Liebe Leser,
können Sie sich die eben gehörte Geschichte als Bild vorstellen?
Mich hat sie dazu inspiriert, in Gedanken ein Altarbild zu malen,
ähnlich wie die Maler des Mittelalters – genauer gesagt drei Bilder,
ähnlich dem Flügelaltar (hier) in der Hospitalkirche: eins in der
Mitte und je eines links und rechts.
Der linke Altarflügel ist in dunklen
Farben gehalten, Lila die Farbe, die immer wieder auftaucht und in
ihrer Farbsymbolik unterstreicht, was zu sehen ist: eine unendliche
Schar leidender Menschen! Das ganze Elend dieser Welt ist da hinein
gemalt und alle Zerbrechlichkeit des Lebens: Kranke in ihrem
körperlichen Siechtum, Leidende in ihrem seelischen Schmerz,
körperliche und seelische Krüppel. Und in den Gesichtern erkenne ich
Angst und Verzweiflung. Einige haben ihren Mund zum Schrei geöffnet,
andere weinen hemmungslos. Und bei genauerem hinsehen stelle ich
fest, dass ich so manches Gesicht kenne: jene Frau, die eben die
Diagnose Krebs bekommen hat; und jenen Mann auf der Pflegestation,
der nur noch sterben will; jenes Kind, das hilflos neben dem
Krankenbett ihrer Mutter steht… Und bei ganz genauem Hinsehen….ja,
da entdecke ich auch eine Gestalt, die Ähnlichkeit hat mit mir
selbst.
Der linke Altarflügel zeigt Krankheit und Leiden. Er erinnert uns
alle an die unfassbaren und dunklen Seiten unseres Lebens; daran,
dass menschliches Leben immer wieder bedrohtes Leben ist; und auf
Heil und Heilung angewiesenes Leben! Mitten hinein in Not und Elend,
eingekeilt von der Menge der Verzweifelten ist Jesus gemalt. Und
jedem einzelnen wendet er sich in ganz besonderer Weise zu. Er legt
seinen Finger bei jedem Menschen auf den wunden Punkt, sein Wort
trifft und heilt nicht nur das körperliche Gebrechen, sondern auch
die seelische Not, weil Heilung und Heil bei ihm zusammen gehören.
Ganz anders der rechte Altarflügel: Er
zeigt einen ganz anderen Jesus. Da sehen wir den predigenden Jesus.
Und seine Predigt hat zwei Elemente: Ansage der Gegenwart Gottes,
des Kommens seines Reiches, Ansage einer Zeit des Heils und des
Neuanfangs! Und, aufs engste damit verbunden: Kampf mit den Dämonen!
Auf dem rechten Altarflügel sehen wir Jesus als vollmächtigen
Herausforderer im Kampf mit dem Bösen in der Welt. Das Böse ist für
ihn keine Bagatelle, er verharmlost nicht die Dämonen, die in
unserer Welt das Sagen haben. Im Gegenteil! Er fordert sie heraus!
Er kämpft mit ihnen! Deshalb zeigt der rechte Altarflügel keinen
sanften Jesus, sondern einen Jesus, der von Widerspruch und Kampf
umbrandet ist. Jesus und die bösen Geister kommen nicht friedlich
miteinander aus. Er durchschaut die Dämonen, er kennt die bösen
Geister, und die wiederum fürchten ihn. Sie wissen, dass mit ihm
nicht zu spaßen ist.
Die Bibel erzählt ja von Anfang an, dass dunkle Mächte Menschen in
den Bann ziehen können. Dass Dämonen in Dörfer und Städte kommen und
einzelne Menschen besetzen, manchmal auch Gruppen; ja, sie können
sich sogar ganze Völker gefügig und untertan machen, nur damit
einzelne sich einen Namen machen können oder auf Kosten anderer ein
gutes Leben führen. Die Bibel kennt das Dämonische im Menschen, die
Besessenheiten, die bewirken, dass wir nicht mehr Herr unserer
selbst sind, wenn falscher Ehrgeiz oder einfach nur Geiz uns
beherrscht, wenn Geltungsgier oder einfach die blanke Gier uns
tyrannisiert, wenn Neid, Gleichgültigkeit und rücksichtsloser
Egoismus unser Denken und Fühlen und Handeln bestimmen. Die
Epistellesung des heutigen Sonntags (Eph 4,22-32) mahnt deshalb mit
deutlichen Worten zu einem Lebenswandel, der den Namen „christlich“
auch verdient!
Markus erzählt über die Dämonen drei Dinge: Böse Geister sind
erkennbar. Man kann mit ihnen umgehen. Man kann sie auch zum
Schweigen bringen. Wissen Sie, warum an mittelalterlichen
Kathedralen allerlei gräuliche Drachen und merkwürdiges Getier aus
Kirchenmauern und Pfeilern wegstreben? Damit wollten die alten
Steinmetze für alle Zeiten zeigen, dass die Kirche ein Ort ist, wo
dieser Kampf fortgeführt wird. Kirche ist der Ort, wo Gottes Wort
Dämonen austreibt!
