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      Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde, 
		 
		Klaus-Peter Siegloch beschloss am vergangenen Sonntag das Heute - 
		Journal mit den Worten: Ab morgen führt sie mein Kollege Claus Kleber 
		durch die Osterwoche. Der Ostersamstag wird immer beliebter für 
		Hochzeiten und Familienfeiern aller Art. Und spätestens seit Mittwoch 
		weiß Claudia Kleinert das Wetter für das Osterwochenende von den 
		Malediven bis zu den Balearen. Auch heute gibt es an vielen Orten ein 
		Osterfrühlingswonnewetter wie aus dem Ei gepellt. Auch Ski und Rodel 
		sind noch gut. Beste Voraussetzungen für das pralle Leben.  
		 
		Heute, wo wir von einem lieben Menschen Abschied nehmen, kann uns das 
		wirklich gestohlen bleiben. Das ist eine Karwoche für uns. Kara heißt 
		Wehklage. Genau danach ist uns heute zumute. Und auch morgen und 
		übermorgen und für lange Zeit wird uns der Sinn nicht nach Feiern 
		stehen. Mit Jesus von Nazareth haben wir nicht irgendwen verloren. Und 
		darüber hinaus liegen uns die Umstände seines Todes schwer auf dem 
		Herzen. Warum haben heute nicht mehr hierher gefunden und mit uns zu 
		trauern und ihm das letzte Geleit zu geben? Wo sind all die, die ihm zu 
		Dank verpflichtet sind? Wo sind die, die ihm vor wenigen Tagen an den 
		Straßenrändern von Jerusalem noch zugejubelt haben? Aber sehen wir es 
		realistisch: Eine Beerdigung wie bei Rudolf Mooshammer hätte er sich 
		verbeten und den Pfarrer auch.  
		 
		Wo war denn die hohe Geistlichkeit? Warum hat denn nicht einer die 
		Stimme gegen die Mehrheit der anderen Kleriker erhoben, die in diesem 
		Scheinprozess gegen Jesus von Nazareth die Hände im Spiel hatten? 
		Motive, Ihr Lieben, quollen ihnen aus allen Poren. Aber zugegeben: Wer 
		könnte der Versuchung widerstehen, nicht wenigstens ein bisschen 
		schadenfroh zu sein, dass die Römer sein Kreuz mit dem Schild „König der 
		Juden“ behängten?  
		 
		Wir alle wissen – genau das war er. Ich sehe noch, wie die Kinder sich 
		um ihn drängelten. Ein Segner, ein Mitleider, manchmal ganz nah am 
		Wasser gebaut, das war er. Ein Redner, ein Überzeuger, ein streitbarer 
		Meister des Wortes, das war er. Ein Heiler, das war er. Gut, wenn er da 
		war. Wir alle erinnern uns an eine aufmunternde Berührung, einen 
		freundlichen Blick, ein tröstendes oder mahnendes Wort von ihm. Meistens 
		traf es ins Schwarze oder besser ins Helle. Er hat uns die Liebe zum 
		Leben gelehrt. Das macht es uns um so schwerer, diesen Tod und seine 
		Umstände zu begreifen.  
		 
		Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde,  
		 
		das hat er nicht verdient. Um Gottes Willen! Nichts Böses hat man ihm 
		nachgewiesen, nichts als die Wahrheit. Aber in diesen Zeiten hat die 
		Gerechtigkeit mit der Wahrheit herzlich wenig zu tun und um so mehr mit 
		Macht und mit Geld. Warum musste ausgerechnet er wie ein Verbrecher 
		enden, aufgestellt als Mitte in unheiliger Dreieinigkeit mit dingfest 
		gemachten Mördern? Und warum hat sich keiner gefunden, der auf dem Platz 
		seines Sterbens wenigstens für ein bisschen Ordnung, Würde und Anstand 
		gesorgt hätte? Aber wer kann das in diesen Zeiten noch von irgendwem 
		erwarten? Entwürdigte Menschen haben wir auf Golgatha viele gesehen: 
		Soldaten, die Gefangene misshandeln, Glotzer und Gaffer, aufgerissene 
		Mäuler, sabbernd vor Spott, das ganze Lumpenpack.  
		 
