Predigt    Markus 4/26-29    Sexagesimä (60 Tage vor Ostern)    19.02.17

"Abwarten und Biertrinken"
(Von Pfr. Johannes Taig, Hospitalkirche Hof)
 

Liebe Leser,

und die Kirchenleitung sprach: Mit der evangelischen Kirche ist es so, wie wenn ein Mensch Same aufs Land wirft. Und da wäre es ein Jammer und unverantwortliche Faulheit, wenn dieser Mensch nur schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst und er weiß nicht wie. Da soll er es doch lieber herausfinden und wir helfen ihm dabei. Wir nehmen Bodenproben, um das Umfeld genau zu untersuchen. Wir schauen uns die Lebewesen auf diesem Boden an, um zu erfahren, was sie - und wie sie es am liebsten haben. Wir achten darauf, dass die Samenkörner auch überall gleichmäßig verteilt werden und die Sästruktur stimmt. Wir streichen die Samenkörner mal grün, mal gelb, mal lila an und schauen, mit welcher Farbe sie am besten aufgehen. Wir laden die Presse ein und halten die Körner in die Kamera und sagen aller Welt: Achtung, wir säen jetzt und das wird ganz toll. Dafür werden wir schon sorgen. Dafür werden wir uns Arme und Beine ausreißen und Himmel und Hölle in Bewegung setzen. Denn das haben wir von der Wirtschaft gelernt: Von nichts kommt nichts und von selber passiert nichts. Der Markt ist hart umkämpft und wir bezahlen keinen fürs Schlafen und Aufstehen und dumm Rumstehen. Daher werden wir beraten, anbinden, umpflanzen und leiten, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. Und wenn wir Frucht gebracht haben, laden wir die Presse wieder ein, damit es alle Welt sehen kann: Wir haben gute Arbeit geleistet und uns für höhere Aufgaben empfohlen. Unsere Kirche ist die Beste.

Der Theologe Walter Schöpsdau zum Thema: „Im Unterschied zur Kirche im Exzess, die vergisst, dass Christus der - auch ihr gegenüber - frei handelnde und redende Herr ist, ist das Problem der Kirche im Defekt, dass sie nicht damit rechnet, dass ihr Herr auch der Lebendige ist. Und so ist sie ihrer selbst nur halb gewiss und wagt sich nur schüchtern zu ihrem Auftrag zu bekennen. Wohl schaut auch sie auf Christus, aber nicht ohne den Nebengedanken, ob er am Ende eine bloße Idee, ein Mythos, ein Stück Vergangenheit sein möchte, dem sie selbst dann zum Leben verhelfen müsste: durch ihre kluge Theologie, ihre liturgische (und spirituelle) Kompetenz oder ihre soziale Aktion. Und da zeigt sich plötzlich die Kirche im Defekt als selbstgewisse Kirche im Exzess, die Christi Sache selbst führen zu können meint, wie umgekehrt hinter der Kirche im Exzess auch die kleinmütige Kirche im Defekt zu ahnen ist, der es an österlicher Getrostheit fehlt.“ (ders. „Protestantisches Profil“, Pfälzisches Pfarrerblatt, www.pfarrerblatt.de/text_50.htm)

Defekt und Exzess der Kirche sind also sehr verwandte Zustände und oft ist die Versuchung groß, das eine Übel mit dem anderen zu heilen. Wir ahnen, dass davon die Kirche nicht gesund wird. Lassen wir also das Gleichnis Jesu, wie es ist: Kritisch gegen eine Kirche im Exzess, die sich an die Stelle Christi setzt und kritisch gegen eine Kirche im Defekt, die Christus nichts mehr zutraut und ihrerseits in den Exzess flieht: Kirche ist machbar, Herr Nachbar!

Pustekuchen!, sagt das Gleichnis Jesu. Pustekuchen ist alles, was dabei herauskommt. Kirche? Von wegen! Reich Gottes? Von wegen! Eine Kirche, die sich nach Katastrophen hinstellt und die Welt immer wieder darüber belehrt, hier würden „die Allmachtsvorstellungen des modernen Menschen (…) in ihre Schranken gewiesen“ (Wolfgang Huber), sollte die Glaubwürdigkeit einer solchen Lehre auch dadurch steigern, dass sie sie für sich selber ernst nimmt. Eine Kirche, die öffentlich laut gegen den überheblichen Eingriff des Menschen in die natürlichen Wachstumsprozesse des Lebens durch Gentechnik protestiert, wird nicht glaubwürdiger, wenn sie jeden Eingriff in die geistlichen Wachstumsprozesse der eigenen Kirche und Gemeinde durch Beratungs- und Soziotechnik als Evangelium begrüßt.

