Predigt    Lk 22,31-34    Invokavit    25.02.2007

"Durchgeschüttelt, und doch getröstet und beauftragt"
(Von Vikar Jörg Mahler, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

Ich möchte mich Ihnen vorstellen: Ich bin Simon, von dem ihr in eurem Predigttext heute gehört habt. Die meisten nennen mich aber bei meinem Spitznamen Petrus. Es ist jetzt fast 2000 Jahre her, seit das damals geschehen ist. Mir ist die ganze Szene aber noch so vor Augen, als wäre es gestern gewesen. Da haben wir mit unserem Herrn Jesus sein Abschiedsmahl gefeiert. Wir ahnten, dass etwas in der Luft lag. In letzter Zeit hat er immer wieder davon gesprochen, dass sie ihn töten wollten. Aber wir wollten das nicht wahrhaben: Er, dem wir soviel verdanken, er sollte sterben? Er hat mich die Nähe und Zuneigung Gottes spüren lassen und meinem Leben einen Sinn gegeben. Und da ist es doch klar, dass ich Feuer und Flamme für ihn war. Und deshalb habe ich ihm aus tiefster Überzeugung versichert: Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. Was auch kommen mag, ich werde dir treu zur Seite stehen.

Doch was dann kam, war zu viel für mich. Sie haben ihn noch in der selben Nacht verhaftet. Und was habe ich gemacht? Ich, der vorher noch so groß herumgetönt habe: Selbst wenn dich alle verlassen: Ich bleibe dir treu (Mk 14,29)? Ich habe mich verkrochen wie alle anderen. Als mich dann im Vorhof die Magd am Feuer angesprochen hat: „Du bist doch auch einer von denen“, und als dann alle ihre Köpfe zu mir drehten und mich anstarrten, da habe ich ... – ach, was erzähle ich euch das, ihr kennt diese alte Geschichte ja!

Wisst ihr wie ich mich damals gefühlt habe? Ich habe gedacht, mich zerreißt es innerlich. Ich hatte ein quälend schlechtes Gewissen. Ich fühlte mich so, wie er es mir am Abend zuvor prophezeit hatte: durchgeschüttelt. „Simon, der Satan begehrt euch zu sieben wie den Weizen.“, hat das euer Luther übersetzt. Aber dieses „sieben“ klingt für mich viel zu harmlos. Durchgeschüttelt wird der Weizen, dass sich die Spreu von ihm trennt. Durchgeschüttelt, das ist für mich die bessere Übersetzung. Und genauso wie der Weizen durchgeschüttelt wird, so habe ich mich durchgeschüttelt gefühlt. Waren noch am Abend zuvor alle meine seelischen Kräfte im Gleichgewicht, war ich ausgeglichen und mit mir im Reinen, so war nun diese innere Harmonie zerstört, und alles geriet in mir durcheinander. Ich bin vor mir selber erschrocken, und stand mir wie einem Fremden gegenüber.

Ich glaube, so eine Erschütterung stellt sich überall dort ein, wo jemand den Anspruch, den er an sich selbst oder seinen Glauben hat, nicht einlösen kann. Kennt ihr dieses Gefühl auch? Ich denke schon! Ansprüche, die an der Wirklichkeit scheitern - das sind Erfahrungen, die zu allen Zeiten gleich sind. Und darunter leiden wir.

Da wirst du einem anderen Menschen nicht gerecht. Du sagst irgendetwas ohne Nachzudenken einmal schnell so dahin, und das verletzt den anderen. Es belastet eure Beziehung zueinander. Du leidest darunter, und doch sprichst du es nicht an, um es zu klären. Und du bist erschüttert über dich selbst.

Und ich sehe, dass manche von euch auch das, was ich damals durchgemacht habe, so ähnlich erleben. Da tut es einem in der Seele weh, wenn er Leute hört, die sich über den Glauben lustig machen oder die Gottesdienstbesucher verspotten, etwa mit den Worten: Die brauchen keinen Gott, sondern einen Therapeuten. Das tut ihm in der Seele weh, aber er traut sich nicht zu sagen, dass ihm der Gottesdienst wichtig ist oder der Glaube viel bedeutet, weil er ihm für sein Leben Kraft und neue Impulse gibt. Klar, wir müssen Gott nicht verteidigen, wenn andere sich über ihn lustig machen. Sein Wort ist mächtig, und setzt sich auch so bei den Menschen durch. Aber doch fühlt sich der, der schweigt, schuldig, er möchte ja so gerne zu seinem Glauben stehen. Wer so etwas erlebt, der blickt in seine eigenen Abgründe und Unzulänglichkeiten. Da kommen die Gefühle des Scheiterns und der Scham auf.

