Liebe Leser,
„Ob Christen mit zeitlichen Gütern umgehen sollen, oder ob sie alles
verlassen und wegwerfen müssen“, so hat Luther die Frage
beschrieben, auf die unser heutiger Predigttext Antwort gibt. Luther
war sich schon in seiner Zeit bewusst, welche schlimmen
theologischen und politischen Folgen eine Fehlinterpretation dieser
Geschichte haben kann. So kritisierte er das katholische
Missverständnis, wonach die Weisung Jesu, alles zu verkaufen, nur
für den Stand der Nonnen und Mönche, aber nicht für den normalen
Christenmenschen gelte. Die Vorschrift Jesu dürfe nicht zum Rat für
eine religiöse Elite ermäßigt und verfälscht werden. Umgekehrt hat
Luther diejenigen heftig kritisiert, die aus der Forderung Jesu eine
politische Maxime für eine christliche Gesellschaft machen wollten:
„Dieses sage ich wider die Schwärmer, die diesen Text missbraucht
und damit Ketzerei und Irrtum angerichtet haben.“ (zitiert nach
Harmut Ruddies, GPM 3/1987, Heft 4, S. 396)
Luther hat stattdessen eine geistliche Deutung dieser Geschichte
angemahnt. Wir wollen sie versuchen und von der kleinen und der
großen Freiheit der Kinder Gottes sprechen. Denn ein Kind Gottes,
das möchte der Fragesteller in unserer Geschichte gerne sein. Denn
nur Kinder Gottes sind Erben. Nur sie können das ewige Leben
ererben.
Die „Kirche der Freiheit“ ist ja seit dem gleichnamigen Impulspapier
der EKD bei den Evangelischen in aller Munde. Kirche der Freiheit,
das klingt nach Freiheit und Abenteuer und geht nur scheinbar
zusammen mit dem Freiheitsbegriff der Postmoderne, wonach der freie
Mensch tun und lassen könne, was er wolle. Auch Luther meint etwas
anderes, wenn er den Christenmenschen einen freien Herrn aller Dinge
nennt, der niemandem untertan ist. Der Christenmensch hat diese
Freiheit nämlich nicht in sich selbst, sondern diese Freiheit wird
ihm von Gott geschenkt. Wir können bei näherer Betrachtung die
gesamte Heilsgeschichte der Bibel als eine Geschichte lesen, die
davon handelt, wie Gott sein Volk, seine Menschen aus der
Knechtschaft in die Freiheit der Kinder Gottes führt.
Das beginnt schon im Alten Testament. Das aus der Knechtschaft
Ägyptens herausgeführte Volk Gottes ist auf seiner Wüstenwanderung
schon bald wieder in der Gefahr, die alten Strukturen der
Knechtschaft wiederherzustellen. Da ruft Gott Mose auf den Berg
Sinai und gibt ihm die beiden Tafeln mit den zehn Geboten. Diese
Gebote sollen dem Volk Gottes helfen, in Freiheit zu leben. Es sind
Angebote der Freiheit. Wir haben heute ja wieder eine Ahnung davon,
dass einer Gesellschaft, der im menschlichen und wirtschaftlichen
Zusammenleben die Spielregeln abhandenkommen, nicht weniger droht,
als der Verlust der Freiheit.
Die Kritik am Glaubensbekenntnis der Postmoderne, das da lautet: Man
glaubt nicht, wie gut es uns allen geht, wenn wir vom Guten nichts
mehr wissen, (Botho Strauß) leuchtet vielen heute wieder ein.
Richtig muss es heißen. Man glaubt nicht, wie schlecht es uns gehen
wird, wenn wir vom Guten nichts mehr wissen. Andererseits gilt: Es
ist geradezu unmöglich, vom Guten nichts zu wissen. Denn, was gut
ist, können wir wissen. Der Philosoph Immanuel Kant hat es in seiner
Kritik der praktischen Vernunft „das moralische Gesetz in uns“
genannt. Ihm zu folgen ist unsere verdammte Pflicht und
Schuldigkeit. Man kann an ihm scheitern. Das hebt es nicht auf. Kein
neues Denken brauchen wir, es hilft schon die Rückbesinnung auf das
alte - oder die Rückbesinnung auf das Denken überhaupt. Und die
Rückbesinnung darauf, dass die Gebote Gottes Bedingungen der
Freiheit sind.
Michael Jürgs schrieb kürzlich im Spiegel: „Um den Trend weg von
Kant, wonach das eigene Handeln stets anderen als Vorbild dienen
sollte, hin zur Kante, wonach man rücksichtslos gegen andere handeln
darf, belegen zu können, braucht es keine Trendforscher. Jene
Propheten des Unbelegbaren, die auf ihre Art viele Jahre lang bei
Gläubigen mit ihren in des Kaisers neuen Kleidern gehüllten
Zukunftsprognosen … erfolgreich waren, haben auch ihre Zukunft
hinter sich, seit Krisen in schnellerem Rhythmus passieren, als ihre
Prognosen Makulatur sind. Wichtiger wäre es, den Trend zu brechen.
Die soziale Verwahrlosung nicht mehr hinzunehmen als Preis der
Freiheit. Sonst kümmern sich, getarnt als Bürgerwehr, jene Prolos
darum, für die Freiheit nur ein leeres Wort ist. Und deren Fressen
wollen wir tatsächlich nie mehr sehen.“ (Michael Jürgs, Kante statt
Kant, Spiegel Nr. 41/2011, S. 155)
Das hätte der „reiche Jüngling“ gar nicht anders gesehen. Gott sei
Dank haben wir auch in unserer Gesellschaft solche Männer und
Frauen, die noch wissen, wo’s langgeht; die Jesus nicht erinnern
muss, dass die zehn Gebote gut und alles andere als unmöglich sind
und sich eigentlich von selbst verstehen, auch und gerade für den,
der als Chef Verantwortung für andere trägt. Da braucht es keine
Diskussion. Er aber sprach: Das habe ich alles gehalten von Jugend
auf. Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb.