Wer behauptet, das eine habe nichts mit dem anderen zu tun, den straft das Gleichnis Jesu Lügen. Jesus besteht darauf, das geistliche Wachstumsprozesse, das Kommen des Himmelreichs und natürliche Wachstumsprozesse sehr viel miteinander zu tun haben. Beide leben auch davon, dass etwas nicht gewusst wird, nicht machbar und nicht verfügbar ist. Tabu nennt man das. Es hat seinen guten Sinn. Es heißt, der Tausendfüßler kann so lange problemlos laufen, bis ihn jemand fragt, welchen Fuß er zuerst vorsetzt. Es leuchtet jedem ein, dass der Bauer, der nach der Saat ständig in seinem Acker herumtrampelt und versucht seine Sämlinge etwas schneller aus dem Boden zu ziehen, eine der wirksamsten Methoden kennt, seine Ernte zu ruinieren. In der Zeit des Keimens und Wachsens hat er auf dem Acker nichts verloren.

Der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie. „Denn das ‚Wie’ steckt verborgen im Ackerfeld, und es will herauskommen, ohne das wir es herausbekommen. (…) Auf einmal ist es geschehen. Auch wenn wir dabei im Spiele sind, höchstpersönlich – wir wissen nicht wie. (…) Wir wachsen zu Gottes Frucht heran, wachsen dabei möglicherweise auch über uns hinaus – wie, wissen wir nicht.“ (Gerhard Sauter, in GPM 4, 1998, Jahrg. 53, Heft 1, S.127f.)

Womit wir beim Evangelium dieses Gleichnisses wären. Es entlastet von falschen Ansprüchen an einander und an uns selbst. Ja bitte, wir sind es doch oft selbst, die sich und andere in den Exzess oder in den Defekt treiben durch solche falschen Ansprüche. Da sitzt einer keck in der Runde und räsoniert darüber, was seine Kirche, seine Mitarbeiter und seine Mitchristen noch alles machen und sein sollten, damit man sie akzeptabel finden kann. Und die so Beanspruchten erbleichen und legen los. Denn akzeptabel wollen sie gerne sein.

Dagegen müssen wir sagen: Wir glauben, dass wir nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus unseren Herrn glauben oder zu ihm kommen können, sondern der Heilige Geist hat uns durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet und im rechten Glauben geheiligt und erhalten (Luthers Auslegung zum 3. Glaubensartikel). Wann die Zeit dafür da ist, dass solches geschieht, liegt nicht in unserer Hand. Hier haben wir es mit Wachstumsprozessen zu tun, bei denen wir das Evangelium säen und Anfänge sehen können, aber dass etwas wächst, kann nicht gemacht werden - so wie in der Natur nicht wir bestimmen, wann etwas zu wachsen und zu reifen hat. Alles hat seine Zeit.

Da darf natürlich Luthers Spruch aus der 2. Invokavit-Predigt vom Abwarten und Biertrinken nicht fehlen: „Ich bin dem Ablass und allen Papisten entgegen gewesen, aber mit keiner Gewalt, ich habe allein Gottes Wort getrieben, gepredigt und geschrieben, sonst habe ich nichts getan. Das hat, wenn ich geschlafen habe, wenn ich wittenbergisch Bier mit meinem Philippus und Amsdorf getrunken habe, so viel getan, dass das Papsttum schwach geworden ist, dass ihm noch kein Fürst noch Kaiser so viel abgebrochen hat. Ich hab nichts getan, das Wort hat alles gehandelt und ausgerichtet.“ (zitiert nach Gerhard Sauter, aaO., S.123)

Hier ist beides geistlich getan: Den Acker bestellen und säen und abwarten und Bier trinken. Alles hat seine Zeit: Die Erweckungsbewegungen und Aufbrüche in der Kirche und die Zeiten, in denen man auf die Kartoffeln im Keller und das Eingemachte zurückgreifen muss. Eine Kirche, die in jeder ihrer Jahreszeiten gleich blühen und ernten will, begibt sich zwangsläufig in Exzess und Defekt, genau so wie eine Landwirtschaft, die Erdbeeren auch im Winter ernten will. Das tut sie heute auch mit großem und zweifelhaften Aufwand an Energie und Technik. Aber wir alle kennen das Problem: Diese Früchte schmecken meistens nach gar nichts.

Das muss man auch von manchem in der Kirche sagen. Von einer Kirche, die ihrem Herrn nicht mehr viel zutraut und sich dafür viel zu viel. Sie darf mit uns an die Verheißung erinnert werden: Wer das Feld bestellen und Abwarten und Biertrinken kann, der wird nicht leer ausgehen. Die Ernte wird kommen, wieder und wieder. Gott wird dafür sorgen. Und das lasst uns fröhlich erwarten.

Pfarrer Johannes Taig    (Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter www.kanzelgruss.de)

Text: 

26 Und er (Jesus) sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft
27 und schläft und steht auf, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst - er weiß nicht wie.
28 Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre.
29 Wenn aber die Frucht reif ist, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.
 


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