Liebe Leser,
„Gottes Albtraum
Am Abend aber, als die Sonne unterging, brachten sie Kranke und
Besessene zu ihm und Jesus heilte sie und gab hinterher ein
rauschendes Fest. Seht, was ich kann und feiert mich! Saß in der
Mitte, umringt von Erlösten, Geheilten und ließ aufwarten mit dem
Applaus.
Ihr dürft kommen und niederknien vor mir. Gott träumt, dass Jesus
aufspielen lässt alle Leute, die sich sehnten nach Frieden und Heil.
Menschen, die hofften, dass das Wunder bleibt, das Wunder dieser
Nacht, das Wunder vom Heil: berührt werden und angesehen sein und
leben in Gottes Glanz.
Und Gott träumte und er sah seinen einzigen Sohn: wie er da saß auf
einem Menschenthron und sich feiern ließ für seine Tat. Für das
rechte Wort zur rechten Zeit, für die Vollmacht, die er ihm gab.
Nahm das Lob entgegen und die Huldigung, und die Presse kam. Jesus
füllte die Titelseiten, BILD, dpa, epd, Spiegel, ZEIT und STERN. Und
am Abend, als die Sonne unterging und der Tag begann, war der Star
geboren, der neue Held: Jesus Christus, der alles kann, der mit der
Wunderwaffe gegen Krankheit und Tod, er ließ sich feiern von der
Welt.
Und Gott wachte auf und Jesus stand auf. Und er ging an eine einsame
Stätte und betete dort. Und Gott sprach zu ihm: Mein Junge, so einer
wirst Du mir mal nicht! Lass uns weitergehen, in die nächste Stadt
und nicht stehenbleiben bei der gestrigen Tat! Weiter, mein Sohn,
immer weiter!“ (Kristin Jahn, GPM 3/2017, Heft 4, S. 452)
Ja bitte, „der Sohn Gottes braucht das nicht: das Stehen auf der
Bühne, die Huldigung, das narzisstische Spiel der selbstverliebten
Gockel, den Pressespiegel, das Verbleiben am berühmten Ort, das Bad
in der Menge, das Gejohle.“ (Kristin Jahn, aaO.)
Wäre das nicht auch Martin Luthers Albtraum gewesen? Eine
selbstverliebte und um nichts als ihren Fortbestand besorgte Kirche,
die sich verzweifelt ins neue und rechte Licht der Öffentlichkeit
rücken will, damit noch irgendjemand mit ihr spielt; die auf jeden
Zug des Zeitgeistes aufspringt, wenn nur genug Leute drin sitzen.
Martin Luther, der doch wie kein anderer wusste, dass die Kirche
sich nicht selbst erhalten kann, wenn der Herr der Kirche Jesus
Christus sie nicht erhält? Martin Luther, der wusste und predigte,
dass der Christenmensch und mit ihm die Kirche ohne Christus nichts
sind und alles und allein von Gottes Gnade und seinem Wort abhängt?
„In einem seiner letzten publizistischen Beiträge hat der frühere
CDU-Politiker Heiner Geißler den Kirchen verpasste Chancen
vorgeworfen. In einem Beitrag für ein Buch zum Reformationsjubiläum,
das am nächsten Montag erscheint, beklagt Geißler, beide Kirchen
hätten in ihren ökumenischen Bemühungen auf eine ‚Revolution‘
verzichtet. Zudem beklagte er eine Fokussierung auf das Alte
Testament, wodurch die Geschichte und die Lehren Jesu in der
Hintergrund geraten seien. ‚Ich habe Jesus auf dem Kirchentag und im
Jubiläumsjahr vermisst‘, heißt es im Beitrag des am 12. September
(diesen Jahres) gestorbenen früheren CDU-Generalsekretärs.“ (epd,
Samstag, 21.10.2017) So meldet es der Evangelische Pressedienst am
Samstag.
Da wirkt der Satz, den die Jünger zu Jesus sagen, als er sich dem
Rummel entzieht, schon fast unfreiwillig komisch: „Jedermann sucht
dich!“ Na ja, wenigstens Heiner Geißler. Aber nicht nur er! Wohin
hat Luther sein Leben lang nicht nur mit dem Finger gezeigt? Auf die
Heilige Schrift, auf das Evangelium, auf seinen Christus! Von dort
her kam das Licht, das Luther seiner damaligen Kirche entgegenhielt
und in dem sie lange schwarze Schatten warf. Vom Ablass angefangen
bis zum Streben nach Geld, Einfluss und politischer Macht. In diesem
Licht wurde sichtbar, wie die damalige Kirche ihrem Herrn Christus
in der Sonne stand, indem sie sich als Heilsvermittlerin aufspielte,
die den Zugang zu Gott für die Gläubigen regeln wollte. Luther
predigte das Priestertum aller Getauften und sagte damit nichts
anderes, als dass niemand sich zwischen Gott und die Menschen
stellen darf; die Kirche nicht, die Bischöfe nicht und der Papst
schon gar nicht.
Warum hat man im Jubiläumsjahr der Reformation das Thema Christus
und die Kirche so angestrengt vermieden? Weil es sein kann, dass
auch die heutige Kirche der Reformation im Licht des Evangeliums den
ein oder anderen langen Schatten wirft? Weil man doch mit den
Katholischen und allen anderen christlichen Konfessionen und
Gruppierungen eine stressfreie Familienfeier abhalten wollte und
weiß, wie Streit solche Feiern gründlich ruinieren kann?
