Liebe Leser,
manchmal fangen kleine Dinge ganz groß an: Die Gesundheitsreform,
die Steuerreform, die Reform des Föderalismus, der Klimagipfel, der
Friedensprozess im Nahen Osten, die Wertediskussion in unserem Land.
Groß ist das Getöse, mager das Ergebnis und kleinlaut der Abgang.
Der Berg kreiste unter medienwirksamen Wehen und gebar oft nicht
einmal eine Maus. Sic transit gloria mundi – so vergeht der Ruhm der
Welt. So gilt es für die große Politik und für jeden von uns.
Manchmal allerdings fangen große Dinge ganz klein an. Gott sei Dank!
Und genau davon erzählt der Prophet Micha und die
Weihnachtsgeschichte. Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist
unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in
Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her
gewesen ist. Und so liegt ein paar Jahrhunderte nach dem Propheten
Micha in diesem Kaff nahe bei Jerusalem ein Kind in einer
Futterkrippe, das sich anschickt ein König zu werden, ein Politiker
und Herrscher – aber einer der ganz besonderen Art. Gott sei Dank.
Manchmal fangen große Dinge ganz klein an. Deshalb ist die
Weihnachtsgeschichte auch eine wohltuende Geschichte für alle Müden
und Matten, für alle Enttäuschten und Desillusionierten. Für ein
Kaff wie Bethlehem, für Menschen wie uns. Wer sich in diese
Geschichte begibt, darf sich getrost abwenden von allem, was auf
unserer Welt oft so groß beginnt und oft so kläglich endet. In
dieser Geschichte sind wir einmal nicht gefordert und überfordert.
Hier kommt einer im Namen des Herrn und in der Kraft des Herrn. Hier
geht es nicht um den windigen Ruhm der Welt, sondern um die
himmlische Herrlichkeit Gottes. Schaut nur, wie sie sich auf diese
Welt bemüht, um uns zu umsorgen. Und er wird dein Friede sein.
Darf man das denn? Sich an der Krippe niedersinken und ganz
versunken sein lassen und die Welt und das eigene Leben, die Welt
und das eigene Leben sein lassen? Ich steh an deiner Krippen hier, o
Jesu, du mein Leben. An Weihnachten dürfen wir. Ja, die Hirten
kehren später an ihre Arbeit zurück. Aber nicht jetzt. Jetzt stehen
sie da, die Hüte an die Brust gedrückt und ihr Atem macht weiße
Dampfwölkchen in die kalte Luft. Jetzt schauen sie auf den, der da
kommt im Namen des Herrn und in der Kraft des Herrn. Luther zur
Stelle: „Willst du gewiss fahren und Gott in seinem Wesen recht
lernen erkennen, so musst du unten anfangen, wie der Prophet tut,
dass du am ersten gen Bethlehem kommest ...“ Da stehen wir jetzt und
noch eine ganze Weile mit den Hirten. Jetzt haben sie Frieden, jetzt
wohnen sie sicher, jetzt sind sie Zuhaus.
Für Micha von Moreschet, 800 Jahre früher, wäre ein solcher Moment
die Erfüllung größter Sehnsucht gewesen. Vor den Stadtmauern
Jerusalems gab es keine Sicherheit und keinen Frieden. Wie oft stand
er vor seinen von den Philistern verwüsteten Feldern und vor den
rauchenden Trümmern seines Hauses. Für wie viele Millionen ist dies
auch heute noch bittere Wirklichkeit. Wie viele leben heute genau
dort, wo Micha lebte, im Heiligen Land, in Angst vor Terror und
Gewalt. Und auch der Stall von Bethlehem ist bedroht. Bald werden
die Horden des Herodes kommen und die Trauerschreie der Mütter über
ihren ermordeten Kindern werden durch die Straßen hallen. Dann wird
das Christuskind obdachlos und auf der Flucht nach Ägypten sein,
gehüllt in Josephs Mantel und Marias Arme. (Mt 2/13ff)
Seltsames Obdach, der Stall und die Arme der Mutter - und doch
vielleicht ein besseres und dauerhafteres als eines aus dicken
Mauern mit Schießscharten. Auch wenn uns das immer als erstes
einfällt. Sicher wohnen, das wollen wir auch. Und äußerlich
betrachtet können wir’s auch. Gott sei Dank. Wir haben, wovon Micha
von Moreschet nur träumen konnte. Und doch spricht man heute von der
metaphysischen Obdachlosigkeit des modernen Menschen, dem an innerem
Halt, an Glauben, an Überzeugungen eine nach der anderen ausging.
