Liebe Leser,
und die Kirchenleitung sprach: Mit der evangelischen Kirche ist es
so, wie wenn ein Mensch Same aufs Land wirft. Und da wäre es ein Jammer
und unverantwortliche Faulheit, wenn dieser Mensch nur schläft und
aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst und er weiß
nicht wie. Da soll er es doch lieber herausfinden und wir helfen ihm
dabei. Wir nehmen Bodenproben, um das Umfeld genau zu untersuchen. Wir
schauen uns die Lebewesen auf diesem Boden an, um zu erfahren, was sie -
und wie sie es am liebsten haben. Wir achten darauf, dass die
Samenkörner auch überall gleichmäßig verteilt werden und die Sästruktur
stimmt. Wir streichen die Samenkörner mal grün, mal gelb, mal lila an
und schauen, mit welcher Farbe sie am besten aufgehen. Wir laden die
Presse ein und halten die Körner in die Kamera und sagen aller Welt:
Achtung, wir säen jetzt und das wird ganz toll. Dafür werden wir schon
sorgen. Dafür werden wir uns Arme und Beine ausreißen und Himmel und
Hölle in Bewegung setzen. Denn das haben wir von der Wirtschaft gelernt:
Von nichts kommt nichts und von selber passiert nichts. Der Markt ist
hart umkämpft und wir bezahlen keinen fürs Schlafen und Aufstehen und
dumm Rumstehen. Daher werden wir beraten, anbinden, umpflanzen und
leiten, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in
der Ähre. Und wenn wir Frucht gebracht haben, laden wir die Presse
wieder ein, damit es alle Welt sehen kann: Wir haben gute Arbeit
geleistet und uns für höhere Aufgaben empfohlen. Unsere Kirche ist die
Beste.
Der Theologe Walter Schöpsdau zum Thema: „Im Unterschied zur Kirche
im Exzess, die vergisst, dass Christus der - auch ihr gegenüber -
frei handelnde und redende Herr ist, ist das Problem der Kirche im
Defekt, dass sie nicht damit rechnet, dass ihr Herr auch der
Lebendige ist. Und so ist sie ihrer selbst nur halb gewiss und wagt sich
nur schüchtern zu ihrem Auftrag zu bekennen. Wohl schaut auch sie auf
Christus, aber nicht ohne den Nebengedanken, ob er am Ende eine bloße
Idee, ein Mythos, ein Stück Vergangenheit sein möchte, dem sie selbst
dann zum Leben verhelfen müsste: durch ihre kluge Theologie, ihre
liturgische (und spirituelle) Kompetenz oder ihre soziale Aktion. Und da
zeigt sich plötzlich die Kirche im Defekt als selbstgewisse
Kirche im Exzess, die Christi Sache selbst führen zu können meint,
wie umgekehrt hinter der Kirche im Exzess auch die kleinmütige
Kirche im Defekt zu ahnen ist, der es an österlicher Getrostheit
fehlt.“ (ders. „Protestantisches Profil“, Pfälzisches Pfarrerblatt,
www.pfarrerblatt.de/text_50.htm)
Defekt und Exzess der Kirche sind also sehr verwandte Zustände und oft
ist die Versuchung groß, das eine Übel mit dem anderen zu heilen. Wir
ahnen, dass davon die Kirche nicht gesund wird. Lassen wir also das
Gleichnis Jesu, wie es ist: Kritisch gegen eine Kirche im Exzess, die
sich an die Stelle Christi setzt und kritisch gegen eine Kirche im
Defekt, die Christus nichts mehr zutraut und ihrerseits in den Exzess
flieht: Kirche ist machbar, Herr Nachbar!
Pustekuchen!, sagt das Gleichnis Jesu. Pustekuchen ist alles, was dabei
herauskommt. Kirche? Von wegen! Reich Gottes? Von wegen! Eine Kirche,
die sich nach Katastrophen hinstellt und die Welt immer wieder darüber
belehrt, hier würden „die Allmachtsvorstellungen des modernen Menschen
(…) in ihre Schranken gewiesen“ (Wolfgang Huber), sollte die
Glaubwürdigkeit einer solchen Lehre auch dadurch steigern, dass sie sie
für sich selber ernst nimmt. Eine Kirche, die öffentlich laut gegen den
überheblichen Eingriff des Menschen in die natürlichen Wachstumsprozesse
des Lebens durch Gentechnik protestiert, wird nicht glaubwürdiger, wenn
sie jeden Eingriff in die geistlichen Wachstumsprozesse der eigenen
Kirche und Gemeinde durch Beratungs- und Soziotechnik als Evangelium
begrüßt.
