Liebe Leser,
„In dem Augenblick, da Mary Pickford ohnmächtig wurde,
fühlte Reverend Clarence Arthur Wilmot im Pfarrhaus der Vierten
Presbyterianischen Kirche unten an der Ecke Straight Street und
Broadway, wie die letzten Reste seines Glaubens ihn verließen. Es war
eine sehr deutliche Empfindung - ein Kapitulieren in den Eingeweiden,
eine Handvoll dunkler funkelnder Luftbläschen, die nach oben entwichen.
…
Clarences Geist war wie ein vielbeiniges, flügelloses Insekt, das lange
und mühselig versucht hatte, an den glatten Wänden eines
Porzellanbeckens hinaufzuklettern, und jetzt spülte ein jäher unwirscher
Wasserstrahl es in den Abfluß hinunter. Es gibt keinen Gott. …
Die Geräusche des Lebens hatten alle einen eigentümlich hellen, flachen
Klang, als sei der Resonanzboden unter ihnen weggezogen worden. Sie
bestätigten Clarence Wilmot, was er seit langem vermutet hatte: daß das
Universum seinen Gemütsverfassungen gegenüber vollkommen gleichgültig
war und so gänzlich ohne göttlichen Gehalt wie ein rostzerfressener
Kessel. Der gesamte metaphysische Inhalt war herausgesickert, übrig
geblieben waren nur Grausamkeit und Tod, die ohne die Hypothese eines
Gottes nichts Metaphysisches mehr hatten; sie wurden schlicht zu
Tatsachen, die mit der Zeit dem Vergessen anheimfielen und achtlos
getilgt wurden. Vergessen wurde zum alleinigen Tröster. …
Der ungeheure Rechtfertigungsdruck ließ auf einen Schlag nach. Die
gewohnheitsmäßigen geistigen Verrenkungen des ehemals Gläubigen
entspannten sich unstreitig, doch das Vakuum, das sich auftat, war
schrecklich. Unterm reinigenden Kehrbesen des Atheismus büßten die
Menschen alles Besondere ein. Das dumpfe Elend des Pferds entsprach dem
des Farmers; die einst grünen Leben der Farne, zerquetscht und gepreßt
zu fossilen Kohleschichten, waren nicht anonymer und ausgelöschter, als
Clarences Leben bald sein würde, einen Lidschlag später in der
unermeßlichen Erdenzeit.“ (John Updike, Gott und die Wilmots, Rowohlt
1998, S.15 ff.)
So beschreibt der Schriftsteller John Updike in seinem Buch „Gott und
die Wilmots“ das Ende eines Glaubenslebens im Jahre 1910 in New Jersey.
Clarence Wilmot gibt seinen Pfarrberuf auf, schlägt sich mit dem
Hausverkauf von Volksenzyklopädien durch und stirbt verarmt:
„Clarence Arthur Wilmot, machte sich eines Nachts still davon, in einer
der ersten kühlen Nächte Anfang September, starb ohne einen Laut, so daß
sie's erst am Morgen merkten, als sie seinen Leichnam fanden wie eine
schöne vergängliche Statue, starr und bleich - seine Seele war ihnen
durch die Finger geschlüpft, ihm und Mutter und Esther, als habe er
ihnen keine Scherereien mehr machen wollen. Doch in seinem Schweigen war
auch ein Vorwurf, ein Tadel dafür, daß sie es nicht vermocht hatten, die
Strömung umzukehren, die ihn davongetragen hatte wie ein unvertäutes
Boot.“ (ebd. S. 193)
Da hat dieser Roman gerade begonnen. Und er wird von Strömungen
erzählen, die seine Nachfahren mitnehmen durch das letzte Jahrhundert
hindurch. Der Urenkel wird in die Fänge von Fundamentalisten geraten,
die in Erwartung der Endzeit Kleinkriege anzetteln, ihre Frauen und
Kinder umbringen und schließlich sich selbst. Davongetragen, wie der
alte Urgroßvater einst. Wenn man dieses Buch zumacht, dann hat man einen
Eindruck von dem, was uns Menschen bewegt. Es ist größer als wir selbst.
Wer kann sich den Geistern der Zeiten entziehen?! Gedanken, die uns am
Ende eines Jahres im Rückblick und Ausblick auf unser Leben nicht fremd
sind.
„Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre.“
Der Petrus der Bibel war so einer, der meinte, sich entziehen zu können.
