Predigt     Markus 8/31-38     Estomihi     22.02.09

"Kein Schönwetterglaube"
(Abschiedspredigt von Vikar Jörg Mahler, Hospitalkirche Hof)

Liebe Leser,

ich stehe bei der Bushaltestelle am Rathaus, in der ummauerten Einwölbung. Ich unterhalte mich gut. An mir und meinen Gesprächspartnern kommen viele Leute vorbei, die die Ludwigsstraße hinauf- und hinuntereilen. Einige runzeln die Stirn, als sie mich und meine Gesprächspartner sehen. Warum? Ich weiß es nicht. Darf man sich denn nicht mit zwei Menschen unterhalten, die beide eher alte Klamotten tragen, von denen einer eine Alkoholfahne hat, und deren große Rucksäcke zeigen, dass sie kein wirkliches zu Hause haben? Die Passanten runzeln mit der Stirn – solche Menschen sind ein Schandfleck für unsere Stadt, die sofort reagiert hat: In diese Einbuchtung im Rathaus wurden die schönen orangen Zettel geklebt, die dort ein sich lagern verbieten. Und wer sich mit solchen Menschen unterhält, der ist in den Augen so mancher braver Bürger suspekt.

Ich aber unterhalte mich mit ihnen, weil es Menschen wie du und ich sind, weil mich ihre Geschichte interessiert, weil es ihnen gut tut, mit jemanden zu reden, der Interesse zeigt, und weil ich als Christ nicht an den Menschen vorübergehen will, die von vielen an den Rand gestellt werden. Aber das erregt Anstoß.

Auch das Verhalten Jesu hat Anstoß erregt, und der war noch viel radikaler: Nicht nur zu den Ausgegrenzten ist er gegangen, er hat auch die Tische der Geschäftemacher im Tempel umgestoßen und den kleinen Leuten die Liebe Gottes gebracht. Ein Dorn im Auge war das den Superfrommen und den Mächtigen, die ihren Einfluss schwinden sahen, und so wusste Jesus, dass seine Gegner bald härtere Mittel gegen ihn auffahren würden. Deshalb spricht er: „Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen und getötet werden.“ Den Weg Gottes hin zu den Menschen, den Weg des Evangeliums zu gehen, das kann nicht nur Stirnrunzeln, sondern auch Leid und Tod hervorrufen. Das Evangelium führt uns nicht direkt in die himmlischen Auen, sondern oft erstmal ins dunkle Tal.

Petrus kann das nicht hören. Ich sehe ihn vor mir, wie er die Hände abwehrend hebt und Jesus ins Wort fällt: „Ach, hör doch auf, Jesus, von solchen dunklen Dingen zu sprechen.“ Aber Jesus lässt es damit nicht gut sein und verschont Petrus nicht mit der Realität des Schicksals derer, die den Weg des Evangeliums gehen: „Geh weg von mir Satan!“, schnauzt er Petrus an, „Du meinst nicht, was göttlich ist, sondern was menschlich ist!“ Satan, das ist der Verführer, der die Menschen weg vom Weg Gottes bringt. Das typisch Menschliche verführt, es führt weg von Gott. Typisch menschlich ist, nur auf das zu blicken, was uns gut tut. Petrus hat einen Schönwetterglauben und einen Schönwettergott. Ein bisschen heilen, ein bisschen den Menschen Gutes tun, ein bisschen Seelsorge leisten und Menschen durch die Predigt innerlich befreien, ja, das tut gut.

Und auch uns tut die geistliche Wellness gut: der Meditative Wochenschluss entspannt und hilft uns, die Lasten der letzten Woche abzulegen. Das Mitsingen in den Chören ist Wellness für Herz und Stimme, der Studienkreis Meister Eckardt erfrischt den Verstand. Und das ist auch gut so, Gott will auch durch die Kirche uns befreien und heil machen. Doch daneben gibt es noch die andere Seite des Evangeliums, die nicht ins Konzept eines Schönwettergottes und Schönwetterglaubens passt: Das Evangelium erregt auch Anstoß und führt in die Konfrontation. In die Konfrontation mit dem Stadtrat, wenn wir als Christen beim Sonntagsschutz nicht lockerlassen: Der einkaufsfreie Sonntag ist unerlässlich, damit unsere Familien zur Ruhe kommen, das Soziale in ihnen gestärkt wird, dass eine feste Zeit für die Gottesbegegnung im Rhythmus der Woche bleibt. Die Konfrontation kann schließlich zum Segen führen, wenn der Sonntag in unseren Köpfen und Herzen als dieser Ruhetag wiederentdeckt wird.

