Predigt    Lukas 17/5-6    15. Sonntag nach Trinitatis    23.09.01

"Die Herzen der Kinder"
(von Pfr. Johannes Taig, Hospitalkirche)

Liebe Leser,

vielleicht muss man sich in diesen Tagen in seine Arbeit stürzen. Nur um die Bilder loszuwerden, die in nicht enden wollender Flut aus allen Kanälen auf uns einstürzen. Wer kann schon das Ausmaß der Attentate in Amerika begreifen und das unsägliche Leid und die unendliche Trauer, die sie über 6000 Menschen und ihre Angehörigen, ja über die ganze zivilisierte Welt gebracht haben. Und wer weiß in diesen Tagen schon, was diese Ereignisse für uns und unsere Zukunft bedeuten?

Vielleicht muss man sich in diesen Tagen in seine Arbeit stürzen. Aber sobald man zur Ruhe kommt, mahlen die Gedanken wieder diesen großen schwarzen Stein. Und er will einfach nicht kleiner werden. Gewalttätig wurde der Hass in die Welt gesät. Und die Saat geht auf. Schon in den Herzen kleiner Kinder, denen man eintrichtert, dass das Schönste am Leben ist, es im Heiligen Krieg zu verlieren und noch möglichst viele „Ungläubige“ mit in den Tod zu reißen. Missachtung und Geringschätzung des Lebens kommt hier im Gewand in ihr Gegenteil verdrehter Religion daher. Und sie kommt gewaltig daher. 

Im Internet gibt es unter www.webandacht.de  ein Kondolenzbuch, in das man sich mit weißer Schrift auf schwarzem Grund eintragen kann. Dort schreiben auch Kinder: „Bitte beginnt keinen Krieg! Es sollen nicht noch mehr unschuldige Menschen sterben“, fleht Martina. Auch Nico hofft, „dass nicht der Dritte Weltkrieg ausbricht“. Die Betroffenheit bei den Kindern geht tief. „Ich hoffe das eure Mamas oder Papas nicht tot sind“, schreibt Nadja an US-amerikanische Kinder, die die Fürbitten im Internet lesen könnten. Eine Sechstklässlerin glaubt, „Gott ist sehr traurig, und er ist enttäuscht von den Menschen“. Die Hilfsbereitschaft der Kinder ist groß. „Wenn ich könnte würde ich euch persönlich helfen, so bin ich in Gedanken bei euch“, schreibt Melanie. „Es tut mir leid, wenn dein Papa, Mama oder Geschwister tot sind. Meine Familie würde ein paar von euch aufnehmen“, bietet Carina betroffenen Kindern an. 

Was die Kinder geschrieben haben, hat mich berührt. Während die Großen überlegen, ob man sich wehren darf und wie; während Hassparolen an den Stammtischen die Runde machen; während in den Staaten zwei Buddhisten gemeuchelt wurden, weil sie dummerweise einen Turban aufhatten; während der amerikanische Präsident – hoffentlich aus Versehen – das Wort „Kreuzzug“ in den Mund genommen hat und damit an die - Gott sei Dank lange zurückliegende - christliche Form des „Heiligen Krieges“ erinnert, 

zeigen uns die Kinder, dass in ihnen eine andere Saat aufgegangen ist, die nicht so schnell klein zu kriegen ist. Klein sind sie noch, diese Kinder, können im Parlament keine Hand heben, können noch nicht auf rote Knöpfe drücken, aber sie drücken spontan und aus dem Herzen ihre Mitmenschlichkeit, ihre Hilfsbereitschaft und ihre Friedfertigkeit aus. Und geben uns ein Zeichen, woher uns in diesen finsteren Tagen Hilfe kommt. 

Ja, auch sie sind noch Senfkörner. Wenn dieses Jesuswort gepredigt wird, ist es schick, die kleinen gelben Samen an die Gemeinde auszuteilen. Vielleicht hat Jesus aber an den schwarzen Senf gedacht. 700 Körner dieser Art gehen auf ein Gramm! Die kann man nicht mal austeilen. Man kann sie nur in die Hand schütten. Man kann sie leicht wegblasen und keiner findet sie wieder. 

Und doch, sagt Jesus, wenn ihr Glauben habt so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen. Wo doch jedes Kind weiß, dass man einen Maulbeerbaum nicht ausreißen kann. Kein Baum wurzelt tiefer. 

