Liebe Leser,
Beschiss ist Beschiss. Und glaubt man den Fernsehnachrichten und der
Zeitung, dann gibt es in unserem Land gar nichts mehr anderes: Betrogene
Anleger und Aktionäre, arglistig getäuschte Wähler, um ihre Rente
gebrachte Rentner; niemand in unserem armen Land, der sich nicht auf die
eine oder andere Weise beschissen fühlen kann. Und wir lernen in diesen
Tagen von unseren Politikern, dass Beschiss nur dann verwerflich ist, wenn
man sich dabei amtlich erwischen lässt. Dann gibt es einen
Untersuchungsausschuss. Von allen Geboten ist uns scheinbar nur das elfte
geblieben: Du sollst dich nicht erwischen lassen. Erwischt!, schreien sich
deshalb im Parlament die an, die sich eigentlich um unsere Zukunft kümmern
sollen. Und alle Welt schreit mit und nimmt es mit dem Bericht an die
Haftpflichtversicherung und der Steuererklärung auch nicht so genau; was
nichts macht, solange man nicht erwischt wird. Groß sind die Banner der
Wahrheit, die in diesen Tagen so demonstrativ geschwenkt werden, und
keiner ist ihnen wirklich gewachsen. Es ist, als ob Löwen schwören, ab
sofort Vegetarier zu werden. Da fließen die Krokodilstränen.
Die Hälfte aller Lebensläufe ist getürkt, hat man herausgefunden. Ein
Großteil von Schul- und Seminararbeiten sind einfach abgeschrieben. Um den
Nobelpreis zu bekommen, werden Ergebnisse von Experimenten passend
gemacht. Es zählt nur noch, wie man sich verkauft. Und ohne Bluff geht
kein Geschäft, weshalb wir uns im Privatfernsehen abends auch endlose
Werbung mit Filmunterbrechungen ansehen müssen. Jeder weiß, dass Werbung
mit Wahrheit meistens gar nichts zu tun hat. Wer fordert einen
Untersuchungsausschuss, der endlich einmal feststellt, ob in Ferrero
Raffaelo wirklich keine Schokolade ist, ob die, die im Mediamarkt einkaufen,
wirklich nicht blöd sind? Wer will endlich einmal festgestellt haben, ob
Geiz wirklich geil ist und Freiheit wirklich darin besteht, alles zu tun,
was man möchte? Kann es sein, dass wir die Wahrheit gar nicht mehr wissen
möchten, weil wir selbst sie am allerwenigsten vertragen?
In der vergangenen Woche wurde in der „Frankenpost“ auf Seite zwei
lautstark beklagt, dass die Kirche inzwischen die Nachhut der Gesellschaft
sei. Dem Verfasser rufen wir zu: Hoffentlich! Hoffentlich ist die
christliche Gemeinde noch ein Raum, in dem die Wahrheit eine Chance hat.
Hoffentlich ist die Kirche noch ein Raum, in der die Sehnsucht nach
Vertrauen und Geborgenheit eine Antwort findet. Hoffentlich geht es in der
Kirche noch um das, worauf man sich verlassen kann.
Die Adventszeit ist eine Zeit der Einkehr und Besinnung. Und es werden
Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den
Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des
Meeres. Ach ja, so ist sie, die Welt; nicht erst seit dem 11. September,
täglich begleitet von ihrem eigenen Untergang. Himmel und Erde werden
vergehen. Diese Wahrheit im untergehenden alten Jahr zu ertragen, fällt
nicht immer leicht. Aber es ist ja nicht die letzte Wahrheit dieser Welt,
sondern die vorletzte. Und vielleicht liegt darin das Geheimnis, dass der
Glaube sich über den Menschen und seine Welt nichts vormachen muss, um sie
zu ertragen. Diese Wahrheit endet gerade nicht im Lamento, oder im
Missklang der notorischen Beschwerde. Wenn aber dieses anfängt zu
geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung
naht.
Wie seltsam! Mitten in der Nacht erhebt sich der niedergeschlagene Blick.
An dem Punkt, an dem eine verlorene Welt an sich selbst zu verzweifeln
droht, strahlt der Morgenstern auf. Die nicht abzuweisenden Zeichen des
Untergangs, werden zu Botschaftern der Erlösung. Die verlorene und
vergängliche Welt, stürzt ihrem Fundament entgegen. Sie fällt nicht ins
Bodenlose, sondern ins ewige und liebevolle Wort Gottes. Sie fällt dem
Wort zu, das an Weihnachten Mensch wurde, um solidarisch und rettend bei
uns zu sein.