Womit wir in äußerst wertschätzender Weise von der kleinen Freiheit
der Kinder Gottes geredet hätten. Das Folgende wertet das bisher
Gesagte nicht ab. Eins fehlt dir noch, sagt Jesus. Und das ist die
große Freiheit der Kinder Gottes. Geh hin, verkaufe alles, was du
hast, und gib's den Armen. Das hat nichts mit Diakonie zu tun. Hier
führt Jesus den reichen Jüngling an die Grenze zur großen Freiheit
der Kinder Gottes. Und vor dieser Grenze muss er kapitulieren. Die
kleine Freiheit der Kinder Gottes mag in seinen Möglichkeiten
liegen, die große Freiheit, das Reich Gottes und das Erbe des ewigen
Lebens nicht.
Sehen wir’s nicht falsch. Natürlich gilt das für uns alle. Warum
sonst hätten die Jünger so entsetzt gefragt? Und natürlich ist es
kein Zufall, dass Jesus hier das Geld, den Besitz, das was wir
haben, als Beispiel nimmt. Geld stinkt nicht und stinkt doch gegen
den Himmel an. Will selber Himmel sein. Bricht auf seine Weise die
Menschen, die irgendwann für Geld alles tun und alles mitmachen. Und
lässt sie dann auf den Straßen stehen und liegen. Macht sich aus dem
Staub. Kennt kein Erbarmen. Der Mammon ist der große Gegenspieler
des Himmelreichs. Er macht aus uns Kamele, die vergeblich vor dem
Nadelöhr zum Himmelreich stehen.
Wie schwer kommen die Reichen in das Reich Gottes!, ruft der
Christus aus. So schwer, wie ein Kamel durch ein Nadelöhr. Aus
eigener Kraft schafft das auch das kleinste Kamel nicht. Niemand
kommt aus eigener Kraft in das Himmelreich. Alle sind sie verlorene
Söhne und Töchter. Alle sind sie auf Gottes Hilfe und Gnade
angewiesen. Da muss der Christus sie schon ziehen mit aller seiner
Macht und unter Einsatz seines Lebens, damit das Unmögliche möglich
wird und auch ein Reicher in den Himmel kommt. Damit aus einem
Menschen, der viel hat, einer wird, der viel ist. Damit aus einem in
den Dingen dieser Welt verstrickten und gefangenen Menschen ein
freies Kind Gottes wird.
„Der Mensch soll hier lernen, alle Dinge indifferent zu haben, und
soll sich von Gott durch Gott zu Gott führen lassen, wie es auch
gehe, und soll nicht um der Liebe zu den Dingen willen, Gott
beleidigen.“ (Luther WA I, 126 f.) Dieser Satz stammt nicht – wie
vielleicht einige Kundige spontan vermuten – von Meister Eckhart. Er
stammt aus der Predigt Martin Luthers zur Stelle. Aber lassen wir
dies am Schluss auch Meister Eckhart mit seinen Worten erklären: „Da
es denn Gottes Natur ist, dass er niemandem gleich ist, so müssen
wir notgedrungen dahin kommen, dass wir nichts sind, auf dass wir in
dasselbe Sein versetzt werden können, das er selbst ist. Wenn ich
daher dahin komme, dass ich mich in nichts einbilde und alles
hinauswerfe, was in mir ist, so kann ich in das bloße Sein Gottes
versetzt werden. … Da wird der Mensch in Gott geleitet.“ (Quint,
Predigt 35, S. 329 f.)
Oder sagen wir es mit den Bildern unserer Geschichte. Wenn schon
Gott durch Christus uns Kamele durch das Nadelöhr ins Himmelreich
zieht und es ganz sicher auch vollbringt, dann muss es wirklich
nicht sein, dass wir uns dabei auch noch krampfhaft an unser Gepäck
klammern. Lassen wir’s gelassen stehn.
Pfarrer Johannes Taig
(Hospitalkirche Hof)
(weitere Predigten von Pfarrer Taig finden Sie
exklusiv unter
www.kanzelgruss.de) |
Text:
17 Und als er sich auf den Weg machte, lief
einer herbei, kniete vor ihm nieder und fragte ihn: Guter Meister,
was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?
18 Aber Jesus sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut
als Gott allein.
19 Du kennst die Gebote: »Du sollst nicht töten; du sollst nicht
ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis
reden; du sollst niemanden berauben; ehre Vater und Mutter.«
20 Er aber sprach zu ihm: Meister, das habe ich alles gehalten von
meiner Jugend auf.
21 Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb und sprach zu ihm: Eines
fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib's den
Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge
mir nach!
22 Er aber wurde unmutig über das Wort und ging traurig davon; denn
er hatte viele Güter.
23 Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: Wie schwer
werden die Reichen in das Reich Gottes kommen!
24 Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte. Aber Jesus
antwortete wiederum und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer
ist's, ins Reich Gottes zu kommen!
25 Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass
ein Reicher ins Reich Gottes komme.
26 Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen
untereinander: Wer kann dann selig werden?
27 Jesus aber sah sie an und sprach: Bei den Menschen ist's
unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei
Gott.
|