Liebe Leser, ich stehe bei der Bushaltestelle am Rathaus, in der
ummauerten Einwölbung. Ich unterhalte mich gut. An mir und meinen
Gesprächspartnern kommen viele Leute vorbei, die die Ludwigsstraße
hinauf- und hinuntereilen. Einige runzeln die Stirn, als sie mich
und meine Gesprächspartner sehen. Warum? Ich weiß es nicht. Darf man
sich denn nicht mit zwei Menschen unterhalten, die beide eher alte
Klamotten tragen, von denen einer eine Alkoholfahne hat, und deren
große Rucksäcke zeigen, dass sie kein wirkliches zu Hause haben? Die
Passanten runzeln mit der Stirn – solche Menschen sind ein
Schandfleck für unsere Stadt, die sofort reagiert hat: In diese
Einbuchtung im Rathaus wurden die schönen orangen Zettel geklebt,
die dort ein sich lagern verbieten. Und wer sich mit solchen
Menschen unterhält, der ist in den Augen so mancher braver Bürger
suspekt.
Ich aber unterhalte mich mit ihnen, weil es Menschen wie du und ich
sind, weil mich ihre Geschichte interessiert, weil es ihnen gut tut,
mit jemanden zu reden, der Interesse zeigt, und weil ich als Christ
nicht an den Menschen vorübergehen will, die von vielen an den Rand
gestellt werden. Aber das erregt Anstoß.
Auch das Verhalten Jesu hat Anstoß erregt, und der war noch viel
radikaler: Nicht nur zu den Ausgegrenzten ist er gegangen, er hat
auch die Tische der Geschäftemacher im Tempel umgestoßen und den
kleinen Leuten die Liebe Gottes gebracht. Ein Dorn im Auge war das
den Superfrommen und den Mächtigen, die ihren Einfluss schwinden
sahen, und so wusste Jesus, dass seine Gegner bald härtere Mittel
gegen ihn auffahren würden. Deshalb spricht er: „Der Menschensohn
muss viel leiden und verworfen und getötet werden.“ Den Weg Gottes
hin zu den Menschen, den Weg des Evangeliums zu gehen, das kann
nicht nur Stirnrunzeln, sondern auch Leid und Tod hervorrufen. Das
Evangelium führt uns nicht direkt in die himmlischen Auen, sondern
oft erstmal ins dunkle Tal.
Petrus kann das nicht hören. Ich sehe ihn vor mir, wie er die Hände
abwehrend hebt und Jesus ins Wort fällt: „Ach, hör doch auf, Jesus,
von solchen dunklen Dingen zu sprechen.“ Aber Jesus lässt es damit
nicht gut sein und verschont Petrus nicht mit der Realität des
Schicksals derer, die den Weg des Evangeliums gehen: „Geh weg von
mir Satan!“, schnauzt er Petrus an, „Du meinst nicht, was göttlich
ist, sondern was menschlich ist!“ Satan, das ist der Verführer, der
die Menschen weg vom Weg Gottes bringt. Das typisch Menschliche
verführt, es führt weg von Gott. Typisch menschlich ist, nur auf das
zu blicken, was uns gut tut. Petrus hat einen Schönwetterglauben und
einen Schönwettergott. Ein bisschen heilen, ein bisschen den
Menschen Gutes tun, ein bisschen Seelsorge leisten und Menschen
durch die Predigt innerlich befreien, ja, das tut gut.
Und auch uns tut die geistliche Wellness gut: der Meditative
Wochenschluss entspannt und hilft uns, die Lasten der letzten Woche
abzulegen. Das Mitsingen in den Chören ist Wellness für Herz und
Stimme, der Studienkreis Meister Eckardt erfrischt den Verstand. Und
das ist auch gut so, Gott will auch durch die Kirche uns befreien
und heil machen. Doch daneben gibt es noch die andere Seite des
Evangeliums, die nicht ins Konzept eines Schönwettergottes und
Schönwetterglaubens passt: Das Evangelium erregt auch Anstoß und
führt in die Konfrontation. In die Konfrontation mit dem Stadtrat,
wenn wir als Christen beim Sonntagsschutz nicht lockerlassen: Der
einkaufsfreie Sonntag ist unerlässlich, damit unsere Familien zur
Ruhe kommen, das Soziale in ihnen gestärkt wird, dass eine feste
Zeit für die Gottesbegegnung im Rhythmus der Woche bleibt. Die
Konfrontation kann schließlich zum Segen führen, wenn der Sonntag in
unseren Köpfen und Herzen als dieser Ruhetag wiederentdeckt wird.
