Liebe
Leser,
manchmal ist das Interessante an einer
so bekannten Geschichte das, was wir nicht wissen. Manchmal ist das
Interessante an Jesusgeschichten das, was nicht erzählt und nicht
berichtet wird. Manchmal liegt ein wesentlicher Teil des Evangeliums in
dem, was Jesus nicht sagt und nicht tut. Denn natürlich hat Jesus oder
der Evangelist da nicht etwas vergessen, sondern seine guten Gründe und
die können genauso erfreulich, wie ärgerlich sein.
Nein, wir wissen nicht, was den wohlhabenden Vaterlandsverräter,
Kollaborateur, Religionsverächter, Ausbeuter und Betrüger Zachäus
veranlasst hat, in die Nähe von Jesus kommen zu wollen.
Es wird nicht berichtet, dass Jesus ihn vor seinem Besuch über seine
Rechte vor Gott aufgeklärt hat und ihm wenigstens eine kurze und seinen
Verfehlungen entsprechend scharfe Straf- und Gerichtspredigt gehalten hätte.
Völlige Fehlanzeige.
Und um das Maß voll zu machen enthält uns der Evangelist auch noch die
beruhigende Nachricht vor, dass Zachäus nach seiner Bekehrung und nach
all den guten Vorsätzen, die er gefasst hat, wenigstens den Beruf
gewechselt hätte.
Ob er in der urchristlichen Gemeinde auch noch die andere Hälfte seines
Besitzes in die Gemeinschaftskasse gegeben hat, wie viele andere, wissen
wir auch nicht. In apokryphen Briefen, die nicht in die Bibel aufgenommen
wurden, weiß freilich die Legende, dass Zachäus bei Wahlen zur
Gemeindeleitung immer übergangen wurde und es schließlich der Autorität
eines Petrus bedurfte, ihn vor Antritt einer Missionsreise zu seinem
Stellvertreter in der Gemeinde zu machen.
Da könnte was dran sein. Zachäus, der es schwer hat, nicht bei Jesus,
aber bei seiner Gemeinde. Bei der Gemeinde, die oft weniger das
Evangelium, als die Frage nach dem rechten und angemessenen Leben als
Christ zusammenhält. Einer Gemeinde, die murrt und sagt: Soll Jesus bei
Zachäus einkehren und ihm Heil zusprechen, aber bitte nicht so, dass wir
mit einem Zöllner in einen Topf geworfen werden, bitte nicht hier in
unserer Mitte. So murren die, die wie Luther einmal schreibt, "sich
selber ansehen, sich selber gefallen, sich etwas dünken, die da meinen,
sie wüssten etwas und lebten recht ... Diese suchen Christus nicht, um
durch ihn selig zu werden, sondern um als schon selig bestätigt zu
werden. Sie suchen an ihm nicht den Wirker der Gerechtigkeit, sondern den
Zeugen (ihrer eigenen) Heiligkeit." (Luther in der Predigt vom
31.10.1516, WA 1,94ff.)
Denen stehen die gegenüber, die so Luther weiter "geistlich und
wahrhaftig sind. Die wagen nicht ihn, (Jesus) zu sich zu bitten, vor
lauter Unwert auf ihrer und vor lauter Würde auf seiner Seite. Aber damit
rufen sie ihn aufs stärkste. Ihr überstarkes Nein ist ihr Ja. So wird
Gott gesucht, wo er nicht gesucht wird, gelobt, wo er nicht gelobt wird
... Ich habe es noch nirgends schöner und lieblicher gefunden, als an
dieser Stelle. Denn das wahre Gebet hört niemand, als Gott allein, auch
der Mensch selber nicht ... Zachäus ist ein Beispiel" dafür.
Manchmal steckt das Entscheidende in dem, was nicht gesagt und nicht getan
wird. So ist das oft mit der menschlichen Liebe und so ist das mit der
Liebe Gottes. Denn die hat die Augen und Ohren des Herzens. Die hat ein
Gefühl für das, was Menschen bewegt. Die hat ein Gespür für das, was
einen Menschen bedrückt und belastet. Die merkt sehr wohl, wo ein Mensch
Gott sucht, auch wenn kein Schrei und kein Bekenntnis zu hören ist. Die
merkt sehr wohl, wo ein Mensch Gott lobt, auch wenn kein Ton erklingt. Die
weiß Dinge über einen Menschen, die der nicht einmal über sich selbst
weiß. Und deshalb kann sie in unserer Geschichte über die wahren Beweggründe
des Zachäus, über seine Hoffnungen und seine Verzweiflung vornehm
schweigen.
Und wir müssen es auch nicht wissen. Denn Bekehrung, Umkehr zu Gott, lässt
sich nicht inszenieren und nachmachen. Bekehrung ist keine Turnübung.
Bekehrung ereignet sich, wie zwischen Zachäus und Jesus. Sie lässt sich
deshalb auch nicht durch einen bestimmten Rahmen herbeiführen. Sie
ereignet sich meistens ganz unverhofft, wie zwischen Zachäus und Jesus.
Mich erinnern Missionsveranstaltungen, je größer sie sind und je mehr da
ein schweigendes Publikum vor einem Redner versammelt ist, immer an Feste
für einsame Herzen mit Animateur. Die Stimmung steigt im Lauf des Abends,
das Blut kommt in Wallung, der Mensch in Bewegung, doch am anderen Morgen
schaut alles nüchtern betrachtet ganz anders aus. Da hilft nur die
Vorfreude auf die nächste Veranstaltung.