		Und er oben drüber. Die Würde des Menschen muss man doch wenigstens 
		einmal gesehen haben, bevor man an sie glaubt. Ich habe sie gesehen. Ich 
		brauche euch nicht zu sagen, bei wem. Aber lasst uns nicht schimpfen. Er 
		hätte allen Grund dazu gehabt und hat es nicht getan. Er hat nicht 
		gehadert. Wer will das verstehen? Und wir standen von ferne. Wir hatten 
		Angst.  
		 
		Ihr habt mir erzählt, er hätte für seine Henker gebetet. Mich wundert 
		das nicht. Ihr habt mir erzählt, er hätte den Mörder zur Linken 
		getröstet. Mich wundert das nicht. Es passt zu ihm. Zugewendet wie er 
		immer war. Aber in dieser Stunde? Ich habe bei Sterbenden oft die 
		langsame Abkehr erlebt. Man geht rückwärts durch die Zimmer seiner Welt 
		und macht eine Tür nach der anderen zu. Und immer mehr Menschen und 
		Dinge bleiben zurück. Immer weniger wird, was noch zählt. Glücklich wer 
		so versinken kann, losgelassen mit dem sanften Druck einer letzten Hand. 
		Adieu – Gott befohlen.  
		 
		So schön stellt man sich’s vor. So hätte ich es ihm gewünscht. Wir alle 
		hätten es ihm gewünscht in gemessenem Alter, im Kreis seiner Lieben. 
		Aber vielleicht, liebe Angehörige, ist er genau dort gestorben. Hat sich 
		noch am Kreuz einen Liebsten erkoren, den keiner mehr lieben konnte, der 
		anderen den Tod gebracht hatte, einen Mensch ohne Würde. Nahm seine 
		Schuld in sein großes Herz und den Mann gleich dazu. Nahm ihn einfach 
		mit ins Paradies. Kann es nicht so gewesen sein? Wenigstens zwei gingen 
		in Frieden. Wir standen von ferne. Wir waren mit uns selbst beschäftigt. 
		Wir hatten Angst.  
		 
		Bestimmt hatte er auch Angst. Aber vielleicht hatte er auch keine Zeit 
		dazu, zugewendet wie er war. Bis zuletzt. Wir alle haben diesen Vers aus 
		dem 31. Psalm gehört. Aus seinem Mund. Vater, in deine Hände befehle ich 
		meinen Geist.  
		 
		Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde,  
		 
		wir haben Gott, den er seinen Vater nannte, nie als Konkurrenz 
		empfunden. Wir haben seinen Glauben, den manche von euch manchmal für 
		etwas übertrieben hielten, nie als bedrückend oder gefährlich erlebt. 
		Wir haben nie gehört, dass er aus Glaubensgründen zum Hass oder zur 
		Gewalt aufgerufen hätte. Im Gegenteil. Wir haben seinen Glauben als 
		unbändige und doch sanfte Kraft empfunden, die vor keiner Konvention, 
		keiner Schuld, keiner Krankheit, keiner Verlorenheit kapitulierte. Wir 
		haben ihn nur ein einziges Mal richtig wütend erlebt, im Vorhof des 
		Tempels, als er die Tische der Geldwechsler umwarf. Das Gesetz ist für 
		den Menschen da und nicht umgekehrt und der Tempel ist ein Gotteshaus 
		und kein Kreditinstitut. Er hat niemandem mit Gott Angst gemacht. Er hat 
		unsere Herzen für diesen Gott gewonnen, wie er unsere Herzen für sich 
		gewonnen hat. Denn der Gott, den er predigte, war fast schon wie er. Er 
		und sein himmlischer Vater – waren das zwei oder waren sie eins?  
		 
