Liebe Leser, „Unmöglich!“ rief die Tante aus. „Wie du wieder
daherkommst! Hast du denn nicht wenigstens ein paar Jeans ohne
Löcher? Muss es denn immer der gleiche Pullover sein? Hast Du kein
Geld für den Frisör? So kann ich dich doch nicht mit ins Theater
nehmen und zu spät kommst du auch wieder. Du bist wirklich
unmöglich.“
Unmöglich! Das rufen wir aus, angesichts von Verhältnissen und
Zuständen, deren Heilung nach unserer Meinung durchaus im Bereich
des Möglichen liegt. Ist es wirklich unmöglich, die Ehe nicht zu
brechen? Ist es wirklich unmöglich, sich nicht mit dem Eigentum und
auf Kosten anderer zu bereichern? Ist es wirklich unmöglich, von
anderen Menschen keine falschen Dinge zu behaupten, Gutes von ihnen
zu reden und alles zum Besten zu kehren? Ist es denn wirklich
unmöglich, sich um die alten Eltern zu kümmern und hin und wieder
etwas Zeit für sie zu erübrigen?
Ja, schon wahr: „Unmöglich!“ wird heute aus den unmöglichsten
Gründen gerufen. Der Tante, die sich über den heranwachsenden Neffen
ärgert, muss man sagen: Das gibt sich. Die Volkspädagogen, die
Rauchverbote und sogar die sprachliche Gleichstellung von Mann und
Göttin aufs Schärfste bewachen, darf man fragen: Habt ihr denn keine
anderen Probleme? Hat eine Gesellschaft, in der zur Pflicht wird,
gefälligst bei bester Gesundheit zu sterben, denn vergessen, was
ihre Zivilisation ausmacht und im Innersten zusammenhält? Ob das so
ist, sieht man auch daran, an welchen Stellen „Unmöglich!“ gerufen
wird.
Der Mann, der in diesem Jahr seine Altersversorgung und seine
Ersparnisse verloren hatte, stand jedenfalls an der richtigen
Stelle: Unter dem Hochhaus der Lehmann Brothers in New York. Er
hielt einen Pappkarton in Richtung der oberen Etagen, auf dem in
großen Buchstaben stand: JUMP YOU FUCKERS! Die Landesbischöfe der
Kirchen in der EKD haben ihre Kritik an Gier und
Verantwortungslosigkeit in der Finanzwirtschaft etwas diplomatischer
ausgedrückt. Die weihnachtliche Managerschelte aus den Kirchen hat
nun ein Nachspiel. SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier
kündigte am Wochenende an, das Gespräch mit Bischöfen und den
verärgerten Wirtschaftsvertretern zu suchen. Er wolle mit ihnen
„reden über das, was aus dem Ruder gelaufen ist und wo uns neues
Denken hinbringen muss“. (epd)
Ja, das tut weh: Die Kritik am Glaubensbekenntnis der
Nachpostmoderne, das da lautet: Man glaubt nicht, wie gut es uns
allen geht, wenn wir vom Guten nichts mehr wissen. (Botho Strauß)
Hier ist die richtige Stelle, um „Unmöglich!“ zu rufen. Es ist
unmöglich, vom Guten nichts mehr zu wissen. Denn, was gut ist,
können wir wissen. Der Philosoph Immanuel Kant hat es in seiner
Kritik der praktischen Vernunft „das moralische Gesetz in uns“
genannt. Ihm zu folgen ist unsere verdammte Pflicht und
Schuldigkeit. Man kann an ihm scheitern. Das hebt es nicht auf. Kein
neues Denken brauchen wir, es hilft schon die Rückbesinnung auf das
alte - oder die Rückbesinnung auf das Denken überhaupt. Wer darüber
Diskussionsrunden braucht, steht schon mit einem Bein im Mist der
Barbarei.
Um Gottes Willen! Lasst uns über die Jahreslosung bloß nicht in die
Richtung nachdenken, ob Gott sich vielleicht als Ausputzer für all
das hergeben könnte, was wir Unmögliches anstellen. Das gehört
benannt. Das gehört an den Pranger. Auch in Kirche und Diakonie.