In Streit mit unserem Predigttext geraten solche Abende und
Veranstaltungen aber dann, wenn die Animation und sei es um des
Evangeliums willen, darin besteht, den Zuhörern erst einmal ihre
abgrundtiefe Verlorenheit und Verdammtheit vor Augen zu führen. Warum
muss da getan werden, was Jesus mit Zachäus nicht tut? Warum müssen
Menschen auf dem Weg zum Glauben erst einmal belastet werden, bevor sie
Entlastung erfahren dürfen? Kann die Beichte bei einem bestimmten
Menschen zur Vorraussetzung für die Zugehörigkeit zu einer christlichen
Gemeinschaft gemacht werden? Kann und darf es einen Katalog geben, was ein
bekehrter Christ zu tun und zu lassen hat, um nicht doch noch des Heils
verlustig zu gehen? Und hat überhaupt jemand das Recht dann zu sagen:
Jetzt gehst du verloren?
Das sind Fragen, die uns immer dann beschäftigen müssen, wenn Menschen
aufgrund ihrer Erfahrung in christlichen Gruppen und Kreisen an ihrem
Glauben verzweifeln bis dahin, dass sie ärztliche Hilfe benötigen.
Wenn so etwas unter uns geschieht, dann müssen wir zunächst immer
zugeben, dass wir offensichtlich nicht die Augen und Ohren Jesu für diese
Menschen hatten. Dass wir nicht vernommen haben, was diese Menschen im
Innersten bewegt hat. Dass wir zu sehr mit uns selbst beschäftigt gewesen
sind und unser frommes Getöse zu laut war, um noch einen leisen oder gar
stummen Schrei zu hören. Dann kann das nicht als Bagatelle abgetan
werden. Hier geht's ans Eingemachte!
Dann müssen wir einsehen, dass die Worte der Heiligen Schrift, die harten
und die schönen, nicht Worte sind, die man jedem zu jederzeit um die
Ohren hauen kann, nach dem Motto: Friss oder stirb. "Weh euch ihr
Schriftgelehrten", sagt Jesus einmal , "denn ihr beladet die
Menschen mit unerträglichen Lasten, und ihr selbst rührt diese Lasten
nicht mit einem Finger an". Das ist schnell geschehen.
Jesus geht einen anderen Weg, mit Zachäus und anderen. Und das muss die
Grundlage der Diskussion in unserer Kirche sein. Jesus bringt Zachäus
durch seinen Besuch, durch seine Tischgemeinschaft mit ihm, durch seine Güte
zur Umkehr. Seine Gnade hat mehr Macht, als alle an die Wand gemalten
Teufel und alle Schrecken der Verdammnis. Sein Evangelium verändert
Menschen, nicht das Gesetz.
Erst als Jesus ganz nah bei ihm ist, ihn angenommen hat, kann Zachäus,
seine Vergangenheit sehen, als das was sie ist: Auch als eine Kette von Sünde
und Schuld. Als in der Gemeinschaft mit Jesus vergebene und aufgehobene Sünde
und Schuld. Selbsterkenntnis als Heilserkenntnis und nichts sonst!
Wer die Erkenntnis der eigenen Schuld zur Bedingung des Heils macht, tritt
den gekreuzigten Christus mit Füßen. Denn seine Liebe allein ist
Bedingung unseres Heils und sonst nichts. Dass Jesus uns dennoch in die
Abgründe unseres Lebens schauen lässt hat nur einen Grund: Dass wir so
endlich auch barmherzig mit unserem Mitmenschen und mit uns selbst werden.
So barmherzig wie der Christus mit uns ist.
Und damit sind wir bei der letzten Botschaft unseres Predigttextes, die
darin liegt, dass etwas nicht erzählt wird. Dass nicht erzählt wird, wie
es mit Zachäus weiterging. Ist er ein Zöllner geblieben? Ein frommer Zöllner
vielleicht? Ein Robin Hood der Zollstation. Geht denn das?
Lukas erzählt nichts und Jesus gibt ihm keine guten Ratschläge. Er entlässt
ihn in ein neues Leben, ohne ihm zu sagen, wie es aussehen könnte oder
auszusehen hat. Er entlässt ihn in die Freiheit. Ja, die Freiheit ist der
Ernstfall des Evangeliums! Nicht die Gruppe, die für jede Lebenslage
einen Rat und für jedes Tun und Lassen eine Vorschrift hat. Die Freiheit
ist der Ernstfall des Evangeliums.
Sicher, jede Gemeinde hat Ihre Sicht der Dinge, jede Zeit hat auf
besondere ethische Bereiche ihren Finger gelegt. Die Legende sagt, Zachäus
sei ermordet worden. War das die Strafe? Die westliche Kirche hat ihn
nicht aufgenommen in den Heiligenkalender. Aber vielleicht ist er doch als
Märtyrer gestorben. Die koptische Kirche jedenfalls hat ihn als Patron
der Gastwirte verehrt.
Aber ist das denn wichtig? Was die sagen oder die?
Wer fällt ein Urteil über unser Leben?
Heute ist dir Heil wiederfahren, hat Jesus gesagt. Und was Jesus sagt,
gilt, für Zachäus und uns. Und das allein zählt.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
(1)Und er ging nach Jericho hinein und zog hindurch.
(2)Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner und war reich.
(3)Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt.
(4)Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen.
(5)Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich
muss heute in deinem Haus einkehren.
(6)Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden.
(7)Als sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt.
(8)Zachäus aber trat vor den Herrn und sprach: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück.
(9)Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist Abrahams Sohn.
(10)Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.
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