Der äußeren Sicherheit entspricht keine innere mehr.
Und wir begreifen allmählich, dass äußere Sicherheit viel, aber
nicht alles ist. Ja, dass die äußere Sicherheit bedroht ist durch
innere Obdachlosigkeit. Denn das Vakuum in den Herzen bleibt nicht
leer. Schon stehen nicht nur zur Weihnachtszeit die Geschäftemacher
Schlange und noch schlimmer die Agitatoren der Heiligen Kriege und
die Hassprediger, die Menschen ins Verbrechen und Verderben treiben
für den Gottesstaat und einen Platz im Paradies. Die lachen uns
Wohlstandsbürger aus als Penner in Sachen Religion, als Obdachlose
in Sachen innerem Halt. Weh dem, der ihnen nichts entgegenzusetzen
hat als wirtschaftliche Macht und staatliche Gewalt. Das wird nicht
reichen.
Die Verheißung des Propheten Micha vom sicheren Wohnen und das
Obdach, das der Christus bei seiner Geburt fand, passt scheinbar
nicht zusammen. Wie überhaupt der Messias, das, was von ihm
verheißen wird und was wir uns von ihm erwarten und erträumen, in
vielen Punkten korrigiert und überbietet. Der Stall von Bethlehem
taugt mehr, als für den Gedanken an eine böse Menschenwelt, die dem
Gotteskind bei seiner Geburt einen Platz hinter den dicken Mauern
der Herberge verweigert.
Kann es nicht vielmehr sein, dass das Kind in der Krippe das Dach
über der Stelle seiner Geburt bewusst gewählt hat? Um uns zu zeigen,
dass dicke Mauern mit vielleicht waffenstarrenden Schießscharten
keinen Deut mehr Sicherheit und Geborgenheit bieten als dieser
Stall. Dass solches Obdach immer ein provisorisches bleibt, für ihn
und für uns. Und dass sich die Arme seiner Mutter und der Mantel des
Vaters letztlich als sicherer erweisen gegen die Horden des Herodes
als jede andere Herberge.
Später wird er, als Prediger vom Himmelreich, zwar immer wieder in
Herbergen und Häusern zu Gast sein, sich aber als einen beschreiben,
der scheinbar unbehauster ist, als die Füchse in ihren Gruben und
die Vögel in ihren Nestern? (Lk 9/58) Er wird vom einzig wahren
Obdach nicht nur reden, sondern es festhalten bis zu dem Moment, an
dem es ihn im Stich zu lassen scheint; bis zu dem Moment, an dem
Leid, Hass und Tod den Sieg zu erringen scheinen; bis zum Tod am
Kreuz. Aber die Arme seines himmlischen Vaters erweisen sich als
stärker. An Ostern erweist sich das scheinbar so wehrlose Leben des
Christus als die feste Burg, die den Sieg davonträgt.
So klein endet das Böse, das Leid und der Tod, der in unserer Welt
so groß daherkommt und uns scheinbar alle in der Gewalt hat. Ja, das
könnte dem Bösen so passen, dass wir in Bethlehem diesen Stall sehen
und sagen: Der hat keine Chance! Dass wir all unsere schlechten und
leidvollen Erfahrungen und die Finsternis der Welt aufbieten gegen
die Sehnsucht, das Vertrauen und den Glauben, der sich zu dem
kleinen Kind in der Krippe hinwendet und zu dem guten Hirten, der
hier seinen Weg so klein beginnt, um uns alle nach Hause zu bringen
in sein himmlisches Reich.
Darum: wenn euch heute an Weihnachten euer Leid und das Leid dieser
Welt besonders weh tut und besonders groß erscheint, dann denkt
daran, wie so vieles in unserer Welt groß anfängt und so jämmerlich
endet. Sic transit gloria mundi – so vergeht der Ruhm der Welt. Das
darf seit Weihnachten auch für den Tod und seine Gesellen gelten und
für all deinen Schmerz.
Kehre ein mit den Hirten in den Stall von Bethlehem. Stell dich zu
ihnen an die Krippe. Dort liegt – noch ganz klein – der, der der
große und gute Hirte ist. Er will das Obdach deines Lebens sein. Er
wird dein Friede sein. In seinen Armen wirst du sicher wohnen.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
1 Und du, Bethlehem Efrata, die du klein
bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in
Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her
gewesen ist.
2 Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche
gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder
wiederkommen zu den Söhnen Israel.
3 Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des HERRN und in
der Macht des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden sicher
wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die
Welt ist.
4 Und er wird der Friede sein.
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