Liebe Leser,
fühlen Sie sich eigentlich wohl in Ihrer Haut? Oder ist Ihnen eher
zum aus der Haut fahren? Die Haut ist medizinisch gesehen das größte
Organ des Menschen. Es bildet sozusagen unsere Oberfläche. Es ist
das, was von uns zu sehen ist. Haut ist unsere Erscheinung. Haut ist
empfindlich für Schmerz und Berührung, für Hitze und Kälte. Haut ist
das, was uns mit unserer Außenwelt verbindet und mit dem anderen
Menschen. Unter die Haut gehen uns Dinge und Erlebnisse nur im
übertragenen Sinne. Etwas besonders Schönes oder Schlimmes, etwas,
was uns besonders bewegt. Mancher ist da dünnhäutig, ein anderer hat
ein dickes Fell.
Immer aber zeigt die Haut etwas von den Dingen, die von außen oder
von innen auf uns einwirken. Krankheiten können die Haut befallen.
Gifte, die von innen oder außen auf uns einwirken, machen die Haut
krank. Sie kann allergisch reagieren nicht nur auf verschiedene
Stoffe unserer Umwelt und Nahrung. Unsere Haut kann auf Stress
reagieren, auf seelische Belastungen und Probleme, auf innere Not.
Haut kann so viel von uns erzählen und verraten. Wenn wir sie schon
zu Markte tragen müssen, dann versuchen wir unsere Haut im besten
Licht erscheinen zu lassen.
Deshalb geben nicht nur Frauen jedes Jahr Milliarden aus für die
Pflege ihrer Haut. Und schon für den Jugendlichen gilt, dass die
besten Pickel die sind, die man gar nicht erst hat. Und wenn der
Makel der Haut schon nicht weggeht, dann kann er zumindest versteckt
werden unter Puder und Schminke. Gesunde Haut signalisiert einen
gesunden und somit liebenswerten Menschen. Weshalb man eine ehrliche
Haut auf Fotos in Zeitschriften so gut wie nie zu Gesicht bekommt.
Computerprogramme zur Bildbearbeitung haben heute alle raffinierte
Methoden zur Hautverschönerung.
Aber wie geht es uns, wenn uns ein Mensch nahekommt, der einen
offensichtlichen Makel seiner Haut an sich herumträgt. Zucken wir
nicht unwillkürlich zurück? Erschrecken wir nicht? Möchten wir ihn
vielleicht berühren und anfassen? So ging es den Aussätzigen zur
Zeit Jesu.
Aussatz, das musste nicht jene schlimme und ansteckende Lepra sein,
die einen Menschen furchtbar verunstalten kann. Aussatz, das konnte
alles Mögliche sein, was die Haut eines Menschen entstellt. So
entstellt, dass er nicht mehr liebenswert war, dass man ihm nicht
mehr nahekommen wollte, dass er für das Leben in der Gemeinschaft
nicht mehr tragbar war. Solche Menschen wurden ausgestoßen. Sie
mussten außerhalb der Dörfer leben. Man stellte ihnen Essen hin,
dass sie erst holen durften, wenn der Lieferant weg war. Kam einer
zu nah, durfte man ihn mit Steinwürfen vertreiben. Nicht dass von
seinem Makel an einem selbst etwas hängenbleibt.
Haben wir nicht schon selbst einmal so gedacht? Nein, Steine werfen
ist Gott sei Dank immer verboten. Aber es gibt ja unzählige legale
Methoden der Ausgrenzung. Man kann sich ja zurückziehen, einem
solchen Menschen aus dem Weg gehen, nicht mit ihm reden, ihn nicht
ansehen, sich nicht von ihm einladen lassen, einfach nicht hingehen.
Wer wollte uns zum Gegenteil zwingen? Wer wollte uns tadeln?
Vielleicht der Pfarrer von der Kanzel?
Nein, der Pfarrer von der Kanzel tadelt euch nicht. Dem geht es wie
euch. Wirklich lieben können wir Menschen nur, was uns auf die eine
oder andere Weise liebenswert erscheint. Der uns nicht liebenswert
erscheint, den können wir aushalten oder ertragen - das ist ja auch
schon was - aber wirklich lieben? Die Forderung es dennoch zu tun,
wäre eine Aufforderung zur Heuchelei, und die gibt es auch in der
Kirche schon genug. Wirklich lieben können wir nur, was uns
liebenswert erscheint. So ist das nun mal. Alles andere wäre
gelogen.
Gottes Liebe kann mehr. Und das ist nicht gelogen. Jesus zeigt es in
unserer Geschichte, die darum viel mehr ist, als eine
Wundergeschichte. Was Jesus an dem Aussätzigen tut, ist eine
zeichenhafte Predigt von der Liebe Gottes und darüber, was diese
Liebe vermag.
Wir haben den Aussätzigen vor Augen, der allen Grund hat, sich nicht
wohlzufühlen in seiner Haut, der seinen äußeren und vielleicht auch
inneren Makel so mit sich herumtragen muss, das ihn jeder sieht. Als
Mensch ist er für andere unliebsam geworden, nicht mehr liebenswert.