Und auch in unserer Kirche herrscht nicht immer schönes Wetter, da leidet ein Christ unter dem Gegenwind und es ist wenig zu spüren von dem einen Leib in Christus. Aber auch dieses Leiden kann zum Segen führen, wenn durch die Bitternis hindurch Einsicht wächst und ein neues und gestärktes Miteinander möglich wird. In der Nachfolge Jesu zu leben, ist nicht immer leicht, es kann Kämpfe mit sich bringen. In den Augen Jesu zeichnet sich aber genau darin rechte Nachfolge ab. Das ist der Weg, den die Mystiker die Leidensnachfolge nennen. Ein Christenleben muss kein Schönwetterleben sein. So wie Christus für seine Botschaft mit dem Leben bezahlt hat, so kann es auch einem Christen immer wieder hart ergehen und ihm Widerstände entgegenwehen. Jesus nennt das göttlich, im Gegensatz zu einem menschlichen Schönwetterglauben. Denn dieser Christ geht nicht den Widerständen aus dem Weg, sondern bleibt dem Evangelium treu, das Segen wirken will. Das ist das Geheimnis des göttlichen Weges mit uns und der Welt. Petrus hat das erlebt, dass für ihn das Konzept des Schönwetterglaubens zusammengebrochen ist, spätestens dann, als er selbst für den Glauben im römischen Circus kopfüber gekreuzigt wurde. Doch er ist den Weg gegangen, Jesu Vorbild nachgefolgt, das ihm Mut gemacht und ihn vor dem Verzweifeln bewahrt hat. Er hat sein Kreuz auf sich genommen, wie sein Herr es gefordert hat: „Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten.“ (V35).

Wer sein Leben erhalten will, wer sich an Geld und Gut, an Ansehen und Bequemlichkeit klammert, der verliert schnell das Evangelium aus dem Blick, weil er nicht mehr offen ist für die Wege, die es ihn führt, für die Menschen, auf die er trifft. Der würde sich vor den anderen schämen, wenn er sich mit einem Obdachlosen unterhält.

Die Alternative: das Leben verlieren um seinetwillen. Das meint nicht, dass wir alle den Märtyrertod sterben müssten, wie es Petrus tat und immer noch viele Christen in der Welt tun. Das Leben verlieren um seinetwillen, d.h. sein Leben ins Leben Gottes einschreiben, das wahrnehmen, was Gott mit einem vor hat. Es geht um die Grundorientierung. Unser Herr will, dass wir recht ausgerichtet sind: „Achte auf mich, achte aufs Evangelium! Und das wird Dir zum Segen gereichen.“

Bei jedem sieht das anders aus, das Evangelium im Blick zu haben. Ich z.B. habe in Worten der Bibel in entscheidenden Momenten immer wieder die Stimme Gottes gehört und einen Weg gezeigt bekommen. So werde ich werde ab nächster Woche in der Ukraine arbeiten. Ich muss zugeben, mich reizt es, auf die Krim zu gehen. Aber ich habe auch den Ruf Gottes gehört, der mich an diesen neuen Platz stellt und mich zum Segen für die Menschen dort gebrauchen will. Ich hatte mehrere Optionen, auf welcher Stelle ich ab April arbeiten könnte. Doch zum einen war mir klar: Für alle anderen Aufgaben finden sich auch andere, die es gerne machen möchten. Doch in die Ukraine will so schnell niemand, wobei doch gerade dort die Gemeinden händeringend Pfarrer suchen. Zum anderen las ich in der Zeit, wo ich mich für eine Stelle entscheiden musste, einen Vers aus der Apostelgeschichte: Da sah Paulus im Traum eine Gestalt von jenseits des Meeres, und die sprach zu ihm: Komm herüber und hilf uns! Als ich das las war mir klar: Gott will mich dort gebrauchen, auch jenseits des Meeres, des Schwarzen Meeres. Ich breche auf! Das ist eine subjektive Glaubenserfahrung von mir, aber Gottvertrauen gibt es nicht anders als so, dass sich in uns eine Gewissheit einstellt, die, wie ich behaupte, Gott selbst wirkt.