Und diesen Kampf kämpft der Christus auch noch heute - in seiner
Kirche! Um seine Kirche! Kämpft mit seinen Waffen gegen die Dämonen
unserer Zeit und an unserem Ort: kämpft mit dem Geist der Wahrheit
für Transparenz der Verhältnisse, für Einsicht und Verstehen; kämpft
mit der Kraft der dienenden Liebe gegen Verstockung und
Machtmissbrauch; kämpft mit der gewissen Zuversicht, dass – früher
oder später – jeder Dämon von ihm, dem Christus, erkannt und gebannt
wird.
Aber nun zum Mittelbild unseres dreiteiligen
Flügelaltars. Während wir auf den Altarflügeln rechts und
links den heilenden oder kämpfenden Christus sehen, von
Menschenmassen umgeben, so finden wir im zentralen Mittelbild den
Betenden! Dass Jesus immer wieder in die Einsamkeit ging, um zu
beten, berichten Markus und auch die anderen Evangelisten
wiederholt. Jesus liebte die Stille, er suchte die Zeiten der
Sammlung, übte sich immer wieder in der Versenkung des Gebets. Seine
Rückzugsorte waren die Wüste oder ein Berg und zuletzt der Garten
Gethsemane. Das Mittelbild glänzt von Goldfarbe! Der betende
Christus - der ekstatische Mensch, der ganz „außer sich“, ganz frei
von sich, ganz bei Gott ist. Und Gott in ihm. Der so das Ebenbild
Gottes ist – uns vor Augen gestellt, auf dass wir unserer eigenen
Erlösung ansichtig werden.
Wie aber hängen nun diese drei so ganz
unterschiedlichen Altarflügel zusammen? Das Bild vom Leiden,
das Bild vom Gebet, das Bild vom Kampf? Da erteilt uns der heutige
Predigttext eine sehr schmerzliche Lehre. Denn als Jesus in die
Einsamkeit ging, um zu beten, ging es ja eben noch um die Frage, was
wir im Leben am Nötigsten brauchen. Und sofort würden wir sagen:
Hauptsache Gesundheit! Wie auch die Jünger, die ihn suchen und holen
wollen und ihm dabei vorwurfsvoll vorhalten: „Verplempere deine Zeit
doch nicht mit Beten! So viele kranke Menschen brauchen dich doch!"
Seine Antwort überrascht: „Nein, wir gehen anderswohin, dass ich
auch da predige, denn das ist die Hauptsache!" Nicht Gesundheit und
die leiblichen Belange sind die Hauptsache. Begreifen wir das? Ist
das nicht unterlassene Hilfeleistung, wenn er die Zeit in der
überfüllten Sprechstunde nicht verlängert, sondern die Kranken
einfach im Stich lässt? Warum macht er nicht erst alle gesund? Oder
deutlich gefragt: Warum gibt es auch heute noch so viele Kranke, die
umsonst um Heilung bitten? Hätte der Christus nicht sehr viel mehr
am Leid dieser Welt ändern können, ja, müssen?
Gesundheit ist nicht die Hauptsache, sagt er stattdessen. Nein!
Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes! Darum geht es! Und deshalb
zieht er sich immer wieder zurück und übt das Einssein mit Gott im
Gebet. Wir können ja einmal weiterfragen: Hätte der Christus alle
Krankheiten geheilt, wäre denn dann auch wirklich alles Leid aus der
Welt geschafft? Oder „modern“ gefragt: Würde er uns ewige Jugend
schenken, würde wirklich alles besser?
Würde nicht das Leiden, das wir Menschen einander bereiten, ewig so
weitergehen? Aber genau das will er nicht. Er will eben nicht,
dass wir immer so weitermachen wie bisher. Es geht Jesus nicht
darum, unserem Leben noch ein paar Jahre anzuhängen. Nicht die
Verlängerung des Lebens ist für Jesus die Hauptsache, sondern ein
neues Leben, ein erneuertes Leben angesichts der gnädigen Zuwendung
Gottes hier und jetzt. Der Christus will ein erfülltes, ein
gotterfülltes Leben. Oder mit den Worten des Kirchenvaters Augustin:
„Wenn ihr betet, so sollt ihr von Gott nichts anderes erflehen als
Gott selbst. Betet um Gott, um seinen Geist, um sein Reich, um die
Erfüllung seines Willens in unserem Leben und im Leben der ganzen
Welt! Bittet Gott, dass er in eurer Seele und in der ganzen Welt
herrsche!“ Darauf kann man nur noch sagen: Amen!
Pfarrer Rudolf Koller
(Hospitalkirche
Hof) |
Text:
32 Am Abend aber, als die Sonne
untergegangen war, brachten sie zu ihm alle Kranken und Besessenen.
33 Und die ganze Stadt war versammelt vor der Tür.
34 Und er half vielen Kranken, die mit mancherlei Gebrechen beladen
waren, und trieb viele böse Geister aus und ließ die Geister nicht
reden; denn sie kannten ihn.
35 Und am Morgen, noch vor Tage, stand er auf und ging hinaus. Und
er ging an eine einsame Stätte und betete dort.
36 Simon aber und die bei ihm waren, eilten ihm nach.
37 Und als sie ihn fanden, sprachen sie zu ihm: Jedermann sucht
dich.
38 Und er sprach zu ihnen: Lasst uns anderswohin gehen, in die
nächsten Städte, dass ich auch dort predige; denn dazu bin ich
gekommen.
39 Und er kam und predigte in ihren Synagogen in ganz Galiläa und
trieb die bösen Geister aus.
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