiesen ist, bis es auf eigenen Füßen stehen kann. Das verlöschende Leben, dass sich nicht mehr allein erhalten kann und auf Fürsorge und Pflege angewiesen ist.

Macht und Geld sind nicht Selbstzweck, sondern wollen etwas bewirken zum Wohle aller. Wehre dem Selbsterhalt von Macht und Geld, der nur sich selbst kennt und die Menschen, die arbeiten und leben wollen, vergisst.

Gib uns Einsicht in unsere Grenzen. So wie Du Dich selbst begrenzt hast zum Heil Deiner Welt und ein Mensch wurdest wie wir, so lass uns aufhören, in den Himmel wachsen zu wollen. Laß uns darauf vertrauen, dass Du für uns sorgst wie ein liebender Vater, der das Leben und das Glück seiner Kinder will.

Lass uns nicht erst in der Not und am Ende etwas von Dir erwarten. Wir vertrauen Dir unser Leben an und hoffen, dass Du zu allen Zeiten hereinbrechen kannst um unsere Not zu wenden und uns den rechten Weg zu zeigen.

Wir rufen zu Dir: Kyrie

BARMHERZIGKEIT, BLÜH' AUS DEN CHRIST

Barmherzigkeit, blüh' aus den Christ,
des Vaters Sohn, darin er ist.
Du heißt ihn ewig auferstehn,
ach, laß mich meinen Heiland sehn.

Barmherzigkeit, blüh' aus den Christ,
daß er in mir lebendig ist.
Er ist die Liebe und das Licht,
das aus dem Unerschaffnen bricht.

Barmherzigkeit, blüh' aus den Christ,
des Vaters Sohn, darin er ist.
Laß Deinen Frühling in mir sein
und nimm mich in Dein Blühn hinein.

(© Claus Henneberg, Melodie EG 7 Köln 1638, Augsburg 1666, "O Heiland, reiß die Himmel auf" von Friedrich Spee, 1622)


Archiv
Homepage Hospitalkirche