Betrachten wir in diesen Tagen diesen Unterschied: Die dröhnenden und blitzenden Armeen, die rund um den Globus aufmarschieren und die winzigen Senfkörner des Glaubens; die großen Worte und Reden der Erwachsenen und die spontanen und beharrlichen Worte der Menschlichkeit der Kleinen. Und dann wird uns klar, wo der Ort ist, an dem dieser „Krieg“ um Himmelreich und Hölle, um eine helle oder finstere Welt eigentlich gewonnen oder verloren wird. Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen. Und er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie. (Markus 10/15-16) Jesus sieht das genau so. Das Senfkorn Glauben grüßt das Senfkorn Himmelreich. (Markus 4/30ff.!) Beides beginnt auch und vor allem in den Herzen der Kinder.

Das heißt für uns, dass wir uns langfristig wieder unseren Kindern auf neue Weise zuwenden müssen. Dass wir uns nicht damit abfinden, dass heute Eltern ihren religiösen Analphabetismus an ihre Kinder weitergeben, in der irrigen Hoffnung und mit der irrigen Begründung, sie so vor Indoktrination, vor Beeinflussung durch alle mögliche Religionen  zu bewahren. In Wahrheit machen sie sie hilflos und wehrlos gegen Sekten und Fundamentalisten. Dass heißt, dass wir aufhören, den Religionsunterricht für entbehrlich zu halten, ihn zu kürzen und an den Rand des Unterrichtsgeschehens zu drängen. Dass heißt für uns, dass wir in einen langen Dialog der Kulturen und Religionen eintreten und über die Grenzen der eigenen Konfession hinaus unterrichten und dabei das Gemeinsame und Verbindende herausstellen. Das heißt für uns, dass wir den Islam aus dem Zwielicht der Hinterhöfe herausholen und an unseren Schulen unterrichten nach Maßstäben, wie wir sie auch an uns selbst anlegen. Keiner wird den Islam zwingen auf den arabischen Wohlklang seiner Heiligen Schrift zu verzichten, aber jeder Muslim sollte den Inhalt dieser Schrift kennen und verstehen, damit keiner dem Missbrauch durch fanatische Mullahs hilflos ausgeliefert ist. Wir wünschen dem Islam seinen Martin Luther!

Das heißt, dass wir aufhören einen Pluralismus für ausreichend zu halten, in dem jeder aus der weltweiten Palette esoterischer und religiöser Überzeugungen und Werte nach Gusto das Seine zusammenstellen kann. Was sind denn diese Werte, wenn hinter ihnen nichts steht, als des Menschen Wille, den er schon immer für sein Himmelreich gehalten hat und der es doch noch nie gewesen ist. Das ist das Problem des Ethikunterrichts, der die Palette solcher Überzeugungen nur unverbindlich darbieten kann und dem einzelnen bei seiner Wahl gar nicht helfen darf. In der Frage der Grundwerte des Lebens weltanschaulich neutral bleiben, geht nicht! Unsere Geschichte war es nie! Unsere Verfassung ist es nicht. Und nur weil sie das nicht ist, gibt es in ihr den Grundsatz der Toleranz und Achtung vor der Menschenwürde und  vor der Religion und dem Glauben anderer! 

Wir sagen nicht nur den Kindern, die im Internet geschrieben haben: Hinter Euerer Trauer, Euerer Menschlichkeit, Euerer Hilfsbereitschaft, Euerem Friedenswillen steht nicht Euer eigener Geschmack und Wille,  nicht die amerikanische Armee, sondern der Schöpfer des Himmels und der Erde. Bei Euch steht der Christus, der Euch zu sich ruft und Euch segnet. Der setzt die Armada seiner Engel in Bewegung um Euch zu beschützen. Das ist die Power, die im Glauben steckt, und sei er nur so groß, wie ein Senfkorn. Für das Gute und für den Frieden herrscht bei Gott immer der Bündnisfall. 

Und wir sagen es nicht nur unseren Kindern, wir sagen es uns. Uns, die wir ängstlich die paar Körner wie Zuversicht, Hoffnung und Menschenliebe in unseren Händen und Herzen zählen. Nein, wir haben sie noch nicht verloren. Wir können und sollen sie uns gegenseitig und an unsere Kinder weitergeben . Damit unsere Seelen nicht herumirren und sich verlaufen in unserer unübersichtlichen Welt. Vielleicht sind es nur ein paar Senfkörner. Aber in jedem steckt die ganze Kraft des einen guten, mächtigen und menschenfreundlichen Gottes, unseres himmlischen Vaters. 

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text: 

(5)Und die Apostel sprachen zu dem Herrn: Stärke uns den Glauben!
(6)Der Herr aber sprach: Wenn ihr Glauben habt so groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer!, und er würde euch gehorchen.


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