Petrus, dieser Fundamentalist der Treue, der Hundertfünfzigprozentige,
der „Antwort auf alle Fragen gibt und dein Wort“. Petrus, der Fels in
der Brandung, der Wegweiser in allen Lebenslagen. Petrus, der „auf immer
und ewig“. Wie schaut Jesus ihn an? Traurig, spöttisch, mit der
unerbittlichen Milde einer Altenpflegerin, die ihm gleich die Kissen
aufschüttelt? Sagt er es mit Tadel in der Stimme? Simon, Simon, siehe,
der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie den Weizen. Ich aber habe für
dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Und wenn du dereinst dich
bekehrst, so stärke deine Brüder.
So darf nicht einmal der Herr mit dem frommen Petrus reden: Aber ich,
aber ich – das sind seine zwei Lieblingswörter – aber ich habe sogar ein
Datum. Der Tag am See Genezareth, als wir diese Menge Fische fingen. Da
wurde ich ein wiedergeborener Christ, da habe ich mich bekehrt und ich
werde mit dir notfalls ins Gefängnis gehen oder in den Tod; aber ich
(sic!) werde dich niemals im Stich lassen! Er aber sprach: Petrus, ich
sage dir: Der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet
hast, dass du mich kennst.
Und jetzt stand Petrus im Hof des Hohenpriesters beim Feuer und sah, wie
sein Herr unter den Schlägen der Soldaten zu Boden fiel und in diesem
Moment fühlte (Reverend) Petrus (Wilmot), wie die letzten Reste seines
Glaubens ihn verließen. Es war eine sehr deutliche Empfindung - ein
Kapitulieren in den Eingeweiden, eine Handvoll dunkler funkelnder
Luftbläschen, die nach oben entwichen. Muss ich denn alles dreimal
sagen? Ich kenne den Mann nicht. Und als der Hahn krähte, rannte er zum
Tor hinaus in die Nacht und goss seine bitteren Tränen in den finsteren
Abgrund, der die Welt und der er selbst sich geworden war.
„Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre.“
Ja, wir brauchen mehr, als den eigenen Mut, die eigene Hoffnung, den
eigenen Glauben und die eigene Kraft. Brauchen wir wirklich erst
Tsunamis und Katastrophen biblischen Ausmaßes um an der Allmacht und der
totalen Selbstbestimmtheit des Menschen zu zweifeln? Genügt nicht ein
Blick ins Besucherbuch der Krankenhauskapelle und ein Blick in das
eigene Leben mit seinen Brüchen und Abgründen?
„Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre.“
Wir brauchen die Fürbitte des Christus, der uns und unser Leben vor das
Angesicht Gottes bringt, selbst wenn wir Gott längst vergessen und
verloren haben. Der dort unsere Geschichte noch einmal mit seinen Worten
erzählt, so dass sie dem Ewigen zu Herzen geht. Besonders die
Geschichten ohne Happy end, die Unglücke und Katastrophen ohne
ersichtlichen Sinn, die Menschen, die sich in dunklem Schicksal
verirren, die Brüche, Abgründe und Verstrickungen, die zu heilen auf
dieser Welt nicht möglich war. All diese Geschichten haben einen großen
Erzähler, der an dem Ohr Gottes hängt. Wie sollte sich Gott nicht
erbarmen! Wie sollte der, der alles ins Leben ruft, nicht die Macht
haben auch (Referent) Petrus (Wilmot), auch dich und mich ins Leben zu
rufen? Wie sollte ihm deine und meine Seele durch die Finger schlüpfen?
Wie sollte er nicht unser kleines, im Strudel der Zeit davontreibendes
Boot festmachen können an seinem Herzen?
Ich aber – wir erinnern uns an die zwei Lieblingswörter des Petrus – ich
aber, so könnten wir am Ende dieses Jahres sagen und hineinpacken, was
wir Gott dem Allmächtigen vorzurechnen, vorzuwerfen und zu klagen haben.
„Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre.“ Ich
aber – die Worte reklamiert der Christus ganz für sich. Er nimmt sie uns
weg. Ich aber, so sagt es der Christus dem Petrus und uns, in der
Hoffnung, dass wir über allem, was uns auf der Seele liegt, über aller
Angst und allem Schrecken, über allen Fragen und Zweifeln, nicht
aufhören und wieder neu lernen zu sagen:
Aber du …
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de)
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Text:
Jesus spricht zu Petrus: „Ich
aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre.“ |