		Wir werden die Stunden auf Golgatha niemals vergessen. Wir werden 
		niemals vergessen, wie uns mit seinem Anblick die Welt unterging. War es 
		nicht immer finsterer geworden, als er starb? Als wollte sich die Sonne 
		von unserer ausgeleerten Welt mit ihren vergeblichen Hoffnungen für 
		immer verabschieden. Wir standen von ferne. Wir hatten Angst. Ich sah, 
		dass es manchen von euch ging wie mir. Wir konnten die Augen nicht 
		abwenden: 
		 
		Der Stern der Mitternacht ist aufgegangen 
		alle andern Gestirne sind nicht mehr 
		der Wind hat aufgehört zu wehen 
		die Tiere atmen nicht mehr 
		Mein Leib ist nur noch Auge 
		das starrt zum unendlichen Himmel 
		in seinen einzigen Stern.  
		(Paula Ludwig, Dem dunklen Gott, Langewische, 1988, S.19) 
		 
		Dieses Gedicht ist mir eingefallen. Und ich hoffe er hat ihn erreicht, 
		seinen einzigen Stern, seinen himmlischen Vater. Hätte dieser himmlische 
		Vater nicht dieses eine Mal eine Ausnahme machen können und, auf welche 
		Weise auch immer, verhindern können, dass dieses Leben unseres Jesus von 
		Nazareth für immer beerdigt wird? Ich sehe noch, wie die Kinder sich um 
		ihn drängeln. Und wir haben das auch oft gemacht. Hätte er uns besser 
		mitgenommen, statt uns so zurückzulassen mit all diesen Hoffnungen, die 
		jetzt so höllisch weh tun. Wo bitte Herr Jesus, sollen wir die jetzt 
		begraben?  
		 
		Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde,  
		 
		ab morgen führt uns wieder Claus Kleber durch die Woche und Josef 
		Ackermann von der Deutschen Bank. Ab morgen wird irgendwo wieder ein 
		Osterfrühlingswonnewetter sein. Ab morgen wird die Würde des Menschen 
		wieder antastbar sein. Ab morgen werden die Humanisten wieder 
		humanistisch sein. Ab morgen wird Menschenfreundlichkeit wieder 
		Mangelware sein. Ab morgen werden die Sonntagsreden wieder lang sein. Ab 
		morgen wird wieder elend gestorben. Ab morgen wird alles beim Alten 
		sein. Erde zur Erde, Asche zur Asche, Staub zum Staube. Hier ruht unser 
		geliebter Lehrer, Freund und Vertrauter, unsere Hoffnung und Freude, 
		unser einziger Stern. Hier ruhe er nun in Frieden.  
		 
		Amen.  
		
      
      Pfarrer Johannes Taig   
      (Hospitalkirche Hof) 
      (weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter 
      www.kanzelgruss.de) 
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      Text: 
      
		 23,33 Und als sie kamen an 
		die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die 
		Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. 
		23,34 Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was 
		sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum. 
		23,35 Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und 
		sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der 
		Christus, der Auserwählte Gottes. 
		23,36 Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten 
		ihm Essig 
		23,37 und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber! 
		23,38 Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: 
		Dies ist der Juden König. 
		23,39 Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und 
		sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! 
		23,40 Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich 
		auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? 
		23,41 Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten 
		verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. 
		23,42 Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich 
		kommst! 
		23,43 Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du 
		mit mir im Paradies sein. 
		23,44 Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis 
		über das ganze Land bis zur neunten Stunde, 
		23,45 und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels 
		riss mitten entzwei. 
		23,46 Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine 
		Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er. 
		23,47 Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und 
		sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen! 
		23,48 Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da 
		geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um. 
		23,49 Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, 
		die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles. 
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