Liebe Leser,
„Manche sagen, es gebe nur zwei Dinge auf der Welt: Gott und Angst;
Liebe und Angst sind die beiden einzigen Dinge. Es gibt nur eines auf
der Welt, was von Übel ist, nämlich Angst. Es gibt nur eines auf der
Welt, was gut ist, nämlich Liebe. Sie hat manchmal auch andere Namen.
Manchmal nennt man sie Glück, Freiheit, Frieden, Freude, Gott oder wie
auch immer. Aber das Etikett ist nicht so wichtig. jedenfalls gibt es
kein einziges Übel auf der Welt, das sich nicht auf Angst zurückführen
ließe; kein einziges.
Ignoranz und Angst, Ignoranz durch Angst: Daher rührt alles Übel, daher
rührt auch ihre Gewalttätigkeit. Wer wirklich gewaltlos ist - unfähig zu
Gewalt - ist ein furchtloser Mensch. Nur wer sich fürchtet, ärgert sich.
Erinnern Sie sich daran, wie Sie sich das letzte Mal geärgert haben, und
suchen Sie nach der Angst, die dahintersteckte. Fürchteten Sie, etwas zu
verlieren? Fürchteten Sie, man könnte Ihnen etwas wegnehmen? Daher rührt
nämlich der Ärger. Letztlich gibt es nur zwei Dinge: Liebe und Angst.“
(Anthony de Mello, Der springende Punkt, Herder 1991, S. 67)
Mit diesem Zitat, das ich bei dem indischen Jesuiten Anthony de Mello
gefunden habe, ist das Thema unserer heutigen Predigt umrissen: Böse,
finstere Menschen haben Angst; Angst, die sie nicht nur böse, sondern
krank machen kann. Jesus heilt sie - auch indem er ihren bösen Geist
austreibt oder dem bösen Geist zumindest das Maul verbietet. Und er tut
das durch sein klares, göttliches Wort des Evangeliums. Davon erzählt
unser heutiger Predigttext.
Über die Angst muss uns die Bibel nun wirklich nicht viel erzählen.
Schließlich sind wir alle Experten auf diesem Gebiet. Angst gehört zu
unseren urtümlichen Gefühlen. Unseren Vorfahren gab sie den
unwiderstehlichen Impuls beim Gebrüll eines Raubtiers den nächsten
Baumwipfel aufzusuchen. War die Flucht nach hinten unmöglich, so gebot
die Angst unseren Vorfahren, dem Feind möglichst aufgeblasen und mit
Gebrüll entgegenzustürmen, was uns als Flucht nach vorn auch heute noch
geläufig ist. Angst scheint manchmal ein nützliches Gefühl sein.
Aber die meiste Zeit unseren Lebens steht sie uns nur im Wege. Die
meiste Zeit unseres Lebens ist sie ein schlechter Ratgeber. Sie schärft
nicht den Blick für die Wirklichkeit, sie vernebelt ihn. Wer richtig
Angst hat, kann nicht mehr klar denken. Ja, die Angst kann sich zur
Psychose steigern. Hinter jedem harmlosen Gebüsch lauert ein Mörder,
hinter jedem freundlichen Lächeln verbergen sich finstere Absichten, in
jedem geschlossenen Raum droht der Erstickungstod und jeder Muslim ist
ein potentieller Selbstmordattentäter. Unendlich ist die lange Liste der
Angstdämonen, die Menschen in den Wahnsinn und schließlich auf die Couch
des Psychiaters treiben.
Angstdämonen befallen aber nicht nur einzelne Menschen, sondern vor
allem ganze Gemeinschaften und Völker. Von dem Philosophen Friedrich
Nietzsche stammt der Satz, dass der Wahnsinn beim Individuum die
Ausnahme, in der Gruppe aber die Regel sei. Blicken wir einmal zurück
auf die Massenhysterien der vorletzten Jahrhundertwende, auf den
Wahnsinn der beiden Weltkriege, und blicken wir auf den Schwachsinn, der
uns täglich im Fernsehen geboten wird; es bleibt uns nichts übrig, als
dem Philosophen recht zu geben. Unsere Hochschätzung der Demokratie darf
uns nicht den Blick dafür vernebeln, dass die Mehrheit nicht automatisch
die Wahrheit besitzt. Mehrheiten sind nicht unfehlbar und nicht immun
gegen die Dämonen der Angst.
Auch wenn sie in der Masse um so gewichtiger daherkommen. Und die ganze
Stadt war versammelt vor der Tür (V 34). Was tut Jesus? Er half den
Beladenen und trieb viele böse Geister aus und ließ die Geister nicht
reden; denn sie kannten ihn.
Böse Geister sind geschwätzig. Im Dunkeln ist gut Munkeln. Zur Wahrheit,
zur Hoffnung und zum Glauben muss man finden. Angst ist spontan. Sie
will sich Gehör verschaffen und ernst genommen werden. Und sie tut das,
indem sie schreit, so vielstimmig und so laut sie kann.
