Predigt     Markus 1/32-39     19. Sonntag nach Trinitatis     30.10.11

"Drei Flügel"
(von Pfarrer Rudolf Koller, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

können Sie sich die eben gehörte Geschichte als Bild vorstellen? Mich hat sie dazu inspiriert, in Gedanken ein Altarbild zu malen, ähnlich wie die Maler des Mittelalters – genauer gesagt drei Bilder, ähnlich dem Flügelaltar (hier) in der Hospitalkirche: eins in der Mitte und je eines links und rechts.

Der linke Altarflügel ist in dunklen Farben gehalten, Lila die Farbe, die immer wieder auftaucht und in ihrer Farbsymbolik unterstreicht, was zu sehen ist: eine unendliche Schar leidender Menschen! Das ganze Elend dieser Welt ist da hinein gemalt und alle Zerbrechlichkeit des Lebens: Kranke in ihrem körperlichen Siechtum, Leidende in ihrem seelischen Schmerz, körperliche und seelische Krüppel. Und in den Gesichtern erkenne ich Angst und Verzweiflung. Einige haben ihren Mund zum Schrei geöffnet, andere weinen hemmungslos. Und bei genauerem hinsehen stelle ich fest, dass ich so manches Gesicht kenne: jene Frau, die eben die Diagnose Krebs bekommen hat; und jenen Mann auf der Pflegestation, der nur noch sterben will; jenes Kind, das hilflos neben dem Krankenbett ihrer Mutter steht… Und bei ganz genauem Hinsehen….ja, da entdecke ich auch eine Gestalt, die Ähnlichkeit hat mit mir selbst.

Der linke Altarflügel zeigt Krankheit und Leiden. Er erinnert uns alle an die unfassbaren und dunklen Seiten unseres Lebens; daran, dass menschliches Leben immer wieder bedrohtes Leben ist; und auf Heil und Heilung angewiesenes Leben! Mitten hinein in Not und Elend, eingekeilt von der Menge der Verzweifelten ist Jesus gemalt. Und jedem einzelnen wendet er sich in ganz besonderer Weise zu. Er legt seinen Finger bei jedem Menschen auf den wunden Punkt, sein Wort trifft und heilt nicht nur das körperliche Gebrechen, sondern auch die seelische Not, weil Heilung und Heil bei ihm zusammen gehören.

Ganz anders der rechte Altarflügel: Er zeigt einen ganz anderen Jesus. Da sehen wir den predigenden Jesus. Und seine Predigt hat zwei Elemente: Ansage der Gegenwart Gottes, des Kommens seines Reiches, Ansage einer Zeit des Heils und des Neuanfangs! Und, aufs engste damit verbunden: Kampf mit den Dämonen! Auf dem rechten Altarflügel sehen wir Jesus als vollmächtigen Herausforderer im Kampf mit dem Bösen in der Welt. Das Böse ist für ihn keine Bagatelle, er verharmlost nicht die Dämonen, die in unserer Welt das Sagen haben. Im Gegenteil! Er fordert sie heraus! Er kämpft mit ihnen! Deshalb zeigt der rechte Altarflügel keinen sanften Jesus, sondern einen Jesus, der von Widerspruch und Kampf umbrandet ist. Jesus und die bösen Geister kommen nicht friedlich miteinander aus. Er durchschaut die Dämonen, er kennt die bösen Geister, und die wiederum fürchten ihn. Sie wissen, dass mit ihm nicht zu spaßen ist.

Die Bibel erzählt ja von Anfang an, dass dunkle Mächte Menschen in den Bann ziehen können. Dass Dämonen in Dörfer und Städte kommen und einzelne Menschen besetzen, manchmal auch Gruppen; ja, sie können sich sogar ganze Völker gefügig und untertan machen, nur damit einzelne sich einen Namen machen können oder auf Kosten anderer ein gutes Leben führen. Die Bibel kennt das Dämonische im Menschen, die Besessenheiten, die bewirken, dass wir nicht mehr Herr unserer selbst sind, wenn falscher Ehrgeiz oder einfach nur Geiz uns beherrscht, wenn Geltungsgier oder einfach die blanke Gier uns tyrannisiert, wenn Neid, Gleichgültigkeit und rücksichtsloser Egoismus unser Denken und Fühlen und Handeln bestimmen. Die Epistellesung des heutigen Sonntags (Eph 4,22-32) mahnt deshalb mit deutlichen Worten zu einem Lebenswandel, der den Namen „christlich“ auch verdient!

Markus erzählt über die Dämonen drei Dinge: Böse Geister sind erkennbar. Man kann mit ihnen umgehen. Man kann sie auch zum Schweigen bringen. Wissen Sie, warum an mittelalterlichen Kathedralen allerlei gräuliche Drachen und merkwürdiges Getier aus Kirchenmauern und Pfeilern wegstreben? Damit wollten die alten Steinmetze für alle Zeiten zeigen, dass die Kirche ein Ort ist, wo dieser Kampf fortgeführt wird. Kirche ist der Ort, wo Gottes Wort Dämonen austreibt!