Und auch in unserer Kirche herrscht nicht immer schönes Wetter, da
leidet ein Christ unter dem Gegenwind und es ist wenig zu spüren von
dem einen Leib in Christus. Aber auch dieses Leiden kann zum Segen
führen, wenn durch die Bitternis hindurch Einsicht wächst und ein
neues und gestärktes Miteinander möglich wird. In der Nachfolge Jesu
zu leben, ist nicht immer leicht, es kann Kämpfe mit sich bringen.
In den Augen Jesu zeichnet sich aber genau darin rechte Nachfolge
ab. Das ist der Weg, den die Mystiker die Leidensnachfolge nennen.
Ein Christenleben muss kein Schönwetterleben sein. So wie Christus
für seine Botschaft mit dem Leben bezahlt hat, so kann es auch einem
Christen immer wieder hart ergehen und ihm Widerstände
entgegenwehen. Jesus nennt das göttlich, im Gegensatz zu einem
menschlichen Schönwetterglauben. Denn dieser Christ geht nicht den
Widerständen aus dem Weg, sondern bleibt dem Evangelium treu, das
Segen wirken will. Das ist das Geheimnis des göttlichen Weges mit
uns und der Welt. Petrus hat das erlebt, dass für ihn das Konzept
des Schönwetterglaubens zusammengebrochen ist, spätestens dann, als
er selbst für den Glauben im römischen Circus kopfüber gekreuzigt
wurde. Doch er ist den Weg gegangen, Jesu Vorbild nachgefolgt, das
ihm Mut gemacht und ihn vor dem Verzweifeln bewahrt hat. Er hat sein
Kreuz auf sich genommen, wie sein Herr es gefordert hat: „Denn wer
sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben
verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s
erhalten.“ (V35).
Wer sein Leben erhalten will, wer sich an Geld und Gut, an Ansehen
und Bequemlichkeit klammert, der verliert schnell das Evangelium aus
dem Blick, weil er nicht mehr offen ist für die Wege, die es ihn
führt, für die Menschen, auf die er trifft. Der würde sich vor den
anderen schämen, wenn er sich mit einem Obdachlosen unterhält.
Die Alternative: das Leben verlieren um seinetwillen. Das meint
nicht, dass wir alle den Märtyrertod sterben müssten, wie es Petrus
tat und immer noch viele Christen in der Welt tun. Das Leben
verlieren um seinetwillen, d.h. sein Leben ins Leben Gottes
einschreiben, das wahrnehmen, was Gott mit einem vor hat. Es geht um
die Grundorientierung. Unser Herr will, dass wir recht ausgerichtet
sind: „Achte auf mich, achte aufs Evangelium! Und das wird Dir zum
Segen gereichen.“
Bei jedem sieht das anders aus, das Evangelium im Blick zu haben.
Ich z.B. habe in Worten der Bibel in entscheidenden Momenten immer
wieder die Stimme Gottes gehört und einen Weg gezeigt bekommen. So
werde ich werde ab nächster Woche in der Ukraine arbeiten. Ich muss
zugeben, mich reizt es, auf die Krim zu gehen. Aber ich habe auch
den Ruf Gottes gehört, der mich an diesen neuen Platz stellt und
mich zum Segen für die Menschen dort gebrauchen will. Ich hatte
mehrere Optionen, auf welcher Stelle ich ab April arbeiten könnte.
Doch zum einen war mir klar: Für alle anderen Aufgaben finden sich
auch andere, die es gerne machen möchten. Doch in die Ukraine will
so schnell niemand, wobei doch gerade dort die Gemeinden
händeringend Pfarrer suchen. Zum anderen las ich in der Zeit, wo ich
mich für eine Stelle entscheiden musste, einen Vers aus der
Apostelgeschichte: Da sah Paulus im Traum eine Gestalt von jenseits
des Meeres, und die sprach zu ihm: Komm herüber und hilf uns! Als
ich das las war mir klar: Gott will mich dort gebrauchen, auch
jenseits des Meeres, des Schwarzen Meeres. Ich breche auf! Das ist
eine subjektive Glaubenserfahrung von mir, aber Gottvertrauen gibt
es nicht anders als so, dass sich in uns eine Gewissheit einstellt,
die, wie ich behaupte, Gott selbst wirkt.