Wer behauptet, das eine habe nichts mit dem anderen zu tun, den straft
das Gleichnis Jesu Lügen. Jesus besteht darauf, das geistliche
Wachstumsprozesse, das Kommen des Himmelreichs und natürliche
Wachstumsprozesse sehr viel miteinander zu tun haben. Beide leben auch
davon, dass etwas nicht gewusst wird, nicht machbar und nicht verfügbar
ist. Tabu nennt man das. Es hat seinen guten Sinn. Es heißt, der
Tausendfüßler kann so lange problemlos laufen, bis ihn jemand fragt,
welchen Fuß er zuerst vorsetzt. Es leuchtet jedem ein, dass der Bauer,
der nach der Saat ständig in seinem Acker herumtrampelt und versucht
seine Sämlinge etwas schneller aus dem Boden zu ziehen, eine der
wirksamsten Methoden kennt, seine Ernte zu ruinieren. In der Zeit des
Keimens und Wachsens hat er auf dem Acker nichts verloren.
Der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie. „Denn das ‚Wie’ steckt
verborgen im Ackerfeld, und es will herauskommen, ohne das wir es
herausbekommen. (…) Auf einmal ist es geschehen. Auch wenn wir dabei im
Spiele sind, höchstpersönlich – wir wissen nicht wie. (…) Wir wachsen zu
Gottes Frucht heran, wachsen dabei möglicherweise auch über uns hinaus –
wie, wissen wir nicht.“ (Gerhard Sauter, in GPM 4, 1998, Jahrg. 53, Heft
1, S.127f.)
Womit wir beim Evangelium dieses Gleichnisses wären. Es entlastet von
falschen Ansprüchen an einander und an uns selbst. Ja bitte, wir sind es
doch oft selbst, die sich und andere in den Exzess oder in den Defekt
treiben durch solche falschen Ansprüche. Da sitzt einer keck in der
Runde und räsoniert darüber, was seine Kirche, seine Mitarbeiter und
seine Mitchristen noch alles machen und sein sollten, damit man sie
akzeptabel finden kann. Und die so Beanspruchten erbleichen und legen
los. Denn akzeptabel wollen sie gerne sein.
Dagegen müssen wir sagen: Wir glauben, dass wir nicht aus eigener
Vernunft noch Kraft an Jesus Christus unseren Herrn glauben oder zu ihm
kommen können, sondern der Heilige Geist hat uns durch das Evangelium
berufen, mit seinen Gaben erleuchtet und im rechten Glauben geheiligt
und erhalten (Luthers Auslegung zum 3. Glaubensartikel). Wann die Zeit
dafür da ist, dass solches geschieht, liegt nicht in unserer Hand. Hier
haben wir es mit Wachstumsprozessen zu tun, bei denen wir das Evangelium
säen und Anfänge sehen können, aber dass etwas wächst, kann nicht
gemacht werden - so wie in der Natur nicht wir bestimmen, wann etwas zu
wachsen und zu reifen hat. Alles hat seine Zeit.
Da darf natürlich Luthers Spruch aus der 2. Invokavit-Predigt vom
Abwarten und Biertrinken nicht fehlen: „Ich bin dem Ablass und allen
Papisten entgegen gewesen, aber mit keiner Gewalt, ich habe allein
Gottes Wort getrieben, gepredigt und geschrieben, sonst habe ich nichts
getan. Das hat, wenn ich geschlafen habe, wenn ich wittenbergisch Bier
mit meinem Philippus und Amsdorf getrunken habe, so viel getan, dass das
Papsttum schwach geworden ist, dass ihm noch kein Fürst noch Kaiser so
viel abgebrochen hat. Ich hab nichts getan, das Wort hat alles gehandelt
und ausgerichtet.“ (zitiert nach Gerhard Sauter, aaO., S.123)
Hier ist beides geistlich getan: Den Acker bestellen und säen und
abwarten und Bier trinken. Alles hat seine Zeit: Die
Erweckungsbewegungen und Aufbrüche in der Kirche und die Zeiten, in
denen man auf die Kartoffeln im Keller und das Eingemachte zurückgreifen
muss. Eine Kirche, die in jeder ihrer Jahreszeiten gleich blühen und
ernten will, begibt sich zwangsläufig in Exzess und Defekt, genau so wie
eine Landwirtschaft, die Erdbeeren auch im Winter ernten will. Das tut
sie heute auch mit großem und zweifelhaften Aufwand an Energie und
Technik. Aber wir alle kennen das Problem: Diese Früchte schmecken
meistens nach gar nichts.
Das muss man auch von manchem in der Kirche sagen. Von einer Kirche, die
ihrem Herrn nicht mehr viel zutraut und sich dafür viel zu viel. Sie
darf mit uns an die Verheißung erinnert werden: Wer das Feld bestellen
und Abwarten und Biertrinken kann, der wird nicht leer ausgehen. Die
Ernte wird kommen, wieder und wieder. Gott wird dafür sorgen. Und das
lasst uns fröhlich erwarten.
Pfarrer Johannes Taig (Hospitalkirche
Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
26 Und er (Jesus) sprach: Mit dem Reich Gottes
ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft
27 und schläft und steht auf, Nacht und Tag; und der Same geht auf und
wächst - er weiß nicht wie.
28 Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre,
danach den vollen Weizen in der Ähre.
29 Wenn aber die Frucht reif ist, so schickt er alsbald die Sichel hin;
denn die Ernte ist da.
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