Wir hören und sehen, wie Jesus den Abstand verringert, den jeder von
uns halten würde. Wie Jesus diesen Abstand ganz klein macht, wie er
den Aussätzigen berührt, anfasst - nicht wie der Arzt seinen
Patienten mit Latexhandschuhen vielleicht - sondern wie einen
Menschen, mit dem man vertrauten Umgang pflegt. Und alsbald ging der
Aussatz von ihm und er war rein. Vor uns steht ein Mensch, vor dem
keiner mehr erschrecken muss, keiner mehr einen Schritt zurück
machen muss, ein Mensch, der sich wieder wohlfühlen darf in seiner
Haut. Ein Mensch der wieder liebenswert geworden ist.
Wir können nur wirklich lieben, was uns liebenswert erscheint. Die
Liebe Gottes kann mehr. Sie kann den, den sie liebt, erst einmal
liebenswert machen. So hat es der Aussätzige erlebt. Das ist das
Evangelium für den heutigen Sonntag. Gottes Liebe zu uns hängt nicht
daran, wie liebenswert wir ihm erscheinen. Gottes Liebe macht uns zu
liebenswerten Menschen, zu Menschen, die ihm gefallen. Und sie kann
dabei richtig wütend zu Werke gehen. Es jammerte Jesus heißt es in
der Lutherübersetzung. Andere Handschriften erzählen: Und Jesus
wurde zornig. Wenn Gott etwas auf die Palme bringt, dann es ist der
ungeliebte und deshalb ausgegrenzte Mensch.
Und deshalb sollten wir Gott gegenüber das Makeup in der Schublade
lassen. Gott sieht ja sowieso hinter die Schminke und selbst unter
die Haut. Er weiß um verborgene Schuld und innere Not, auch wenn sie
keinen Ausschlag auf der Haut macht. Er weiß um Hässlichkeiten, auch
wenn sie uns äußerlich nicht hässlich machen. Er weiß um den Tod
unter der Maske des blühenden Lebens. Um die Kälte hinter lächelnden
Lippen. Um die elende Herzenskälte hinter so mancher Geste der
Zuwendung und Betroffenheit. Im Angesicht des Christus zählt die
ehrliche Haut.
Mensch, hör also auf, an deiner eigenen Liebenswürdigkeit zu
basteln. Hör auf, ängstlich zu verstecken, was dich innerlich und
äußerlich krank macht und abstoßend. Nimm wahr, dass Jesus seine
Hand ausstreckt, um dir liebevoll nahe zu sein. Der kann dich trotz
allem liebenswert machen. Lass dir an seiner Gnade genügen, denn
seine Kraft ist in dir Schwachem mächtig. (2. Kor. 12/9) Martin
Luther hat daraus wie immer haarscharf gefolgert: Das christliche
Leben ist nicht fromm sein, sondern fromm werden, nicht gesund sein,
sondern gesund werden, nicht sein, sondern werden, nicht Ruhe,
sondern Übung. Wir sind‘s noch nicht wir werden‘s aber. Es ist nicht
das Ende, es ist aber der Weg.
Ob der Geheilte in unserer Geschichte dieses Evangelium begriffen
hat? Warum sonst bedroht Jesus ihn und verbietet ihm, es
herumzuerzählen. Schickt Jesus ihn erst einmal zum Nachdenken? Das
ist freilich viel verlangt von einem, dem der Mund übergeht, weil
sein Herz voll ist. Dennoch scheint zu gelten: Nicht jedes
Glaubenszeugnis bringt das Evangelium so zur Geltung, wie Jesus das
gerne möchte. Und nicht jede wunderbare Heilung bringt den Geheilten
auf den Weg, auf dem Jesus ihn haben möchte. Das sei denen gesagt,
die meinen, die beste Werbung für das Evangelium sei die größte
Veranstaltung, das unglaublichste Zeugnis und die sensationellste
Heilung. Das sei aber auch denen gesagt, die aus einer solchen
Geschichte eine Anleitung zu mehr Mitmenschlichkeit und Diakonie
machen möchten und mit dem Appell schließen, man möge es doch
zukünftig so wie Jesus machen. Da ist die Enttäuschung, die
Überforderung und das Scheitern vorprogrammiert. Wie machtvoll der
Trost der Berührung auch sein mag - wir sollten festhalten, lieber
Bruder Benedikt: Der Christus heilt, nicht wir und auch nicht die
Kirche. Der Christus ist Gottes größtes Geschenk an uns, nicht die
Kirche.
Tragen wir dafür Sorge, dass wir in der Kirche dem Christus in Wort
und Sakrament hautnah begegnen und sagen wir mit Luther
bescheiden: Es glüht und glänzt noch nicht alles. Es bessert sich
aber alles. Der Liebe Gottes ist alles zuzutrauen.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
40 Und es kam zu ihm ein Aussätziger, der
bat ihn, kniete nieder und sprach zu ihm: Willst du, so kannst du
mich reinigen.
41 Und es jammerte ihn und er streckte die Hand aus, rührte ihn an
und sprach zu ihm: Ich will's tun; sei rein!
42 Und sogleich wich der Aussatz von ihm und er wurde rein.
43 Und Jesus drohte ihm und trieb ihn alsbald von sich
44 und sprach zu ihm: Sieh zu, dass du niemandem etwas sagst;
sondern geh hin und zeige dich dem Priester und opfere für deine
Reinigung, was Mose geboten hat, ihnen zum Zeugnis.
45 Er aber ging fort und fing an, viel davon zu reden und die
Geschichte bekannt zu machen, sodass Jesus hinfort nicht mehr
öffentlich in eine Stadt gehen konnte; sondern er war draußen an
einsamen Orten; doch sie kamen zu ihm von allen Enden.
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