Retten können wir die Welt nicht. Wir sollten es daher auch von keinem
Menschen erhoffen oder verlangen; von unseren Politikern auch nicht. Gott
rettet. Aber solidarisch können wir auch sein, nicht nur durch „Brot für
die Welt“. Solidarisch sein beginnt beim Nachdenken über all die Sprüche,
die uns so eingängig im Ohr klingen. Geiz ist eben nicht geil, sondern
asozial. „Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst.“ Das ist es, was das
Jesuskind einmal wesentlich geiler finden wird. Und Freiheit bedeutet
etwas anderes, als zu tun, was man möchte. „Alles nun, was ihr wollt, dass
euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch! Das ist das Gesetz und die
Propheten“. (Mt. 7/12) So sagt es Jesus. Solidarität beginnt, wenn wir
aufhören mit diesem „Haltet den Dieb!“ - Spiel, dass inzwischen fast alle
erfasst hat. Solidarität beweist sich nicht im Erfolg. Sie bewährt sich im
Scheitern. Sie ist Gemeinsinn im Misserfolg. Und den müssen wir in unserem
Land endlich wieder entdecken. Denn ohne ihn kann eine Demokratie nicht
überleben. Ohne ihn wird sie zur Diktatur der Erfolgreichen und des
Geldes.
Um wahre Solidarität kann man eigentlich nur bitten. Wir in der Kirche
können sie vorleben. Das mag in unserer Zeit altmodisch erscheinen. Mag
man uns deshalb zur Nachhut der Gesellschaft stempeln. Die
Weihnachtsbotschaft weiß es besser. Erzählt sie doch von der großen
Solidarität Gottes mit seiner verlorenen Welt und ihren Menschen. Auf die
ist Verlass. Ihr gehört die Zukunft der Welt. Und deshalb wird die
Gemeinde Jesu Christi immer dann zukunftsfähig sein, wenn sie nicht sich
selbst, sondern diese Botschaft ernst nimmt und verkündigt: Die Botschaft
von dem Kind in der Krippe, das nicht zufällig schon zu seiner Geburt in
einem Stall die um sich versammelt, die die Gesellschaft nicht zu ihren
wertvollsten Mitgliedern zählt. Denen gehört die erste Solidarität Gottes,
als er zur Welt kommt.
Diesen Trost nicht nur mit Worten weiterzusagen ist unsere Aufgabe als
christliche Gemeinde. Und ich bin sicher, dass auch in Zukunft Menschen
die Schnauze voll haben von einer Welt aus Lug und Trug und wieder ein
offenes Ohr für das, worauf Verlass ist und für Menschen, die versuchen
danach zu leben. Dass auch wir als kirchliche Organisation vielleicht
schlechten Zeiten entgegengehen, gehört zur Solidarität mit unseren
Mitmenschen. Wir teilen, was auch andere trifft. Die Gewerkschaften sollen
ja wesentlich mehr Mitglieder verloren haben, als die Kirchen. Und
natürlich sind auch wir traurig über jeden, der ohne Not die Solidarität
mit seinen Mitchristen aufkündigt und seine Kirchensteuer lieber in die
eigene Zukunft investiert. Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann
seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht. Der
Christus lässt uns auch im dunklen Advent keine Zeit für die sorgenvolle
Nabelschau und keine Zeit fürs Lamentieren über die böse Welt. Himmel und
Erde werden vergehen, aber seine Worte vergehen nicht.
Zu diesem Trost lasst uns aufblicken und deshalb als Christen bei Trost
bleiben. Dazu gehört die Einsicht in menschliche Not, Gemeinsinn im
Misserfolg und Bewusstsein für das menschliche Maß. Wir retten die Welt
nicht. Aber unser Herr kommt. Und für diese Hoffnung lassen wir getrost
alle anderen fahren.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
(25)Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und
Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie
werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres,
(26)und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der
Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel
werden ins Wanken kommen.
(27)Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke
mit großer Kraft und Herrlichkeit.
(28)Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure
Häupter, weil sich eure Erlösung naht.
(29)Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht den Feigenbaum und alle Bäume
an:
(30)wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es, so wisst ihr selber, dass
jetzt der Sommer nahe ist.
(31)So auch ihr: wenn ihr seht, dass dies alles geschieht, so wisst, dass
das Reich Gottes nahe ist.
(32)Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis es
alles geschieht.
(33)Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte vergehen nicht. |