Doch je näher die Ausreise kommt, desto mehr kommen auch die Anfechtungen: Ich muss viel zurücklassen, was mir nicht leicht fällt, Familie und sehr gute Freundschaften. Der Abschiedsschmerz, die Angst, was aus Freundschaften wird, wenn der räumliche Abstand dazukommt. Man kann sich unheimlich nahe sein, das habe ich erlebt, man kann sich innerlich aber genauso sehr schnell auseinanderleben, auch das habe ich erlebt: andere Kontexte prägen einen, man hört auf, sich gegenseitig von Erlebnissen und Gefühlen zu erzählen. Ich weiß nicht, wie es werden wird. Und ich weiß, dass auf mich viele Herausforderungen warten: im einen Ort eine zerstrittene Gemeinde, die vor der Spaltung steht; im anderen Ort ein Mesner, der die Kirche besetzt hält. Und keinerlei Finanzmittel für die Gemeindearbeit: Kirchensteuer gibt es nicht, und die Menschen dort haben oft kaum genug, um selbst leben zu können. Wie werde ich dort zurechtkommen? In allen Ängsten hat sich aber immer wieder das Evangelium zu Wort gemeldet. Ich bin meinem Gott dankbar, der mir die letzte Zeit durch viele Losungstexte Mut gemacht hat. Das schenkt Kraft. Und dann heute der Name des Sonntags: Sei mir ein starker Fels! Gott ist der Fels, auf dem ich stehe, und mit dem ich den Herausforderungen entgegensehe, die auf dem Weg in die Ukraine in seiner Nachfolge vor mir liegen.

Das Leben im Glauben bringt Herausforderungen mit sich. Aber Gott lässt uns dabei nicht allein. Er gibt die Kraft. Darauf vertraue ich. Und so gehe ich in aller Unsicherheit zugleich mit Gottvertrauen und dem Gefühl einer tiefen Geborgenheit ins Unbekannte.

Gott ruft aus der Bequemlichkeit. Er ist kein Gott, mit dem es nur schönes Wetter geben wird. Sein Evangelium bewegt uns, bewegt jeden anders: Mich bewegt es dazu, mich mit jenem Obdachlosen zu unterhalten, egal ob die Leute mit der Stirn runzeln oder nicht. Mich bewegt es dazu, in die Ukraine zu gehen, auch wenn ich dafür viel zurücklassen muss und vor Herausforderungen gestellt werde, die wohl wenig mit einem Schönwetterglauben zu tun haben. Gott bewegt jeden anders, – mal sind es kleine Pfade im täglichen Dschungel der Begegnungen, manchmal sind es große neue Wege, auf die er uns schickt. Gott bewegt uns, und er ist dabei und segnet uns. Er verheißt: Wer sein Leben verliert um des Evangeliums willen, wer sich vom Evangelium bewegen lässt, der wird sein Leben erhalten, der bekommt erst echtes Leben, weil er mit sich selbst und Gott identisch ist, sich in Gottes Armen aufgehoben weiß und darauf vertraut, dass er wie Jesus durchs Dunkel und durch Schmerzen hindurch zu neuem Leben geführt wird.

Ich wünsche meiner Hofer Hospitalgemeinde und uns allen, dass wir mit dem Vertrauen in die Zukunft gehen, dass Gott uns geleitet auf all unseren Wegen, in schönen und schweren Momenten, und besonders auf den Wegen, die er uns weist, im Vertrauen, dass er uns segnet in allen Begegnungen, Freundschaften und Beziehungen, im Vertrauen, dass er zu aller Zeit mit uns durchs Leben geht.

Vikar Jörg Mahler  (Hospitalkirche Hof)

Text:

31 Und er fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.
32 Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren.
33 Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.
34 Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.
35 Denn wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten.
36 Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden?
37 Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?
38 Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.
 


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