Ich erlebe es auch immer wieder, dass Menschen erfahren, dass sie schwer krank sind, dass sie vielleicht sogar sterben werden, oder dass ein nahestehender Mensch gestorben ist. Da ist plötzlich unser Glaube an die Liebe und Güte Gottes erschüttert: Unsere vollmundigen Glaubensüberzeugungen geraten in Konflikt mit dem Zweifel. Wir erfahren den Riss zwischen der Wirklichkeit, die wir erleben und dem Anspruch des Glaubens, der uns sagt: Vertraue auf Gott! Ja, da werden wir durchgeschüttelt wie der Weizen, da wird sich zeigen, ob wir es noch schaffen, Gott und das Leid zusammenzudenken, oder ob ein garstiger Graben zurückbleibt. Ich sehe schon: Ihr erlebt das auch, dass ihr den Ansprüchen, die ihr an euer Leben und euren Glauben habt, nicht immer gerecht werdet. Ich glaube, dahinter steckt eine Grunderfahrung menschlichen Lebens. Mir rannen damals nach meinem Verrat die Tränen übers Gesicht und ich war tief erschüttert. Mein Vertrauen in mich, aber vor allem mein Vertrauen zu Gott war dahin.

Erst später dachte ich an das zurück, was mir Jesus an unserem letzten Abend gesagt hat: „Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre.“ Diesen Satz habe ich mir immer wieder vorgesagt, um in den tiefen Trost einzudringen, der in ihm steckt. Für mich wird gebetet – das heißt doch, dass mein Leben vor Gott gebracht wird, dass ich ihm ins Gedächtnis gebracht werde – mit meiner Not, meiner Trauer, meiner Wut, meiner Verzweiflung! Jesus stellt sich zwischen meine Anfechtungen und Gott. Erst nach und nach begreife ich, was das für eine große Zusage ist. Wenn mir die Worte fehlen, wenn ich verkrümmt in meiner Not längst nicht mehr auf Gott blicke oder von ihm her Kraft und Hoffnung erwarte, da betet er für mich. Ich spüre: Ich stehe nicht alleine da.

Auch meine Großmutter hat immer zu mir gesagt hat: „Ich bete jeden Abend für dich und deine Familie.“. Und dann wurde es mir warm ums Herz: Ich bin jemandem wichtig, der mich der Gnade und Liebe Gottes anbefiehlt. Auch wenn ich gerade nicht an Gott denke, so bin ich mit meiner Lebensgeschichte durch die Fürbitte des anderen vor ihm gegenwärtig. Könnt ihr nachvollziehen, welcher Trost in so einem Gebet liegt? Allein dadurch, dass ich weiß, dass für mich gebetet wird, geht es mir ein Stück besser.

Und das Gebet setzt in mir auch eine Kraft zur Veränderung frei: Ich habe später die Kraft gefunden, zu Jesus zu stehen, auch in Gefahren. Und auch ihr könnt durchs Gebet die Kraft finden, auf den Menschen zuzugehen, mit dem ihr euch aussprechen müsstet. Auch ihr könnt die Kraft finden, für eure Überzeugungen einzustehen, z.B. euren Glauben zu bezeugen, wenn sich andere über Christen lustig machen. Und wenn ihr diesen Graben spürt, der zwischen euch und Gott ist, wenn ihr Erfahrungen gemacht habt, die euch an der Liebe Gottes zweifeln lassen, dann stellt das Gebet Jesu die Verbindung her zwischen euch in eurer Erschütterung und Gott. Sein Gebet ist gleichsam eine Brücke, über die wieder neue Beziehung möglich ist. Durch das Gebet kommt eine Kraft in mich, die ich nicht näher beschreiben kann: Sie nimmt die Erschütterungen von mir, sie stärkt mich für die Zukunft. Ich kann euch nur wünschen, dass ihr diese Kraft auch erlebt.

Denn auch für euch betet Jesus. Auch für euch setzt er sich vor seinem Vater ein. Daraus dürft ihr Trost schöpfen. Und ihr könnt selber anfangen, füreinander zu beten, wenn ihr es nicht schon längst tut. Einer unserer Glaubensbrüder in der Bibel bezeugt: Das Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist (Jak 5,16). Trauen wir dem Gebet etwas zu, oder besser: Traut dem Gott etwas zu, an den dieses Gebet gerichtet ist!

