Liebe Leser,
Marie Luise Kaschnitz erinnert sich in ihrem Buch, „Tage, Tage,
Jahre, Aufzeichnungen“ an ihre Kindheit und schreibt: „Der Lehrer
erklärte uns einmal die Himmelsgeographie, Fixsterne und Planeten,
alles einfach, für Achtjährige, ohne Himmelsglobus und Karten, nur
was es da gibt und wie sich das Vorhandene umeinander bewegt. Und
was ist über den Sternen, fragte ich, als der Lehrer seine
Himmelskunde schon abgeschlossen hatte und nach dem Rechenbuch
griff. Da sind, sagte er etwas ungeduldig, auch noch Sterne, ganze
Sternsysteme, Sternennebel, das versteht ihr noch nicht. Und
darüber? fragte ich zitternd. Darüber ist nichts, sagte der Lehrer,
nur eben der Weltraum, also nichts. Bei diesen Worten sah er mich
böse an, er machte auch eine Bewegung mit der Hand, vielleicht tat
er das ganz bewusst, und es war ihm auch bewusst, was er da
wegfegte, nämlich einen ganzen Kinderhimmel, ein dickes
Wolkenpodest, auf dem die Heilige Dreifaltigkeit, die Engel und die
Heiligen saßen. Wir rechnen jetzt, sagte er, du kannst anfangen, und
ich nahm mich zusammen, obwohl da eigentlich nichts mehr
zusammenzunehmen war, ein Häufchen Unglück, Staub (…).“ (Frankfurt,
1972, S. 31 f.)
Es herrscht schon ein gewisser Jammer um den modernen, aufgeklärten
Menschen, dem an Himmelfahrt die Himmelfahrt verwehrt bleibt,
weshalb vor allem die männlichen Vertreter seiner Gattung mit
Leiterwagen, auf denen sich Bierkästen und Bierfässchen befinden,
durch die frühlingshafte Natur ziehen müssen. Denn, schreibt
Matthias Matussek: „Der Himmel gehört mittlerweile, auch dank Heine,
nur noch den Engeln und den Spatzen und der trivialen Aufklärung.
‚Wir wollen hier auf Erden schon / Das Himmelreich errichten.‘ In
den heutigen Zeiten heißt das, in der Vulgärform: Jetzt will jeder
ran. Jetzt kann jeder ran. Jetzt ist es überhaupt das einzige
wirklich große Ding, dass jeder so viel Geld und Glück rafft wie er
kann. Das ist übrig geblieben von Heines Säkularisierung und seinem
Kampf gegen die Pfaffen und seiner Vision eines kommunistischen
Paradieses - ein kapitalistischer Sauhaufen.‘ (Wir Deutschen,
Fischer 2006, S. 193)
Nehmen wir also zur Kenntnis, dass ein leerer Himmel keinesfalls
gleichbedeutend ist mit dem Paradies auf Erden. Nach den Kriegen und
dem weltweiten Morden, das sich bis in unsere Tage zieht, haben die
Rechenschieber die Macht übernommen. Die sind längst computerisiert
und handeln in Hochfrequenz. Geld regiert die Welt.
Das ist uns ja auch aus der Kirche nicht unbekannt. Es fällt ja
jedem auf, wie in den letzten – sagen wir – 20 Jahren, das Reden und
Denken über Zahlen immer mehr zugenommen hat. Wer die Zahlen zur
Demographie und zur Finanzentwicklung hat und richtig deutet, kann
die Kirche in eine gute Zukunft führen. So wird es in kirchlichen
Impuls- und Strategiepapieren immer wieder behauptet. Dort findet
sich zwar noch das ein oder andere Bibelzitat. Aber würde es fehlen,
würde dem Ganzen gar nichts fehlen. Wenn der Himmel in Wahrheit leer
wäre, würde das in einer solchen Kirche niemandem auffallen.
„Notwendige Abschiede: Auf dem Weg zu einem glaubwürdigen
Christentum“, lautet der Titel eines vieldiskutierten Buches von
Klaus-Peter Jörns. Schon wahr, dass die biblische Botschaft von der
Kirche immer wieder für ihre Zwecke instrumentalisiert wurde und im
Namen Gottes Willkür und Gewalt gerechtfertigt wurden. Aber ebnet
man alles ein, was uns in der Bibel fremd, verwunderlich,
unerklärlich oder auch abstoßend und furchterregend vorkommt, von
den Wundern über den Kreuzestod Jesu bis zu seiner Himmelfahrt, dann
bleibt am Ende eben nur noch ein moralisierender Humanismus übrig,
der über Werte schwadroniert, aber uns doch im Grunde wieder allein
unter einem leeren Himmel lässt. Hier stehen der
Instrumentalisierung durch Soziotechnik und Ökonomie ebenfalls alle
Tore offen. Zurück bleibt eine säkularisierte Kirche, die diesen
Namen nicht mehr verdient und die dazu verdammt ist, ihre
Heilsversprechen selbst einzulösen. Man sollte sie entsprechend zur
Rechenschaft ziehen und haftbar machen.
Um Himmels willen! Warum veranstalten wir, was weder feierlich noch
schön ist und niemanden erhebt, sondern jedermann zu einem kleinen
Rädchen im Getriebe dieser Welt macht. Schaut auf von euren
Dienstordnungen, Haushaltsplänen, Geschäftsordnungen und
Personalplänen! Schaut auf von euren Zahlenpapieren und auch von
euren alltäglichen Sorgen. Schaut auf und seht, wie schön das ist,
was unser heutiges Evangelium in vier Versen erzählt.