„Der Kardinalfehler bestand darin, die Auswirkungen der
reformatorischen Rechtfertigungslehre auf das Kirchenverständnis
nicht mitzubedenken. Das jedoch ist entscheidend, (…) denn epochal
bedeutsam wurde Luthers Rechtfertigungslehre, weil sie den Grund für
eine anders geartete Kirche legte.
Friedrich Schleiermacher hat den Unterschied zwischen evangelischem
und römisch-katholischem Kirchenbegriff so auf den Punkt gebracht:
Während nach katholischer Lehre das Verhältnis der Glaubenden zu
Christus abhängig von ihrem Verhältnis zur Kirche ist, macht der
Protestantismus das Verhältnis des Einzelnen zur Kirche von seinem
Verhältnis zu Christus abhängig. Diese Beschreibung des Gegensatzes
hat ihre Gültigkeit bis heute nicht verloren. Und weil das
evangelische Kirchenverständnis mit dem römisch-katholischen nicht
vereinbar ist, nimmt es nicht wunder, dass die Gemeinsame Erklärung
(zur Rechtfertigungslehre) in der Lehre von der Kirche und
kirchenpolitisch folgenlos geblieben ist.“ (Ulrich H.J. Körtner,
Getrübtes Urteilsvermögen - Das Reformationsjubiläum als Gradmesser
einer theologischen Orientierungskrise, Zeitzeichen Januar 2017/ S.
38ff.)
Denn wenn es um Kirche und Gemeinde geht, hört die Evangelische
Kirche 500 Jahre nach der Reformation lieber den
Unternehmensberatern, den Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern zu
als der Heiligen Schrift. Frech wird behauptet, auf die äußere
Gestalt der Kirche käme es ja nicht an. Da habe man freie Hand, wenn
nur das Evangelium verkündigt wird. Mit solchen Phrasen immunisiert
man im Reformationsjahr die Evangelischen gegen die Tatsache, dass
es allererst das Licht des Evangeliums war, in dessen Schein Martin
Luther die schwarzen Schatten sah, die seine eigene Kirche zu seiner
Zeit warf. Das wollten damals erst nur wenige sehen und wahrhaben.
Und heute? Auch heute wollen viele in der Evangelischen Kirche nicht
wahrhaben, dass unsere Hände eben nicht frei sind, wenn es um unser
Kirchen- und Gemeindeleben geht, sondern dass auch heute die Kirche
sich immer wieder den Weg und die Gestalt suchen muss, die ihrem
Wesen, die dem Evangelium von Jesus Christus entspricht. Denn wir –
die christliche Gemeinde – sind sein Leib! (1. Korinther 12,27)
Am Anfang des Markusevangeliums entzieht sich der Christus dem
Rummel, den seine Wunder auslösen. Er wird kein solcher Sohn Gottes
werden, der in der Ruhmeshalle der Menschheit landet. Er landet am
Kreuz. Wehe einer Kirche, die davon nichts mehr wissen will! Der
muss dann der Christus selbst - wie dem Petrus - die Maske vom
Gesicht reißen, damit sie ihre Teufelsfratze im Spiegel sehen kann.
(Markus 8,33) Ja, auch Petrus, der Fels, auf den der Christus seine
Kirche baut, ist vor dem Befall durch Dämonen nicht gefeit. Das ist
keiner von uns. Auch in der Kirche gilt: Nicht jeder, der getrieben
wird, wird vom Heiligen Geist getrieben. Petrus lernt, dass er den
Christus nötig hat, der den Dämonen das Maul stopft.
Wenn in den nächsten Tagen der Rummel um das Reformationsjubiläum
seinen Höhepunkt erreicht und Ihr eigentlich all die Faxen dicke
habt – dann kann es ein geistlicher Weg sein, die nächste Jubelfeier
auszulassen und dem Christus zu folgen, der früh am Tage aufstand
und an einen einsamen Ort ging, um zu beten. Beten wir, dass er
nicht irgendwann unsere Faxen dicke hat und woanders hingeht, wo
Menschen sind, die ihm wirklich zuhören. Höchste Zeit, dass wir ihm
nacheilen.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
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Die Predigt zum Hören
Text:
32 Am Abend aber, da die Sonne
untergegangen war, brachten sie zu ihm (Jesus) alle Kranken und
Besessenen.
33 Und die ganze Stadt war versammelt vor der Tür.
34 Und er heilte viele, die an mancherlei Krankheiten litten, und
trieb viele Dämonen aus und ließ die Dämonen nicht reden; denn sie
kannten ihn.
35 Und am Morgen, noch vor Tage, stand er auf und ging hinaus. Und
er ging an eine einsame Stätte und betete dort.
36 Und Simon und die bei ihm waren, eilten ihm nach.
37 Und da sie ihn fanden, sprachen sie zu ihm: Jedermann sucht dich.
38 Und er sprach zu ihnen: Lasst uns anderswohin gehen, in die
nächsten Orte, dass ich auch dort predige; denn dazu bin ich
gekommen.
39 Und er kam und predigte in ihren Synagogen in ganz Galiläa und
trieb die Dämonen aus.
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