Und am Morgen, noch vor Tage, stand er auf und ging hinaus. Und er ging
an eine einsame Stätte und betete dort (V 35). Nichts kränkt böse
Geister mehr, als das man ihnen kein Gehör schenkt, sie nicht ernst
nimmt und links liegen lässt. Nichts hilft mehr gegen unsere Ängste und
Sorgen, als dass wir uns von ihnen abwenden und uns Gott unmittelbar
zuwenden. Die heilsamste Weltdistanz ist die Gottesnähe! Sie ist etwas
anderes als Flucht vor der Wirklichkeit, etwas anderes als
Gleichgültigkeit, etwas anderes als ein dickes Fell! Sie ist die
gespannte Aufmerksamkeit für den, von dem unser Leben herkommt und zu
dem es wieder heimkehrt. Ehe wir vom Hundertsten ins Tausendste geraten,
kehren wir uns hin zu dem einen Grund unseres Lebens. Dort bekommt alles
in unserem Leben die Größe und die Lautstärke, die es wirklich hat.
Wahre Gottesfurcht ist das Ende aller anderen Furcht. Denn Gott fürchten
heißt, nichts sonst fürchten. Die Gottesfurcht ist das große
Fürchtedichnicht.
Und manche Angst, die uns so laut und groß erschien, wird auf einmal
leise und klein. Der brüllende Bär vor uns ist in Wirklichkeit
vielleicht nur der, den man uns aufgebunden hat. Das Wort Gottes ist die
beste Waffe gegen die Angst. Es ist Aufklärung über unsere Welt und über
unser Leben im Lichte des Evangeliums.
Und deshalb lässt sich Jesus nicht bitten, noch einmal zurückzukehren in
das Dorf, dass er gerade verlassen hat. Etwas anderes und etwas
heilsameres als sein Wort wird dieses Dorf nicht bekommen. Dieses Dorf
hat erhalten, was es zu seiner Genesung braucht.
Und er sprach zu ihnen: Lasst uns anderswohin gehen, in die nächsten
Städte, dass ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen. Und er
kam und predigte in ihren Synagogen in ganz Galiläa und trieb die bösen
Geister aus (V 38f).
Pointierter kann nicht gesagt werden, dass es nur ein wirksames Mittel
gegen die bösen Geister in und unter uns gibt. Das ist die Predigt des
Evangeliums. Wo die Angst regiert, sind wir selbst bekümmert um unsere
Zukunft. Dagegen predigt uns Jesus den Gott, der sich um unsere Zukunft
kümmert. Er zeigt uns die Blumen auf dem Feld und wie Gott für sie sorgt
(Mt 6/28f). Er lädt uns ein zu dem Vertrauen, dass nicht wir unsere
Zukunft selbst schaffen müssen, sondern dass Gott sie für uns bereit
hält.
Oder denken wir an die vor Angst schreienden Jünger im Boot auf dem See
Genezareth. Jesus lässt sie nicht allein. Er stillt den Sturm (Mt
8/24f). Und er lässt Petrus nicht im Wasser versinken, er reicht ihm die
rettende Hand (Mt 14/22f).
Die meisten Jesusworte und Jesusgeschichten lassen sich als Worte und
Geschichten gegen die Angst verstehen und deuten. Sie rufen zum Glauben.
Und wie die Liebe ist der Glaube das Gegenteil von Angst. Er treibt die
Angstdämonen aus.
Jesus wirbt um diesen Glauben mit unendlicher Sanftmut und Geduld, immer
und immer wieder. Nur einmal sagt er ein sehr hartes Wort, das alle
Evangelisten überliefert haben: Wer andere zum Rückfall in die Angst und
damit zum Unglauben verführt, indem er den Teufel an die Wand malt,
indem er Angst schürt, statt das Evangelium zu predigen, „für den wäre
es besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft
würde im Meer, wo es am tiefsten ist“ (Mt 18/6).
Dort unten leben nicht mal mehr Fische. Und auch wir gehören nicht
dorthin. Darum bitten wir unseren Herrn Jesus Christus um seinen Geist
der Liebe und des Friedens, um den Geist, der den Glauben weckt und die
Angst vertreibt, um den Heiligen Geist, von dem der Apostel Paulus
schreibt: Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit. (2. Kor. 3/17)
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
(32)Am Abend aber, als die Sonne untergegangen war,
brachten sie zu ihm alle Kranken und Besessenen.
(33)Und die ganze Stadt war versammelt vor der Tür.
(34)Und er half vielen Kranken, die mit mancherlei Gebrechen beladen
waren, und trieb viele böse Geister aus und ließ die Geister nicht reden;
denn sie kannten ihn.
(35)Und am Morgen, noch vor Tage, stand er auf und ging hinaus. Und er
ging an eine einsame Stätte und betete dort.
(36)Simon aber und die bei ihm waren, eilten ihm nach.
(37)Und als sie ihn fanden, sprachen sie zu ihm: Jedermann sucht dich.
(38)Und er sprach zu ihnen: Lasst uns anderswohin gehen, in die nächsten
Städte, dass ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen.
(39)Und er kam und predigte in ihren Synagogen in ganz Galiläa und trieb
die bösen Geister aus.
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