Doch je näher die Ausreise kommt, desto mehr kommen auch die
Anfechtungen: Ich muss viel zurücklassen, was mir nicht leicht
fällt, Familie und sehr gute Freundschaften. Der Abschiedsschmerz,
die Angst, was aus Freundschaften wird, wenn der räumliche Abstand
dazukommt. Man kann sich unheimlich nahe sein, das habe ich erlebt,
man kann sich innerlich aber genauso sehr schnell auseinanderleben,
auch das habe ich erlebt: andere Kontexte prägen einen, man hört
auf, sich gegenseitig von Erlebnissen und Gefühlen zu erzählen. Ich
weiß nicht, wie es werden wird. Und ich weiß, dass auf mich viele
Herausforderungen warten: im einen Ort eine zerstrittene Gemeinde,
die vor der Spaltung steht; im anderen Ort ein Mesner, der die
Kirche besetzt hält. Und keinerlei Finanzmittel für die
Gemeindearbeit: Kirchensteuer gibt es nicht, und die Menschen dort
haben oft kaum genug, um selbst leben zu können. Wie werde ich dort
zurechtkommen? In allen Ängsten hat sich aber immer wieder das
Evangelium zu Wort gemeldet. Ich bin meinem Gott dankbar, der mir
die letzte Zeit durch viele Losungstexte Mut gemacht hat. Das
schenkt Kraft. Und dann heute der Name des Sonntags: Sei mir ein
starker Fels! Gott ist der Fels, auf dem ich stehe, und mit dem ich
den Herausforderungen entgegensehe, die auf dem Weg in die Ukraine
in seiner Nachfolge vor mir liegen.
Das Leben im Glauben bringt Herausforderungen mit sich. Aber Gott
lässt uns dabei nicht allein. Er gibt die Kraft. Darauf vertraue
ich. Und so gehe ich in aller Unsicherheit zugleich mit
Gottvertrauen und dem Gefühl einer tiefen Geborgenheit ins
Unbekannte.
Gott ruft aus der Bequemlichkeit. Er ist kein Gott, mit dem es nur
schönes Wetter geben wird. Sein Evangelium bewegt uns, bewegt jeden
anders: Mich bewegt es dazu, mich mit jenem Obdachlosen zu
unterhalten, egal ob die Leute mit der Stirn runzeln oder nicht.
Mich bewegt es dazu, in die Ukraine zu gehen, auch wenn ich dafür
viel zurücklassen muss und vor Herausforderungen gestellt werde, die
wohl wenig mit einem Schönwetterglauben zu tun haben. Gott bewegt
jeden anders, – mal sind es kleine Pfade im täglichen Dschungel der
Begegnungen, manchmal sind es große neue Wege, auf die er uns
schickt. Gott bewegt uns, und er ist dabei und segnet uns. Er
verheißt: Wer sein Leben verliert um des Evangeliums willen, wer
sich vom Evangelium bewegen lässt, der wird sein Leben erhalten, der
bekommt erst echtes Leben, weil er mit sich selbst und Gott
identisch ist, sich in Gottes Armen aufgehoben weiß und darauf
vertraut, dass er wie Jesus durchs Dunkel und durch Schmerzen
hindurch zu neuem Leben geführt wird.
Ich wünsche meiner Hofer Hospitalgemeinde und uns allen, dass wir
mit dem Vertrauen in die Zukunft gehen, dass Gott uns geleitet auf
all unseren Wegen, in schönen und schweren Momenten, und besonders
auf den Wegen, die er uns weist, im Vertrauen, dass er uns segnet in
allen Begegnungen, Freundschaften und Beziehungen, im Vertrauen,
dass er zu aller Zeit mit uns durchs Leben geht.
Vikar Jörg Mahler (Hospitalkirche
Hof)
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Text:
31 Und er fing an, sie zu lehren: Der
Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten
und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach
drei Tagen auferstehen.
32 Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn
beiseite und fing an, ihm zu wehren.
33 Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus
und sprach: Geh weg von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was
göttlich, sondern was menschlich ist.
34 Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu
ihnen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme
sein Kreuz auf sich und folge mir nach.
35 Denn wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; und wer
sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen,
der wird's erhalten.
36 Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne
und nähme an seiner Seele Schaden?
37 Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?
38 Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem
abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der
Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines
Vaters mit den heiligen Engeln.
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