„Und wenn du dereinst dich bekehrst, dann stärke deine Brüder!“ – das ist das zweite Wort, das Jesus damals zu mir gesagt hat. Wenn ich mich bekehre, hat er gesagt. Ich habe mich immer gefragt: Wann ist das der Fall, dass ich mich wirklich und vollkommen zu ihm bekehrt habe? Wie kann ich das messen? Ich bin zu dem Ergebnis gelangt, dass unser ganzes Leben eine Bekehrung ist, und wir erst nach unserer letzten Stunde wirklich bei Gott sind! Man kann eine Bekehrung schwerlich an einem einzigen Zeitpunkt festmachen und sagen: Hier habe ich mich bekehrt! Denn immer wieder erleiden wir Rückschläge, und immer wieder wenden wir uns unserem Herrn neu zu. Ich dachte, ich hätte mich bekehrt, als ich nach seiner Auferstehung in der Leitung unserer ersten christlichen Gemeinde tätig war. Aber ich habe leider immer wieder Fehler gemacht und zu wenig Gottvertrauen bewiesen, ich denke da nur an meinen Streit mit Paulus. Ja, unser ganzes Leben ist eine Bekehrung, eine immer neue Hinwendung zu Gott, dem wir immer wieder neu unser Vertrauen schenken dürfen.

Und gerade weil wir uns immer wieder neu bekehren, gilt die Aufforderung: „Und wenn du dich bekehrst, dann stärke deine Brüder!“. Ach ja - wenn ich an diese Worte denke, muss ich jedes Mal lächeln und an meine Nachfolger in Rom denken! Stärke deine Brüder – aus diesem Auftrag an mich, leiten die doch tatsächlich ab, dass sie die Vollmacht hätten, andere im Glauben zu belehren! Lehramt nennen sie das, und seit 1870 ist es auch noch unfehlbar. Aber andererseits: Recht haben sie, dass sie sich darauf berufen. Denn macht das nicht eine christliche Gemeinde aus, dass wir uns gegenseitig stärken? „Wir sind Papst“, hat eure Bildzeitung getitelt. Also lasst uns doch voller Selbstbewusstsein sagen: Wir alle haben den Auftrag: Stärkt eure Schwestern und Brüder!

Das mag für manche Ohren hochtrabend klingen, dabei ist es doch ganz einfach. Einander stärken – das geschieht schon allein dadurch, dass wir Zeit für den anderen haben, fragen, wie es ihm geht, uns seine Sorgen anhören, und ihm dadurch einfach zeigen: Du bist nicht allein! Ich bin für dich da! (Koinonia) Und dann kann es sein, dass ich ganz konkret mit anpacke, ihm mit meinen Kräften, Fähigkeiten oder Kontakten weiterhelfe (Diakonia). Einander stärken – da kann es sein, dass ich ihm den Trost des Evangeliums zuspreche (Martyria): Gott ist bei dir! Fürchte dich nicht!, oder dass ich für ihn oder mit ihm bete (Leiturgia).

Sagt bitte nicht: Ich bin zu schwach! Ich kann das nicht! Schaut doch mich an: Obwohl ich ihn verleugnet habe, hat er mir diese Aufgabe zugetraut! Ich durfte noch viele Menschen im Glauben stärken. Ich habe ja dann sogar in Rom vor dem Kaiser von ihm Zeugnis abgelegt – was mir allerdings den Märtyrertod eingebracht hat. Vielleicht ist unser Herr ja jetzt sogar ein bisschen stolz auf mich! Aber nein! Eigentlich war er es ja, der mir dazu die Kraft gegeben hat, und der uns allen die Kraft gibt, füreinander dazusein, wie er es uns ja auch verheißen hat: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ (2.Kor 12,9).

So, jetzt habe ich euch aber genug von mir und meinen Erfahrungen erzählt. Ich wünsche Euch, dass ihr wie ich aus der Fürbitte Jesu für euch Kraft und Trost schöpft, und ich bitte euch im Namen meines Herren: Betet füreinander, und stärkt euch gegenseitig, wie es Sache von Christen ist! Gott befohlen! Euer Bruder und Mitchrist Petrus!

Vikar Jörg Mahler  (Hospitalkirche Hof)

Text: 

31 Simon, Simon, siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen.
32 Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder.
33 Er aber sprach zu ihm: Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen.
34 Er aber sprach: Petrus, ich sage dir: Der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, dass du mich kennst.
 


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