Bei Bethanien wendet sich der Auferstandene auf einmal seinen
Jüngern zu, schaut jedem von ihnen in die Augen, hebt die Hände und
segnet sie. Kein Zweifel, dass das, was er sagt, kein irischer
Segensspruch oder sonst was Selbstgebasteltes ist, sondern der
aaronitische Segen: „Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR
lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR
hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.“ (4. Mose
6,24-26) Er zeigt den Jüngern zum Abschied in seinem menschlichen
Gesicht das Angesicht Gottes. Schaut ihn an. Mehr Sonne geht nicht.
Und während er das tut, greift die Hand seines himmlisches Vaters
wie aus dem Nichts nach ihm und hebt ihn ganz sanft zu sich nach
Hause. Er zeigt dabei den auf die Knie gefallenen Jüngern, wo auch
ihr und unser wahres Zuhause ist.
Das ist nun wahrlich ein notwendiger Abschied. Und die Jünger haben
begriffen, was er bedeutet. Luther erklärt es in seiner
Himmelfahrtspredigt noch einmal: Wenn Jesus auf Erden und sichtbar
vor den Leuten geblieben wäre, hätte er nicht so viel schaffen
können. Denn es hätten nicht alle Leute bei ihm sein und ihm gehören
können. Darum hat er eine Weise angefangen, auf die er mit allen zu
schaffen hat und in allen regieren, bei allen sein und allen
predigen kann, damit sie es alle hören. Darum hüte dich ja, zu
denken, er sei nun weit von uns! Im Gegenteil, als er auf Erden war,
war er uns zu fern, jetzt ist er uns nah. Aber die Vernunft kann
nicht fassen, wie das zugehe.“ (zitiert nach Dr. Peter Zimmerling,
GPM 1/2015, Heft 2, S. 274) Doch eins steht fest: Der Abschied, den
der Christus von der Erde nimmt, beendet seine Gegenwart nicht. Er
macht sie unendlich.
Deshalb wird bei diesem Abschied nicht geweint, sondern gejubelt.
Die Jünger kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude. Als
Gotteskinder. Von nun an werden sie Pilger sein, unterwegs nach
Hause. „Ein Tag, der sagt dem andern,/ mein Leben sei ein Wandern/
zur großen Ewigkeit./ O Ewigkeit, so schöne,/ mein Herz an dich
gewöhne,/ mein Heim ist nicht in dieser Zeit.“ So weiß es das
Abendlied im Evangelischen Gesangbuch (EG 481). Wie schön, wenn sich
Menschen auch heute den Rucksack umhängen und sich auf die
Pilgerschaft begeben, um einmal völlig losgelöst zu sein von allem,
woran sie ihr Alltag bindet. Haben, als hätte man nicht – so
beschreibt der Apostel Paulus christliche Existenz. Das gilt nicht
nur fürs Geld oder sogar für den Ehepartner, sondern auch für die
Sorgen, den Schmerz und das Leid (1. Korinther 7/29). Wer als Pilger
unterwegs ist, ist seinem wahren Wesen näher als sonst.
Und so pilgern die Jünger nach Christi Himmelfahrt erst einmal
wieder zurück nach Jerusalem, was in diesem Fall nur knapp eine
halbe Stunde dauert. Und kehren ein in den Tempel, um Gott zu loben.
Jeden Tag. Die Christenheit, die unterwegs durch die Zeit ist, macht
im Gottesdienst Rast, um Gott zu feiern, der Ursprung und Ziel ihres
Lebens und ihrer Welt ist. Sie tut dies öffentlich, um allen zu
zeigen, wie sie sich und ihr Leben versteht, und um von dem zu
erzählen, der der einzige Grund ihrer Hoffnung und ihrer Freude ist.
Und darum hat in der Kirche das, was ihrem Auftrag entsprechen soll,
als Gottesdienst zu geschehen, im liturgischen Gottesdienst in der
Kirche oder hier im Freien – und im Alltag der Welt. Lasst uns doch
einmal daraufhin all das anschauen, was unser privates und
kirchliches Leben oft so unerfreulich macht. Es könnte ja nicht eine
Prüfung Gottes oder ein notwendiges Übel sein, sondern einfach Müll
und unnötiger Ballast. Weg damit!
Übrigens ist Heinrich Heine am Ende seines Lebens, als er
leidgeprüft in seiner Bettengruft lag, wieder fromm geworden. Denen,
die ihn nach dem Grund fragten, gab er zur Auskunft, er hätte nun
wieder jemanden, dem er seine wüsten Klagen an den Kopf werfen
könne. Wer so jemanden nicht hätte, wäre wohl noch ärmer dran, als
er. Das ist die reine Wahrheit. Denn seit der Christus im Himmel
ist, hält dieser Himmel sein Riesenohr an die Erde und an jedes
Herz. Kein Seufzer wird mehr überhört. Seitdem ist diese Welt eine
Welt, in der dem Tod die Termine gesetzt sind und allem, was uns das
Leben schwer macht. Gott sei Dank!
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
50 Er (Jesus) führte sie aber hinaus bis nach
Bethanien und hob die Hände auf und segnete sie.
51 Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr
auf gen Himmel.
52 Sie aber beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem mit
großer Freude
53 und waren allezeit im Tempel und priesen Gott.
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