Gerade da. Auch wenn die Verärgerung hier die gleiche ist, wie bei
den kritisierten Wirtschaftsleuten. Denn Kirche ist die Versammlung
der Gläubigen, die nicht nur auf das moralische Gesetz in sich
horchen, das übrigens auch für Kant eine christliche Grundlage hat,
sondern die auf die Stimme ihres Herrn hören. Wir sind ihm
verantwortlich! Wir haben Rede und Antwort zu stehen vor Gott und
der Welt. Wir haben mit dem verlorenen Sohn zu sprechen: „Vater, ich
habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht
mehr wert, dass ich dein Sohn heiße.“ (Lukas 15/21) Wir kommen um
die Worte „Es tut mir leid“ oder „Entschuldigung“ nicht herum. Dann
und nur dann gilt: „So wird auch Freude im Himmel sein über einen
Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der
Buße nicht bedürfen.“ (Lukas 15/7)
Das hätte der „reiche Jüngling“, der in Wahrheit wohl ehr mit Lukas
ein „Oberer“, ein alteingesessener, angesehener, geschätzter,
wohlhabender Mann war, gar nicht anders gesehen. Gott sei Dank haben
wir in unserer Gesellschaft auch diese Männer und Frauen, die noch
wissen, wo’s langgeht; die Jesus nicht erinnern muss, dass die 10
Gebote alles andere als unmöglich sind und sich eigentlich von
selbst verstehen, auch und gerade für den, der als Chef
Verantwortung für andere trägt. Da braucht es keine Diskussion. Er
aber sprach: Das habe ich alles gehalten von Jugend auf. Er ist
nicht einmal, wie viele aus dem Club der sozial engagierten
Besserverdiener, aus der Kirche ausgetreten, obwohl sein
Steuerberater es ihm dringend geraten hat. Da kann er schon stolz
sein. Ehrlich.
Aber unser Stolz ist das eine und unserem Herrn Jesus Christus
nachfolgen, ist das andere. Wenn Christus uns in die Nachfolge ruft,
führt er jeden von uns früher oder später an die Grenze. Hier haben
wir eine solche Geschichte. An dieser Grenze bricht unser Stolz,
vielleicht nicht beim ersten Mal. Dann führt uns der Christus an
eine andere Grenze, bis auch das letzte bisschen Stolz in uns
zerbricht und ich glaube, viele von Euch wissen das aus eigener
Erfahrung: Das geht nicht ab ohne bittere Tränen. Als er das aber
hörte, wurde er traurig.
Das kann und darf nur der Christus mit uns tun! Seht euch vor:
Niemand darf sich anmaßen, den Stolz eines anderen Menschen brechen
zu wollen. Denn für die Sünden, Höllen- und Weltuntergangsprediger,
für die Terroristen der Tugend, die die Menschen klein machen und
dann hilflos, nackt und verzweifelt, ohne jeden Glauben und ohne
jedes Vertrauen zurücklassen, gilt das Wort Jesu, für die wäre es
besser, dass ihnen ein Mühlstein an den Hals gehängt und sie ins
Meer geworfen würden, wo es am Tiefsten ist. (Matthäus 18,6)
An die Grenze, an der unser Stolz bricht, darf nur der Christus
führen. Denn er lässt uns dort nicht allein. Er seufzt mit uns. Er
weint mit uns. Er bleibt da. Wie schwer kommen die Reichen in das
Reich Gottes!, ruft der schwerarbeitende Christus aus. So schwer,
wie ein Kamel durch ein Nadelöhr. Aus eigener Kraft schafft das auch
das kleinste Kamel nicht. Niemand kommt aus eigener Kraft in das
Himmelreich. Alle sind sie verlorene Söhne und Töchter. Alle sind
sie auf Gottes Gnade angewiesen. Da muss der Christus sie schon
ziehen mit aller seiner Macht und unter Einsatz seines Lebens, damit
das Unmögliche möglich wird und auch ein Reicher in den Himmel
kommt.