Und diesen Kampf kämpft der Christus auch noch heute - in seiner Kirche! Um seine Kirche! Kämpft mit seinen Waffen gegen die Dämonen unserer Zeit und an unserem Ort: kämpft mit dem Geist der Wahrheit für Transparenz der Verhältnisse, für Einsicht und Verstehen; kämpft mit der Kraft der dienenden Liebe gegen Verstockung und Machtmissbrauch; kämpft mit der gewissen Zuversicht, dass – früher oder später – jeder Dämon von ihm, dem Christus, erkannt und gebannt wird.

Aber nun zum Mittelbild unseres dreiteiligen Flügelaltars. Während wir auf den Altarflügeln rechts und links den heilenden oder kämpfenden Christus sehen, von Menschenmassen umgeben, so finden wir im zentralen Mittelbild den Betenden! Dass Jesus immer wieder in die Einsamkeit ging, um zu beten, berichten Markus und auch die anderen Evangelisten wiederholt. Jesus liebte die Stille, er suchte die Zeiten der Sammlung, übte sich immer wieder in der Versenkung des Gebets. Seine Rückzugsorte waren die Wüste oder ein Berg und zuletzt der Garten Gethsemane. Das Mittelbild glänzt von Goldfarbe! Der betende Christus - der ekstatische Mensch, der ganz „außer sich“, ganz frei von sich, ganz bei Gott ist. Und Gott in ihm. Der so das Ebenbild Gottes ist – uns vor Augen gestellt, auf dass wir unserer eigenen Erlösung ansichtig werden.

Wie aber hängen nun diese drei so ganz unterschiedlichen Altarflügel zusammen? Das Bild vom Leiden, das Bild vom Gebet, das Bild vom Kampf? Da erteilt uns der heutige Predigttext eine sehr schmerzliche Lehre. Denn als Jesus in die Einsamkeit ging, um zu beten, ging es ja eben noch um die Frage, was wir im Leben am Nötigsten brauchen. Und sofort würden wir sagen: Hauptsache Gesundheit! Wie auch die Jünger, die ihn suchen und holen wollen und ihm dabei vorwurfsvoll vorhalten: „Verplempere deine Zeit doch nicht mit Beten! So viele kranke Menschen brauchen dich doch!"

Seine Antwort überrascht: „Nein, wir gehen anderswohin, dass ich auch da predige, denn das ist die Hauptsache!" Nicht Gesundheit und die leiblichen Belange sind die Hauptsache. Begreifen wir das? Ist das nicht unterlassene Hilfeleistung, wenn er die Zeit in der überfüllten Sprechstunde nicht verlängert, sondern die Kranken einfach im Stich lässt? Warum macht er nicht erst alle gesund? Oder deutlich gefragt: Warum gibt es auch heute noch so viele Kranke, die umsonst um Heilung bitten? Hätte der Christus nicht sehr viel mehr am Leid dieser Welt ändern können, ja, müssen?

Gesundheit ist nicht die Hauptsache, sagt er stattdessen. Nein! Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes! Darum geht es! Und deshalb zieht er sich immer wieder zurück und übt das Einssein mit Gott im Gebet. Wir können ja einmal weiterfragen: Hätte der Christus alle Krankheiten geheilt, wäre denn dann auch wirklich alles Leid aus der Welt geschafft? Oder „modern“ gefragt: Würde er uns ewige Jugend schenken, würde wirklich alles besser?

Würde nicht das Leiden, das wir Menschen einander bereiten, ewig so weitergehen?  Aber genau das will er nicht. Er will eben nicht, dass wir immer so weitermachen wie bisher. Es geht Jesus nicht darum, unserem Leben noch ein paar Jahre anzuhängen. Nicht die Verlängerung des Lebens ist für Jesus die Hauptsache, sondern ein neues Leben, ein erneuertes Leben angesichts der gnädigen Zuwendung Gottes hier und jetzt. Der Christus will ein erfülltes, ein gotterfülltes Leben. Oder mit den Worten des Kirchenvaters Augustin: „Wenn ihr betet, so sollt ihr von Gott nichts anderes erflehen als Gott selbst. Betet um Gott, um seinen Geist, um sein Reich, um die Erfüllung seines Willens in unserem Leben und im Leben der ganzen Welt! Bittet Gott, dass er in eurer Seele und in der ganzen Welt herrsche!“ Darauf kann man nur noch sagen: Amen!

Pfarrer Rudolf Koller   (Hospitalkirche Hof)

Text:

32 Am Abend aber, als die Sonne untergegangen war, brachten sie zu ihm alle Kranken und Besessenen.
33 Und die ganze Stadt war versammelt vor der Tür.
34 Und er half vielen Kranken, die mit mancherlei Gebrechen beladen waren, und trieb viele böse Geister aus und ließ die Geister nicht reden; denn sie kannten ihn.
35 Und am Morgen, noch vor Tage, stand er auf und ging hinaus. Und er ging an eine einsame Stätte und betete dort.
36 Simon aber und die bei ihm waren, eilten ihm nach.
37 Und als sie ihn fanden, sprachen sie zu ihm: Jedermann sucht dich.
38 Und er sprach zu ihnen: Lasst uns anderswohin gehen, in die nächsten Städte, dass ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen.
39 Und er kam und predigte in ihren Synagogen in ganz Galiläa und trieb die bösen Geister aus.
 


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