Natürlich hat das was mit Geld zu tun. Es stinkt nicht und stinkt
doch gegen den Himmel an. Will selber Himmel sein. Bricht auf seine
Weise den Stolz der Menschen, die irgendwann für Geld alles tun und
alles mitmachen. Und lässt sie dann auf den Straßen stehen und
liegen. Macht sich aus dem Staub. Kennt kein Erbarmen. Es entbehrt
nicht einer gewissen Komik, dass die Besorgten in unserem Land all
dem jetzt ihre Schilder entgegenhalten, auf denen steht: Werte! Da
lacht das Geld und sagt: Wollen wir doch mal sehen, was am Ende am
meisten wert ist. Selbst in der Kirche wird inzwischen vom
Wettbewerb der Werte gesprochen. Und wir brauchen keine Propheten
sein, um vorherzusagen, dass wie bisher allein der Wettbewerb als
Wert übrig bleibt, der uns notorisch weiter und weiter grenzenloses
Wachstum und grenzenlose Möglichkeiten verspricht. Der Mammon ist
der große Gegenspieler des Himmelreichs.
Der Christus führt uns auch an diese Grenze. Vielleicht spüren wir
es am letzten Abend eines Jahres sowieso. Hören, wie die Tür hinter
einem vergangenen, einem zu Ende gelebten Jahr krachend ins Schloss
fällt. Ab einem gewissen Alter spürt jeder, dass unsere
Möglichkeiten nicht grenzenlos sind. Vielleicht ist das, was wir
gerade tragen, schon unser letztes Hemd. Es hat nicht einmal
Taschen. Wir sind Bettler, das ist wahr.
Wenn Christus uns in die Nachfolge ruft, führt er jeden von uns
früher oder später an die Grenze. Die Jahreslosung stammt aus einer
solchen Geschichte. An dieser Grenze bricht unser Stolz, vielleicht
nicht beim ersten Mal. Dann führt uns der Christus an eine andere
Grenze, bis auch das letzte bisschen Stolz in uns zerbricht und ich
glaube, viele von Euch wissen das aus eigener Erfahrung: Das geht
nicht ab ohne bittere Tränen.
Aber hinter diesen Tränen wird ein anderer Stolz unseren Stolz
ersetzen. Dieser andere Stolz ist der Stolz auf den schwer
arbeitenden Christus, der Kamele durch Nadelöhre bringt und Reiche
in den Himmel. Da sind auch wir bestimmt keine hoffnungslosen Fälle.
Deshalb lockt uns der Christus an der Schwelle zum neuen Jahr an die
Grenze: an die Schwelle zur Freiheit der Kinder Gottes.
Heute hätte er uns vielleicht von einem Touristen erzählt, der in
einem Kloster übernachtet. Als er sieht, dass es dort sehr karg ist,
fragt er einen Mönch: „Wo habt ihr denn eure Möbel?“ Der Mönch fragt
zurück: „Wo haben Sie denn Ihre?“ Da lächelt der Tourist nachsichtig
und sagt: „Ich bin doch nur auf der Durchreise.“ „Eben“, sagt der
Mönch, „das sind wir auch.“ (vgl. Margot Käßmann, in GPM 4/2008,
Heft 1, S. 80)
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
18 Und es fragte ihn ein Oberer und sprach:
Guter Meister, was muss ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?
19 Jesus aber sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut
als Gott allein.
20 Du kennst die Gebote: »Du sollst nicht ehebrechen; du sollst
nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis
reden; du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren!«
21 Er aber sprach: Das habe ich alles gehalten von Jugend auf.
22 Als Jesus das hörte, sprach er zu ihm: Es fehlt dir noch eines.
Verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen
Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!
23 Als er das aber hörte, wurde er traurig; denn er war sehr reich.
24 Als aber Jesus sah, dass er traurig geworden war, sprach er: Wie
schwer kommen die Reichen in das Reich Gottes!
25 Denn es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als
dass ein Reicher in das Reich Gottes komme.
26 Da sprachen, die das hörten: Wer kann dann selig werden?
27 Er aber sprach: Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei
Gott möglich.
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